Feminismus

Theorie und Party

  • 30.10.2012, 17:51

Das queer-feministisches Musikfestival rampenfiber findet heuer zum dritten Mal statt. Progress hat die Organisatorinnen* getroffen, um mit ihnen über feministische Popkultur, queer feministische danger zones und das Magazin fiber zu sprechen.

Das queer-feministisches Musikfestival rampenfiber hat heuer zum dritten Mal stattgefunden. Progress hat die Organisatorinnen* getroffen, um mit ihnen über feministische Popkultur, queer feministische danger zones und das Magazin fiber zu sprechen.

progress: Wie ist es zum rampenfiber gekommen?

Angela: Das erste rampenfiber hat 2006 stattgefunden. Die Idee ist damals aus dem Zeitschriftenprojekt fiber heraus entstanden, um die zehnte Ausgabe zu feiern. Wir wollten nicht nur ein Fest mit einer Band oder Auflegen machen, sondern etwas Größeres. Auch um ein Gegengewicht zu den stark *männlich-dominierten Auflegereien und Bühnenauftritten zu schaffen. Das hat sich damals auch noch in der Formulierung sehr widergespiegelt: „*Frauen fördern“. Das war jedenfalls die Intention 2006.
Zum rampenfiber 2009 kam es dann, als alle den Organisations-Schock vom ersten überstanden hatten. Es gab damals fast jedes Jahr ein Ladyfest oder queer-feministische Tage und in diesem Jahr gab es einfach nichts. Das kam uns wie ein Loch vor, da konnte man gut ein queer-feministisches Fest organisieren – also warum nicht wieder rampenfiber.

progress: Das Programm war heuer international angelegt – Noblesse Oblige beispielsweise kam nur fürs rampenfiber den weiten Weg aus London nach Wien. Wie kam es dazu?

Katrin: Das war extra gewählt. Als wir überlegt haben, worum sich das Festival thematisch drehen soll, haben wir uns dazu entschlossen, dass Internationalisierung ein Schwerpunkt sein soll.

Angela: Die Grunddiskussion war, warum wir rampenfiber überhaupt noch machen. Wir haben überlegt, warum wir es politisch wichtig finden ein queer-feministisches Musikfestival zu machen und internationale Vernetzung war ein Punkt, den wir dieses Jahr angehen wollten.

progress: Auch im Bezug auf die Künstler_innen und Genres war es vielfältig…

Angela: Was wir bei rampenfiber versuchen, ist zu zeigen, dass gerade *Frauen sehr unterschiedliche Musik machen. Dass es eben nicht immer nur Gitarre mit netter Stimme auf einem Stuhl ist, wobei das ja auch großartig ist. Wir wollen zeigen, dass es ganz Unterschiedliches gibt an Musiksparten, Genres, und Performances und das ist  auch dieses Jahr so passiert.

progress: In Österreich gibt es kaum *weibliche Produzentinnen, würde die Musiklandschaft anders aussehen, wenn mehr *Frauen hinter der Musik stehen würden?

Katrin: Das setzt so viele Vorannahmen voraus, die schon vielleicht zu klischeehaft werden. Die Annahme, *Frauen würden *Frauen fördern, stimmt eben nicht immer. Da unterscheidet sich die Gruppe *Frauen innerhalb oft mehr als zu *Männern.

Katharina: Und dann auch noch in eine Richtung, die so anders als der Mainstream ist.

Angela: In Wien gibt es mittlerweile mehrere Labels, die von *Frauen betrieben werden. Dadurch gibt es meiner Meinung nach eine verstärkte queer-feministische Musikszene. Daraus kann man schon rückschließen, dass wenn sich *Frauen mehr an die Dinge wagen und Projekte aufziehen, sich das Musikbusiness verändert.

progress: Die Veranstaltungsorte waren nicht die typischen queer-feministischen Räume. Wie kam es zu der Auswahl?

Katharina: Wir wollten diese Räume bespielen, um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen und nicht immer in einem kleinen Raum zu bleiben. Das birgt aber auch Gefahren. Da muss man mit bestimmten Situationen rechnen, die wir eher nicht wünschen. Wie damit umgegangen wird, ist ein großes Thema bei uns.

Katrin: Das war auch schon 2009 so, da stand dann groß auf einem Transparent über dem Eingang „You’re entering a feminist danger zone“, dieses Jahr ist es erweitert um die queer-feminist danger zone. Es soll eine queer-feministische Raumnahme sein. Ein ganz bewusster Satz, dem wir uns  aussetzen. Zum Beispiel, indem wir mit den Securities Workshops machen und uns mit ihnen absprechen.

progress: Wie geht ihr mit sexistischen Übergriffen um?

Daniela: Das ist auch ein Grund, warum es die Securitytreffen gab. Wir haben uns diesmal mit positiv und negativ Beispielen vom letzten Mal befasst. Eine wichtige Aussage von uns ist eben, dass nicht nur körperliche Gewalt Gewalt ist, sondern dass auch durchaus das Gegenüber sagt: „Das passt nicht, es reicht“.

Angela: Wir griffen dabei aber nicht nur auf die Securities zurück, sondern hatten auch Helfer_innen, die vor Ort und auch ansprechbar waren, wenn unangenehme Situationen passieren oder Übergriffe stattfinden. Uns ist sehr wichtig, dass das nicht nur auf die Securities ausgelagert wird. Und Raumnahme meint in dem Fall, wie kann ich den Raum so gestalten, dass sich alle angenehm sind.

progress: Das rampenfiber entstand aus der  Zeitschrift fiber, die Popkultur aus einem feministischen Blickwinkel beleuchtet. Was ist die Geschichte von fiber?

Katrin: Es ist aus dem Verein nylon entstanden. Mittlerweile gibt es fiber seit zehn Jahren und zwanzig Ausgaben. Ziel ist Präsenz in einem sehr *männlich-dominierten Musikbiz im Magazinbereich zu schaffen.

Angela: Damals unter der blau-schwarzen Regierung war klar, dass man eine Öffentlichkeit schaffen muss, die feministisch Gesellschaft und Popkultur kommentiert.

progress: fiber hat den Untertitel Werkstoff für Feminismus und Popkultur. Was ist dieser Werkstoff?

Katrin: Die Grundidee bei allen, die dieses Magazin gemacht haben, war mehr zu sein, als etwas, das man konsumieren kann. Mit der fiber soll etwas gemacht werden – gewerkt werden. Zum Teil in der wortwörtlichen Bedeutung, dass beispielsweise Bauanleitungen für einen Lipstick-Vibrator mit drinnen sind. Zum anderen aber, dass es etwas ist, womit man sich auseinander setzen kann. Bewusst kontroverse Themen angehen. fiber ist immer genau das, was Menschen auch einschicken; seien es Artikel, Illustrationen, oder was auch immer.

Katharina: Auch im Sinne eines Do-It-Yourself-Gedankens. Popfeminismus oder Popkultur ist immer wieder eine Diskussion, die wir im fiber haben. Das ist ja für jede_n etwas anderes, aber das ist es nicht nur. Es geht uns um feministische Bildsprache.

Angela: Popkultur darf eben nicht nur auf Musik, Film und Fernsehen reduziert werden. Popkultur muss als Gesellschaftskommentar verstanden werden.

Katrin: Auch, dass feministische Kritik nicht nur auf hochgeistigen Metaebenen und abgeschlossenen Räumen stattfindet, sondern eine Alltagsgeschichte ist. Das Private ist nun mal politisch und das Politische ist privat.

Daniela: Was die Popkultur eben auch markiert, ist die Mischung aus Theorie und Party. Was auch für eine queer-feministische Szene sehr markant ist.

progress: Wer ist eure Zielgruppe?

Angela: Wir produzieren ein Heft und ein Festival für ein interessiertes Publikum, das dem Gedanken des Queer-Feminismus nahe steht. Aber wir versuchen mit diesem Projekt auch Leute zu erreichen, die sich vorher noch nicht damit auseinandergesetzt haben und ich glaube, dass das Heft auch sehr gut kann.

Katrin: Sprache und Bildsprache sind nicht zu unterschätzen. “Macht Welt schafft Welt macht Realitäten” ist eine Grundüberzeugung. Die Grundaussage ist jedenfalls, dass Sprache nicht etwas ist das „nur“ ist, sondern Sprache kreiert Wirklichkeit und in der Hinsicht nutzen wir sie. Beim rampenfiber gibt es von fiber auch einen Workshop zu feministischer Mediengestaltung. 

Die offizielle Fiber Webseite

Das Magazin fiber besteht aus einem festen Kollektiv. Der Einstieg ist jederzeit möglich.
Zum Mitmachen einfach ein Mail an kontakt@fibrig.net schreiben oder zu einer der offenen Redaktionssitzungen vorbeikommen.

2000 Feministinnen in Wien

  • 10.10.2012, 15:51

Das Frauenfußballteam ballerinas hat die erste internationale queer-feministische Fußballade für Frauen, Lesben, Inter und Trans in Wien organisiert. Vanessa Gaigg traf zwei ballerinas, Lisi und Cécile, zum Interview.

