Verena Ehrnberger

Smart Up, Wien!

  • 19.06.2015, 20:44

Smart Cities sind in aller Munde. Zahlreiche Events in Wien drehen sich um dieses Thema, so auch das diesjährige CITYx-Event im Wiener MAK. Doch was bedeutet es eigentlich genau, eine „smarte“ City zu sein?

Smart Cities sind in aller Munde. Zahlreiche Events in Wien drehen sich um dieses Thema, so auch das diesjährige CITYx-Event im Wiener MAK. Doch was bedeutet es eigentlich genau, eine „smarte“ City zu sein?

New York will es, London will es, und Wien will es auch – die Smart City der Zukunft werden. Dieses Schlagwort lässt sofort an eine Stadt denken, in der Menschen von ihren selbstfahrenden Autos von A nach B gebracht werden und die Welt nur noch durch ihre Smart Glasses wahrnehmen, während sie sowohl soziales Leben als auch Kalorienstatus in einer Smart Watch verwalten. Davon ist Wien noch weit entfernt, auch wenn mit der Konzeption der neuen U5 ein erster kleiner Schritt Richtung Stadt der Zukunft getan ist.

Business Insider“ rankt Wien immerhin als Top 8 der 18 innovativsten Städte der Welt. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass Wien 2015 das sechste Mal in Folge von Mercer zur Stadt mit der höchsten Lebensqualität gekürt wurde. Die Reihung hat mit den smarten Vorteilen unserer Hauptstadt vergleichsweise wenig zu tun, obwohl sich in den vergangenen Jahren viel getan hat: Wien hat nicht nur eine wachsende Start-Up-Szene, sondern hostet auch das Start-Up-Festival Pioneers, das jährlich IT-Größen aus ganz Europa anzieht und auch weltweit nicht unbemerkt geblieben ist.

Foto: pioneers.io

TRADITIONELL, ABER NICHT SMART. Wiener Schnitzel, Kaffeehauskultur und Mozart sind gängige Assoziationen, wenn man an Wien denkt. Traditionell? Vielleicht, aber nicht unbedingt smart. Das soll sich in Zukunft ändern. Wien soll künftig auch als smarter Wirtschaftsstandort von sich reden lassen. Der „Digital Economy and Society Index (DESI)“ der Europäischen Union zeigt den Fortschritt der Mitgliedsstaaten auf dem Gebiet des Digitalen. Bis 2020 soll die gesamte Union zu einer digitalen Gesellschaft finden, in der nicht nur das Vertrauen in die digitale Wirtschaft sondern auch die „digital literacy“ der Bevölkerung gestärkt werden soll. Sprich: die Fähigkeit der Bevölkerung mit digitalen Devices umzugehen. Österreich scheint auf diesem Gebiet nach dem DESI-Index Nachholbedarf zu haben: zwar sind digitale Technologien gut in der Gesellschaft integriert, dennoch gehört Österreich zu jenen fünf Mitgliedstaaten, die diese Technologien am wenigsten nützen.

Foto: David Bohmann / digitalcity.wien

Das Projekt Digital City Wien will das ändern. Durch Schaffen eines virtuellen Campus soll unsere Hauptstadt in naher Zukunft zu einer der Start-Up-Hauptstädte Europas werden. Die Initiative will Aufmerksamkeit für die bereits bestehende digitale Industrie schaffen und Wien so zu einer der führenden Smart Cities der Welt machen. Im September wird der virtuelle Campus starten. Statt an Mozart soll ab diesem Zeitpunkt lieber an junge Start-Ups gedacht werden. Doch das verlangt auch die Beteiligung und Unterstützung der Gesellschaft, die gerade in Österreich Digitalem eher misstrauisch gegenübersteht.

CITYx: DAS EVENT FÜR URBANISMUS. Events wie das jährliche CITYx-Event von TEDxVienna versuchen möglichst viele Besucher_innen für den Urbanismus der Zukunft zu begeistern. CITYx bietet Expert_innen auf dem Gebiet der Stadtentwicklung eine Bühne für innovative Ideen rund um die Zukunft der Stadt. Neun Speaker_innen werden im bekannten TED-Format im Wiener MAK zur Smart City der Zukunft sprechen und erklären, wie ihre Einwohner_innen sie jetzt schon mitgestalten können. „Die diesjährigen Sprecher und Sprecherinnen sind so vielseitig in ihrer Art, die Frage nach der Zukunft unserer Städte zu beantworten. Das gibt mir die Hoffnung, dass wir tatsächlich das Morgen noch besser gestalten können als das Heute”, sagt Joshua Grigsby, Kurator von CITYx.

Die Nachfrage ist groß: Das CITYx -Event war innerhalb von drei Wochen ausverkauft. Deswegen wird es am 23. Juni auf der CITYx –Homepage ab 17:00 ein Live-Screening der Vorträge geben. Wer keine Karte mehr bekommen konnte, kann so zumindest von Zuhause aus mitverfolgen, wie das smarte Wien der Zukunft aussehen könnte.

Verena Ehrnberger ist Juristin mit Schwerpunkt Datenschutzrecht und studiert Vergleichende Literaturwissenschaften an der Universität Wien.

Gegen den Strom studieren

  • 23.03.2015, 21:10

Mit einem Individuellen Studium können Studierende den strengen Bologna-Vorgaben entfliehen, ganz nach den eigenen Vorstellungen Fächer zusammenstellen und interdisziplinär studieren. So zumindest die Hoffnung. Doch lohnt sich der Aufwand?

Mit einem Individuellen Studium können Studierende den strengen Bologna-Vorgaben entfliehen, ganz nach den eigenen Vorstellungen Fächer zusammenstellen und interdisziplinär studieren. So zumindest die Hoffnung. Doch lohnt sich der Aufwand?

Migrations- und Integrationsforschung, Wirtschaftswissenschaftliche Andragogik, Angewandte Ökologie und Abfallwirtschaft: Diese Studien hat es allesamt an österreichischen Universitäten gegeben. Manche gibt es in ähnlicher Form auch heute noch. In vielen Fällen allerdings nur ein einziges Mal: als Individuelles Studium. Die Möglichkeit, individuell zu studieren – also sich sein eigenes Curriculum zusammenzustellen –, wird seit Jahrzehnten von Studierenden genutzt, die sehr genaue Vorstellungen davon haben, was sie wollen.

Judith W. kam auf die Idee, individuell zu studieren, als sie im Laufe ihrer Bachelorstudien die ersten Praktika absolvierte. Die vielfältigen Inhalte, die sie für ihre Praktika benötigt hätte, waren in keiner der an der Universität Salzburg angebotenen Studienrichtungen gesammelt zu finden. „Ich habe schon den Eindruck, dass sehr im eigenen Fachbereich gedacht wird und nicht wirklich viel über diese Grenzen hinaus“, sagt Judith. Daher entschied sie sich für ein Individuelles Masterstudium: Migrations- und Integrationsforschung. Ihr Studium hat sie an den Instituten für Soziologie, Geschichte, Politikwissenschaft und Rechtswissenschaft interdisziplinär absolviert.

STUDIUM IRREGULARE. Seit 1966 gibt es an den staatlichen Universitäten Österreichs die Möglichkeit, ein Individuelles Studium zu belegen. Das bedeutet: eigener Studienplan, eigene Studienbezeichnung, eigener Karriereweg. Und die Möglichkeit, Vorreiter*in für andere Studierende in einem neuen Berufsfeld zu werden. Nicht wenige reguläre Studien haben sich aus Individuellen Studien entwickelt: So kann man heute Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur an der Universität für Bodenkultur Wien, Internationale Entwicklung an der Universität Wien oder die Studienergänzung Migration Studies an der Universität Salzburg regulär studieren. Letztere wurde aus Judiths Studium der Migrationsforschung entwickelt.

Trotzdem ist der Anteil von Studierenden mit Individuellem Studium überschaubar. An der Universität Linz sind es etwa 0,5 Prozent. Diese Zahl ist über die Jahre nur leicht angestiegen. Was individuell studiert wird, ändert sich immer wieder: Während an der Universität Linz früher Wirtschaftsrecht das beliebteste Individuelle Studium war, ist es heute die Wirtschaftswissenschaftliche Andragogik – eine Spezialisierung der Erwachsenenbildung. „An den Individuellen Studien kann man ablesen, dass es in diesem Bereich eine Nachfrage gibt“, sagt Rebecca Haselbacher, Leiterin des Lehr- und Studienservices an der Universität Linz. Bei der Entscheidung, ein Individuelles Studium zu absolvieren, hält sie Beratung für das Wichtigste. „Ich würde jedem raten, es sich gut zu überlegen. Man muss viel Zeit und Energie in die Erstellung eines individuellen Curriculums stecken. Das, was normalerweise eine Studienkommission macht, macht dann eine Person alleine“, sagt sie und gibt zu bedenken: „Man muss auch später immer erklären, was man da studiert hat.“

Die Möglichkeit, individuell zu studieren, wird von den Universitäten kaum beworben. Auf vielen der Homepages der 21 staatlichen Universitäten fehlt der Hinweis auf Individuelle Studien sogar ganz. Was wiederum die Konkurrenz freut: Die Donau Universität Krems wirbt mit einem „Professional MBA Customized“ – „einem einzigartigen Studiengang, der perfekt auf individuelle Karriereziele abgestimmt werden kann“. Immerhin können vier der elf Module dieses „MBA Customized“ aus dem Angebot der Donau Uni frei gewählt werden. Und das lässt sie sich natürlich auch entsprechend bezahlen: 24.850 Euro kostet der komplett individuelle, maßgeschneiderte Masterabschluss. Für ein Studienkonzept, das alles andere als neu ist.

