Worte verändern

  • 13.07.2012, 18:18

Die argentinische Autorin Luisa Valenzuela schreibt bekannte Märchen um und zeigt, wie sehr Sprache unser Denken beeinflusst.

Die argentinische Autorin Luisa Valenzuela schreibt bekannte Märchen um und zeigt, wie sehr Sprache unser Denken beeinflusst.

Ein Schiff segelt sanft auf ruhigem Meer. An Bord befinden sich achtzehn Frauen, achtzehn Schriftstellerinnen, die nach den hitzigen Diskussionen eines fünftägigen Autorinnen-Seminars ausgelassen feiern und tanzen. Plötzlich stürmen schwarz gekleidete Männer das Schiff, nehmen alle gefangen und stellen die Frauen bis auf weiteres unter Arrest. „Achtzehn argentinische Schriftstellerinnen, die mit einem Federstrich von der literarischen Landkarte gefegt werden.“
Mit dieser Szene beginnt El Mañana, der neue Roman der argentinischen Autorin Luisa Valenzuela. In ihren Werken beschäftigt sie sich vor allem mit Machtstrukturen in der Beziehung zwischen Männern und Frauen. Valenzuela, die als Tochter einer berühmten argentinischen Schriftstellerin in einer literarischen Atmosphäre aufwuchs, konzentriert sich dabei insbesondere auf das Verhältnis von Sprache und Macht, und wie Mann und Frau mit diesen beiden Komponenten umgehen.
Mit der Umarbeitung von verschiedenen Märchenstoffen, unter anderem den berühmten Märchen Rotkäppchen und Blaubart, hat Valenzuela bereits in der Vergangenheit gezeigt, wie die Sprache, die wir verwenden, unser Denken beeinflusst.

Neugier. „Ich habe der Geschichte nichts hinzugefügt, ich habe sie abgebaut und wieder aufgebaut, ausgehend von den grundlegenden Elementen.“ Valenzuelas Rotkäppchen etwa ist sich der Gefahr, die vom Wolf ausgeht, bewusst und – auch wenn es am Ende gefressen (und nicht vom Jäger gerettet) wird – trifft es seine Entscheidungen doch selbstverantwortlich und trägt die Konsequenz.  „Ich dachte mir, dass diese beispielhaften Geschichten vielleicht anfangs anders erzählt wurden“, sagt Valenzuela: „Es war Charles Perrault, der sie im Jahr 1670 als erster niederschrieb und dabei restriktive Moralvorstellungen verfasste und die Frau berichtigte. Es sollte uns nicht überraschen, dass jemand, der so sehr in den Autoritarismus verliebt war, den Mädchen empfahl, artig zu sein, so lange zu schlafen bis der Prinz kommt und nicht vom rechten Weg abzukommen.“
Das Märchen Blaubart liest sich in Valenzuelas Version ebenfalls etwas anders als das Original. Auch bei Valenzuela öffnet Blaubarts Gattin mit dem kleinen Schlüssel das verbotene Zimmer im Schloss ihres Mannes. Sie findet darin die von Blaubart ermordeten früheren Ehefrauen. Der Schlüssel fällt ihr in die Blutlache und sie versucht vergebens den Blutfleck, der sie verrät, abzuwaschen. Soweit gleichen sich die Neubearbeitung des Märchenstoffes und das Original. Valenzuela setzt mit ihrer Version jedoch Jahrhunderte nach der Befreiung von Blaubarts Gattin an. Diese hält in der Gegenwart Seminare, in denen sie den Teilnehmerinnen schildert, wie ihr ihre Neugier das Leben gerettet hat. Nach Märchenautor Charles Perrault ist die Neugier, „wenn es den Frauen auch gefällt, ein ziemlich flüchtiges Vergnügen; sobald man ihm nachgibt, schwindet es schon und immer kostet es zu viel“. Luisa Valenzuela sieht in Blaubart hingegen eine andere Moral. „Wenn die Prinzessin, die Gattin von Blaubart, weiterhin in dem Schloss bleiben würde, ohne in dieses Zimmer zu sehen, wo sich die enthaupteten Frauen befinden, und mit diesem makaberen Geheimnis zusammenleben würde, auch wenn sie es nicht als solches erkennt, wäre ihr Leben durchgehend in Gefahr. Deswegen ist es notwendig nachzusehen und das Leben für die Erkenntnis zu riskieren, für das Wissen.“

Umkehr. In Der Schlüssel, wie Valenzuelas Version von Blaubart heißt, zeigt die Autorin darüber hinaus, wie negativ belastete Wörter und Eigenschaften in positive umgewandelt werden können. Ausgangspunkt ist dabei die Wertung der weiblichen Neugier als „Fehler“. Valenzuela führt die LeserInnen durch den Abbau dieser negativen Konnotation, indem sie den Begriff „demontiert“ und ihn mit positiven Assoziationen auffüllt. Am Ende ihrer Kurzgeschichte wird die weibliche Neugier (und damit auch die weibliche Unabhängigkeit) nicht mehr als „Fehler“, sondern als „Tugend“ verstanden. Mit der Änderung dieser Wertungen ändert Valenzuela gleichzeitig auch das gesellschaftliche Bewusstsein hinsichtlich der Rolle der Frau. Ihre Bearbeitung des Märchenstoffes kann somit auch als Anleitung zum Abbau und Wiederaufbau von Konnotationen gelesen werden. Durch die Umkehr der Wertung, die dem Begriff „Neugier“ anhaftet, zeigt Valenzuela, was mit der Macht der Sprache erreicht werden kann. „Das war es, was mich dazu angeregt hat, die berühmtesten Märchen von Perrault zu erzählen, wie ich glaube: Sie sollten so erzählt werden, wie in der Zeit bevor die patriarchalische Moral sie verfälscht hat. Die Märchen aus einer weiblichen, manchmal aktuellen, ironischen, politisierten Perspektive zu erzählen, das heißt sie wiederherzustellen – in ihrer grundlegenden Bedeutung.“
Auch die Schriftstellerin Elisa stellt sich in Valenzuelas neuem Roman El Mañana die Frage nach der Macht der Sprache. Alles, was sie im Arrest schreibt, wird von den Ordnungswächtern sofort wieder gelöscht. Im Laufe des Romans versucht Elisa der Frage auf den Grund zu gehen, wodurch sich die Machthaber eigentlich bedroht fühlen: Allgemein durch die Macht der Worte oder durch eine eigene Sprache der Frauen? Luisa Valenzuela glaubt an die Existenz einer spezifischen weiblichen Schreibweise: „Die Herangehensweise an das Schreiben ist je nach Geschlecht unterschiedlich. Für die Frau ist es wichtig, ihre Anliegen zu erforschen, weil sie immer von den Anliegen des Mannes geprägt waren.“

AutorInnen: Verena Ehrnberger