Das Frauenfußballteam ballerinas hat die erste internationale queer-feministische Fußballade für Frauen, Lesben, Inter und Trans in Wien organisiert. Vanessa Gaigg traf zwei ballerinas, Lisi und Cécile, zum Interview.

progress: Wie seid ihr zum Fußball gekommen?

Lisi: Ich bin vor ungefähr drei bis vier Jahren dazugekommen. Als Kind bin ich nie auf die Idee gekommen, Fußball zu spielen, weil ich nie eine Frau gesehen habe, die das macht – ich bin da ‚klassisch weiblich’ sozialisiert worden. Ich hab dann erst auf der USI (Universitätssportinstitut, Anm. d. Red.) einen Kurs gemacht und es hat mir so Spaß gemacht, dass ich weiter spielen wollte. Dann bin ich auf die ballerinas gestoßen, die sich da gerade neu formiert haben.

Cécile: Ich bin 2007 dazugestoßen. Fußball ist ein Bestandteil meines Lebens seit ich klein bin – immer, immer, immer. Ich hab semi-professionell gespielt, aber aufgehört, weil ich mit dem Kontext Fußball nix mehr anfangen konnte. Die Gewalt am Feld, die Gewalt in der Kantine, die Gewalt in der Vereinsstruktur. Da hatte ich Fußball für mich abgeschrieben. Dann hab ich die ballerinas getroffen und mir gedacht: na gut, ich probier's noch einmal. Fußball ist für mich das schönste und intelligenteste Spiel, das ich je gesehen und erlebt habe. Und hier funktioniert's: Es geht ums Spielen, dass ein Pass ankommt, dass man mitläuft, dass man überlegt und dass man als Team funktioniert.

progress: Euch ist vor allem wichtig, dass ihr schön zusammenspielt, es geht nicht nur ums Gewinnen. Ist das ein wesentlicher Abgrenzungspunkt zu anderen Teams?

Lisi: Es ist sehr wichtig für uns, dass es wirklich ums Fußballspiel geht. Wir sind ein Team und wir wollen gemeinsam spielen. Es gibt bei uns Leute wie Cécile, die seit ihrer Kindheit spielen und Leute wie mich, die erst später dazugestoßen sind. Uns ist total wichtig, dass alle mitspielen können und nicht einige wenige die Tore reinbrettern, weil das geht schnell einmal. Natürlich wollen wir  Bälle ins Tor bringen, aber es geht schon sehr stark drum dass wir gemeinsam spielen und schön spielen. Und wir sind schon oft auf Turnieren angesprochen worden, dass wir am schönsten gespielt haben, auch wenn wir letzte geworden sind. 

progress: Wie hat sich die Gewalt geäußert?

Cécile: Damit meine ich zum Beispiel eine Schlägerei am Feld, nicht nur ein Foul, sondern die Gegnerinnen treten und in der Kabine noch erklären, dass Fussball Krieg ist. Weil es geht ums Siegen, nur ums Siegen. Dann – klar – gibt es noch die strukturelle Gewalt zwischen Männern und Frauen. Die Frauen kriegen den Platz zum Trainieren, wo es kein Flutlicht gibt, das heißt du trainierst im Dunklen oder nur mit Straßenlaternenlicht. Der Verein hat im Winter keine Kohle, damit du in der Halle trainieren kannst, also heißt's auch im Jänner oder Februar draußen zu trainieren... das ist auch nicht so lustig. Und dann natürlich noch die Homophobie, alle Fußballerinnen sind lesbisch, und so weiter. Das ist eine Struktur, die sich durchzieht.

progress: In eurem Manifest steht, dass ihr bewusst außerhalb jeglicher Vereinsstrukturen spielt. Warum ist euch das wichtig?

Cécile: Ein Verein hat eine Struktur, eine Hierarchie, eine Hackordnung... und das wollen wir nicht. Wir haben keine TrainerIn, keine Kapitänin, keine Sprecherin, wir sind ein Kollektiv.

Lisi: Wir gehören schon dem schwul-lesbischen Sportverein Aufschlag an, aber das eher aus praktischen Gründen. Das ist kein Fussballverein, das heißt wir sind relativ autonom.

progress: Gibt es Vereine, mit denen ihr befreundet seid?

Cécile: Ja, mit den Gaynialen schaffen wir es, ein bis zwei Mal im Winter zu trainieren. Seit kurzem haben wir auch Kontakt zu acht weiteren Teams, wir versuchen das auf jeden Fall zu intensivieren.

progress: Wie schätzt ihr die Situation von Frauenfußball in Wien ein?

Lisi: Es wird besser, aber es wird noch lange nicht ernst genommen. Ich weiß nicht, wie das ist mit professionellen Vereinen, aber ich merke in meinem privaten Umfeld, dass es immer noch schwierig ist. Es gibt extrem viel Sportförderung für alles, was mit Männerfußball zu tun hat, aber wenn Frauenfußballinitiativen mal um Förderungen ansuchen, dann ist plötzlich kein Geld da.

Cécile: Ich habe mein Leben lang beim Vater/Sohn Turnier zusehen müssen, weil ich eben nicht der Sohn meines Vaters bin. Ich will endlich mal ein Mutter/Tochter Turnier sehen, ich hätte gerne, das andere das erleben dürfen.Wir wollen im Schweizergarten (in Wien, Anm. d. Red.) einen gesperrten Platz haben für Mädchen zum Fußball spielen beziehungsweise Sport treiben. Wir versuchen seit zwei Jahren, das durchzukämpfen. Nach dem Turnier wollen wir das wieder in Angriff nehmen. Wir wollen einen Platz mit Kabine und Platzwart, wir würden sogar zwei Arbeitsplätze in Wien schaffen. (lacht)

Lisi: Die Mädchen werden immer von Burschen vertrieben und können nicht spielen. Deswegen ist auch die Notwendigkeit da, einen eigenen Bereich zu schaffen, wo sie spielen können. Das sichtbar zu machen ist ganz wichtig - deswegen war es uns auch ganz wichtig, das Turnier draußen zu veranstalten, dass man uns sieht und wenn man vorbeikommt sieht: Die haben Spaß!

Cécile: Und es sind viele!

Lisi: Ja, es sind sehr viele! Es spielen 16 Teams und 145 Spielerinnen.

progress: Wie habt ihr das Turnier organisiert? Von den 145 Spielerinnen sind ja viele auch extra angereist.

Cécile: Ja, es sind auch Teams aus Polen, Deutschland und England angereist. Wir haben uns anfangs jedes Monat, später jede Woche getroffen. Jede von uns hat sich verpflichtet, ein Jahr dabei zu sein und nicht abzuspringen.

Lisi: Wir wollten eben nicht nur das Turnier organisieren, sondern haben auch eine Ausstellung zu Lesben und Schwulen im Sport aufgestellt und wir haben einen Infotisch mit Infomaterial. Wir wollen nicht nur spielen, sondern auch einen politischen Anspruch haben.

Cécile: Wir haben Glück gehabt, dass gleichzeitig die FrauenSommerUni (FSU) und rampenfiber stattgefunden hat. Es sind an die 2000 Feministinnen in Wien! Nicht nur Frauen, sondern: Feministinnen! Es gibt Sport, Kultur und Bildung: Feminismus lebt und wird gelebt.

progress: Besitzt Fußball mehr emanzipatorisches Potential als andere Sportarten? Gerade was feministische Belange angeht?

Lisi: Theoretisch nein, praktisch ja. Es ist so, dass Fußball nach wie vor in der Welt, in der wir leben sehr stark mit diesen seltsamen Männlichkeitsbildern aufgeladen ist und ich deswegen schon glaub', dass es einfach eine gewisse emanzipatorische Wirkung haben kann, wenn man als Frau Fußball spielt.
Wenn wir im Prater oder auf der Donauninsel trainieren passiert es uns oft, dass Männer stehen bleiben und wenn wir den Ball grad rausschießen, müssen sie vorher unbedingt noch Tricks machen, bevor sie ihn zurückschießen. Bei einem Männerteam macht das niemand. Je mehr Frauen in der Öffentlichkeit Fußball spielen, umso mehr kann es auch verändern. Auch das Selbstbild von Frauen ändert sich dadurch. Zumindest meines hat sich dadurch verändert.

Cécile: Klar, weil du exponiert bist. Du bietest eine Angriffsfläche.

Lisi: Und Fußball ist auch ein Kontaktsport.

Cécile: Ja, du bist verschwitzt, rutscht am Boden, bist dreckig, fällst und stehst wieder auf.

 

„Keep on rollin“

  • 03.10.2012, 16:12

Am 27. Oktober findet das zweite Wiener Roller Derby statt. Doch was ist Roller Derby? PROGRESS besuchte den ersten und bislang einzigen Roller Derby Verein – die „Vienna Rollergirls“.

Am 27. Oktober findet das zweite Wiener Roller Derby statt. Doch was ist Roller Derby? PROGRESS besuchte den ersten und bislang einzigen Roller Derby Verein – die „Vienna Rollergirls“.

