Johanna Brodträger

Ich sag, ich sag, was du nicht sagst

  • 30.12.2019, 15:06
Was darf gesagt werden? Wo darf geschwiegen werden? Ein Erklärungsversuch zur Debatte über Meinungsfreiheit, die sich vielmehr als Ringen um Deutungshoheit entpuppt

„Was man noch sagen darf“, titeln die Frankfurter Allgemeine und die Süddeutsche Zeitung. „Meinungsfreiheit“, schreibt sich der Spiegel groß aufs Cover und hebt dabei das Wort Unfreiheit graphisch heraus. Die Zeit stellt schon am Titelblatt den Grund für die Bedrohung fest: „63% der Deutschen glauben, man müsse sehr aufpassen, wenn man seine Meinung öffentlich äußert“. Anfang November wurde erneut eine Debatte rund um die vermeintlich bedrohte Meinungsfreiheit im Feuilleton – so nennt sich der Kulturteil anspruchsvoller Zeitungen - losgetreten. Die These lautet: Die knapper werdenden Grenzen des Sagbaren engen die Meinungsfreiheit immer weiter ein. Schuld seien im Prinzip die „politisch Korrekten“. Darunter verstanden werden hauptsächlich die politische Linke, die sogenannten Gutmenschen und vielleicht sogar am beliebtesten: die „menschenrechtsorientierten Hyperfeminist_innen“, wie es Falter-Chef Armin Thurnher so schön gesagt hat. So leicht ist das mit der Meinungsfreiheit dann aber doch nicht.

Das Dilemma der Meinungsfreiheit.

Diskurse sind im Grunde das, worüber in der Öffentlichkeit gesprochen wird. Sie sind laut dem Diskursanalytiker Michel Foucault ‎„‏als Praktiken zu behandeln, ‬die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen.“ Wer heute die öffentliche Diskussion verfolgt wird feststellen, dass die Meinungsfreiheit in Österreich nicht tatsächlich bedroht ist. Eigentlich ist das Gegenteil der Fall: Etwa konnte man in den letzten beiden Nationalratswahlkämpfen gut beobachten, dass ursprünglich identitäre Begriffe wie „Bevölkerungsaustausch“ zuerst durch die provokante Verwendung der FPÖ und dann durch die Übernahme in die mediale Berichterstattung normalisiert wurden. Damit erstarken auch die rassistischen, sexistischen, homo- und transfeindlichen Stimmen in der Gesellschaft und erfahren immer weniger Gegenhall.

Parallel zu dieser Entwicklung wird es immer weniger gern gesehen, wenn sich Personen das Recht herausnehmen, mit diskriminierenden Stimmen nicht zu diskutieren. Nun gibt es diese zwei gegensätzlichen Auffassungen: Die einen sagen, Diskriminierung sei im Sinne der Gleichheit aller Menschen einfach nicht verhandelbar. Die anderen sagen, der freie Diskurs belebe doch die Demokratie und wer sich herausnimmt, nicht auch „konservative“ Anschauungen zu verhandeln, ersticke die Demokratie im Keim. Wobei es selten um konservative Werte in ihrem eigentlichen Sinne geht, sondern schlicht und einfach um die verbale Herabsetzung gesellschaftlich Benachteiligter. Ist es wirklich möglich, dass das Weglassen diskriminierender Sprache das pluralistische Meinungsspektrum der Gesellschaft einengt?