HISTORISCH GEWACHSENE STUDIEN. Während einige Individuelle Studien richtungsweisend für neue Studiengänge geworden sind, haben es andere Studien, wie etwa die Keltologie oder die Numismatik, trotz langjährigem Bestehen nicht in das reguläre Studienangebot geschafft. Das Institut für Numismatik an der Universität Wien wurde im Jahr 1965 gegründet und hält sich seitdem hartnäckig. Derzeit gibt es über 20 Masterstudierende und 14 Dissertierende – alle im Rahmen eines Individuellen Studiums. Ob aus einem Individuellen Studium ein reguläres wird, entscheidet das Rektorat der jeweiligen Universität. Am Institut für Numismatik bemüht man sich seit Jahrzehnten darum – ohne Erfolg.

Das Studium der Internationalen Entwicklung (IE) hatte da mehr Glück. Die Anfänge der IE gehen auf das Jahr 2000 und auf die Initiative einiger Lehrender und Studierender zurück. Die Pläne, das Studium der Internationalen Entwicklung regulär einzurichten, scheiterten zunächst. Deswegen wurde der Ausweg über das Individuelle Studium gewählt. „Zuerst waren es nur wenige Studierende, und dann ist das Studium explodiert“, erzählt Margarete Grandner, Studienprogrammleiterin der Internationalen Entwicklung. Mit der Bologna-Reform wurde die IE dann erstmals zum regulären Studium. In Zukunft wird allerdings nur noch das reguläre Masterstudium fortgeführt, für das heute insgesamt 510 Studierende zugelassen sind. Das Bachelorstudium läuft 2016 – trotz heftiger Proteste – aus. „Interdisziplinäre Bachelorstudien werden verweigert. Das ist sehr bedauerlich“, sagt Grandner.

Die Aufnahme eines individuellen Curriculums in das reguläre Studienangebot ist letztlich eine Geldfrage. Für Roland Psenner, Vizerektor für Lehre und Studierende an der Universität Innsbruck, führt der Weg in die interdisziplinäre Spezialisierung daher eher über zahlenmäßig wenige, dafür aber breiter aufgestellte Bachelorstudien. „In jedem Studium muss es Platz für die individuelle Schwerpunktsetzung geben. Das würde uns von dieser ursprünglich sehr verschulten Bachelorstruktur wieder wegbringen“, sagt er.

Das Individuelle Studium würde er aufgrund des großen Aufwands nicht unbedingt empfehlen und gibt zudem zu bedenken: „Man bekommt nur einen ‚nackten’ Titel.“ Zusätze, die auf eine bestimmte Fachrichtung schließen lassen – wie phil., iur., rer.soc.oec oder Sc. – fehlen dem individuellen Abschluss nämlich.

INDIVIDUELLER HÜRDENLAUF. Wer klare Vorstellungen vom künftigen Berufsfeld hat, wird kaum vor dem Aufwand eines Individuellen Studiums zurückschrecken. Die Universität Wien lässt allerdings über die Homepage des bisher zuständigen Studienpräses wissen, dass sie aufgrund des vielfältigen Studienangebots „geringen Bedarf an individuellen Studien“ sieht, und verweist auf die Möglichkeit der „Absolvierung von Erweiterungscurricula in den Bachelorstudien“ zur Individualisierung des Studiums. Darüber, wie eine entsprechende Individualisierung in Masterstudien, für die keine Erweiterungscurricula vorgesehen sind, zu erreichen ist, schweigt die Seite allerdings. Auf Nachfrage von progresserklärte das Büro des Studienpräses zwar, dass die Verantwortung für Individuelle Studien seit dem 1. März 2015 bei der Vizerektorin für Lehre liegt, war aber sonst zu keinen weiteren Auskünften bereit.

Die Schwierigkeit, einfache Auskünfte über Individuelle Studien zu erlangen, gibt einen Vorgeschmack auf die bürokratischen Mühen, die mit ihnen einhergehen. „Es war ziemlich aufwändig“, erzählt Judith. Das Curriculum muss nämlich mit konkreten Lehrveranstaltungen erstellt werden. „Zwei Jahre später hat es dann nicht mehr genau dieselben Fächer gegeben. Ich musste deswegen immer wieder Kurse anrechnen lassen.“

Ein eigenes Curriculum zu schreiben ist zudem kein einfaches Unterfangen. „Ich würde mit den Leuten sicherlich diskutieren, ob es nicht eine einfachere Möglichkeit gibt. Man verliert natürlich auch Zeit“, so Vizerektor Psenner. Andererseits gehören gerade individuell Studierende zu den engagiertesten. „Über Studierende, die sich so viele Gedanken machen, muss man eigentlich froh sein“, meint Psenner.

Individuell zu studieren war aber nicht immer so schwierig wie heute. Ilse K. entschied sich 1994 dafür, sich ihr eigenes Studium „Angewandte Ökologie und Abfallwirtschaft“ zusammenzustellen. Damals nannte man das noch Studium Irregulare. „Man hat den Studierenden früher mehr Freiheit gegeben. Bei dem Studium konnte man fächerübergreifend machen, was man wollte. Die Zusammenstellung war ganz mir überlassen“, sagt sie. Vor allem im Bereich des Umweltschutzes gab es zu dieser Zeit auch andere irregulär Studierende auf der BOKU. „Aber es waren eine Handvoll“, sagt Ilse. „Die Uni hat dann diese Möglichkeit eingeschränkt, weil man Angst hatte, dass die Studierenden mit den Studien in der Wirtschaft nichts anfangen können. Was ja zum Teil auch gestimmt hat.“

UND WER BRAUCHT SOWAS? Ob potentielle Arbeitgeber*innen ein Individuelles Studium als Vorteil oder als Nachteil werten, sei der Einschätzung eines*r jeden selbst überlassen. Die Antwort auf diese Frage wird so verschieden wie die Individuellen Studien selbst ausfallen. Mit ihrem irregulären Studium hat Ilse zehn Jahre erfolgreich in der Privatwirtschaft als Ziviltechnikerin für Altlastensanierung gearbeitet. „Nachher im Beruf hab’ ich schon festgestellt, dass ich gewisse Lücken habe, zum Beispiel in der Technik“, sagt sie. „Dafür hatte ich auf der anderen Seite aber auch Vorteile aufgrund meiner Chemiekenntnisse.“ Ilse bereut ihre Entscheidung nicht. „Ich habe studiert, was mich interessiert hat“, sagt sie.

Manchmal treffen Studierende mit ihrer individuellen Karriereplanung den Nerv der Zeit und gestalten mit ihrem Curriculum ein sich gerade entwickelndes Berufsfeld mit – manchmal auch nicht. „Gerade mein Thema ist eine Querschnittsmaterie. Ich habe wirklich die Grundlagen aus den verschiedenen Bereichen mitbekommen“, sagt Judith. Zweifel an ihrer Studienwahl kamen ihr nie. „Je länger ich studiert habe, desto überzeugter war ich davon“, sagt sie. „Auch wenn die Lehrveranstaltungen keine inhaltlichen Überschneidungen hatten, hat insgesamt alles zusammengepasst.“ Im Berufsleben hat sie mit ihrem Individuellen Studium oft einen klaren Vorteil: „Bei der Kommunikation zwischen den einzelnen Disziplinen tue ich mir sehr viel leichter als andere.“

 

Verena Ehrnberger ist Juristin und studiert Komparatistik an der Universität Wien.

 

Von der Not sich Leistung leisten zu können

  • 05.02.2015, 11:54

Leistungsgesellschaft 4.0

Leistungsgesellschaft 4.0

Generation Y. Generation Praktikum. Generation Burn Out. Für die Generation ab 1980 hat man schon viele Begriffe gefunden. In all diesen Bezeichnungen schwingt eines klar mit: Die heutige Studierenden-Generation scheint die Leistungsgesellschaft besonders hart zu treffen.