Roller Derby ist ein Vollkontaktsport, der von Frauen ausgeübt wird. Männer können nur als „Refs“ („Referee“ - Schiedsrichter) oder bei der Organisationsarbeit des Vereins als „little helpers“ teilnehmen. Bevor die Spielerinnen als „Blockers“ oder „Jammer“ in einem „Bout“ (Spiel) zum Einsatz kommen, müssen sie hart trainieren. Denn Roller Derby verlangt den Spielerinnen einiges an Kondition, Kraft und Koordination ab. Auch für die „Refs“ stellen die 43 Seiten (!) langen Spielregeln eine Herausforderung dar.

Die Grundform der Sportart ist in den 1930er Jahren in den Vereinigten Staaten entstanden. Doch trotz ihrer damaligen Popularität war sie vierzig Jahre später in Vergessenheit geraten. Erst zur Jahrhunderttausendwende kam es in den Vereinigten Staaten zu einer Renaissance des Roller Derby. Heute erfreut sich Roller Derby auch in Europa, Israel, Asien, Südamerika und Australien großer Beliebtheit.

Viele Spielerinnen haben Verbindungen zur Punk- und Hardcore-Szene. Das ist auch an den Dresscodes während der „Bouts“ erkennbar. Zwischen den Arm-, Ellbogen- und Knieschützern sind oft großflächige Tattoos zu sehen. Die Spielerinnen und Refs treten unter Pseudonymen auf. PROGRESS hat mit der Blockerin Anne Headaway und dem Ref Guschoida von den Vienna Rollergirls über Roller Derby gesprochen.

Informationen über die Vienna Rollergirls:

http://www.facebook.com/ViennaRollergirls

http://www.viennarollergirls.com

Fäuste ballen

  • 30.09.2012, 02:34

Vom Abspecken, Sich-Quälen und Entscheiden: Hinter den Kulissen der Männerdomäne Boxen.

Vom Abspecken, Sich-Quälen und Entscheiden: Hinter den Kulissen der Männerdomäne Boxen.

Nicole Trimmel ist sehr nett. Das mag nichts Erstaunliches sein, an und für sich muss so etwas auch nicht in einer Zeitung stehen. Aber Nicole Trimmel ist Kickboxerin und Boxerin. Wer sieht, wie sie im Ring mit Fäusten und Füßen auf ihre Gegnerinnen einschlägt, könnte sie für eine ungemütliche Zeitgenossin halten. „Boxen ist ein Sport und hat nichts mit Raufen auf der Straße zu tun“, räumt der Präsident des Österreichischen Boxverbandes Roman Nader, jedoch mit Vorurteilen auf.

Nicole Trimmel ist eine zierliche Frau, er man auf den ersten Blick die vielen Welt- und Europameisterinnen- Titel im Kickboxen nicht ansieht. Kampfsport hat sie schon immer fasziniert und irgendwann ist sie mehr oder weniger zufällig beim Kickboxen gelandet. „Mein großes Glück war es, meinen ersten Kampf zu gewinnen. Obwohl ich gleich den nächsten Kampf verloren habe, überwog die positive Empfindung“, erinnert sie sich an ihre Anfänge im Jahr 1999. Im Kickboxen hat sie eigentlich alles erreicht, neue Ziele hat sie dennoch: „Mir geht es nicht nur ums Gewinnen, sondern auch um die technische Perfektion.“ Sie will noch sauberer, noch schneller, noch perfekter werden.

Der Traum von Olympia. London 2012 war auch so ein Ziel. Ende letzten Jahres kam die Idee auf, die Qualifikation für die Olympischen Spiele in London zu versuchen. Denn im Gegensatz zum Kickboxen ist Frauen- Boxen 2012 (erstmals) olympisch. Dafür musste Nicole Trimmel zunächst von 65 Kilo auf die olympische Klasse von 60 Kilo abspecken – gar nicht so einfach für eine Leistungssportlerin. Immerhin trainiert Nicole Trimmel sechs Tage die Woche jeweils drei bis vier Stunden. Leider hat es bei den WeltmeisterInnenschaften in China, dem einzigen Qualifikationsturnier für London 2012, für Österreichs beste Boxerin dennoch nicht geklappt. „Jetzt habe ich Blut geleckt“, sagt Trimmel selbstbewusst: “Das Boxen will ich trotzdem weiterverfolgen.“

Die Spiele in Rio de Janeiro 2016 sind die Perspektive. Aber auch für das Kickboxen ist das Boxtraining hilfreich: „Durch das Boxen bekomme ich ein anderes Auge und werde unberechenbarer.“ Freizeitsport Boxen. „Ja“, antwortet Roman Nader auf die Frage, ob auch ich (27-jährig, Bierbauchansatz, mittelsportlich) noch mit dem Boxen anfangen könne. „Ein Jahr Training und dann – wenn Sie bereit sind, sich zu quälen – könnten Sie auch gegen gleichwertige Boxer kämpfen“, erklärt er. Denn die Qual gehöre zu jeder Sportart dazu: Am Sandsack, beim Sparring oder beim Pratzentraining powert man schnell aus. Auch im Freizeitbereich ist Boxen inzwischen stark vertreten: Seit 2008 gibt es ManagerInnenboxen, oder besser gesagt White Collar Boxing. Es ist ein ganzheitliches, intensives Training, das aufnahmefähiger und gelassener machen soll.

Boxen kann jeder oder jede, der oder die gesund ist. Was es laut Nader allerdings brauchte, um gut im Boxen zu werden, seien Charakter, Wille, Ausdauer, Geduld, Intelligenz, unterstützende Eltern und den oder die richtige TrainerIn. Die körperlichen Eigenschaften ergeben sich dann von selbst im Training. „Es ist kein harmloser Sport, aber Eltern brauchen sich keine Sorgen machen. Es wird sehr auf die Gesundheit geachtet“, erklärt Nader. Mit dem Klischee der dummen Boxer und Boxerinnen möchte er
aufräumen: „Wenn ich 200 Kämpfe hinter mir habe, heißt das nicht, dass ich meinen Namen nicht mehr weiß“, sagt der Boxverbandspräsident. „Ganz im Gegenteil: Es ist eine hochgeistige Sportart. In einer Tausendstelsekunde muss ich entscheiden, wie schlage ich zu oder wie weiche ich aus.“

Mehr als eine Sportlerin. Und auch außerhalb des Rings sind Fähigkeiten gefragt. „Ich bin Sportlerin, Managerin, Projektbetreuerin,Organisatorin und Pressesprecherin in einer Person“, sagt Nicole Trimmel. Als Weltmeisterin ist sie in Österreich weit davon entfernt, von ihrem Sport leben zu können. Nicole Trimmel arbeitet 30 Stunden pro Woche im Sportreferat des Landes Burgenland. Etwas unnett wird sie nur, wenn sie über die rot-weiß-rote Sportförderung spricht: „Der Unterschied in der Förderung
zwischen olympischen und nichtolympischen Sportlern ist zu groß. Die topverdienenden Sportler sollten nicht auch noch den Großteil abbekommen.“

www.nicole-trimmel.at
www.managerboxen.at

Subalternity speaking!

  • 29.09.2012, 01:35

Die gebürtige Iranerin Marjane Satrapi legte die mit „Persepolis“ als erste eine autobiografisch inspirierte Migrationsgeschichte als Comic vor. Dieser geglückte Versuch blieb keineswegs eine singuläre Erscheinung. Mittlerweile haben auch andere Arbeiten von Migrantinnen Einzug in ein vormals männlich und eurozentristisch dominiertes Genre gefunden.

Die gebürtige Iranerin Marjane Satrapi legte die mit „Persepolis“ als erste eine autobiografisch inspirierte Migrationsgeschichte als Comic vor. Dieser geglückte Versuch blieb keineswegs eine singuläre Erscheinung. Mittlerweile haben auch andere Arbeiten von Migrantinnen Einzug in ein vormals männlich und eurozentristisch dominiertes Genre gefunden.

Innerhalb der Migrationsforschung herrscht bis heute kein Konsens darüber, welche Faktoren ausschlaggebend sind für die zahllosen transkulturellen Wanderbewegungen, die dieser Tage global zu verzeichnen sind. Ökonomische Gründe und/oder Flucht aufgrund von politisch, sexistisch und/oder rassistisch motivierter Verfolgung sind in vielen Fällen nicht allein der Grund für das Überschreiten territorialer Grenzen. Oftmals sind es die diffusen Hoffnungen auf ein besseres Leben anderswo, die Menschen dazu bringen Staatsgrenzen hinter sich zu lassen. Als zureichende Gründe für Asyl gelten derartige „Landkarten der Sehnsucht“ bis heute nicht.
Comics von Migrantinnen sind ein Medium, das weitaus mehr über die Hintergründe von Migrationsbewegungen vermittelt, als das elaborierteste Zahlenmaterial. Mit den Werken von Marjane Satrapi, Parsua Bashi und Karlien de Villiers liegen drei unterschiedliche Comics vor, in deren Zentrum die Migrationsgeschichten der Autorinnen stehen.