Ein aktueller Fall, in dem genau darüber gestritten wird, ist die Causa True Fruits. Der Smoothie-Hersteller True Fruits hat sich in der Vergangenheit, um seine Produkte zu verkaufen, legaler Weise immer wieder rassistischer und sexistischer Inhalte bedient. Aus dem Widerstand der Zivilgesellschaft entwickelte sich eine effektive und breitenwirksame Bewegung: Die Kampagne „True Diskriminierung“ initiierte offene Briefe an Handelspartner_innen von True Fruits und wurde von bekannten Stimmen unterstützt. Da sich der Safthersteller nicht einsichtig zeigt, ist das Ziel den Handel zu überzeugen, die Produkte aus dem Sortiment zu nehmen. Wirklich beeinträchtigende Folgen hatte das für die Firma True Fruits noch nicht. Vielmehr galt das Marketing als gelungen, denn die Aufmerksamkeit hatten sie. Eine Menge neuer Unterstützer_innen der eigenen Ansicht gab es auch, denn der Fall hat polarisiert. Das Dilemma, in dem man scheinbar zwischen zwei Grundsätzen wählen muss, trägt sich hier perfekt zur Schau: Meinungsfreiheit oder Minderheitenschutz. Dass etwa Drittfaktoren in der Debatte rund um die Meinungsfreiheit eine Rolle spielen oder überhaupt ganz andere Aspekte ausschlaggebend sind, wird kaum in Erwägung gezogen.

Deutungshoheit.

Die ganze Diskussion dreht sich bis hierhin rund um Sprache. Und Sprache ist immer auch mit Macht verbunden. Denn Macht strukturiert und legitimiert Diskurse, so definiert es zumindest Foucault. Kurz also: Jene, die über die Deutungshoheit verfügen, bestimmen auch die öffentliche Diskussion. Wer hat diese Aufgabe bei uns inne? Der Diskurs ist in Österreich liberal dominiert. Liberal klingt ja zu allererst einmal positiv: Im Idealfall ist liberaler Diskurs nämlich frei, gleich und aufgeschlossen. Mit der Macht kommt meist aber auch ein gewisser Hochmut, der die eigene Meinung über andere stellt. Sobald das passiert, soll eigentlich nur mehr die eigene Meinung durchgebracht werden. Konsens und Kompromissfindung passieren dann oft anhand von Diskreditierungen nicht übereinstimmender Parteien. In der demokratischen Praxis werden rechte Narrative immer stärker in den Mainstream gerückt, während die radikale Idee inklusiver Sprache mit dem Argument, dass sie die Meinungsfreiheit einschränke, herabgewürdigt wird. In ihrem Buch „Politik mit der Angst“ hat die Sprachsoziologin Ruth Wodak festgestellt, dass solche Vorwürfe schlicht Versuche sind, diskriminierende Sprache zu legitimieren. Sie erläutert das am Beispiel der FPÖ, die sich immer wieder auf die Meinungsfreiheit beruft. Sie schreibt, dass solche Äußerungen sofort den Bezugsrahmen verschieben und eine neue Debatte über Meinungsfreiheit und politische Korrektheit auslösen würden. Das diene der Ablenkung zum ursprünglichen Skandal. Diese ursprünglich rechtspopulistische Strategie eignet sich die liberale „Mitte“ (Stichwort: Feuilleton) immer öfter an. Könnte die Debatte über Meinungsfreiheit vielmehr eine Ablenkungsstrategie, ein Ringen um Deutungshoheit sein?

Feministische Erfolge.

Wer um Deutungshoheit ringt, sieht das Privileg, dass die eigene Meinung die entscheidende ist, bedroht. Aber wieso soll das gerade jetzt der Fall sein? Vielleicht liegt es daran, dass der Widerstand gegen die patriarchalen Narrative der liberalen Deutungshoheit effektiver wird. Vielleicht liegt es daran, dass feministische Bestreben immer öfter Erfolge verzeichnen. Zurück zum Fall True Fruits: Im Zuge der Debatte wurde der Geschäftsführer des Unternehmens Nic Lecloux auf eine Online-Marketing-Konferenz eingeladen, um über „erfolgreiches“ Marketing zu sprechen. Infolgedessen stellten sich einige österreichische Medien die Frage: Was darf Marketing überhaupt? Ein Medium, das sich dem annahm, war die Wienerin: In einer Podcast-Folge erörtert Redakteurin Magdalena Pötsch gemeinsam mit Vertreter_innen des Werberates und der Initiative „True Diskriminierung“, wieso Marketing nicht alles darf. Dabei wird auch diskutiert, ob es sinnvoll ist, dem Geschäftsführer durch die öffentliche Kritik eine Spielfläche zu geben, um seine diskriminierenden Marketing-Strategien zu verbreiten. Die Aufmerksamkeit und Zustimmung, die der Podcast bekam, hatten die Ausladung von Nic Lecloux zufolge.