Burn Out ist lange keine Krankheit mehr die sich auf die Arbeitswelt beschränkt. Die Situation, in der sich die heutige Studierenden-Generation wiederfindet, lässt sich mit vier treibenden Faktoren beschlagworten: keine Sicherheit, kein Wohlfahrtsstaat, prekäre Arbeit und die beschleunigende Wissensgesellschaft.

Dass sie mit ihrem Ärger über die Anforderungen, die an ihre Generation gestellt werden, nicht alleine dasteht, hat die Bloggerin Sinah Edhofer, 23, letzte Woche gemerkt. Ihr Blogeintrag „Danke für (fast) nichts.“, in dem sie die Selbstverständlichkeit kritisiert mit der unbezahlte Praktika von Unternehmen angeboten und von Studierenden abgeleistet werden, hatte innerhalb weniger Stunden mehrere Tausend Klicks. Inzwischen haben über eine Million Menschen Sinahs Blogeintrag gelesen und ihr über 600 Kommentare hinterlassen. Fast alle sind Studierende, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie Sinah.

Die heutigen „Millenials“ (also bis zu den 2000er Jahren Geborene) müssen als Erben der Wirtschaftskrise mit wirtschaftlicher Unsicherheit bei gleichzeitiger Beschleunigung des täglichen Lebens umgehen. Wo man früher ein Studium machte, macht man heute zwei. Wo man früher eine Fremdsprache fließend sprach, sind es heute mindestens drei. Wo man früher im Sommer ein Praktikum machte um sich das Taschengeld aufzubessern, macht man heute einen vollwertigen Nebenjob um sich das Praktikum überhaupt leisten zu können.

Diese Generation lebt im Spannungsverhältnis von maximaler Beschleunigung bei minimalen Zukunftsperspektiven. „Es gibt heute keine Vollbeschäftigungsgarantie mehr und es gibt auch keine gesicherten Karriereperspektiven.“, sagt Alexander Bogner, Professor für Soziologie an der Universität Wien. „Man unterschätzt welche Rolle der Faktor Glück spielt. Angesichts dieser Unsicherheiten läuft man leicht Gefahr zum Überleister zu werden.

Die Generation Y befindet sich in ständiger Revisionsbereitschaft: sie will sich nicht festlegen, sich lieber anpassen und nicht klar Stellung beziehen. Das war der O-Ton auf der letzten Tagung „Kultur und Wirtschaft“ an der Universität Innsbruck. Dass es auch hier immer noch Ausnahmen gibt, hat Sinah gezeigt. Sie sieht ihre Generation durchaus kritisch. „Ich finde, dass wir nicht mehr so viel hinterfragen“, sagt sie. „Wir kommentieren alles. Wir fassen die Tonalität auf, die wir im Internet mitkriegen. Wir reagieren irgendwie drauf: so wie wir denken, dass es von uns erwartet wird.“Die ständige finanzielle Unsicherheit mit der Studierende aller Generationen immer schon gelebt haben, wird in einer Gesellschaft, die Leistung zwar erwartet aber nicht mehr entlohnt, zum effizienten Kontrollmechanismus. „Wir sind uns unseres eigenen Werts nicht bewusst. Es ist so ein Zusammenspiel aus Angst und geringem Selbstbewusstsein.“, kommentiert Sinah die Selbstverständlichkeit mit der maximale Leistung bei minimaler Entlohnung erbracht wird.

Im Ergebnis erbringt die heutige Generation Y schneller und effizienter Leistungen als kaum eine Generation zuvor. Das ist zu einem großen Teil dem gesellschaftlichen Umstand geschuldet, dass das Internet durch Smartphones mobil geworden ist – und man damit die Informations- und Wissensgesellschaft immer und überall in seiner Hosentasche mit sich trägt. „Wir erleben Prozesse der Beschleunigung und Prozesse der Verdichtung“, erklärt Soziologe Bogner. „Wir sind von morgens bis abends gefordert. Auch mit der Anforderung des lebenslangen Lernens: Du kannst nicht einfach deine Lehre oder dein Studium machen und dann ein Leben lang dieses Wissen anwenden, sondern du musst dich fortbilden.

Erst mal eine Auszeit nach dem Studium, der berühmte Interrail oder die Freiheit erst mal die falsche Studienwahl getroffen zu haben, sind allesamt Relikte die der Vergangenheit angehören. „Wir richten vorsorglich unser Leben an diesen erwarteten Normen aus. Das führt dann dazu, dass das Leben stromlinienförmig organisiert wird.“, sagt Soziologe Bogner. „Vor 30 Jahren war es ganz normal nach der Schule erst mal eine Auszeit zu nehmen. Das gilt heute schon als desorientierte Bummelei die auf Leistungsverweigerung schließen lässt.“

Der Leistungsdruck entsteht vor allem beim Vergleich mit anderen. Diesen Effekt hat die Bologna-Reform noch verschärft. „Man hat viele Leute, die muss man irgendwie verwalten. Verwalten kann man am besten durch Standardisierung. Dann hat man auch das Problem der Verschulung: man lernt nicht mehr aufgrund eigener Interessen, sondern man kriegt diesen Stoff reingedrückt und muss den möglichst gut wiederkäuen“, sagt Bogner. Auch das Studieren hat sich also durch die Leistungsgesellschaft gewandelt. Das Studium ist heute kein Raum zum Verfolgen der eigenen Interessen mehr, sondern wird absolviert wie ein Job.

Die ständige Vergleichbarkeit der eigenen Leistung und des eigenen Werts ist etwas mit dem die Generation Y – dank Internet und Social Media – wie selbstverständlich aufwächst. Vergleichbar sein und daher besser sein müssen als die Anderen, ist ein Druck mit dem diese Generation auf täglicher Basis konfrontiert wird. Die Leistungsgesellschaft hat längst auch den privaten Bereich erreicht. „Das ist auch ein Problem: dass man sich sehr durch Likes definiert“, sagt Sinah. Ob das auch auf sie selbst zutrifft? Sie lacht. „Ich würd’ jetzt voll gern sagen, es ist mir wurscht, aber da würde ich lügen. Ich glaube da lügt jeder, wenn er sagt das ist ihm wurscht. Es ist nämlich nicht wurscht. Es ist eine Bestätigung von Außen. Aber man darf sich wirklich nicht nur davon abhängig machen.“

Leistung ist heute etwas, das ununterbrochen stattfindet. Einen Off-Button gibt es nicht. Weder im Internet noch bei der eigenen Leistungsbereitschaft. Auch Sinah denkt jetzt nach dem Abschluss ihres Publizistikstudiums nicht an Auszeit. Statt gleich ein Masterstudium anzuhängen, will sie „erst mal was arbeiten“. Diesmal kein Praktikum, sondern richtig. Möglicherweise wird sie in ihrem künftigen Berufsleben sogar etwas finden, wofür sie (ein bisschen) dankbar sein kann.

 

Verena Ehrnberger ist Juristin und studiert Vergleichende Literaturwissenschaften in Wien.

Sprung ins kalte Wasser

  • 31.10.2013, 18:20

Seit 2010 wird für das Psychologiestudium in Wien ein Aufnahmeverfahren durchgeführt. Rund 2.000 BewerberInnen kämpften heuer um 500 Studienplätze. Verena Ehrnberger hat sich vor Ort umgesehen und die TeilnehmerInnen nach ihrer Meinung und ihren Erfahrungen mit der Prüfung befragt.

Seit 2010 wird für das Psychologiestudium in Wien ein Aufnahmeverfahren  durchgeführt. Rund 2.000 BewerberInnen kämpften heuer um 500 Studienplätze. Verena Ehrnberger hat sich vor Ort umgesehen und die TeilnehmerInnen nach ihrer  Meinung und ihren Erfahrungen mit der Prüfung befragt.

Anspannung. Stille. Nur manchmal hört man das Knarren eines Stuhls, das leise Rascheln eines der  vielen durchsichtigen Plastiksäckchen, in denen  die zukünftigen Studierenden ihre Habseligkeiten verstauen mussten. In der großen grauen Halle A der Messe Wien ist es kalt. Beim Hereinkommen wird man einem von 30 Sektoren zugewiesen und sucht im jeweiligen Sektor nach jenem Platz, der mit dem eigenen Namen beschriftet ist. Es ist der 3. September 2013 – der Tag der Psychologie-Aufnahmeprüfung.  Mit rund 4.000 anderen TeilnehmerInnen soll man nun um einen der begehrten 500 Studienplätze kämpfen.