Comic-Coming-Outs. Rückblickend betrachtet ist die iranisch-französische Zeichnerin Marjane Satrapi möglicherweise die Begründerin eines neuen Comic-Genres. Der erste Teil ihres zweibändigen Werks „Persepolis“ erschien im Jahr 2004 in deutschsprachiger Übersetzung, schnell folgten weitere Comics zum Thema Migration. 2006 bedienten sich die ebenfalls im Iran geborene und in die Schweiz emigrierte Zeichnerin Parsua Bashi sowie die in Frankreich lebende weiße Südafrikanerin Karlien de Villiers dieses Mediums zur Darstellung ihrer Migrationsgeschichten. Ähnlich wie die kleine Marji aus Satrapis „Persepolis“ erzählen auch die Heldinnen der Comics „Nylon Road“ (Parsua Bashi) und „Meine Mutter war eine schöne Frau“ (Karlien de Villiers) ex post von einem „dritten Ort“ jenseits der beiden Herkunftskulturen. Es entsteht dabei ein Bild von Zugehörigkeit, das sich nicht in der Identität mit einer einzigen Kultur erschöpft. Die Protagonistinnen der Comics nehmen unterschiedliche kulturelle Einflüsse in ihre Lebensformen auf und präsentieren sich als selbstbewusste Akteurinnen am Schnittpunkt mehrerer Kulturen.

Jenseits der Kulturen. Das Oszillieren zwischen den Kulturen wird in allen drei Comics als durchaus schwierige Etappe der Selbstfindung, der Bewusstwerdung und des Erinnerns dargestellt. In narrativer Hinsicht sind die Comics zumeist Coming-Of-Age-Stories, deren Protagonistinnen keineswegs frei von Ambivalenzen sowohl gegenüber dem Einwanderungs- als auch dem Herkunftsland sind. Lakonisch stellt Satrapis Heldin Marji bei ihrer Ankunft in Wien im November 1984 fest, dass auch das laizistische Europa von religiösen Repressionen nicht frei ist. Nachdem sie in einer Nonnenpension einquartiert wurde, muss sie die Erfahrung machen, dass sie auch hier aufgrund ihrer Religion unterdrückt ist. Anders ergeht es der Heldin aus „Nylon Road“. Aus Mangel an anderen westlichen Vorbildern entwirft deren iranische Freundin in Zürich eine Modelinie für Frauen, die den Titel „Süße Sklavinnen“ trägt. Wieder einen anderen Eindruck gewinnt Karlien de Villiers Heldin bei ihrer Rückkehr nach Südafrika: Sie wird sich ihrer MittäterInnenschaft als weiße Frau an der Diskriminierung von black people bewusst. Einen Anfang zum Abbau westlich-hegemonialer Vorstellungen leisten die vorliegenden drei Comics allemal: Wenn „wir“ weiße EuropäerInnen erst einmal beginnen „uns“ durch die Augen der Marginalisierten zu sehen, haben wir Grund genug, unsere Vormachtstellung kritisch zu hinterfragen.

Barbara Eder studiert Doktorat Philosophie und Gender Studies in Wien und Berlin.

„Spanien ist weder demokratisch noch zivilisiert“

  • 28.09.2012, 11:25

Ana María Pérez del Campo gründete 1973 in der Ära Francisco Francos den Verein Getrennter und Geschiedener Frauen. Warum sie mit 76 Jahren noch für das Recht auf Abtreibung kämpft, erzählte sie Jan Marot.

Ana María Pérez del Campo gründete 1973 in der Ära Francisco Francos den Verein Getrennter und Geschiedener Frauen. Warum sie mit 76 Jahren noch für das Recht auf Abtreibung kämpft, erzählte sie Jan Marot.

progress: Spaniens Justizminister Alberto Ruíz Gallardón will die Fristenlösung bei schwerer Missbildung des Fötus verbieten.

Ana María Pérez: Wenn man von Gallardón spricht, muss man ihn als das bezeichnen, was er ist: ein Fundamentalist. Das Thema Abtreibung wird in Spanien seit 40 Jahren debattiert. In einem offiziell nichtkonfessionellen Staat darf Gallardón nicht unter religiösen Vorsätzen Gesetze durchboxen. Das stimmt natürlich insofern nicht, dass bei uns in Spanien die Kirche so stark ist, wie der Islam in islamistischen Staaten. Die Burka der Spanierinnen ist, dass man ihnen nicht gewährt, selbst über ihre Mutterschaft zu entscheiden. Gallardón geht es darum, dass die Frauen das Rollenbild der 1960er- Jahre wieder aufgreifen: Zurück zur Familie und an den Herd. Es soll wieder Gottes Gesetz eingeführt werden. Unser einstiger Diktator Francisco Franco hat in seinem Testament niedergeschrieben, er habe „Spanien gut verschnürt hinterlassen, alles gut verschnürt“. Was heute passiert, knüpft daran an. Dabei gibt es in der EU nur zwei Staaten, die die Abtreibung nicht geregelt haben. Malta und Irland. Zwei der katholischsten, wenn man so will. Selbst das hochkatholische Polen gewährt Abtreibungen bei Missbildung des Fötus. Die Frage Leben ja, Leben nein, sie ist im Fötenstatus eine rein biologische, über einen eben erst begonnenen biologischen Prozess.

Wie entstand Ihre NGO der Getrennten und Geschiedenen Frauen Spaniens?

1973 gab es ja das Scheidungsrecht noch nicht. Unser erster Name war Verein der Getrennten Frauen. Wir mussten die Prüfung der Generalsicherheitsdirektion in Madrid bestehen. Wir schickten unsere Präsidentin, eine deklarierte Befürworterin des faschistischen Regimes, was die Sache erleichterte. 1975 trennten sich unsere Wege und wir begannen den Kampf für die Scheidung und die Abtreibung. Viele Frauen aus faschistischen Haushalten haben damals abgetrieben. Sie stiegen in ein Flugzeug und führten den Eingriff in London, Frankreich oder in Portugal durch. Aus Protest gegen das Abtreibungsverbot sperrten wir uns in Kirchen und Gerichte ein. Vor der UNO brachten wir Klagen zur Situation der Frauen im Franco-Spanien ein. Ich bin eine Feministin und wir müssen weiterkämpfen, denn das drohende Unrecht, das vom konservativen Fundamentalismus ausgeht, ist zu groß.

Wie haben Sie ihre eigene Trennung und spätere Scheidung von ihrem Ex-Ehemann erlebt?

Ich habe mich nach fünf Jahren der Ehe getrennt. Das war 1961. Das musste vor der Kirche und einem Tribunal geschehen. Die Urteile damals begannen mit der Phrase „Im Namen Gottes“. Mich erklärte man zu einer „unschuldigen“ Ehefrau. Das erfüllte mich mit Scham, denn was die Kirche unter „unschuldig“ versteht, kann vieles sein. Vom selben Gericht wurden Frauen mit der Begründung verurteilt, sie wären nicht ihren ehelichen Pflichten nachgekommen. Frauen wurden verurteilt, weil sie sich nicht von ihren Männern wieder und wieder vergewaltigen lassen wollten; unzählige, weil sie arbeiten wollten und ihr Mann dazu keine Erlaubnis gab. Frauen klagten, weil sie wie Sklavinnen einzig als Hauskraft geheiratet worden waren. Frauen wie ich. Wir waren vor dem Gesetz Objekte, die man ehelichte, um das Haus des Mannes zu schmücken. Erst 1981 – als das Recht gesetzlich verankert war – konnte ich mich scheiden lassen.

Aktuell sehen wir einen deutlichen Anstieg der Todesopfer häuslicher Gewalt. Wo liegen die Gründe?

Die jetzige Regierung lässt Frauenzentren, Frauenhäuser und Informationsstellen schließen. Das ist ein Grund für den Anstieg. Aber die Zahlen steigen vor allem, wenn die Aggressoren sich im Gefühl der Straffreiheit wägen. Bislang (Anm. zum 2. August 2012) sind in diesem Jahr 33 Frauen in Spanien ermordet worden, durch die Hände ihrer Ehemänner, Partner, oder ihres Ex.

Welche Rolle spielt dabei die PP-Regierung?

Sie schaltet auf Durchzug. Seit 1968 sind mehr als 8.900 Frauen in Spanien von ihren Partnern und Ex-Partnern ermordet worden. Warum beziehe ich mich auf 1968? Seither wurden die Opfer des ETA-Terrorismus gezählt. 857 Tote und Verletzte gehen auf das Konto der baskischen TerroristInnen. Doch diese ermordeten Frauen starben die qualvollsten Tode. Sie wurden erschlagen, verbrannt, erstochen, erschossen, mit Säure überschüttet. Das passiert im heutigen Spanien – ein Land, das man weder zivilisiert noch demokratisch nennen kann. Wären die 8.900 Toten Fußballer gewesen, oder aus einer sozialen Schicht, die Einfluss hat, das Problem wäre längst gelöst. Zwei Dinge wären ein Anfang: Lange Gefängnisstrafen für die Täter und eine wirksam überwachte Bannmeile nicht nur für die Frauen, sondern auch für die Kinder.