Es steht also 1:0 für den Feminismus. Sind solche kleinen Erfolge Grund genug für die Definitionsmächtigen, um ihre Privilegien zu bangen?

Offensichtlich. Nicht selten kommt es vor, dass feministische Stimmen diskreditiert werden, es sind vor allem kritische Autorinnen und Journalistinnen, die als Bedrohung wahrgenommen werden. Sie sind es nämlich, die erste Schritte gehen und anderen Frauen die Türen öffnen, indem sie ungleiche Verhältnisse sichtbar machen, wie Wienerin-Redakteurin Pötsch das tut: „Wir sehen es als unsere Aufgabe, auf Missstände hinzuweisen und über Formen von Diskriminierung aufzuklären“. Dass man als Frau mit kritischer Haltung oft auf Widerstand stößt, schildert die Journalistin so: „Was auffällt, ist, dass inhaltliche Kritik nicht selten auf eine persönliche und emotionale Ebene gehoben wird, sprich: Wir als Medium üben auf inhaltlicher Ebene Kritik, versuchen für Leser_innen nachvollziehbar strukturelle Probleme runterzubrechen - die Reaktion passiert dann hingegen oftmals auf persönlicher Ebene. Und das, obwohl in den meisten Fällen nicht einzelne Menschen per se angeprangert werden, sondern ungleich zugeschriebene Privilegien.“ Vielleicht ist es aber gar nicht so wichtig, darüber zu reden, wer wem Übel will – denn so verfällt man selbst leicht den rechten Empörungsstrategien. Wichtiger ist anzuerkennen, dass die Diskussion um Meinungsfreiheit nichtig ist, wenn sie nur von einer Seite geführt wird.

Demokratie.

Was hat es nun mit dieser Demokratie auf sich, um die wir uns angeblich sorgen müssen? Nun ja: Seitens der liberalen Deutungshoheit hätte die politisch korrekte Sprache auch Einschnitte in die Demokratie zufolge. Das ist irgendwo natürlich auch ein Widerspruch in sich: Sie sagen, Demokratie lebe von Diskussion. Aber kritische Stimmen sollten sich dennoch nicht allzu viel Gehör verschaffen dürfen. Es scheint, als wäre viel weniger die politische Korrektheit repressiv, sondern die strategisch angelegten Versuche des konservativen Mainstreams, differenzierte Gegenstimmen zu entmachten.

Wirklich demokratische Debatte sieht anders aus als der liberale Diskurs, der von wenigen Privilegierten geführt wird. Folgt man der Idee einer radikalen und pluralen Demokratie, ist demokratischer Diskurs ebenso radikal, offen und pluralistisch. Verkürzt heißt das eigentlich, dass idealer Diskurs auch feministisch ist. Und das fängt bei der Sprache an: Ungleichheit und Diskriminierung wird maßgeblich durch unsere Kultur, also auch durch Diskurs reproduziert. Um Chancengleichheit zu garantieren, muss man einen gesellschaftlichen Rahmen schaffen, in dem alle zu Wort kommen dürfen. Einen Raum, in dem man sich auf Augenhöhe und mit Haltung gegenübertritt und Diffamierung und Diskreditierung nicht einmal zur Option stehen. Damit das mit der Meinungsfreiheit auch wirklich gelingt, ist wichtig zu erkennen, welche Strukturen hinter der Diskursstrategie stecken.

Idealer Diskurs.

