Subalternity speaking!

  • 29.09.2012, 01:35

Die gebürtige Iranerin Marjane Satrapi legte die mit „Persepolis“ als erste eine autobiografisch inspirierte Migrationsgeschichte als Comic vor. Dieser geglückte Versuch blieb keineswegs eine singuläre Erscheinung. Mittlerweile haben auch andere Arbeiten von Migrantinnen Einzug in ein vormals männlich und eurozentristisch dominiertes Genre gefunden.

Die gebürtige Iranerin Marjane Satrapi legte die mit „Persepolis“ als erste eine autobiografisch inspirierte Migrationsgeschichte als Comic vor. Dieser geglückte Versuch blieb keineswegs eine singuläre Erscheinung. Mittlerweile haben auch andere Arbeiten von Migrantinnen Einzug in ein vormals männlich und eurozentristisch dominiertes Genre gefunden.

Innerhalb der Migrationsforschung herrscht bis heute kein Konsens darüber, welche Faktoren ausschlaggebend sind für die zahllosen transkulturellen Wanderbewegungen, die dieser Tage global zu verzeichnen sind. Ökonomische Gründe und/oder Flucht aufgrund von politisch, sexistisch und/oder rassistisch motivierter Verfolgung sind in vielen Fällen nicht allein der Grund für das Überschreiten territorialer Grenzen. Oftmals sind es die diffusen Hoffnungen auf ein besseres Leben anderswo, die Menschen dazu bringen Staatsgrenzen hinter sich zu lassen. Als zureichende Gründe für Asyl gelten derartige „Landkarten der Sehnsucht“ bis heute nicht.
Comics von Migrantinnen sind ein Medium, das weitaus mehr über die Hintergründe von Migrationsbewegungen vermittelt, als das elaborierteste Zahlenmaterial. Mit den Werken von Marjane Satrapi, Parsua Bashi und Karlien de Villiers liegen drei unterschiedliche Comics vor, in deren Zentrum die Migrationsgeschichten der Autorinnen stehen.

Comic-Coming-Outs. Rückblickend betrachtet ist die iranisch-französische Zeichnerin Marjane Satrapi möglicherweise die Begründerin eines neuen Comic-Genres. Der erste Teil ihres zweibändigen Werks „Persepolis“ erschien im Jahr 2004 in deutschsprachiger Übersetzung, schnell folgten weitere Comics zum Thema Migration. 2006 bedienten sich die ebenfalls im Iran geborene und in die Schweiz emigrierte Zeichnerin Parsua Bashi sowie die in Frankreich lebende weiße Südafrikanerin Karlien de Villiers dieses Mediums zur Darstellung ihrer Migrationsgeschichten. Ähnlich wie die kleine Marji aus Satrapis „Persepolis“ erzählen auch die Heldinnen der Comics „Nylon Road“ (Parsua Bashi) und „Meine Mutter war eine schöne Frau“ (Karlien de Villiers) ex post von einem „dritten Ort“ jenseits der beiden Herkunftskulturen. Es entsteht dabei ein Bild von Zugehörigkeit, das sich nicht in der Identität mit einer einzigen Kultur erschöpft. Die Protagonistinnen der Comics nehmen unterschiedliche kulturelle Einflüsse in ihre Lebensformen auf und präsentieren sich als selbstbewusste Akteurinnen am Schnittpunkt mehrerer Kulturen.

Jenseits der Kulturen. Das Oszillieren zwischen den Kulturen wird in allen drei Comics als durchaus schwierige Etappe der Selbstfindung, der Bewusstwerdung und des Erinnerns dargestellt. In narrativer Hinsicht sind die Comics zumeist Coming-Of-Age-Stories, deren Protagonistinnen keineswegs frei von Ambivalenzen sowohl gegenüber dem Einwanderungs- als auch dem Herkunftsland sind. Lakonisch stellt Satrapis Heldin Marji bei ihrer Ankunft in Wien im November 1984 fest, dass auch das laizistische Europa von religiösen Repressionen nicht frei ist. Nachdem sie in einer Nonnenpension einquartiert wurde, muss sie die Erfahrung machen, dass sie auch hier aufgrund ihrer Religion unterdrückt ist. Anders ergeht es der Heldin aus „Nylon Road“. Aus Mangel an anderen westlichen Vorbildern entwirft deren iranische Freundin in Zürich eine Modelinie für Frauen, die den Titel „Süße Sklavinnen“ trägt. Wieder einen anderen Eindruck gewinnt Karlien de Villiers Heldin bei ihrer Rückkehr nach Südafrika: Sie wird sich ihrer MittäterInnenschaft als weiße Frau an der Diskriminierung von black people bewusst. Einen Anfang zum Abbau westlich-hegemonialer Vorstellungen leisten die vorliegenden drei Comics allemal: Wenn „wir“ weiße EuropäerInnen erst einmal beginnen „uns“ durch die Augen der Marginalisierten zu sehen, haben wir Grund genug, unsere Vormachtstellung kritisch zu hinterfragen.

Barbara Eder studiert Doktorat Philosophie und Gender Studies in Wien und Berlin.

AutorInnen: Barbara Eder