Verena Ehrnberger

Schön, schöner, Lillifee

  • 26.12.2012, 14:32

Schönheit spielt schon für die Kleinsten eine große Rolle. Ein Kindergartenbesuch zeigt den richtigen Umgang mit einem sensiblen Thema.

Schönheit spielt schon für die Kleinsten eine große Rolle. Ein Kindergartenbesuch zeigt den richtigen Umgang mit einem sensiblen Thema.

Wer sich in diesem Jahrhundert mit einem vierjährigen Mädchen unterhält, wird kaum etwas verstehen, wenn er oder sie  grundlegende Begriffe wie Tinker Bell, Hello Kitty und Prinzessin Lillifee nicht kennt. Nomingoa, Maija und Amina – alle vier Jahre alt – malen im Kindergarten und besprechen dabei wichtige Themen: „Ich schau Tinker Bell im Kino“, erzählt Nomingoa. Amina lässt sich davon nicht beeindrucken,denn sie mag lieber „die Lillifee“. Unter ihrem rosafarbenen Pulli trägt sie ein Unterhemdchen mit einem großen Bild von ihr. „Das ist meine Lieblingspuppe“, sagt sie. Im Fasching wollen sich die drei Mädchen als Prinzessinnen verkleiden. Weil Prinzessinnen schön sind.

Bin ich schön? Schönheit bedeutet in unserer Gesellschaft viel mehr als ein ansprechendes Äußeres: Wer schön ist, verlangt sich selbst etwas ab und ist diszipliniert. Wer schön sein will, leidet. Und wird auch Erfolg haben: Studien zeigen, dass schöne Menschen  mehr verdienen und schneller Karrieremachen. Wer aber schön ist, liegt gar nicht so sehr im Auge des einzelnen Betrachters – oder der Betrachterin. Schönheitsideale gibt zu einem großen Teil die Gesellschaft vor, in der wir leben. Und die färbt schon die Blicke von jungen Mädchen wie Nomingoa, Maija und Amina. „Diese Werthaltungen – was ist schön, was ist nicht schön –, da haben Kinder oft wenig Chancen, das aus sich heraus zu entwickeln. Da kommt sehr viel von der Erwachsenenwelt“, sagt Daniela  Cochlár, Leiterin der MA 10, der Abteilung für die Wiener Kindergärten.

Zur Frage, woher Schönheitsideale kommen, scheint es ebenso viele Theorien wie Wissenschaften zu geben. Evolutionspsychologisch betrachtet wird uns das Streben nach Schönheit angeblich schon in die Wiege gelegt: Ein Experiment zeigte, dass Babys attraktive Menschen länger ansehen als solche, die als weniger attraktiv gelten. Das soll damit zu tun haben, dass schöne Menschen körperlich robuster, also gesünder und damit fortpflanzungsfähiger sind. Auch unterschiedliche Ideale für Männer und Frauen werden damit auf zweifelhafte Weise erklärt: Während Männer zwecks Reproduktion und Fruchtbarkeit schöne Frauen suchen, ginge es den Frauen eher darum, einen ökonomischen „Erhalter“ für ihre Kinder zu finden. Der muss nicht zwangsläufig gut aussehen. „Diese Theorien erklären aber nur den Ist-Zustand. Und wenn der genau umgekehrt wäre, würden sie   ihn eben andersrum erklären“, sagt Elisabeth Ponocny-Seliger, Psychologin und Lehrbeauftragte für Gender Research an der Uni Wien.