Meinungsfreiheit klingt so selbstverständlich. Aber mittlerweile ist sie so selbstverständlich geworden, dass selten differenziert wird: Handelt es sich um relevante Argumente? Oder werden kritische Stimmen mit irrationalen Vorwürfen der „Sprechverbote“ abgewürgt? Es ist so, dass diskriminierende Äußerungen sich oft unter den Deckmantel der Meinungsfreiheit stellen. Durch das Infragestellen dieses Verständnisses von Meinungsfreiheit könnte im Sinne eines inklusiven Feminismus die Chance ergriffen werden, einen Raum zu schaffen, indem jede_r mitreden darf, unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder sexueller Orientierung. Das steht ganz im Sinne der Demokratie und ihrer egalitären Grundwerte. Somit wird ganz schnell erkenntlich werden, dass Meinungsfreiheit und offener Diskurs auch ohne jegliche Diskriminierung gehen.

Treffen sich zwei Krisen

  • 07.05.2020, 10:59
Hat das Coronavirus unsere Sicht auf die Klimakrise geändert? Ja und Nein. Eine Analyse aus zwei Perspektiven.

Perspektive 1) Die Optimistin in uns sagt, das Coronavirus sei eine Chance für den Kampf gegen die Klimakrise.

… aus wissenschaftlicher Sicht:

Die Klima- und die Coronakrise scheinen rein umweltbedingte Probleme zu sein. Und obwohl wir immer von einem gewissen Gas (Co2) und einem gewissen Virus (Covid-19) sprechen, sind diese Probleme auch gesellschaftlich bedingt. Nun gibt es zwar keine Wechselwirkung zwischen beiden Phänomenen, aber getrennt voneinander wirken sie auch nicht: Etwa ist der Grad der Luftverschmutzung in New York diesen März nur halb so hoch wie letztes Jahr. In Europa zeigen Satelliten der europäischen Weltraumorganisation einen Rückgang an Stickoxiden, die vor allem durch Verbrennungsprozesse entstehen.

Der Wissenschaftler Marshall Burke hat berechnet, wie viele Menschenleben durch die gesundheitlichen Vorteile, die das Coronavirus seltsamerweise mit sich zieht, gerettet werden. Das tat er nicht, um die Pandemie herunterzuspielen, sondern um die Langzeiteffekte aufzuzeigen, die verminderte Luftverschmutzung hat. Er kommt bei seinen Berechnungen auf mindestens 1400 Kinder unter fünf Jahren und 51700 Erwachsene über 70 Jahren, die durch eine zweimonatige verringerte Feinstaubbelastung einem frühzeitigen Tod entrinnen würden – alleine in China.

Neben der Natur profitiert auch der Glauben an die Politik von der Coronakrise. Covid-19 habe den Status Quo gebrochen, so die amerikanische Autorin Rebecca Solnit in der britischen Tageszeitung Guardian: „Ideen, die als links galten, scheinen für immer mehr Menschen vernünftiger: Da ist Raum für Veränderung, der vorher nicht da war.“ Die Coronakrise habe gezeigt, dass der Staat noch genug Macht innehat, um seine eigentliche Aufgabe – das Beschützen der Bürger_innen – auszuführen.

… aus aktivistischer Sicht:

Jahrelang und unermüdlich haben Klimaschützer_innen die Politik aufgefordert, endlich zu handeln, doch nur schleppende Veränderung bewirkt. Das Coronavirus hat gezeigt, dass die Politik auf jeden Fall handlungsfähig ist, wenn sie will. Das sei „eine Watschen für jeden Klimaschützer“, bringt es Meteorologe und Klimaaktivist Markus Wadsak im Interview mit dem Kurier auf den Punkt. Diese Watschen bedeutet nicht notwendigerweise nur Schlechtes.

Klara, eine Aktivistin von Fridays for Future, erzählt, die Klimabewegung könne aus der aktuellen Situation viel Zuversicht schöpfen: „Wir sehen, wie schnell gehandelt werden kann, wenn die Regierungen wollen.“ Die Studentin fühlt sich ermutigt und hat Hoffnung, dass die Coronakrise „der Beginn eines nachhaltigen, sozial und ökologisch gerechten Wirtschaftens wird“. Diese Hoffnung scheint weit verbreitet. Die jungen Klimaaktivist_innen haben einen immer größeren Zulauf an Interessierten, so Klara. Hat Corona wirklich einen Perspektivenwechsel in der Gesellschaft losgetreten?