Am Prüfungstag erscheint dann aber nur knapp die Hälfte der angemeldeten Personen. Der Saal ist bei weitem nicht voll. Ganze Tischreihen bleiben leer.  Der Dekan der psychologischen Fakultät, Germain  Weber, informiert die Anwesenden per Mikrophondurchsage,  dass nur knapp 2.000 TeilnehmerInnen erschienen sind. Großes Aufatmen im Saal – die eigene Chance, einen Studienplatz zu ergattern, hat sich damit plötzlich verdoppelt. „Bekommt man einen  Bachelor-Platz in Wien”, sagt der Dekan weiter, „dann hat man in Wien auch einen gesicherten Master-Platz.“ Die nächste gute Nachricht für die zukünftigen Psychologie-Studierenden.

Gemischte Reaktionen. Dann werden die Prüfungsmodalitäten erklärt. Die Aufnahmeprüfung besteht aus drei Teilen: Wissen, Methodik und Englisch. Für den Wissens-Teil waren bestimmte Kapitel eines Psychologie-Lehrbuchs zu lernen – dieser Teil ist 70 Punkte wert. Bei Methodik und Englisch kann man jeweils auf 40 Punkte kommen. Für 150 mögliche Punkte hat man 150 Minuten Zeit. Die Prüfungsbögen werden gleichzeitig umgedreht – ein lautes  Rascheln geht durch den Saal. Zur Beantwortung der jeweiligen Wissensfragen brauchen die Anwesenden nur wenige Sekunden. Die dadurch gewonnene Zeit wird für den Englisch- und den Methodik-Teil genützt,  auf die man sich nur schwer vorbereiten kann.

Als die 150 Minuten schließlich vorbei sind, fallen die Reaktionen der TeilnehmerInnen gemischt aus. Einige scheitern am Englisch, andere an den Fragen  zur Methodik. „Auf den Wissens-Teil konnte man sich sehr gut vorbereiten“, meint Hannah, 18, aus Niederösterreich:  „Der Methodik-Teil war nicht berechenbar. Aber wenn man solide Mathematikkenntnisse hat, ist er zu bewältigen. Englisch war auf Maturaniveau und relativ leicht.“ Auch Jonas, 25, aus Tübingen fand den Methodik-Teil anspruchsvoll: „Es war tückisch. Es  gab viel Text, der überflüssig war und zur Ablenkung diente“, sagt er.

Sinnhaftigkeit der Aufnahmeprüfung. Doch wie sinnvoll ist so eine Aufnahmeprüfung  überhaupt? Jonas findet das Aufnahmeverfahren eine gute Idee. „Da muss man zumindest etwas lernen.  Die Leute, die das wirklich wollen, haben einen gerechtfertigten Vorteil gegenüber Leuten, die sich  vielleicht nur so zum Spaß anmelden“, so Jonas. Elke, 35, sieht das genauso. Die Salzburgerin lebt gerade in Bayern. „In Deutschland haben sie den Numerus Clausus und glauben, dass ein Mensch, der an wenigen bestimmten Tagen seines Lebens nicht ganz so  gut abgeschnitten hat, nicht auch ein guter Psychologe oder Mediziner werden kann“, meint sie: „Ich finde das unsinnig und das österreichische System viel besser.“  Die Aufnahmeprüfung soll, laut Homepage des StudienServiceCenters der Psychologie, „studienrelevante Fähigkeiten“ überprüfen: Neben Textverständnis und  Prüfungswissen wird auch die „Fähigkeit zum formalanalytischen Denken“ der zukünftigen Studierenden  geprüft. Dies wird vor allem durch den Methodik-Teil erreicht. Der ist bei den TeilnehmerInnen aber nicht unumstritten. „Englisch und Methodik waren für  mich ein Sprung ins kalte Wasser. Ich hab mich nicht gezielt vorbereiten können“, sagt Hannah und fügt hinzu: „Mein Schulwissen hat mir aber geholfen.“ Die Schwierigkeit des Methodik-Teils variiert von Jahr zu Jahr. „Ich dachte mir, dass sie die Fragen schon so stellen, dass man sich kaum darauf vorbereiten kann – ähnlich wie bei einem IQ-Test“, sagt Jonas.

Letztlich scheint der Methodik-Teil aber nicht nur die  „Fähigkeit zum analytischen Denken“ abzuprüfen,  sondern vor allem Mathematikkenntnisse. Ein erlerntes Wissen also, das man sich je nach Schulbildung entweder aneignen konnte – oder eben nicht. Elke hat die Aufnahmeprüfung dieses Jahr nicht geschafft.  „Ich bin etwas älter als der Schnitt. Meine Matura ist demnach ewig her“, sagt sie: „Ich hab mich seit Jahrzehnten nicht mehr mit Wahrscheinlichkeitsrechnungen und Co beschäftigt. Das waren also nicht unbedingt die besten Voraussetzungen, um diese  Prüfung zu bestehen.“ Enttäuscht ist sie trotzdem, vor  allem weil ihr das Lernen des Psychologiestoffs viel  Spaß gemacht hat. „Ich konnte den Zimbardo (Autor  des Psychologie-Lehrbuches, Anm. der Red.) wirklich gut und ich fand die Materie auch super interessant.“

Teure Vorbereitung. Intensives Lernen ist  offenbar nicht immer ein Garant dafür, die Prüfung  auch zu bestehen. Eine Umfrage in der Facebook-  Gruppe zum diesjährigen Aufnahmeverfahren ergab,  dass fast ein Viertel der TeilnehmerInnen einen Vorbereitungskurs besucht hat. Um sich gegen die große Konkurrenz durchzusetzen, sind manche bereit viel Geld zu zahlen. Für etwa 300 Euro kann man sich eine Woche lang von verschiedensten Instituten  gründlich auf die Aufnahmeprüfung vorbereiten  lassen.

Jonas hat die Prüfung auch ohne Kurs bestanden.  „Ich hab keinen wirklichen Nutzen darin gesehen“, sagt Jonas. „Auf den Methodik- und den Englisch-Teil kann man sich nicht vorbereiten und beim Lernen des Zimbardo hilft halt auch kein Kurs“, meint er. Auch Hannah hat es ohne Kurs geschafft. „Es spricht gegen meine Prinzipien, dass man Geld in Kurse investiert, während andere Menschen nicht die erforderlichen Mittel haben“, sagt sie: „Jeder Mensch sollte die gleichen Chancen haben.“

Fehlende Transparenz. An der Aufnahmeprüfung wird stark kritisiert, dass weder das erreichte Testergebnis noch der Rang, den man in der Reihung der TeilnehmerInnen erzielt hat, nach der Prüfung für die zukünftigen Studierenden einsehbar sind. „Für diejenigen, die überlegen, es erneut zu versuchen, wäre das sicherlich eine gute  Entscheidungsbasis“, meint Jonas: „Allerdings ist es auf der anderen Seite ärgerlich für alle, die herausfinden müssen, dass sie ganz knapp gescheitert sind.“ Hannah sieht in der mangelnden Transparenz des Aufnahmeverfahrens das größte Problem. „Dieses Vorgehen lässt möglicherweise bei einigen der TeilnehmerInnen Zweifel an der Korrektheit  des Testergebnisses aufkommen“, sagt sie, und fügt  hinzu: „So kann man die persönliche Leistung nur schwer einschätzen. Hat man die Prüfung nicht geschafft, kann man nicht beurteilen, welche Teile des Tests bei einem Neuantritt intensiver zu lernen wären.“

Seitens der Universität Wien beruft man sich hinsichtlich der fehlenden Transparenz der Aufnahmeprüfung auf die Universität Salzburg. „Das Verfahren in der Psychologie wird gemeinsam mit der Universität Salzburg durchgeführt. Die Federführung in Bezug auf die Gestaltung der Abläufe hat die Salzburger Universität“, erklärt Cornelia Blum, Pressesprecherin des Rektorats der Universität Wien: „Die  Universität Wien hat sich als Kooperationspartner der  Vorgangsweise angeschlossen.“ Obwohl der Wiener Universität ein transparentes Verfahren ein Anliegen sei, widerspräche eine allgemeine Veröffentlichung der Ergebnisse „datenschutzrechtlichen Bestimmungen“, heißt es weiter.