Nicht selten werden auch Kinder ermordet.

So rächen sich Väter an ihren Frauen auf die bestialischste Art und Weise überhaupt. Wie beim jüngsten Fall (Anm.: in Las Palmas de Gran Canaria), wo ein Vater mit seinem Kind sein vollgetanktes Auto vor dem Haus seiner Ex-Frau gegen einen Pfeiler gefahren hat und beide verbrannt sind. Der Kinds- und Selbstmörder hatte kurz davor noch seine Ex-Frau über die Sprechanlage des Hauses aufgefordert, sie solle ans Fenster treten, um das zu sehen, was sie verdiene.

Justizminister Gallardón will die Entscheidung über eine geteilte Obsorge im Scheidungsfall dem Richter überantworten.

Es soll eine Regelung kommen, die absolut frauenfeindlich ist. Eine, die das Wohl des Kindes in die Hände eines Bürokraten legt. Ein Kind ist kein Gut, das man aufteilen kann. Kinder brauchen eine Erziehung, die nicht auf Widersprüchen der Eltern aufbaut, und keine Kindheit, wo sie wie ein Koffer weitergereicht werden. Sie brauchen Ruhe, Ernsthaftigkeit und Routine. Das ist wichtig für ihre
Entwicklung und ihr ganzes Leben. Wir fordern keine Bevorzugung der Mütter. Wichtig ist, dass der Fokus darauf gerichtet ist, wo das Kind sich am besten entwickeln und leben kann.

Mutter Gottes, Jungfrau, werde Feministin

  • 28.09.2012, 10:00

Neonfarbene Sturmmasken wurden in den letzten Monaten zum großen Trend: Der Prozess gegen die Punkband Pussy Riot zeigt, wie in Russland mit politischem Engagement umgegangen wird und verursachte einen Aufschrei rund um den Globus.

Neonfarbene Sturmmasken wurden in den letzten Monaten zum großen Trend: Der Prozess gegen die Punkband Pussy Riot zeigt, wie in Russland mit politischem Engagement umgegangen wird und verursachte einen Aufschrei rund um den Globus.

Zwei Jahre Haft lautet das Urteil, das Richterin Marina Syrowa Mitte August über die Musikerinnen Nadeschda Tolokonnikowa, Maria Alechina und Jekaterina Samuzewitsch verhängt hat. Die Riot Grrlz wurden durch ihre Verhaftung nach einem „Punkgebet“ in der orthodoxen Christ-Erlöser-Kathedrale im Zentrum Moskaus weltweit berühmt. „Rowdytum“und „religiöse Hetze“ lautete die Anklage gegen die drei Frauen – den wahren Grund sehen viele jedoch in der Anti-Putin-Politik der Pussy Riots: Seit Oktober 2011 war die Gruppe im Vorfeld der russischen Präsident_innenschaftswahlen aktiv und äußerte in zahlreichen Auftritten Kritik an Vladimir Putin.

Mutter Gottes, Jungfrau, verjage Putin. „Das politische Engagement gegen Putin wächst in Russland immer stärker. Mehr und mehr junge Leute werden in der Bewegung aktiv. Sie wollen die Politik beeinflussen und faire Wahlprozesse“, erzählt Olga Vlasova von der Russischen Demokratischen Partei. Der Prozess gegen Pussy Riot ist für die 26jährige Politikwissenschafterin eine reine Machtdemonstration, die Anklage an den Haaren herbeigezogen: „Die Aktion von Pussy Riot war sehr politisch, sie hatte aber nichts mit Religion zu tun. Der Ort wurde lediglich gewählt, um größtmögliche Aufmerksamkeit zu erregen.“ Vlasova ist überzeugt, dass genauso wie die Hauptaussage der Aktion – Mutter Gottes, verjage Putin – auch der Prozess „ein reines Politikum“ sei.

Das Delikt „Rowdytum“ behandelt das russische Gesetz in zweierlei Hinsicht: Einerseits als Verwaltungsübertretung, wenn keine Sach- oder Personenschäden verursacht wurden – mit einem Höchststrafmaß von 15 Tagen Gefängnis; andererseits, wenn Menschen verletzt werden, oder Dinge zerstört werden, im strafrechtlichen Sinne. „Es mag sein, dass öffentlicher lautstarker Protest und provokatives Verhalten unter ‚Rowdytum‘ fallen, aber in diesem Fall ist es dennoch noch ein großer Schritt zu gewalttätigem, zerstörerischem Auftreten. Auch Blasphemie ist meiner Meinung nach etwas anderes“, meint Paula Sonnraum, die seit letztem November in Russland arbeitet und hier lieber mit geändertem Namen erwähnt sein möchte. Die Tirolerin war selbst im Gerichtssaal anwesend und verfolgte das Geschehen. „Der Prozesstag an sich ist eigentlich sehr ruhig verlaufen. Aber als ein Aufmüpfiger unter den Zuhörer_innen Kritik äußerte, wurde er letztlich unsanft aus dem Gerichtssaal gebracht“, erinnert sie sich an die Verhandlung Mitte August.

Alle Pfarrkinder kriechen zur Verbeugung. Immer mehr russische Staatsbürger_innen schließen sich derzeit wieder der orthodoxen Kirche an – Religion ist in. „Viele haben hier einen ganz anderen Zugang zu ihrem Glauben als beispielsweise in Österreich, weil dieser während der Sowjetunion lange Zeit verboten war. Ich habe mehrere Freund_innen, die sich erst im Erwachsenenalter taufen gelassen haben”, erzählt Sonnraum. Dieser Zustrom und die damit einhergehende steigende Relevanz der Kirche waren auch im Prozess gegen Pussy Riot zu spüren. „Der Kreml versucht schon lange, die Kirche für politische Zwecke zu missbrauchen, ihr Einfluss wächst in Russland immer mehr. Ich denke, auch Pussy Riot hat das verstanden und hat daher diesen bestimmten Ort für ihre Aktion gewählt“, sagt Vlasova. Putin könne die Band nicht einfach gehen lassen, weil ihre Aktion „die beiden heiligsten Institutionen in Russland“ angegriffen hat: „Den Kreml selbst und die Kirche.“ „In Russland gilt zwar die Trennung von Staat und Kirche. Letztere ist jedoch ein riesiger Machtfaktor in der Russischen Föderation. Eine enge Beziehung zwischen Kirche und Kreml kann nicht geleugnet werden“, bestätigt auch Sonnraum. Gerade die streng orthodox Gläubigen setzten sich für eine strenge Verurteilung der Sängerinnen und ein hohes Strafmaß ein.

Das Verfahren gegen die Punkband hat die russische Bevölkerung gespalten – entweder war man für oder gegen Pussy Riot. „Es gibt viele extreme Orthodoxe und das war ihre Gelegenheit, aus ihren Schatten zu treten. Ich selbst bin gläubig, aber Pussy Riot hat meiner Meinung nach im strafrechtlichen Sinn keine Gesetze gebrochen, also sollten sie auch nicht vor Gericht stehen“, so Vlasova.

Das Gespenst der Freiheit im Himmel. Während in Russland dieses Thema betreffend also keine Einigkeit herrscht, stehen im Ausland Solidaritätsbekundungen und mediales Entsetzen an der Tagesordnung. Kaum eine internationale Zeitung hat in den letzten Monaten nicht über die maskierten Gegnerinnen von Putin berichtet, in Deutschland und Österreich wurden in Kirchen Free-Pussy-Riot-Aktionen abgehalten, zahlreiche Stars und Sternchen stellen sich auf die Seite der inhaftierten Frauen. Und auch im Social-Media-Bereich haben die Proteste gegen Putin Einzug genommen: Profilbilder werden mit Sturmmasken in allen Farben des Regenbogens versehen, Liedtexte und Bilder des Pussy-Riot-Auftritts werden täglich getwittert und das Online-Spiel Angry Birds wird zu Angry Kremlins.

„Das Medienecho hat jedenfalls Einfluss auf die Situation hier, es geht nicht mehr nur um einen Prozess gegen Sängerinnen, die sich nicht adäquat verhalten haben, es ist viel mehr daraus geworden“, meint Sonnraum. Die 28-jährige sieht in den Reaktionen auf das Verfahren gegen Nadeschda Tolokonnikowa, Maria Alechina und Jekaterina Samuzewitsch jedenfalls eine Stärkung der Regierungskritiker_innen: „Ich denke, dass der Prozess Leute motiviert, etwas zu tun, er ist ein weiterer Tropfen, in einem Fass, das bald überlaufen könnte, der Putins Gegner_innen Recht gibt und sie aufstachelt. Es ist doch ein Armutszeugnis, sich mit solchen Methoden an der Macht zu halten.“

Die Überschrift und alle folgenden Zwischenüberschriften sind Zitate aus dem „Punkgebet “, für welches Pussy Riot angeklagt und verurteilt wurde.

Feministisch Schmökern

  • 13.07.2012, 18:18

Wien hat wieder eine feministische Buchhandlung. Zu Gast bei den Betreiberinnen zu einem Gespräch über Literatur, das Teilen der Macht und Österreichs kleine, aber feine feministische Szene.