… aus der Sicht von dir und mir:

„Meine Hoffnung wurde größer, dass ein allgemeines Umdenken stattfindet und sich in absehbarer Zeit einiges verändern kann“, sagt Kathi. Sie ist 17, Schülerin, und setzt sich schon länger mit dem Klimawandel auseinander. Ein Umdenken in der Politik, aber auch in den Breiten der Gesellschaft, ist das, was ihr bisher fehlt.

Beim Coronavirus hingegen ging dieses Umdenken so schnell, dass schon bald von einer „neuen Normalität“ die Rede war. Nun wünschen sich Jugendliche kaum, dass die aktuellen Maßnahmen normal werden, sondern dass eine neue, klimagerechte Normalität entsteht. Wie etwa der 15-jährige Schüler Felix: „Jetzt sollten wir die Augen öffnen und uns gut überlegen, ob wir nach Corona genauso weitermachen wie gehabt. Oder ob wir uns doch entscheiden, die Welt für die nächsten Generationen wieder gesünder zu machen.“

Perspektive 2) Der Pessimist in uns sagt, die Coronakrise sei ein Rückschlag für den Klimaschutz

… aus wissenschaftlicher Sicht:

Einerseits freuen sich aktuell viele Menschen über Nachrichten von sauberer Luft oder die Erholung der Natur. Andererseits ist die Überschattung der nicht weniger gefährlichen Klimakrise ein Rückschritt. In einem Fachartikel resümieren Expert_innen, dass die Coronakrise zwar positive und negative Effekte auf die Umwelt hat, letztere aber größer seien. Das liegt an den kurzen Zeiträumen der Emissionsrückgänge und dem zu kurzfristig gedachten Krisenmanagement. Rückblickend auf die Finanzkrise 2008 werden „wichtige strukturelle Veränderungen“ im Kampf gegen den Klimawandel ersetzt durch „kurzfristige Symptombekämpfung“. So erklärt es Maja Göpel vom wissenschaftlichen Beirat der deutschen Bundesregierung Globale Umweltveränderung im Spiegel.

Wie und ob sich das wiederholt bewahrheitet, bleibt offen. Zumindest den Anfang hat der tschechische Premierminister Andrej Babiš schon gemacht. Er forderte die EU auf, den europäischen Green New Deal abzublasen und sich auf den Kampf gegen das Coronavirus zu fokussieren.

… aus aktivistischer Sicht:

Wenn Corona die Klimakrise verdrängt, wäre das für Umweltschützer_innen natürlich verheerend. Im Sinne der Bemühungen um sinnvolle Klimapolitik versuchen sie die Coronakrise jetzt zwar als Chance zu sehen, zweifeln aber am kapitalistischen System.

Beide Krisen verschärfen die sozialen Ungleichheiten, die durch dieses System geschürt werden. Die Bevölkerungsgruppen, die am gröbsten von diesen Krisen benachteiligt werden, sind die gleichen. Das weiß auch Klara, Aktivistin bei Fridays for Future. Sie sagt, entsprechend dieser sozialen Ungleichheiten solle man „in eine ökosoziale Zukunft mit klimagerechtem Wirtschaftssystem modellieren.“

Auf die Frage, ob wir die Klimakrise schon eingebremst hätten, wenn es sich dabei um einen Virus handeln würde, entgegnet sie: „Im Gegensatz zu neuartigen Viren haben wir in der Klimakrise alle technischen Voraussetzungen, um ihr weitestgehend entgegenzuhalten. Hier fehlt der politische Wille.“

… aus der Sicht von dir und mir:

Dass der Wille fehlt, merkt auch Journalismus-Studentin Magdalena: „Die Klimakrise ist ein Paradebeispiel für die Unbrauchbarkeit des kapitalistischen Systems abseits des Profitdenkens, was in Krisensituationen fatal ist. Denen, die tatsächlich Machtpositionen innehaben, ist die Krise einfach wurscht.“ Und dann wäre da noch die Befürchtung, vielleicht die schlimmste von allen, dass die Welt zu dem zurückkehrt, wie sie einmal war. So sagt die 23-jährige Studentin Michaela: „Ich befürchte leider, dass es, sobald sich die Situation normalisiert, heißt: Jetzt ist alles wieder beim Alten.“