Foto: Linnea Jänen

Bewusster Umgang mit Unterschieden. Die vermeintlich evolutionspsychologisch vorgegebene Rollenteilung bemerkt auch Sandra Haas. Sie leitet den Bildungskindergarten Fun&Care im 15. Wiener Gemeindebezirk, den Nomingoa, Maija und Amina besuchen.  „Mädchen werden dafür gelobt, dass sie schön sind. So lernen sie, dass es ihre wichtigste Kompetenz ist, süß zu sein. Buben lobt man hingegen für ihre Fähigkeiten“, sagt sie. Der Fun&Care Kindergarten wurde 1999 eröffnet und war damals der erste  geschlechtssensible Kindergarten Wiens. Zentrales Anliegen der geschlechtssensiblen Pädagogik ist es, den Kindern Raum für  Entwicklung abseits von gesellschaftlich vorgegebenen Rollenbildern zu geben. Buben und Mädchen soll Chancengleichheit in allen Lebensbereichen ermöglicht werden: Mädchen können Pilotinnen werden und Buben Stewards, wenn sie das wollen. „Das Besondere  an Fun&Care war, dass wir ein Gesamtkonzept gemacht haben. Wir haben es auf vier Säulen gestellt: das Raumkonzept, die  Bildungsarbeit, die Elternarbeit und das Personalkonzept“, erklärt Daniela Cochlár. Sie war die erste Leiterin des Fun&Care  Kindergartens. 2008 wurde das Konzept der geschlechtssensiblen Pädagogik erstmals in einem öffentlichen Kindergarten der Stadt Wien eingeführt und dann allmählich in allen Kindergärten der Stadt Wien übernommen. „Schönheitsideale spielen im Kindergarten eine sehr große Rolle“, sagt Cochlár. „Ab drei, vier Jahren oder spätestens im Vorschulalter ist das ein sehr großes Thema. Das ist auch nachvollziehbar: Wer von uns möchte denn nicht hübsch sein? Das hat ja auch viel mit Wertschätzung, Anerkennung und  Akzeptanz zu tun.“

Im Fun&Care Kindergarten wirkt auf den ersten Blick alles wie in jedem anderen Kindergarten. Wer die kleinen Unterschiede erkennen will, muss genauer hinsehen – und auch hinhören: Wenn Pädagogin Katharina ihrer Gruppe etwas vorliest, sucht nicht nur der Tiger nach Futter, sondern auch die Tigerin. Wenn die Kinder Fußball spielen und Katharina im Tor steht, ist sie automatisch füralle die Torfrau, und nicht der Tormann. Wird im Kindergarten etwas kaputt, versucht Leiterin Sandra Haas es zuerst selbst zu reparieren, damit die Kinder sehen, dass auch Frauen handwerkliche Aufgabenmeistern können. In jeder Gruppe sollte es einen
Kindergartenpädagogen mit einer Assistentin oder eine Kindergartenpädagogin mit einem Assistenten als Rollenvorbilder geben. Ein weiteres wichtiges Element im geschlechtssensiblen Kindergarten ist die Raumteilung. Im Unterschied zum herkömmlichen Kindergarten findet man bei Fun&Care weder eine rosarote Puppenecke noch eine traditionelle Bauecke. Das Spielzeug soll für alle Kinder gleichermaßen bereitstehen. Dazu gehört auch die bewusste Auswahl von Spielmaterialien. Aus durchsichtigen Plastikcontainern können sich die Kinder bunte Soft-Bausteine, Puppen oder Spielfiguren holen. In jeder Gruppe steht auch ein Kosmetikkorb bereit: Mit Schminkpinseln, Haarbürsten und leeren Haarshampooflaschen, die beim Öffnen noch nach Seife duften.

Auch dieses Spielzeug ist für Buben und für Mädchen. Und tatsächlich ist es ein Bub, der als erstes zur Bürste greift. Fest  entschlossen fährt David progress- Autorin Julia durch ihr langes, rot-braunes Haar: „Wenn ich fertig bin, werden deine Haare so lang und schön sein, wie die von der Rapunzel“, sagt er. Sekunden später ist Julia von vier Kindern umringt. Ihre Haare werden in Bereiche eingeteilt, sodass man sich beim Frisieren nicht allzu sehr in die Quere kommt. Ein anderer kleiner Junge beginnt ihr  Gesicht mit dem Schminkpinsel zu pudern. Zwei Mädchen leeren fiktives Shampoo auf ihren Kopf – die Kinder machen Julia schön. Vielleicht wolle er selbst irgendwann so lange Haare haben, überlegt David; da verwirft er den Gedanken auch schon wieder: Bei Mädchen sind lange Haare ja schön. Aber bei einem Buben? Da geht das nicht, stellt David fest.