Wien hat wieder eine feministische Buchhandlung. Zu Gast bei den Betreiberinnen zu einem Gespräch über Literatur, das Teilen der Macht und Österreichs kleine, aber feine feministische Szene.

Vor fünf Jahren hat die Buchhandlung Frauenzimmer zugesperrt. Im vergangenen Jahr ist die Zeitschrift AUF zum letzten Mal erschienen – doch wer fürchtet, die feministische Szene in Wien werde bald ganz verschwinden, darf aufatmen: Seit Anfang 2012 residiert die feministische Buchhandlung ChickLit in der Kleeblattgasse im ersten Bezirk – just in den ehemaligen AUF-Redaktionsräumen.

Roman-Schwerpunkt und Webshop. Lesbenromane und Krimis – der Schwerpunkt liegt eindeutig auf der Roman-Seite, doch es gibt auch Literatur zur Frauenbewegung und -geschichte, Kinder- und Jugendbücher und solche zu feministischer Ökonomiekritik. Neben einem eigenen Webshop (derzeit noch im Entstehen) soll es eine Abteilung zu Wissenschafterinnen geben, die in und um Wien forschen.
Betrieben wird ChickLit vom AUF-Verein, der 31 Jahre lang die gleichnamige feministische Zeitschrift herausgegeben hat. Eva Geber hat jahrzehntelang als Redakteurin mitgearbeitet. Die 70-jährige Journalistin und Buchautorin berichtet, der feministische Aktivismus habe sich in den vergangenen Jahrzehnten quasi von der Straße hinter den Schreibtisch verlagert, und sagt: „Früher haben sich viele nicht getraut, zu sagen ‚Ich bin Feministin‘.“
Heute kann man sich trauen. Doch viele junge Frauen distanzieren sich davon, Feministinnen zu sein – dabei gäbe es noch viel zu tun: Die auseinanderklaffende ökonomische Schere oder Jobs von Frauen, die in Zeiten der Krise als erstes wackeln. Wie lange es dauert, bis sich etwas ändert, ist auch in der Literatur nachzulesen. „Wir müssen uns noch immer mit diesem blöden Thema beschäftigen“, das in Zeitschriften von 1790 ebenso zu finden ist wie in „Stadt der Frauen“ von Christine de Pizan aus dem 15. Jahrhundert. „Es dauert, es ist unfassbar. Die Macht wird nicht abgegeben oder geteilt“, sagt Geber. „Wir sind ja gar nicht so böse!“
Wahrlich nicht. Jenny Unger und Paula Bolyos – zwei Frauen Anfang 30 – schmeißen den Buchladen mit Charme und Humor. Und wenn Paula anfängt, Buchtipps zu geben, ist sie schwer zu bremsen (siehe unten). Für Jenny ist ChickLit ein Raum, der es ermöglicht, selbst wieder nach Büchern zu stöbern; denn das Internet stellt für sie keine Alternative dar: „Ich brauche jemanden, der eine Vorauswahl getroffen hat“, und fügt lachend hinzu: „Jetzt sucht Paula die Bücher raus, und ich lese sie dann.“

Obwohl die feministische Szene in Wien verschwindend klein ist, gibt es vergleichsweise viele feministische AutorInnen. Geber erinnert das an die „hundeschlechte“ Presselandschaft – doch in Kontrast dazu habe es immer außergewöhnlich viele feministische Zeitschriften gegeben, um die sie von Freundinnen aus dem Ausland beneidet wurde. Männer sind in der Kleeblattgasse übrigens genauso willkommen: „Wir wollen natürlich, dass Männer kommen und sich weiterbilden“, sagt Paula und Geber fügt hinzu: „Außer sie reden blöd, dann fliegen sie gleich wieder raus.“    

Buchtipps:

„Engel des Vergessens“ von Maja Haderlap (Bachmann-Preisträgerin 2011) – eine Familiengeschichte über die Kärntner SlowenInnen. Michelle Tea, eine queer-feministische Schreiberin aus den USA. Der autobiografische Roman „Der Boden unter meinen Füßen“ von Eva Kollisch, die 1939 als 14-Jährige nach Großbritannien flüchten musste. Katharina Tiwald, eine junge burgenländische Autorin. Von Sara Dreher stammt die sympathische lesbische Privatdetektivin Stoner MacTavish. Audre Lorde, eine feministische, schwarze, lesbische Aktivistin und Autorin aus den USA. Graphic Novels und Comics von Ulli Lust.

 

Ich wollte ein Männerleben leben

  • 13.07.2012, 18:18

Der Cowboy Katja Kullmann über weiches Kapital und harte Realität.

Der Cowboy Katja Kullmann über weiches Kapital und harte Realität.

Wir trafen die selbsternannte Weltenbürgerin Katja Kullmann, die schon zwischen Financial Times, dem Freitag, der EMMA als auch der GALA oder für Sie bummelte, an einem windigen Vormittag auf der Prater Hauptallee in Wien. Bei einem Kaffee am dortigen Antifaschismus-Platz erklärt sie uns, wo bei dieser Bandbreite an Medien ihre Loyalität liegt: Bei den linken Feministinnen, auch wenn die nicht mehr so viel EMMA lesen wie früher. In ihrer Erzählung spannt Katja Kullmann große Bögen, baut argumentative Kurven – und steht dabei aber immer auf dem Boden der Realität.

PROGRESS: Du beschäftigst dich in deinen Büchern sehr stark mit dem Generationenwandel. Was unterscheidet dich von der heutigen Studentin?

KULLMANN: Meine Frauengeneration hatte noch ein durchwegs positives Ideal von Freiheit und Autonomie. Das war für uns noch nicht neoliberal besetzt, sondern eine positive Utopie. Ich war eine Nach-68erin, hatte vereinzelt LehrerInnen, die sehr liberal waren. Ich gehöre zur ersten Frauengeneration, die zum Selbstbewusstsein erzogen wurde. Alte Säcke als Lehrer hatte ich zwar schon noch im Gymnasium, aber eine oder zwei junge Kolleginnen waren auch dabei. Zwischen diesen Polen bin ich aufgewachsen. Mein Ziel war es, mein Leben größer zu machen, als das meiner Eltern. Wir hatten das Versprechen vor uns, dass die Kindergeneration ein Stückchen weiter kommen sollte. Das habe ich absolut verinnerlicht. Ich bin dabei nicht der Schrankwand-Typ und ich brauche kein teures Auto, aber ich bin immer viel gereist und das war mir in puncto Freiheit und Autonomie immer wahnsinnig wichtig.

Sollte der Begriff Freiheit aus linker Perspektive zurückerobert werden?

Ich habe den Deal immer als fair empfunden: Ich strenge mich an, schreibe gute Noten und lerne Fremdsprachen, und damit komme ich dann weiter. Das war der Plan: nicht früh zu heiraten, nicht an den Herd gefesselt zu sein und auch was die Berufstätigkeit betrifft, mich nicht über 40 Jahre hochdienen müssen. Vor allem: immer selbstständig sein, von niemandem abhängig, und bloß Staats-Stipendium beantragen oder sowas. Heute reibe ich mich daran, dass es letztlich ein lupenrein neoliberaler Entwurf des Ich ist – ein perfekter Yuppie-, Westerwelle-, FDP-Lebenslauf. Obwohl es ursprünglich widerständig gemeint war. Die jüngere, eure Generation, ist da viel realistischer: Ihr wisst, wie hart es aussieht. Ihr habt den Vorteil, dass sich der Restglaube an Statussicherheit erübrigt hat. Keiner rechnet wahrscheinlich mit einer festen Anstellung oder anderen verlässlichen sozialen Absicherungen.

Wie hat sich diese Vorstellung vom perfekten Lebenslauf verändert?

Die Marge der Leute, die sich heute noch Praktika leisten können, wird immer kleiner: Denn sie werden nicht mehr bezahlt. Damit spielt das Elternhaus eine viel größere Rolle. Bei meinen Praktika war zumindest die Unterkunft gedeckt. Herkunftsfragen werden für Männer wie auch Frauen wichtiger. Denn Ausbildung ist unser neues Gut, unser weiches Kapital. Es ist zunehmend ungerecht verteilt, weil der Zugang schwerer wird.

Wie geht die Generation Praktikum mit den schlechten Rahmenbedingungen um?

Bei den Mittzwanzigern und Jüngeren gibt es aus meiner Sicht einerseits solche, die das, was man in den 80ern Ellenbogengesellschaft nannte, extrem fahren. Das ist die Gruppe, die sich extrem ins Private zurückzieht, eine Affinität zu Psychotherapien und zu einer unglaublichen Innerlichkeit entwickelt hat. Sie wollen sich schützen und besitzen eine kaltschnäuzige Statusangst. Auf der anderen Seite sehe ich eine ganz starke Repolitisierung, gerade bei jungen Frauen, die unbelastet schwere Begriffe, mit denen meine Generation noch Schwierigkeiten hatte, wie Solidarität, auf den Lippen haben. Allein das Wort Feminismus nehmen die Jüngeren viel sportlicher in die Hand und sprechen es aus. Ich glaube, es gibt die Streber und die, die sich politisieren.