Theas Weg in neuen Schuhen

  • 22.02.2020, 17:33
Geschlechterklischees sind überwindbar, findet Thea. Sie ist Studentin, Schauspielerin und sozusagen Genderaktivistin. Und das ist eine Bestandsaufnahme des Weges, den sie gerade geht.

Es ist die Nacht von Freitag auf Samstag und Thea tanzt. Im Takt des harten Technos stampft sie, ihre großen Ohrringe schillern kurz, wenn ein Lichtstrahl sie trifft. Hier auf der Tanzfläche ist es eng, heiß, laut und wirklich dunkel. Wenn wieder frischer Nebel aus den Maschinen emporsteigt, sind nur noch die bunt blinkenden Lichterröhren an der Decke des Clubs erkennbar. Die Gäste tanzen, als ob hier niemand an ein Gestern oder Morgen denkt. In diesen Momenten scheint es, als seien alle Menschen gleich. Theas Gesicht zeigt, sie fühlt sich wohl unter der tanzenden, schwitzenden Menschenmenge. Und ihr Lidschatten glitzert.

Die 20-jährige Studentin* liebt es mit ihrer Geschlechtsidentität zu spielen, Menschen zu verwirren und Normen aufzubrechen. Heute ist sie damit nicht alleine. Die Party in der Grellen Forelle steht heute ganz im Sinne der Vielfalt. Für „Homophobie, Transphobie, Sexismus, Rassismus, Antisemitismus oder toxisch maskulines Verhalten“ ist hier kein Platz, steht schon am Eingang beschildert. Die feiernde Masse im Club macht schnell deutlich, dass sie sich nicht in vielen Dingen ähnelt, aber in einer Sache einig zu sein scheint: Gesellschaftliche Konstrukte, wie etwa Gender, dürfen gerne draußen bleiben.

Gender meint in erster Linie das soziale Geschlecht und ist auch das, worauf schon Simone de Beauvoir in ihrem berühmten Zitat „Man ist nicht als Frau geboren, man wird es“ angedeutet hat. Also das, was nach außen getragen wird, an bestimmte angelernte Rollen und verinnerlichte Muster gebunden ist. Sex im Gegensatz versteht sich im Sinne der englischen Bedeutung, also dem was man gemeinhin als biologisches Geschlecht bezeichnet. In der Regel ist Gender vom Sex abhängig. Denn das Geschlechtsteil, mit dem ein Mensch geboren wird, bestimmt meist jede weitere Sozialisation. Rosa ist für Mädchen, Blau für Burschen, und so weiter. Für Thea ist Gender eine Farbe abseits dieses Spektrums: „Es ist genau wie Make- Up oder Gewand eine politische Entscheidung, die ich treffe, wenn ich zum Kasten gehe.“ Lässt man alle gesellschaftlichen Konventionen außer Acht, wäre Gender durchaus eine bewusst wählbare Sache. So scheint es zumindest an diesem Abend in der Forelle.