Flucht vor dem Numerus Clausus. Auffallend ist beim Aufnahmeverfahren für Psychologie auch die große Anzahl deutscher TeilnehmerInnen. Das gibt einigen österreichischen Studierenden zu denken: „Ich finde wirklich, dass eine Quotenregelung hergehört. Es ist schon etwas komisch, dass so viele Deutsche an der österreichischen Psychologie  sitzen“, sagt Elke, die zwar gerade in Bayern wohnt,  aber ursprünglich aus Salzburg kommt: „Klar kann ich es bei deren Numerus Clausus nachvollziehen, aber Österreich kann doch nicht wirklich unzählige Millionen für Studierende ausgeben, die dann wieder in ihre Heimat zurückgehen“, meint sie weiter: „Es ist eine Regelung notwendig. Und das ganz dringend.“ Das sieht Hannah genauso: „Grundsätzlich sollte man die Möglichkeit haben, sich im Ausland fortzubilden. Aber unterschiedliche Regelungen in Europa führen zu unausgewogenen Verhältnissen. Hier kann nur  eine europaweite Regelung der Studienzulassung  helfen“, sagt sie. Jonas ist nun einer der deutschen  Psychologie-Studierenden in Wien. Er ist gegen eine Quotenregelung: „Es gibt auch viele ÖsterreicherInnen auf deutschen Unis. Da gibt es auch keine Quote“, sagt er: „Ich fände das auch irgendwie diskriminierend.“

Aus Sicht der Universität Wien hat eine mögliche Quotenregelung zugunsten österreichischer Studierender momentan keine hohe Dringlichkeit. Außerdem fühlt sich die Universität dafür auch nicht zuständig. „Diese Frage zu entscheiden liegt nicht in der Autonomie der Universität“, sagt Cornelia Blum.  „Es gibt derzeit eine Regelung in der Medizin, die in Abstimmung zwischen österreichischem und europäischem Gesetzgeber festgelegt ist. Eine Initiative  müsste daher vom österreichischen Gesetzgeber ausgehen und wäre in Abstimmung mit der EU festzulegen“,  erklärt sie weiter.  Beim Psychologie-Aufnahmeverfahren besteht sicher ein Bedarf an Verbesserungen. Sowohl der von Jahr  zu Jahr stark variierende Methodik-Teil als auch die fehlende Transparenz der Prüfung werfen kein gutes Licht auf das Aufnahmeverfahren. Auch im Hinblick auf eine mögliche ÖsterreicherInnen-Quote könnte  sich in den nächsten Jahren wohl noch einiges ändern. Derzeit scheinen allerdings keine entsprechenden  Maßnahmen geplant zu sein. Wer es dieses Jahr geschafft hat, muss sich damit jedenfalls nicht mehr auseinandersetzen. Während Jonas und Hannah sich schon auf ihr Studium an der Universität Wien  freuen, wird Elke es wieder versuchen. „Ich werde vermutlich nächstes Jahr noch einmal in der Prüfung sitzen – hoffentlich mit größerem Erfolg“, sagt sie  zuversichtlich.

Verena Ehrnberger ist Juristin und studiert Vergleichende Literatur an der Universität Wien.

 

 

 

        

 

Was ist eigentlich Luxus?

  • 23.06.2013, 14:00

„Man versehe mich mit Luxus, auf alles Notwendige kann ich verzichten“, sagte einst Oscar Wilde. Doch – ob Zeit, Musik, Freundschaft oder die eigene Wohnung – die Vorstellungen davon was Luxus eigentlich ist, gehen auseinander. progress hat sich umgehört.

„Man versehe mich mit Luxus, auf alles Notwendige kann ich verzichten“, sagte einst Oscar Wilde. Doch – ob Zeit, Musik, Freundschaft oder die eigene Wohnung – die Vorstellungen davon was Luxus eigentlich ist, gehen auseinander. progress hat sich umgehört.

Studieren auf der Couch

  • 12.02.2013, 14:27

Freie Bildung im Internet: Mit MOOC können Tausenden von Studierenden auf der ganzen Welt Lehrinhalte vermittelt werden. Bislang gratis.

Freie Bildung im Internet: Mittels MOOC (Massive open online course) können Studierenden auf der ganzen Welt Lehrinhalte vermittelt werden. Bislang gratis.

35.000 Studierende. 14 Kurseinheiten. 10 Wochen. Vergangenen Herbst konnte man zehn Wochen lang einen Modern Poetry-Kurs an der University of Pennsylvania belegen – ohne dafür das Haus verlassen zu müssen: Der Kurs bei Professor Al Filreis fand ausschließlich online statt.

MOOC. „Massive open online course“  nennt sich dieses Unterrichtskonzept. 35.000 Studierende aus der ganzen Welt sind allein im Modern Poetry-Kurs von Al Filreis inskribiert. Coursera ist eine der Plattformen, die MOOC-Kurse verschiedenster Universitäten anbietet, darunter auch Kurse von Elite-Unis wie Princeton, Stanford oder der Brown University. „Wir bieten hochqualitative Kurse der Top-Universitäten an, gratis für jede/n. Wir verändern global das Gesicht der Bildung, und wir laden euch ein, euch uns anzuschließen.“, lässt Coursera auf seiner Homepage wissen. Insgesamt bietet Coursera derzeit 204 Kurse von 33 verschiedenen Universitäten an. Harvard und das MIT findet man auf der Konkurrenz-Plattform EdX. Der große Vorteil von Coursera seiner Konkurrenz gegenüber besteht darin, dass breitgefächerte Kurse angeboten werden. Von Astrobiologie bis Quantenphysik lässt sich fast alles studieren. Und das Beste an diesen Bildungsangeboten: Sie sind vollkommen gratis.

Die Nachfrage ist gewaltig. Seit Coursera vor etwas über einem halben Jahr seinen Betrieb aufgenommen hat, haben sich ca. zwei Millionen MOOC-StudentInnen aus 196 Ländern registriert. Der Großteil kommt aus den USA (38,5 %), gefolgt von Brasilien, Indien, China und Kanada. 1,7 % der Studierenden kommen aus Deutschland, immerhin 0,2 % aus Österreich.

Wenn man in den Foren mitgearbeitet und Essays zu vorgegebenen Aufgabenstellungen verfasst hat, kann man den Kurs abschließen und bekommt ein Zeugnis ausgestellt. Bei Tausenden von Studierenden ist es dem Professor natürlich nicht zumutbar, jeden einzelnen Essay zu korrigieren, deshalb funktioniert auf Coursera die Benotung über das System der peer evaluation: einige StudienkollegInnen bewerten den Essay anhand eines vorgegebenen Bewertungsschemas.

„Wisdom of the crowd“. Al Filreis unterrichtet seit 1985 Modern Poetry an der University of Pennsylvania. Er hat das Internet schon in den 1990er Jahren als Unterrichtsmittel für sich entdeckt. „1994 habe ich an der University of Pennsylvania verlautbart, dass ich jedem zu jeder Zeit Modern Poetry beibringen würde. 150 Leute haben sich daraufhin gemeldet. Ich wollte den Kurs einen Monat lang online halten und es endete damit, dass ich 1 ½ Jahre weiterunterrichtete. Das hat die Art, wie ich unterrichte, wirklich verändert.“

Filreis ist überzeugt davon, dass seine StudentInnen am meisten durch Diskussionen und nicht durch Vorlesungen lernen. Er nutzt die technischen Möglichkeiten unserer Zeit, um die im Kurs zur Verfügung stehende Zeit für Diskussionen frei zu machen. „Ich bin nicht wirklich an der Technologie selbst interessiert, ich nutze sie nur.“, betont er. Seinem Unterrichtsstil entsprechend hält Filreis auch auf Coursera keinen traditionellen Frontalunterricht in Vorlesungsform, sondern stellt Videos von Gruppendiskussionen mit den TutorInnen zur Verfügung. Pro Video wird ein Gedicht besprochen, pro Woche kann man durchschnittlich sieben Videos mit Gedichtinterpretationen ansehen. Dazu gibt es regelmäßig Live-Webcasts, bei denen man über Telefon, Skype oder Twitter Fragen an Al Filreis und die TutorInnen stellen kann. Al Filreis ist begeistert von den Möglichkeiten, die MOOC-Kurse bieten. „Ich habe mehr Spaß daran diese Gedichte in diesem Rahmen zu unterrichten, als ich jemals in einem Klassenraum hatte. Mit 35.000 Menschen, die mitlesen und Tausenden, die in den Foren diskutieren, wurden einige Dinge zu den Gedichten gesagt, über die ich vorher noch nie nachgedacht hatte. Ich glaube nun fest an die `Weisheit der Masse´ (wisdom of the crowd).”

Einen Erfahrungsbericht mit einem "massive open online course" kannst du hier nachlesen.

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Unbezahlte Arbeit im Spital

  • 06.07.2013, 15:40

Ab August 2014 wird sich die Ausbildung an den Medizinischen Universitäten ändern: Im letzten Jahr des Studiums sollen Medizinstudierende künftig 35 Stunden pro Woche in Spitälern arbeiten. Allerdings: ohne Bezahlung.

Ab August 2014 wird sich die Ausbildung an den Medizinischen Universitäten ändern: Im letzten Jahr des Studiums sollen Medizinstudierende künftig 35 Stunden pro Woche in Spitälern arbeiten. Allerdings: ohne Bezahlung.