Foto: Linnea Jänen

Verschiedene Einflüsse. Selbst wenn Eltern darauf achten, ihre Kinder fernab von Rollenklischees zu erziehen, werden sie spätestens im Kindergarten davon eingeholt. „Auch bei uns sind 90 Prozent der Mädchen rosa gekleidet. Das wollen wir den Kindern auch nicht wegnehmen – sie sollen sich aber nicht über die Farbe definieren“, sagt Kindergartenleiterin Haas. Bis zum Kindergartenalter  wird fast jedes Kind sagen, dass „die Mama“ die schönste Frau sei. „Das ist wirklich lieb und da antworten fast alle gleich“, erklärt Psychologin Ponocny-Seliger. Dann sind plötzlich Prinzessin Lillifee und Barbie schön und bei Buben ist vor allem Superman cool. Plötzlich gibt es eine Reihe von Einflussfaktoren: die Eltern, die KindergartenpädagogInnen oder andere Kinder, die ein Vorbild sein können. Wenn ein Mädchen dann ein rosafarbenes Röckchen anhat, wollen es die anderen auch. Und sie fordern es zu Hause auch ein. „Die Kinder dürfen hübsch sein, Prinzessin sein, ein Röckchen anhaben; es gibt aber adäquate Kleidung für bestimmte Zwecke. Wenn man in die Sandkiste spielen geht, ist eine Gatschhose wesentlich hilfreicher als einRock“,  sagt Cochlár.

In der Praxis des Kindergartens ist es nicht immer einfach, das Konzept der geschlechtssensiblen Pädagogik umzusetzen. „Natürlich wird niemand gezwungen. Wenn ein Mädchen rosa tragen will, ist das vollkommen in Ordnung. Die Farbe an sich ist ja nicht das Problem. Man muss den Kindern nur aufzeigen, dass es auch anders geht“, sagt Fun&Care- Leiterin Haas. Im Fasching versucht sie das Klischeeproblem geschickt zu umgehen: Damit es nicht nur Prinzessinnen und Cowboys gibt, werden immer wieder andere  Themen ausgewählt. Nicht nur Personen im direkten Umfeld beeinflussen die Kinder – im Fernsehen oder online sehen sie täglich, was schön ist: Barbies für Mädchen, Roboter für Jungen. „Kinder im Kindergartenalter wissen unterbewusst, welche Eigenschaften und Fähigkeiten sie ausbilden sollen, damit sie für ihr Geschlecht passend wahrgenommen werden“, sagt Claudia Schneider. Sie ist Leiterin des Vereins Efeu, der sich mit geschlechtssensibler Pädagogik beschäftigt. Kürzlich ist sogar eine neue Lego-Edition für Mädchen herausgekommen: Sie ist rosa, enthält fünf „Freundinnen“ als Spielfiguren, die ihre Zeit im Schönheitssalon, im Kaffeehaus und auf dem Reithof verbringen; bauen kann man damit kaum mehr etwas. „Begriffe wie ‚schön‘ oder ‚stark‘ sind sogenannte ‚Gender Codes‘, Eigenschaften, durch die eine von den zwei in unserer Gesellschaft verfügbaren Kategorien, nämlich männlich oder weiblich, ausgedrückt werden. Wir können diese Begriffe schnell einordnen, weil wir in diesem dualen Zweigeschlechtersystem  denken“, erklärt Schneider. Freiräume, in denen Kinder vieles ausprobieren können, hält sie für besonders wichtig. Sie erzählt von einem Kindergarten, wo ein männlicher Pädagoge mit den Buben der Gruppe Schönheitssalon spielte. „Das sind Erfahrungen, die Kinder oft so nicht machen können. Dafür einen geschützten Rahmen anzubieten, kann sehr produktiv sein.“

Zurück im Kindergarten wird ein Bub von den Mädchen zum Mutter-Vater-Kind-Spielen in die obere Etage eines einstöckigen Spielhauses  beordert. Er erhält Anweisungen, wie er das Puppenbaby richtig pflegen muss. Seit der eigenen Kindergartenzeit hat sich ja doch nicht alles geändert; nur wird heute viel bewusster mit den Kindern und den Rollen, in die sie gedrängt werden, umgegangen. Das tut den künftigen Astrophysikerinnen und Hausmännern gut.