Am Anfang waren die Hemden Weiter weg vom DJ-Pult ist es etwas heller, die Menge lockert sich auf. Aus der gedimmten Beleuchtung der Bar und dem grünen Licht des Notausgangsschildes entsteht eine schwache Helligkeit. Thea steht in einem weiten grünen Kleid an der Bar und bestellt noch einen Spritzer. Unter ihrem langen Kleid trägt sie ein bunt gemustertes Hemd und eine grobmaschige Netzstrumpfhose. Eigentlich hat hier alles angefangen: Im Nachtleben. Thea erzählt aus der Zeit, als sie sich ihre Identität selbst noch nicht ganz zusprechen konnte: „Früher habe ich das immer aufs Fortgehen beschränkt, da konnte ich meine crazy Hemden anziehen. Dann habe ich begonnen meine crazy Hemden in der Frauenabteilung zu kaufen.“ Die Binarität von Geschlecht fällt in Kleidungsgeschäften besonders auf. Erdgeschoss Frauen, Obergeschoss Männer. Sogar hier im Club kann die Geschlechter-Zweiteilung nicht ganz ausgeblendet werden: Die Toiletten sind hier, wie fast überall auch, getrennt. Thea hält nicht unbedingt viel von solchen Grenzziehungen. „Obwohl Gender für mich ein Kommunikationswerkzeug ist, mit dem ich vermitteln kann, wer ich bin, finde ich die Kategorisierung schlecht“ erklärt sie. Nur zwei Geschlechteroptionen lassen eben wenig Spielraum für Vielfalt und Identität. Vor dem Thema Identität ist Thea eine lange Zeit weggelaufen. Schritt für Schritt näherte sie sich ihm an. Zuerst beim Fortgehen, dann im Theater, auf Reisen. Bis sich zum Rückflug aus Kopenhagen im Sommer 2019 bei Thea vieles angestaut hat: „Es war mein erster Flug allein und ich habe extreme Flugangst. Als es heftige Turbulenzen gab, habe ich zu mir gesagt: Wenn ich heil ankomme, dann werde ich mein Leben so leben – und es war wirklich so dramatisch – dass ich nichts mehr bereuen werde.“ Und das bedeutete den Schritt zu wagen und anzuerkennen, ihre bisherige Geschlechtsidentität zu hinterfragen. Sie bezeichnet sich heute als Genderfluid, das heißt ihre Geschlechtsidentität ist fließend und kann sich mit der Zeit oder je nach Situation ändern. Am Ende des Tages fühlt sich die Studentin* aber doch wohler als Frau*. „Das gibt mir mehr Energie und ich fühle mich einfach besser“ sagt sie. Ein Widerspruch als Trans*Frau gegen jene Geschlechterkategorisierungen einzutreten sei es keiner. Für Thea bedeutet Weiblichkeit nämlich ganz einfach frei zu sein: „Das umfasst für mich Make-Up, Nagellack und Schmuck zu tragen. Ohne es kategorisieren zu wollen.“

Inmitten der Gesellschaft Mit dieser Einsicht ist die 20-Jährige recht früh dran. Die meisten Trans*Frauen beginnen zwischen 28 und 35, Trans*Männer zwischen 18 und 26 Jahren mit diesem Transformationsprozess, wie eine Beraterin von TransX, einem Wiener Verein für Transgender Personen, erklärt. Das ist soweit nicht verwunderlich, immerhin braucht es hierfür eine Menge Mut. Queer zu sein, also von der Norm abzuweichen, bedeutet auch Ablehnung. Die Angst im sozialen Umfeld nicht mehr akzeptiert zu werden, sei laut TransX das Hauptproblem. Die Akzeptanz von Personen abseits des binären Geschlechterverständnisses ist immer noch nicht in alle Ecken der Gesellschaft vorgedrungen, wie etwa Ergebnisse der Studie „Queer in Wien“ zeigen. Fast ein Drittel aller Befragten haben demnach in den letzten Monaten Gewalt oder Diskriminierung erlebt. Transphobe Hassnachrichten auf sozialen Medien oder Stänkereien beim Fortgehen kennt Thea leider allzu gut. Trotzdem betont die 20-Jährige, dass sie noch keine schwerwiegende körperliche Gewalt erlebt hätte. Am prägendsten seien für sie die frühen Erfahrungen in der Schulzeit gewesen: „Bis dahin konnte ich immer sein wer ich bin, aber dann kam der Turnunterricht und ich musste bei den Burschen turnen.“ Hätten sie Mitschüler_innen damals gefragt, ob sie ein Mädchen sei, hätte sie nein gesagt. Ein Ja wäre nicht angebracht gewesen, zumindest hat sie dieses Gefühl übermittelt bekommen. Das ist jetzt anders. Weil sich Thea lange als homosexueller Cis-Mann definiert hat, zogen sich Mobbing und das „Anders-Sein“ auch schon durch ihre Zeit als Jugendliche*. „Die Zeit war sicher auch ausschlaggebend, dass ich eine gewisse Haut aufgebaut habe und jetzt gewappnet bin“ fügt sie hinzu. Mittlerweile fühlt sie sich in ihrem Umfeld größtenteils akzeptiert und wohl. „Meine Theatergruppe, mein Freundeskreis, Familie oder die Uni sind für mich Safe Spaces.“ Ihren Nebenjob als Kellnerin* würde sie noch nicht als solchen sicheren Raum bezeichnen, weiterarbeiten werde sie dort trotzdem. Dort sichtbar sein, wo es vielleicht nicht immer angenehm ist - sie sagt: „Das ist gut und wichtig.“