Warum fangen trotzdem so wenige etwas mit dem Wort Feminismus an?

Man sollte das nicht zu kleinreden. Ich sehe wirklich viele junge Frauen, die versuchen, den Feminismus neu zu bespielen, ihm neue Inhalte zu geben. Es gibt aber viele Ängste. Wir leben in einem Klima, in dem es einerseits diese starken, politisierten Bewegungen gibt und andererseits aber diese Diskussion, wo unglaublich schnell geschlechtsübergreifend abgewatscht wird. Es gibt viele Leute, die sagen, sie würden lieber hungern, als im Lidl bei den abgeranzten Hartz-IV-Leuten einkaufen zu gehen. Die Angst davor, zur „Gutmenschin“ oder „Wutbürgerin“ erklärt zu werden, ist heutzutage riesig. Denn als solches abgestempelt zu werden, macht dich zum Problemfall, zur Querulantin. Das ist ein Spiegel dieses Funktionieren-Müssens. Erstmals betrifft das beide Geschlechter: Dieser Leistungsdruck, diese fröhlich wirkende Stromlinienförmigkeit, die man erfüllen sollte, und die sehr stark ins Persönliche reicht. Damit hängt auch die Angst zusammen, das Wort Feminismus in den Mund zu nehmen, denn es klingt nach Problemen, nach Haltung. Seit den späten 90ern heißt es: Die Zeit der Ideologien ist vorbei. Genau das ist aber die neue Ideologie.

Inwiefern wirkt sich das neue Prekariat auf die Geschlechterverhältnisse aus?

Es gibt dieses Zitat, dass es in jeder Schicht oder Klasse eine Unterklasse oder Unterschicht gibt, und das sind die Frauen. Seit über 20 Jahren kennen wir dieselben Zahlen: Frauen verdienen im Schnitt, quer durch alle Branchen, noch immer rund ein Viertel weniger als Männer. Und wenn sie zur Alleinerziehenden werden, ist das Armutsrisiko besonders hoch. Gerade in der sogenannten Kreativbranche werden Frauen, denen es beruflich oder finanziell mal nicht so gut geht, schnell pathologisiert – als ob sie ein psychologisches Problem hätten. Da heißt es dann: Die trinkt, die nimmt Drogen, die ist depressiv. Typen können genauso abgebrannt sein, aber potentiell gibt es immer das Bild vom Cowboy oder dem Lonely Wolf, wo gesagt wird, der hat einfach eine schwierige Phase. Genau dieses Bild – der lonesome rider, immer unterwegs, die Welt entdecken – war übrigens eine Art Leitbild für mich, als ganz junges Mädchen. Das hat wieder mit dem unbedingten Willen zur Autonomie zu tun: Es gab fast nur männliche Vorbilder dafür. Im Grunde wollte ich immer eher ein Männerleben führen, denke ich. In Teilen ist mir das auch gelungen.

Nach dem Erfolg deines Buches „Generation Ally“ und deiner Zeit als selbständige Journalistin folgte bei dir eine sehr prekäre Phase als Hartz-IV-Empfängerin. Wie hast du die erlebt?

Das ist eine schizophrene Erfahrung, die viele in den Nullerjahren gemacht haben. Als ich beim Amt als künftige Hartz-IV-Empfängerin vorsprechen musste, war das eine Mischung aus Arzt- und Vorstellungsgespräch. Ich hatte mir einen Businessplan zurechtgelegt, der natürlich nicht funktioniert hat. Denn du darfst dann im Grunde nicht mehr freiberuflich tätig sein. Es blieb dabei: Ich hatte 13 Euro am Tag, ich durfte nicht aus der Stadt weg, das war vollkommen irre. Ich dachte mir: Aha, jetzt bin ich also auch eine Verliererin – und so sieht das also aus: Sie lassen dich nicht mehr mitspielen.

Hat diese Erfahrung mit Hartz-IV deine Sicht auf die Welt verändert?

Meine Repolitisierung ist auf diesem Amtsflur passiert, weil ich gesehen habe, dass ich als Medienarbeiterin Teil einer Avantgarde bin, die systemisch freigesetzt ist. Das ist eine neurotische Branche, die mitforciert hat, dass der Fensterputzer und die Pflegekraft mit immer niedrigeren Löhnen in die Knie gezwungen werden. Und ich bin Teil derer, die den Quatsch auch noch erzählt haben: Jeder sei seines Glückes Schmied.

Würdest du sagen, du hast erlebt, was Armut ist?

Man darf so ein elitenartiges Prekariat, wie ich es erlebt habe, nicht verkitschen und vergleichen mit echter Armut. Damit meine ich, wenn du in der dritten oder vierten Generation SozialhilfeempfängerIn bist und es nicht zum Abitur geschafft hast, fehlt dir ein ganz wichtiges Kapital, das Kulturkapital. Das unterscheidet dann doch die akademisch Prekarisierten von dem Kollegen mit dem Hauptschulabschluss. In Bezug auf Status und Codes kann man sich dann trotzdem noch verkaufen, kann sich seinen Blog so einrichten, dass man so wirkt, als sei man beschäftigt und kann sich augenzwinkernd im abgefransten Kaffeehaus treffen. Das hilft erstens, vor sich selber viel zu verschleiern, und zweitens, diesen Shabby Chic zur Schau zu stellen. Jemand, der wirklich arm ist, kann das gar nicht so veräußern.

Wie ist denn das Frauenbild unter diesen Bobohipstern? Gibt’s da einen Backlash?

Das Abziehbild ist tendenziell männlich, wir denken ja sofort an die Typen mit den Jesusbärten und den Baumwollbeuteln. Den Hipster aber gab’s schon immer, der ist nicht neu. Das ist sozusagen eine urbane Avantgarde. Es gab schon den Yuppie, den Bobo, das taucht alle fünf Jahre auf. Was eigentlich damit gemeint ist, ist diese bunte Bildungselite, die sehr urban, intellektuell, gut vernetzt ist, die diese Codes kennt und die reiche Symbolsprache, an die auch Statusfragen gehängt werden. Auch wenn sie im Second Hand Shop um drei Euro ihre Karohemden kaufen, kann das statusmäßig ein total wertvolles Karohemd sein. Du musst nur wissen, wie das gerade zu tragen ist, und ab wann nicht mehr. Sobald das Elitenwissen dann im Mainstream angelangt ist und die BerlintouristInnen das auch tragen, suchst du dir was Neues.

Ist das Hipstertum so männlich, weil es so Ich-bezogen ist?

Ja, damit hat das sicher zu tun – was ich interessant finde, gerade weil der Begriff do it yourself stark verbreitet ist. Das ist ja auch ein Teil dieser Bewegung: Sehr viele der modischen und hippen Frauen stricken oder craften. Auch auf queerfeministischen Webseiten spielt das eine Rolle. Ich habe nichts gegen Stricken, ich kann aber die bildhafte Logik überhaupt nicht verstehen, und sehe nicht, was daran zum Beispiel widerständig oder feministisch ist. Der Hipster ist jedenfalls keine politische Figur, er demonstriert nicht, er beschäftigt sich mit sich selbst, seinen Gefühlen, seinen Style-Ängsten, und sieht dabei veträumt aus.

Gibt es denn heute positive feministische Rolemodels?

Es gibt heute ein unglaubliches Prinzessinnenwesen. In den 70er-Jahren waren es vor allem im Kinderfernsehen Figuren wie die Rote Zora, Ronja Räubertochter. Das waren aggressive, mutige, aufmüpfige Figuren und Namen. Heute haben wir Lillifee und die Manga-Ästhetik, also diese Verniedlichung. Schwierig finde ich auch, dass jüngere Frauen sich wieder so „girliehaft“ benennen, wie wir es vor 20 Jahren schon mal hatten: Sie nennen sich „Mädchen“ oder „Missys“. Ich kann nur sagen: Dieses Augenzwinkern hat der Feminismus schon einmal versucht – es funktioniert nicht. Ich glaube nicht, dass es die eine gibt, die saisonal das Rolemodel schlechthin ist. Das entspricht auch nicht der Vielfalt und Diversität der Frauen. Für mich ist es Le Tigre Kathleen Hanna. Ich glaub auch, dass Anke Engelke eine Breitenfunktion besitzt, die ganz anders ist, als eine klassische fernseh-feminine Frau. Es ist grundsätzlich erst mal gut, dass es heute mehr interessante Frauen in der Öffentlichkeit gibt, glücklicherweise nicht nur verzweifelte Schlauchboot-Lippen-Trägerinnen.

Warum ist es heute überhaupt so kompliziert, Feministin zu sein?