Karma-Kapitalismus.

  • 06.12.2012, 11:35

Von der Vision einer Do it yourself – Gesellschaft. Ein Essay.

Von der Vision einer Do it yourself – Gesellschaft. Ein Essay.

Europa befindet sich immer noch in der Wirtschaftskrise. Die Jugendarbeitslosigkeit steigt und die Ausbildungszeiten werden durch den Bologna-Prozess länger. In der kapitalistischen Welt gibt es fast nur noch Einheitsware zu überhöhten Preisen. Vor allem junge Menschen können sich daher immer weniger leisten. Doch die heutige Welt hat auch ihr Gutes: wir leben in einer Kultur des Sharing. Man teilt seine Gedanken übersoziale Netzwerke und seine Ideen auf Crowdfunding-Seiten.

Der Berliner Jungarchitekt Van Bo Le-Mentzel hat aus diesen Tatsachen unseres heutigen Lebens ein Marketing-Konzept geschaffen – Konstruieren statt Konsumieren. „Build more – buy less.“ In einer Zeit, in der er selbst arbeitslos war, machte Le-Mentzel einen Tischlerkurs an der Volkshochschule und entwickelte seine „Hartz IV Möbel“ – leistbare Do it yourself (DIY)- Möbel für alle.  Dazu überlegte er sich auch gleich eine Strategie, um diese unters Volk zu bringen. In seinem Social Design Manifesto erklärt er, wie er es geschafft hat, seine Träume zu verwirklichen: indem er in kurzer Zeit eine „Crowd“ um sich versammeln konnte, die seine Projekte unterstützt.

Le-Mentzel´s „Hartz IV Möbel“ sind inzwischen international bekannt. Er stellt Baupläne für leistbare Möbel zur Verfügung, die auch noch individuell gestaltet werden können. Vermarktet werden nicht nur die Möbel selbst, sondern ein ganzer Lebensstil. Ikea war gestern. DIY ist heute. Zwar sind die „Hartz IV-Möbel“ in Summe etwas teurer als ein Einkauf im standardisierten Möbelhaus, aber beim selbstgebauten Möbelstück lassen sich die Baupläne leicht dem eigenen Geschmack anpassen. Man kauft also auch ein Stück Individualismus. Obendrauf gibt es das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Community – Le-Mentzel´s „Crowd“ – und natürlich das Erfolgserlebnis, selbst etwas geschaffen zu haben. Die Baupläne, die es heute in gesammelter Form in einem Buch zu kaufen gibt, sind auch völlig kostenlos über Le-Mentzel´s Blog zu haben – im Tausch gegen die eigene DIY-Geschichte. „Der Entwurf kostet nichts. Das heißt nicht, dass er nichts wert ist.“ schreibt Le-Mentzel in seinem Blog. „Deshalb gibt es den kompletten Bauplan nicht einfach so. Ich verlange zwar kein Geld, dafür aber Offenheit.“ Man könne die Baupläne gerne für private Zwecke verwenden und es sei „ausdrücklich erwünscht“ den Bauplan nach den eigenen Vorstellungen weiter zu entwickeln, lässt er seine Crowd wissen.