Sinn des Klinisch-Praktischen Jahres (KPJ) ist es, die Studierenden durch praktische Arbeit in den Krankenhäusern auf ihre zukünftige Tätigkeit vorzubereiten. Das KPJ gehört in Deutschland und der Schweiz schon lange zur medizinischen Ausbildung. Nun wird es auch in ganz Österreich eingeführt und umfasst 48 Wochen, bei einer durchschnittlichen 35-Stunden-Woche. Dabei sollen jeweils 16 Wochen auf der Inneren Medizin und der Chirurgie verbracht werden – der Rest der Zeit darf auf Wahlfächer aufgeteilt werden. An den Medizinischen Universitäten Graz und Innsbruck gibt es das KPJ schon jetzt – allerdings dauert es bisher nur 30 Wochen.

Studierende als Systemerhalterinnen? So sinnvoll die Idee hinter dem KPJ ist, so wenig durchdacht scheint seine Umsetzung. Der große Haken: Es gibt bisher keinen klar abgegrenzten Aufgabenbereich für die Medizinstudierenden. Während im bisherigen Tertial-System klar war, dass Studierende hauptsächlich zusehen und von den OberärztInnen lernen sollen, während die TurnusärztInnen die täglich anfallenden Arbeiten erledigen, drohen die Grenzen zwischen Medizinstudierenden und TurnusärztInnen im KPJ zu verschwimmen. „Ich habe Angst, dass ich im KPJ nichts lerne und stattdessen als Systemerhalter verwendet werde“, sagt Medizinstudent Florian. Auch auf Seiten der Krankenhäuser herrscht oftmals Ratlosigkeit. „Niemand weiß momentan, was unser Aufgabenbereich im KPJ ist. Nicht mal die Krankenhäuser“, kritisiert Medizinstudentin Jessica: „Viele Krankenhäuser in den Bundesländern haben sich lange geweigert, überhaupt KPJ-Studierende aufzunehmen, weil sie nicht wissen, was sie mit uns anfangen sollen.“

Die Befürchtungen der Studierenden scheinen nicht unberechtigt. Birgit hat das KPJ in Graz absolviert. „Eigentlich macht man hauptsächlich Turnusarbeit“, erzählt sie: „Es hängt davon ab, ob der Turnusarzt daran interessiert ist, dir was beizubringen oder nicht. Ich war sehr selten mit den Oberärzten unterwegs.“ Bei der ÖH Medizin Wien gibt es derzeit Arbeitsgruppen, die ein konkretes Profil für KPJStudierende erarbeiten. „Das Profil soll so ausformuliert sein, dass wenig Zeit für Erhaltungstätigkeiten bleibt“, erklärt Abelina, Referentin für Bildungspolitik bei der ÖH Medizin Wien.

Studierende als gratis Arbeitskräfte? Besonders prekär wird das KPJ vor allem für berufstätige Studierende. Jessica arbeitet etwa 20 Stunden die Woche als OP-Assistentin. „Es ist jetzt schon schwierig genug, neben dem Studium zu arbeiten. Neben dem KPJ wird sich das nicht mehr ausgehen“, sagt sie. Da die KPJ-Studierenden künftig auch einiges in den Spitälern leisten werden, wollen
sie für ihre Arbeit auch entlohnt werden. Bisher sollen die Studierenden im KPJ aber nicht bezahlt werden. Die ÖH Medizin fordert in erster Linie eine Aufwandsentschädigung. „Eine fixe Aufwandsentschädigung im KPJ wäre schon eine deutliche Entlastung“, sagt Abelina. Darüber hinaus wird versucht, das KPJ so flexibel wie möglich zu gestalten, sodass die Möglichkeit, nebenbei zu arbeiten, grundsätzlich realistisch bleibt: Es soll keine täglichen Fixstunden geben und die Stunden der Nachtdienste sollen auf die 35 Wochenstunden voll angerechnet werden. Zusätzlich soll es die Möglichkeit geben, sich im KPJ auch 25 Tage freizunehmen.

Die unabhängige Fachschaftsliste der Medizinuni, UFMUW, die bei den ÖH-Wahlen im Mai diesen Jahres die Mehrheit an der Medizinischen Universität erzielen konnte und demnächst gemeinsam mit dem VSStÖ den Vorsitz der ÖH Medizin übernehmen wird, spricht sich klar gegen Nebenjobs im KPJ aus: „Studierende sollten die Zeit, die sie während des KPJ nicht im Krankenhaus verbringen, dazu nutzen können sich Wissen anzueignen – und nicht von einer Arbeitsstelle zur nächste hetzen“, heißt es. Schon jetzt gibt es Gerüchte über Spitäler, die Turnusarztstellen abbauen wollen, um bezahlte TurnusärztInnen durch unbezahlte Medizinstudierende ersetzen zu können. „Wenn die Krankenhäuser einsparen, gibt es auch kein Argument, dass das Geld für die KPJ-Studierenden nicht da ist“, kommentiert Abelina die Gerüchte. Die UFMUW fordert eine Aufwandsentschädigung, die zumindest der Geringfügigkeitsgrenze entspricht, um die Studierenden sozial abzusichern. „Von den Studierenden zu verlangen, am Wochenende und in der Nacht arbeiten zu gehen, um tagsüber gratis in den Lehrkrankenhäusern mitzuarbeiten, erachten wir als maximale Ausbeutung von kostenlosen Arbeitskräften.“

Flucht ins bezahlte Ausland. Viele Medizinstudierende flüchten vor den unsicheren Zuständen an den heimischen Unis ins Ausland. In Deutschland und in der Schweiz wird das KPJ angemessen entlohnt. Laut der UFMUW werden in Deutschland oft 300 Euro bis 600 Euro bezahlt, in der Schweiz sogar 1000 Euro bis 1500 Euro. Jessica, die zum ersten KPJJahrgang gehören wird, will einen Teil des KPJ in der Schweiz machen. „In der Schweiz ist alles strukturierter. Dort lernt man wirklich etwas“, sagt sie. Florian wird zum zweiten KPJ-Jahrgang gehören. Er fürchtet, dass die Universität angesichts der Flucht des ersten KPJ-Jahrgangs ins Ausland dem zweiten Jahrgang Auslandsaufenthalte verbieten könnte. „Vielleicht bekommt die Uni Angst, dass die Studierenden ins
Ausland gehen, dort Bezahlung bekommen und dann nicht mehr zurückkommen“, meint er. Zumindest diese Unklarheiten scheinen aber mittlerweile geklärt zu sein. “Die ersten zwei Tertiale des KPJ kann man fix ins Ausland gehen“, erklärt Abelina: „Für das dritte Tertial muss man bei der Uni ansuchen – das sollte aber auch kein Problem sein.“

Ob das KPJ ein sinnvoller Teil des Studiums oder doch nur unbezahlte Arbeit zur Systemerhaltung sein wird, wird sich wohl erst zeigen. Fakt ist jedoch, dass Studierende, Krankenanstalten und Lehrende über Zweck und Ablauf des KPJ informiert werden müssen. Dies hat die Medizinische Universität Wien bisher jedenfalls verabsäumt.

Die Autorin ist Juristin und studiert derzeit Vergleichende Literaturwissenschaften an der Universität Wien.

Stecken geblieben

  • 25.02.2013, 17:32

Plötzlich macht es einen Ruck und man steckt fest. Ein Albtraum für viele. Alltag für LiftbefreierInnen.

Plötzlich macht es einen Ruck und man steckt fest. Ein Albtraum für viele. Alltag für LiftbefreierInnen.