Die Welt ist ganz schön unübersichtlich. Und ich denke, der Feminismus leidet wie auch andere politische Inhalte und Strömungen darunter, dass die Leute vereinzelt sind. Darüber hinaus ist es vor allem der Leistungsdruck, unter dem wir leiden, und die Angst davor, zu nervig und zu kompliziert zu sein, in dem Moment, in dem man Prinzipienfragen stellt. Ich glaube, dass Feminismus ganz oft mit innerem Unmut anfängt. Man muss den Mut finden, Dinge auszusprechen, dazu muss man stark sein. Und viele Leute fühlen sich gerade nicht stark, haben Angst, sich verwundbar zu machen. Aber ich habe den positiven Eindruck, dass es eine neue Sehnsucht gibt, sich mit anderen zusammenzutun und dass das, erst mal im Kleinen, auch gerade wieder passiert. Niemand kann alleine Verhältnisse umstoßen.

 

Lektüre für Lila Pudel

  • 13.07.2012, 18:18

Über memmige Männer, Strickjacken und zeitungsübergreifende Geschlechterklischees: Eine Bestandsaufnahme über „Feminismus“ in deutschen Medien von an.schläge-Redakteurin Lea Susemichel.

Über memmige Männer, Strickjacken und zeitungsübergreifende Geschlechterklischees: Eine Bestandsaufnahme über „Feminismus“ in deutschen Medien von an.schläge-Redakteurin Lea Susemichel.

Im Feuilleton der konservativen FAZ wird erklärt, was mit „hegemonialer Männlichkeit“ gemeint ist. Braucht es da überhaupt noch feministische Medien? Feministische Fragen werden schließlich tatsächlich längst auch in etablierten Medien verhandelt. Das war in der Gründungsphase vieler Zeitschriften der Zweiten Frauenbewegung in den 1970ern noch anders (von den Organen der ersten Frauenbewegung gar nicht zu reden): Wer damals frauenpolitische Forderungen stellen und verbreiten wollte, musste fast notgedrungen etwas Eigenes gründen, anderswo kamen sie einfach nicht vor.
Doch auch wenn sie heute vorkommen: Schaut man sich zum Beispiel jene Diskussion, in deren Rahmen in der FAZ über Geschlechterkonstruktion nachgedacht werden durfte, genauer an, wird sehr schnell klar, dass man dem medialen Main- und Malestream weiterhin tunlichst nicht das Feld in Sachen Feminismus überlassen sollte.

Das deutsche Feuilleton und der Macho. Im konkreten Fall ging es um die sogenannte „Schmerzensmänner“-Debatte. Deren Anfang machte Nina Pauer mit einem Zeit-Artikel dieses Titels über identitätsirritierte junge Männer in Strickjacken, die aufgrund vielfältiger Anforderungen nicht mehr wissen, wie und wer sie sein sollen, und die deshalb eigentlich nicht mehr zu gebrauchen sind. Es folgten Repliken unter anderem in der taz, in der Süddeutschen und im Spiegel, und nur vereinzelt wird darin der naheliegende Einwand formuliert, dass ein verändertes männliches Rollenverständnis doch wohl eigentlich ein Grund zur Freude sei. Und dass die Alternative doch nicht ernsthaft sein könne, sich den Macho zurückzuwünschen.
Doch der allgemeine Tenor der Diskussionsbeiträge ist ein ganz anderer: Solche Typen wollen wir nicht, ist man sich einig, der Feminismus mit seinem Männer-Umerziehungsprogramm habe mal wieder übers Ziel hinausgeschossen, die jungen Frauen würden es nun ja selbst merken und wieder nach starken Schultern schreien. Dieses zeitungsübergreifende Resümee klingt vertraut, denn zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommt die Presse immer wieder gerne anlässlich der seltenen Gelegenheiten, bei denen sie sich ausnahmsweise eingehender mit dem Geschlechterverhältnis befasst. Dass sich auch linke Medien wie die Jungle World dieser Einschätzung anschließen und im Rahmen der Debatte ganz besonders hämisch über die memmige „Metrosexualität“ dieser neuen Männer ätzen (Magnus Klaue: „Weicher werden“), macht klar, wie dünn gesät konsequent feministische Positionen im medialen Spektrum weiterhin sind, selbst in Alternativmedien.
Das Jammern über verweichlichte Männer ist dabei so alt wie die Angst vor männlichem Autoritäts- und Machtverlust. Und es wird gegenwärtig auch besonders gerne von aggressiv antifeministischen Männerrechtlern betrieben, die vom neuen Mann als „Lila Pudel“ sprechen. Von „Softies“ spricht man spöttisch schon seit den 1980ern, einer Zeit, in der bereits das Tragen eines Strickpullis für dieses Label vollauf genügte. Wenn heute nun Strickjacken das zeitgemäße Erkennungsmerkmal des scheinbar in seinem Rollenverhalten tief verunsicherten Mannes sind, dann geht das leider ebenso wenig wie damals notwendigerweise mit einer gewandelten Gesinnung ihres Trägers einher. Er hat weder verlässlich Queer Theorie gelesen, noch ist er zwingend Vater in Kinderkarenz oder teilt sich die Hausarbeit fifty-fifty mit seiner Partnerin. Und selbst wenn er überraschenderweise all dies doch erfüllt – er stellt beileibe nicht die männliche Mehrheit.

Eine Vorliebe für Strickmode macht noch keinen Feministen. Und ein Feminist in Strickjacke macht noch keine gleichberechtigte Gesellschaft. Auf solch simple Zusammenhänge hinzuweisen, bleibt nun also nach wie vor feministischen Medien überlassen. Wie sie auch die einzigen sind, die argumentieren, dass eine grundlegende Änderung des Geschlechterverhältnisses letztlich unweigerlich mit einer Infragestellung von Identität einhergehen müsse, und memmige Männer demnach ein höchst begrüßenswertes und positives Phänomen darstellen würden. Anders als alle anderen, freuen wir uns also aufrichtig über echte neue Weicheier.
Feministischer Journalismus muss zudem unermüdlich darauf hinweisen, dass zum Thema Männer weiterhin Wichtigeres festgehalten werden muss: Wie gering ihre Wandlungsbereitschaft im Privaten und wie groß ihr Beharrungsvermögen im Beruflichen ist, beispielsweise. Wie unerträglich schleppend deshalb Veränderungen passieren. Wie verbreitet Sexismus und Frauenverachtung weiterhin sind. Wie viel Männergewalt es immer noch gibt. Und wie himmelschreiend ungerecht die globale Macht- und Ressourcenverteilung ist.
Die Kernaufgabe feministischer Medien besteht also weiterhin schlicht und ergreifend darin, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung zu fordern. Denn es gibt sie noch nicht.
In diesem Punkt geben uns inzwischen glücklicherweise auch viele Mainstreammedien prinzipiell Recht. Denn ungeachtet aller Kritik an medialen Debatten wie dieser jüngsten Neuauflage der alten Softie-Schelte: Im Unterschied zu den Anfängen emanzipatorischer Medienproduktion hat sich die Situation in den letzten Jahrzehnten selbstverständlich deutlich verändert. Über die Diskriminierung von Frauen berichtet heute jedes Medium zumindest dann und wann, und noch dem kleinsten Lokalblatt sind Vokabeln wie Lohnschere und gläserne Decke inzwischen durchaus geläufig. Doch dass es diese Begriffe selbst in die Politikressorts der konservativen Presse oder der Boulevardmedien geschafft haben – das ist letztlich der Erfolg eines zähen feministischen (Medien-)Aktivismus, dessen langfristiger Einfluss nicht zu unterschätzen ist. Diese Gegenöffentlichkeit beteiligt sich kontinuierlich an gesellschaftlichen Diskursen und nutzt dafür unterschiedlichste mediale Mittel: handkopierte DIY-Zines ebenso wie Fernseh- und Radiosendungen, klassische Magazine oder die, vor allem im letzten Jahrzehnt entstandenen, unzähligen Blogs und Websites.

Die Notwendigkeit feministischer Medien. Und trotz widrigster Bedingungen hat sich diese feministische Medienlandschaft im Laufe der Zeit immer weiter professionalisiert und ausdifferenziert. Die Kritik, die sie formuliert, ist fundamental. Feministischer Journalismus belässt es idealerweise nicht alleine bei der Forderung nach einer Neuverteilung von Macht, Arbeit und Geld zwischen den Geschlechtern. Er stellt gesellschaftliche Grundstrukturen infrage und beschränkt sich bei der Analyse von Ungleichheit auch keineswegs auf das Geschlechterverhältnis.
Was auch die Eingangsfrage erneut unmissverständlich beantwortet: Es braucht diese Medien unbedingt weiterhin. Denn im Unterschied zu einer bloß punktuellen Berichterstattung über gesellschaftspolitische „Frauenthemen“ wird Feminismus darin als ressort- und themenübergreifende Querschnittsmaterie behandelt. Das heißt, ausnahmslos alles wird immer auch aus einer feministischen Perspektive beleuchtet, egal, ob es um die Finanzkrise, die Arabischen Revolutionen, um Occupy oder Lana Del Rey geht. Denn alles ist immer auch von frauenpolitischer Relevanz. Manchmal eben sogar ein neuer Strickmoden-Trend.

Lea Susemichel ist Redakteurin der an.schläge. Das feministische Magazin und Mitherausgeberin von Feministische Medien. Öffentlichkeiten jenseits des Malestream (Helmer Verlag 2008).

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