Im Rahmen der Vienna Design Week war Le-Mentzel Anfang Oktober zum ersten Mal auch in Wien und zeigte dem interessierten Publikum im Wien Museum, wie man ohne handwerkliche Kenntnisse und mit geringen finanziellen Mitteln seinen „Berliner Hocker“ bauen kann. Die Idee dazu kam ihm, weil er seine Verlobte beeindrucken wollte, erzählt er, während sich die BesucherInnen rundherum schon mit Brettern und Schrauben eindecken. Sie nähte ihm ein passendes Sitzkissen dazu und ist heute seine Frau. Dann betont er nochmals, dass er handwerklich gar nicht besonders begabt sei, seine Möbel also wirklich von allen gebaut werden können. Da wir in einer Kultur des Sharing leben, wolle er die Ideen für seine Möbel mit allen teilen. Dann kommt er auf sein „1 sqm House“ zu sprechen – ein Kasten im Design eines Hauses, den man als Sitz- und Liegegelegenheit verwenden und dazu mit sich herumtragen kann. Die hohen Mietpreise vor allem in Szenevierteln haben ihn dazu gebracht, über Wohnalternativen nachzudenken, erklärt er. „Was, wenn man selbst über seine Quadratmeter bestimmen könnte?“ Nach der kurzen Einführung geht es ans Bauen des „Berliner Hockers“, der laut Bauplan nur 10 Euro, 10 Minuten und 10 Schrauben braucht. Und wirklich: Le-Mentzel hält, was er verspricht.

Konstruieren statt Konsumieren Sein Geld verdient Van Bo Le-Mentzel nicht mit seiner Crowd, sondern mit seinem Job als Architekt. Und nun natürlich auch mit seinem Buch, das es auf Amazon zu kaufen gibt. Geld spielt jedoch für Le-Mentzel keine große Rolle. Karma-Kapitalismus nennt er das. In der sogenannten Karma Economy, die er in seinem Buch propagiert, soll eine gebotene Hilfe ein Minimum an Zeit und Geld beanspruchen und der/m Geholfenen ein Maximum an Nutzen bringen. In Le-Mentzels Fall besteht die gebotene Hilfe in kostenlosen Bauplänen. Wenn auch sein Konto durch seine Projekten nicht direkt profitiert haben mag, so hat er damit doch einen großen Bekanntheitsgrad erreicht. All sein Engagement wird daher – auch für Le-Mentzel –  „nicht nichts wert“ gewesen sein.

Le-Mentzel´s Blog: hartzivmoebel.de

Zwischen Autonomie und WM

  • 13.07.2012, 18:18

Katalonien hat in diesem Sommer gebebt: Vor Ärger über den beschränkten Autonomiestatus und vor Freude über den Sieg Spaniens bei der Fußball-Weltmeisterschaft

Katalonien hat in diesem Sommer gebebt: Vor Ärger über den beschränkten Autonomiestatus und vor Freude über den Sieg Spaniens bei der Fußball-Weltmeisterschaft

In den katalanischen Tageszeitungen wechseln sich wochenlang fußballbegeisterte pro-spanische Schlagzeilen mit empörten Kommentaren zum Autonomiestatut und der „katalanischen Frage” ab. La Razon etwa verkündet drei Tage vor dem WM-Finale „España vence unida“ (Spanien gewinnt vereint) und sogar das in Barcelona ansässige Tagesblatt La Vanguardia stimmt in die Fußball-Begeisterung ein und titelt Spanien- freundlicher als gewohnt „Todos jugamos juntos“ (Wir spielen alle gemeinsam). In der Rubrik Opinión findet sich dann aber doch auch der gewohnte katalan-nationalistische Ton. „Katalonien, alte Nation Europas (so drückt es das Statut aus), verdient Respekt. Dass es ja niemand herabsetze!” Katalonien scheint in der Frage über sein Verhältnis zu Spanien mehr als zwiegespalten. Während sich die Hälfte der KatalanInnen von Spanien unterdrückt oder sogar besetzt fühlt, ist die andere Hälfte sehr zufrieden mit ihrer doppelten Identität.
Doch woher rührt diese jahrzehntelange Diskussion um die katalanische Unabhängigkeit, die auch nach Jahrhunderten der politischen Zugehörigkeit zu Spanien nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat?