Der Aufzug muss genau in Parkposition stehen. Tut er das nicht, genügen oft schon ein paar Zentimeter, damit er stecken bleibt. „Das ist eigentlich die häufigste Ursache“, sagt Leopold Miklos. Er ist seit knapp 21 Jahren Hausbesorger der Stadt Wien, betreut mehrere Stiegen eines Wohnhauses im 22. Wiener Gemeindebezirk und wird von den meisten „Herr Miklos“ genannt. Bei zwei bis fünf Notbefreiungen im Jahr hat er im Zuge seiner 21jährigen Laufbahn rund 200 Menschen aus dem Lift befreit. „Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, ist das schon einiges“, lacht Herr Miklos. „Ich hab 124 Wohnungen. Da hab ich jeden schon mal rausgeholt – theoretisch.“

Notruf. Das Wiener Aufzugsgesetz von 2007 stellt sicher, dass man eine halbe Stunde nach dem Notruf aus dem Lift befreit werden muss. Dazu sind neben den HausbesorgerInnen nun auch die Aufzugunternehmen selbst verpflichtet. Eines dieser Unternehmen ist die Firma Otis. „Wien hat eines der strengsten Aufzugsgesetze Europas“, erklärt Mario Zistler, Abteilungsleiter im Service Support und Chef der OtisLine. Hier geht im Durchschnitt zwei bis drei  Mal am Tag ein Notruf für eine der 23.000 von Otis betreuten Liftanlagen in ganz Österreich ein. Seit 2007 wurde in allen Aufzügen eine Sprechanlage eingebaut. Wer in die unangenehme Situation gerät, im Aufzug gefangen zu sein, kann so problemlos mit der Zentrale kommunizieren. Man ist also nicht ganz allein im Lift. „Manche reagieren in dieser Situation erst mal etwas panisch“, sagt Mario Zistler: „Aber in der Regel können wir sie schnell wieder beruhigen.“

In der OtisLine sieht man außerdem die genaue Position des Lifts, ob die Lifttüren offen oder geschlossen sind und die Adresse des Gebäudes. So kann oft schon reagiert werden, bevor noch irgendjemandem im Haus aufgefallen ist, dass der Lift steht. Das Schlimmste, das passieren kann, ist, dass eine eingesperrte Person im Aufzug klaustrophobisch wird. „Dann kann es passieren, dass sich die Person versucht selbst zu befreien und sich dabei verletzt. Oder dass sie eine Panikattacke bekommt“, sagt Zistler: „Deswegen rufen wir in solchen Fällen auch gleich Rettung und Feuerwehr dazu. So etwas kommt aber ganz selten vor.“

Sprechanlage. Die Verbindung zur Sprechanlage wird alle drei Tage von der OtisLine kontrolliert. Dadurch kann ein Ausfall fast ganz ausgeschlossen werden. „Es kann nur vorkommen, dass der Hausbesitzer die Telefonrechnung nicht bezahlt hat. Auch die Sprechanlage in den Aufzügen läuft über einen Telekom- Anschluss“, sagt Mario Zistler. Stellt die OtisLine fest, dass die Leitung tot ist, verständigt sie sofort den oder die HausbesitzerIn. Funktioniert eine Sprechanlage nicht, wird der Aufzug von der Wiener Baupolizei gesperrt. Kann ein Aufzug denn auch abstürzen, wie man es in den Filmen sieht? „Ein Aufzug kann nicht abstürzen“, versichert Mario Zistler. Schon 1853 entwickelte Elisha  Graves Otis eine Sicherheitsbremse, die mittels einer Fangvorrichtung den Absturz der Kabine verhindert. „Da bräuchte man schon mehrere Sprengladungen“, sagt Mario Zistler: „Es ist einfacher, das Gebäude umzureißen, als den  Lift zum abstürzen zu bringen.“

Eine weitere Neuerung des Aufzuggesetzes 2007 war der Einbau von automatischen Schiebetüren. Dadurch sind vor allem die schweren Unfälle mit Aufzügen stark zurückgegangen.  „Vielen Leuten ist der Schlüssel in den Spalt  wischen Aufzug und Tür runtergefallen“, erinnert sich Herr Miklos. „Die haben nachgegriffen und sind dann mit der Hand in den Aufzug gekommen. Da sind schwere Unfälle passiert, Wien-weit.“ Besonders ärgern Herrn Miklos die „Einkaufswagerlpartien“. „Die Mieter wollen unbedingt ihre Einkaufswagerl mit in den Aufzug nehmen. Das ist sowas von gefährlich!“ Er erzählt von einem Vorfall vor Einbau der Schiebetüren. Eine ältere Frau nahm den Einkaufswagen  mit in den Aufzug und ein Rad verfing sich in dem Spalt zwischen Türe und Fahrkorb. „Das Wagerl hat sich drinnen verdreht und die Frau hat sich schwer verletzt. Sie hat sich die Rippen gebrochen. Bei kleineren Aufzügen hat man ja  keinen Platz, wenn man mit dem Wagerl drinnen steht und fährt.“

Glöckerlpartie. Neben den manchmal unbelehrbaren MieterInnen machen Herrn Miklos auch die Kinder zu schaffen. Der Aufzug übt auf sie nach wie vor eine große Anziehungskraft aus. „Sie brauchen nur einen Kaugummi beim Kontakt reinpicken, und der Aufzug steht. Da sucht man dann erst mal eineinhalb Stunden nach dem Fehler. Aber wenn man das 21 Jahre lang macht, kennt man schon alle Schmähs der Kinder“, lacht Herr Miklos. „Sie fahren auch gern hin und her spazieren, drücken überall – eine Glöckerlpartie. Das gehört auch ab und zu gemacht, das ist eh klar“, sagt er mit einem Augenzwinkern. Selbst ist Herr Miklos noch nie im Lift stecken geblieben. „Weder in meinen eigenen, noch  irgendwo anders.“

Liebe wird durch teilen mehr

  • 20.02.2013, 16:11

Alternative Familienmodelle abseits des Mutter-Vater-Kind-Paradigmas: Von der Leihoma, dem neuen großen Bruder und einer Beziehung, an der mehr als nur zwei teilnehmen.

Alternative Familienmodelle abseits des Mutter-Vater-Kind-Paradigmas: Von der Leihoma, dem neuen großen Bruder und einer Beziehung, an der mehr als nur zwei teilnehmen.

Fabian erzählt mit strahlenden Augen von seinem kleinen Bruder Tim. „Wir bauen Lego und spielen Rennbahn. Das mache ich extrem gern. Das ist auch ein bisschen wie ein Alibi: Dass man das machen darf und nicht komisch angeschaut wird als Erwachsener“, lacht Fabian. Dabei hat Fabian Tim erst vor ein paar Monaten kennengelernt. Und streng genommen ist Tim auch nicht wirklich sein Bruder.

Fabian und Tim haben sich über das Mentoring-Programm Big Brothers Big Sisters gefunden, das seit 110 Jahren besteht. In den USA ist es die bekannteste Sozialmarke. Weltweit wurden bisher etwa zwei Millionen Kinder von großen Geschwistern betreut. Im Juni 2012 wurde das erste Büro von BBBS in Wien eröffnet. Bereits im ersten halben Jahr haben sich 50 Familien und 140 MentorInnen gemeldet. Aktuell gibt es in Wien schon 21 Mentor-Mentee-Tandems. Ziel ist, Kinder in schwierigen Lebenssituationen zu fördern. Viele der betreuten sind Kindervon Alleinerziehenden.

Auch Ilona, Tims Mutter, kümmert sich alleine um ihren Sohn. Tim sei ganz ohne Vaterkontakt. „Es ist toll zu wissen, dass er jetzt mal ein Jahr lang jemand fix in seinem Leben hat, den er als Vorbild sieht. Ich kann mir natürlich auch die Bedienungsanleitung für einen Solarbaukasten nehmen, aber das kommt bei einem Kind ganz anders an, wenn das jemand macht, der technikbegeistert ist. Das ist ein ganz anderes Begreifen und Lernen.“

Und umgekehrt hat sich Fabian einen kleinen Bruder gewünscht, der neugierig ist, mit dem er ins Museum gehen und dem er viel erklären kann. Das trifft sich gut, denn Tim liebt das Technische Museum. „Es macht extrem Spaß. Und es ist ein wunderbares Gefühl, wenn ich sehe, dass Tim sich darüber freut.“ Durch ein bewährtes Matching-Verfahren wird für jedes Kind eine passende MentorIngefunden. „Gemeinsame Interessen sind gute Türöffner für die persönliche Beziehung“, erklärt Judith Smetacek, die Geschäftsführerin von Big Brothers Big Sisters Österreich.

Suche nach dem Puzzleteil. Intensiven Gesprächen mit den MentorInnen über Motivation, Interesse und Erwartungen folgen Telefonate mit drei vom Mentor genannten Referenzpersonen aus Familie, Freundeskreis und Arbeitsumfeld – um Selbstbild und Fremdbild zu vergleichen. „Oft ist man so fasziniert von dem Programm, vergisst aber, dass das in der aktuellen Lebenssituation vielleicht gar nicht umsetzbar ist. Daher ist dieser Gegencheck wichtig, um zu sehen, ob die Lebenssituation so stabil ist, dass eine langfristige, vertrauensvolle Beziehung zu einem Kind ohne Beziehungsabbruch jetzt gerade möglich ist“, erklärt Smetacek. Die Rollen zwischen Kernfamilie sowie großen Brüdern und Schwestern sind klar abgegrenzt. „Die Rolle des Mentors ist nicht die Erziehung des
Kindes. Er ist dazu da, um das Kind zu stärken, das Kind wertzuschätzen, ein Ansprechpartner zusätzlich zur Familie zu sein“, sagt Smetacek. Natürlich merkt man aber auch den Einfluss des großen Bruders. Seit Tim weiß, dass Fabian Vegetarier ist, möchte auch er meist ohne Wurst zu Abend essen.