Katalonien als Großmacht. Noch heute erinnern sich die KatalanInnen gerne an die einstige Größe Kataloniens, das sich im Mittelalter über weite Teile des Mittelmeerraums, von Valencia und Mallorca bis nach Neapel und den Inseln Sizilien, Korsika und Sardinien zog. Die Erklärung für den glühenden Nationalstolz der meisten KatalanInnen ist wohl in der jüngeren Geschichte der nun autonomen Region Catalunya zu finden, die lange Zeit vor allem durch Unterdrückung geprägt war. In der Zeit der Diktatur Francos (1939–1975) wurde die katalanische Kultur und Sprache aus dem öffentlichen Leben verbannt. Katalanisch konnte nur zuhause gesprochen werden. Auf der Straße mussten Strafen befürchtet werden. „Meine Eltern sind beide aus anderen Regionen Spaniens hierher nach Barcelona gezogen“, erklärt mir meine Freundin Cristina. „Während der Zeit der Diktatur haben sie deswegen zuhause auch immer nur Spanisch gesprochen. Deswegen habe ich Katalanisch dann erst recht spät in der Schule gelernt. Bei den Kindern mit katalanischen Eltern hat die Sprache zuhause überlebt. Anderswo hätten sie es nicht sprechen dürfen.“

Verbreitung des Katalanischen. Nach dem Tod Francos 1975 wurde die demokratische Landesregierung wiederhergestellt. Seitdem kann das Català wieder überall auf den Straßen gehört und auf Plakaten und Straßenschildern, in Zeitungen und in Büchern gelesen werden. Spanisch und Katalanisch sind seither die offiziellen Sprachen Kataloniens. Katalanisch ist allerdings die erste Bildungssprache in den Schulen und Universitäten. Die von vielen KatalanInnen ersehnte gänzliche Separation von Spanien, blieb jedoch ein unerfüllter Wunsch. Ihre Unabhängigkeit und Identität betonen sie seither vor allem über ihre Sprache. Deswegen legt auch die katalanische Landesregierung viel Wert auf die Verbreitung derselben. Im Rahmen eines normalització genannten Prozesses versucht die regionale Regierung den vielen, aus anderen Teilen Spaniens, Zugewanderten die katalanische Sprache näherzubringen. Durch Kampagnen für die Verbreitung des Katalanischen, das Anbieten unentgeltlicher Sprachkurse und Förderungen der katalanischsprachigen  Literatur, ist es gelungen die einstige Position des Català zumindest teilweise wiederherzustellen.
Kurz nach Ende der Diktatur wurde die Autonomie bestimmter Regionen, darunter auch der Comunitat Autònoma de Catalunya durch die spanische Verfassung 1978 anerkannt. Ein Jahr später wurde ihre unabhängige Position mit dem Estatut d’Autonomia de Catalunya 1979, dem ersten Autonomiestatut Kataloniens, das als eine Art eigene Verfassung für Katalonien, verstanden werden kann, weiter gestärkt. Mit dem Autonomiestatut 2006 ist neuerlich Bewegung in die katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen gekommen. Dieses kommt der Forderung der KatalanInnen nach mehr wirtschaftlichen und finanziellen Kompetenzen für die Region größtenteils nach. Die der Region Catalunya garantierte Unabhängigkeit wurde aber vom spanischen Zentralstaat als zu weitgehend empfunden. Unter anderem bezeichnet der erste Artikel Katalonien als „Nation“, ein anderer bezeichnet das Katalanische als „vorrangige Sprache“ vor dem Spanischen und ein weiterer Artikel will den Vorrang des katalanischen Zivilrechts, das seit jeher eigenständig neben dem spanischen besteht, normieren. Diese umstrittenen Punkte wurden im Juli 2010 vom spanischen Verfassungsgericht als verfassungswidrig aufgehoben.

Würde des Landes. Als Reaktion auf dieses Urteil wurde vom Präsidenten der Generalitat de Catalunya, José Montilla, zur Demonstration aufgerufen: „Um für die Würde eines Landes zu kämpfen muss man vieles tun. Wenn es zu einem Angriff darauf kommt, muss man auf die Straßen gehen.“
„Ich verstehe die Aufregung nicht. Ich bin Katalanin. Auch zuhause rede ich katalanisch. Aber ich finde den Rest von Spanien auch sehr schön“, empört sich meine Kollegin Mari und meint bezüglich der angekündigten Demonstration: „Ich werde dort bestimmt nicht hingehen!“.
„Spanien muss endlich verstehen, dass Katalonien ein eigenes Land mit eigener Kultur ist. Wenn wir unsere Kultur nicht pflegen, wird sie irgendwann in der spanischen untergehen.“ meint meine Bekannte Marta. Und mein Vermieter Paco zuckt nur mit den Schultern und bemerkt „Ich bin zwar Katalane, aber ich gehe nicht zur Demonstration. Das bringt ohnehin nichts.“ So viele KatalanInnen zu diesem Thema befragt werden, so viele Meinungen werden herauskommen. Aber egal ob diese der Autonomie positiv oder negativ gegenüberstehen – keine Katalanin und keinen Katalanen lässt das Thema kalt.
 

Worte verändern

  • 13.07.2012, 18:18

Die argentinische Autorin Luisa Valenzuela schreibt bekannte Märchen um und zeigt, wie sehr Sprache unser Denken beeinflusst.

Die argentinische Autorin Luisa Valenzuela schreibt bekannte Märchen um und zeigt, wie sehr Sprache unser Denken beeinflusst.

Ein Schiff segelt sanft auf ruhigem Meer. An Bord befinden sich achtzehn Frauen, achtzehn Schriftstellerinnen, die nach den hitzigen Diskussionen eines fünftägigen Autorinnen-Seminars ausgelassen feiern und tanzen. Plötzlich stürmen schwarz gekleidete Männer das Schiff, nehmen alle gefangen und stellen die Frauen bis auf weiteres unter Arrest. „Achtzehn argentinische Schriftstellerinnen, die mit einem Federstrich von der literarischen Landkarte gefegt werden.“
Mit dieser Szene beginnt El Mañana, der neue Roman der argentinischen Autorin Luisa Valenzuela. In ihren Werken beschäftigt sie sich vor allem mit Machtstrukturen in der Beziehung zwischen Männern und Frauen. Valenzuela, die als Tochter einer berühmten argentinischen Schriftstellerin in einer literarischen Atmosphäre aufwuchs, konzentriert sich dabei insbesondere auf das Verhältnis von Sprache und Macht, und wie Mann und Frau mit diesen beiden Komponenten umgehen.
Mit der Umarbeitung von verschiedenen Märchenstoffen, unter anderem den berühmten Märchen Rotkäppchen und Blaubart, hat Valenzuela bereits in der Vergangenheit gezeigt, wie die Sprache, die wir verwenden, unser Denken beeinflusst.