Der Zeitraum für eine Mentoring-Beziehung ist auf acht bis zehn Stunden im Monat über mindestens ein Jahr festgelegt. Nach diesem Jahr kann das Mentoring-Verhältnis verlängert werden. Im Schnitt dauert eine Mentoring-Beziehung zwischen zwei und drei Jahren. „Eine neue Welt wird ein Stück weit erschlossen“, erklärt Smetacek. „Manchmal kommen verschiedene Nationen zusammen. Verschiedene Generationen sind es immer. Und verschiedene Biographien. Man lernt voneinander und miteinander.“ Internationale Studien zeigen, dass Kinder, die im BBBS-Mentoring großgeworden sind, sozial kompetenter sind als die Vergleichsgruppe. Sie können besser mit Konflikten umgehen und treten für ihre Wünsche und Bedürfnisse ein. Andere Vereine, wie etwa das Hilfswerk oder die Caritas, vermitteln Leihomas und Leihopas, wenn Großeltern in der Familie fehlen. Sie verbringen durchschnittlich zwei bis vier Stunden pro Monat mit ihrem neuen Enkelkind.

Ziel ist auch hier, dass Kinder in ihrer Leihoma oder ihrem Leihopa eine zusätzliche Bezugsperson finden. Mehrere Generationen sollen zusammengeführt werden. Karl, 58, Pensionist, ist Leihopa in Ausbildung. „Ich möchte eine erfüllende Tätigkeit, in die ich meine Lebenserfahrung einsfließen lassen kann“, sagt er. „Ich will der Gesellschaft etwas zurückgeben. Gerade in der Arbeit mit Kindern bekommt man ein großes Echo und viel Freude zurück.“

Alternativen. Die Zusammensetzung der Familie ändert sich. Wo früher noch das traditionelle Vater- Mutter-Kind-Modell das verbreitetste war, haben andere Familienformen in den letzten Jahrzehnten aufgeholt.  Heutzutage sind fast zehn Prozent aller Familien Patchworkfamilien. Die Anzahl der Alleinerziehenden hat in den vergangenen 50 Jahren um mehr als ein Drittel zugenommen.  Die Familienmodelle sind vielfältig. Und manche zeigen, dass es auch ganz anders gehen kann. Jacky und Paul sitzen in der Devi´s  Pearl Bar in Zürich und erzählen von ihrer Beziehung. Oder besser gesagt: von ihren Beziehungen.

Jacky ist verheiratet, hat mit Paul eine zweite Beziehung und noch eine Fernbeziehung in Bern. Paul hat eine Beziehung mit Jacky und eine Fernbeziehung in Wien. Er lebt mit seiner langjährigen Freundin zusammen, sie wird aber bald ausziehen – aus praktischen Gründen, damit beide mehr Privatsphäre haben, wenn sie sich mit anderen PartnerInnen treffen wollen. „Monogamie ist in unserer Gesellschaft verankert wie Schwerkraft in der Physik. Das wird einfach als von Gott gegeben angenommen. Ich glaube nicht, dass das so sein muss“, sagt Paul.

Jacky und Paul leben polyamourös. In vielen Verständnissen von Polyamorie geht es in erster Linie nicht um Sex, sondern darum, emotionale Bindungen zu mehr als einem Partner oder mehr als einer Partnerin zu leben.

Polyamourösität. Das polyamouröse Lebensmodell gibt Paulnicht zuletzt auch stabilere,  länger andauernde Beziehungen: „Wenn man auch mal was anderes sieht, hat man einen Kontrast und Abwechslung, und dann kann man eine Beziehung viel länger führen.“ Jacky erzählt von ihrem langen Entwicklungsprozess. Denn: man ist nicht einfach plötzlich polyamourös. Es findet ein grundlegender Paradigmenwechsel statt. „Du bekommst vorgelebt, dass Monogamie toll ist, und wenn dein Partner sich verliebt oder fremdgeht, ist die Beziehung sofort in Gefahr und du musst dich trennen. Genau da ist die Problematik. Du wirst sehr beeinflusst von außen, von der Familie, den Medien, von Freunden. Du musst dir aber überlegen: Was möchte ich?“

Als Jackys Mann Jürg vorbeikommt und sich zu ihnen setzt, nimmt Jacky einmal Pauls und dann Jürgs Hand. Sie lehnt sich unbewusst mal in die eine, mal in die andere Richtung, hakt sich mal bei Jürg ein, und gibt Paul einen Kuss, als sie kurz auf die Toilette verschwindet. Es scheint alles ausgeglichen zwischen den dreien. Keine Vernachlässigung eines Partners zugunsten des anderen, keine Eifersucht, keine Spannungen. Und genauso selbstverständlich und liebevoll handhaben Jacky und Jürg auch den Umgang ihrer jeweiligen Partner und Partnerinnen mit der gemeinsamen Tochter. „Vor einem Kind kannst du nichts verstecken. Die spüren das und es wäre nicht fair, ihm irgendetwas vorzumachen. Unsere Tochter kennt alle unsere Partner, und sie weiß auch, wenn ich einen Abend bei Paulbin. Je mehr Liebe sie bekommt, desto besser.“ Wenn Paul bei Jacky übernachtet und Jürg bei seiner Freundin ist, wird auch das vor ihrer gemeinsamen Tochter nicht verheimlicht.

War Paul am Abend da, fragt sie am nächsten Morgen auch nach ihm, um „Guten Morgen“ sagen zu können. „Ich glaube, dass ich mittlerweile eine Bezugsperson geworden bin, die wichtig ist für sie“, sagt Paul.

Ehrlichkeit als Schlüssel. So normal das polyamouröse Familienleben momentan für ihre  Tochter ist, machen sich Jacky und Jürg natürlich auch Gedanken darüber, wie ihre Tochter mit dem Thema in Zukunft umgehen wird, wenn sie die Andersartigkeit dieses Familienmodells von der Gesellschaft reflektiert bekommt. „Heutzutage ist die Gesellschaft schon offener als früher“, sagt Jürg. „Wenn sie Fragen hat, wird sie kommen. Sie wird von uns jede Frage ehrlich beantwortet bekommen. Ich werde vor ihr nichts verstecken“, sagtJacky. Sehr wichtig ist ihr, dass ihre Tochter Selbstverteidigung lernt. „Das gibt Selbstvertrauen“, fügt Paul hinzu. Zu Jackys und Pauls Beziehung gehört auch, dass sie Erziehungsfragen besprechen. „Ich führe eine Beziehung zu meinem Mann. Ich führe eine mit Paul. Und alles, was mich beschäftigt, teile ich mit allen“, sagt Jacky. Paul möchte aber für Jackys Tochter keinesfalls eine zusätzliche Person sein, um etwa ein „Nein“ ihrer Mutter zu umgehen. Für die direkte Erziehung ihrer Tochter sind ganz klar nur Jacky und Jürg zuständig. Bezugsperson ist er aber trotzdem, das ist ihm wichtig: „Liebe wird durch teilen mehr“, ist Paul überzeugt.

Modern Poetry an der UPenn

  • 12.02.2013, 14:30

Ein Erfahrungsbericht mit einem "massive open online course".

Ein Erfahrungsbericht mit einem "massive open online course".

Letzten September belegte ich den Kurs Modern Poetry an der University of Pennsylvania bei Professor Al Filreis. Zehn Wochen lang habe ich fast jeden Tag mit dem Professor und einigen seiner Studierenden, die uns als TutorInnen unterstützten, verbracht. Ich habe ihnen bei ihren Diskussionen über mehr als 70 Gedichte zugehört und über einen Großteil dieser Gedichte mit meinen StudienkollegInnen diskutiert – ohne einen von ihnen jemals im echten Leben gesehen zu haben.

Ich habe selten so viel in so kurzer Zeit mit so wenig Aufwand gelernt. Und fühle mich dabei von meinem MOOC-Professor besser betreut als in Massenlehrveranstaltungen unserer anonym gewordenen Universitäten. Während viele meiner Uni-ProfessorInnen nur mühsam per E-Mail zu erreichen sind (und schon gar nicht auf diesem Weg meine Fragen beantworten würden), ist mein MOOC-Professor Al Filreis in hunderten Foren des Modern Poetry-Kurses gleichzeitig unterwegs. Gemeinsam mit den TutorInnen beantwortet er Fragen der StudentInnen, regt Diskussionen an und gibt zusätzliche Informationen. Obwohl ich nur eine von 35.000 Studierenden bin, hat er mir auf viele meiner Beiträge persönlich geantwortet. Durch diese unglaubliche Präsenz – mag sie auch nur auf das Internet beschränkt sein – entwickelt sich eine Beziehung zwischen ProfessorInnen und Studierenden, die auf der realen Uni leider immer seltener zu finden ist.

Mehr zum Thema "massive open online course" erfährst du hier.

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