Neugier. „Ich habe der Geschichte nichts hinzugefügt, ich habe sie abgebaut und wieder aufgebaut, ausgehend von den grundlegenden Elementen.“ Valenzuelas Rotkäppchen etwa ist sich der Gefahr, die vom Wolf ausgeht, bewusst und – auch wenn es am Ende gefressen (und nicht vom Jäger gerettet) wird – trifft es seine Entscheidungen doch selbstverantwortlich und trägt die Konsequenz.  „Ich dachte mir, dass diese beispielhaften Geschichten vielleicht anfangs anders erzählt wurden“, sagt Valenzuela: „Es war Charles Perrault, der sie im Jahr 1670 als erster niederschrieb und dabei restriktive Moralvorstellungen verfasste und die Frau berichtigte. Es sollte uns nicht überraschen, dass jemand, der so sehr in den Autoritarismus verliebt war, den Mädchen empfahl, artig zu sein, so lange zu schlafen bis der Prinz kommt und nicht vom rechten Weg abzukommen.“
Das Märchen Blaubart liest sich in Valenzuelas Version ebenfalls etwas anders als das Original. Auch bei Valenzuela öffnet Blaubarts Gattin mit dem kleinen Schlüssel das verbotene Zimmer im Schloss ihres Mannes. Sie findet darin die von Blaubart ermordeten früheren Ehefrauen. Der Schlüssel fällt ihr in die Blutlache und sie versucht vergebens den Blutfleck, der sie verrät, abzuwaschen. Soweit gleichen sich die Neubearbeitung des Märchenstoffes und das Original. Valenzuela setzt mit ihrer Version jedoch Jahrhunderte nach der Befreiung von Blaubarts Gattin an. Diese hält in der Gegenwart Seminare, in denen sie den Teilnehmerinnen schildert, wie ihr ihre Neugier das Leben gerettet hat. Nach Märchenautor Charles Perrault ist die Neugier, „wenn es den Frauen auch gefällt, ein ziemlich flüchtiges Vergnügen; sobald man ihm nachgibt, schwindet es schon und immer kostet es zu viel“. Luisa Valenzuela sieht in Blaubart hingegen eine andere Moral. „Wenn die Prinzessin, die Gattin von Blaubart, weiterhin in dem Schloss bleiben würde, ohne in dieses Zimmer zu sehen, wo sich die enthaupteten Frauen befinden, und mit diesem makaberen Geheimnis zusammenleben würde, auch wenn sie es nicht als solches erkennt, wäre ihr Leben durchgehend in Gefahr. Deswegen ist es notwendig nachzusehen und das Leben für die Erkenntnis zu riskieren, für das Wissen.“

Umkehr. In Der Schlüssel, wie Valenzuelas Version von Blaubart heißt, zeigt die Autorin darüber hinaus, wie negativ belastete Wörter und Eigenschaften in positive umgewandelt werden können. Ausgangspunkt ist dabei die Wertung der weiblichen Neugier als „Fehler“. Valenzuela führt die LeserInnen durch den Abbau dieser negativen Konnotation, indem sie den Begriff „demontiert“ und ihn mit positiven Assoziationen auffüllt. Am Ende ihrer Kurzgeschichte wird die weibliche Neugier (und damit auch die weibliche Unabhängigkeit) nicht mehr als „Fehler“, sondern als „Tugend“ verstanden. Mit der Änderung dieser Wertungen ändert Valenzuela gleichzeitig auch das gesellschaftliche Bewusstsein hinsichtlich der Rolle der Frau. Ihre Bearbeitung des Märchenstoffes kann somit auch als Anleitung zum Abbau und Wiederaufbau von Konnotationen gelesen werden. Durch die Umkehr der Wertung, die dem Begriff „Neugier“ anhaftet, zeigt Valenzuela, was mit der Macht der Sprache erreicht werden kann. „Das war es, was mich dazu angeregt hat, die berühmtesten Märchen von Perrault zu erzählen, wie ich glaube: Sie sollten so erzählt werden, wie in der Zeit bevor die patriarchalische Moral sie verfälscht hat. Die Märchen aus einer weiblichen, manchmal aktuellen, ironischen, politisierten Perspektive zu erzählen, das heißt sie wiederherzustellen – in ihrer grundlegenden Bedeutung.“
Auch die Schriftstellerin Elisa stellt sich in Valenzuelas neuem Roman El Mañana die Frage nach der Macht der Sprache. Alles, was sie im Arrest schreibt, wird von den Ordnungswächtern sofort wieder gelöscht. Im Laufe des Romans versucht Elisa der Frage auf den Grund zu gehen, wodurch sich die Machthaber eigentlich bedroht fühlen: Allgemein durch die Macht der Worte oder durch eine eigene Sprache der Frauen? Luisa Valenzuela glaubt an die Existenz einer spezifischen weiblichen Schreibweise: „Die Herangehensweise an das Schreiben ist je nach Geschlecht unterschiedlich. Für die Frau ist es wichtig, ihre Anliegen zu erforschen, weil sie immer von den Anliegen des Mannes geprägt waren.“

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