Schützendes Recht, sexistisches Recht. Ein Stück weit schafft es Thea mittlerweile transphobes Verhalten mit ihrem selbstbewussten Auftreten abzuwehren. Soll nicht heißen, dass starke Persönlichkeiten vor Diskriminierung bewahrt sind. Dafür gibt es in Österreich entsprechende Gesetze: Trans*Personen sind rechtlich durch das Diskriminierungsverbot geschützt. Gleichzeitig erzeugt das Recht auch strukturelle Benachteiligung, wie etwa im Namensgebungsgesetz. Da man seinen Vornamen nur entsprechend des eingetragenen Geschlechts wählen kann, benötigt es dazu im Vorhinein eine Personenstandsänderung. Diese ist seit 1983 möglich und seit 2009 nicht mehr mit einer zwingenden geschlechtsanpassenden Operation verbunden. Thea hat besagte Schritte noch nicht unternommen. Sie sei sich noch nicht sicher, ob es bei ihrem aktuellen Namen bleiben wird. „Denkbar ist es aber schon“, sagt sie lächelnd. Ein großes Problem dieser Regelungen ist die Pathologisierung. Transsexualität wird laut Klassifikation der WHO erst mit 2022 nicht mehr als psychische Störung gelten. Im Vergleich: Homosexualität wurde „schon“ Anfang der 90er aus besagtem ICD-Report, kurz für International Classification of Diseases, gestrichen. Da mit den rechtlichen Regelungen eben immer noch entmündigende Verfahren einhergehen, fordern etwa Österreichs Transgender-Gruppen in einem offenen Brief 2016, dass jegliche Änderungen nicht durch ärztliche Gutachten genehmigt, sondern durch Selbstbestimmung vollzogen werden sollten. Außerdem gibt es eine Forderung der Österreichischen Hochschüler_innenschaft den Namens- und Geschlechtseintrag an der Uni unbürokratisch ändern zu können. So könnte Thea sich mit dem Namen, über den sie sich nun primär identifiziert, zu Seminaren anmelden, ohne sich dann vor Ort gezwungenermaßen outen zu müssen. Es könnte vielen Trans*Personen ersparen, mit ihrer bisherigen Wahrnehmung von Geschlecht in Verbindung gebracht zu werden, sie könnten unerwünschter Zurschaustellung entgehen.

Die Sache mit der Sichtbarkeit Zum Thema Sichtbarkeit herrscht in der Trans*Community ein ambivalentes Verhältnis, wie der Wiener Verein TransX erklärt: Einerseits sind die meisten Trans*Personen „eher unfreiwillig als freiwillig sichtbar“. Andererseits hilft die Sichtbarkeit von Trans*Personen Anerkennung in der Gesellschaft zu stiften und auch Impulse zu geben, wie bei Thea. Leute zu sehen, die sind wer sie sind, habe sie inspiriert, sich nicht weiter in einer Opferrolle zu suchen: „Ich bin kein Opfer der Gesellschaft, sondern eine Vorreiterin*.“ Thea nutzt ihre Sichtbarkeit jetzt, um genau das zu sein. Alltag ist bei Thea Aktivismus. Sie findet sich mittlerweile in einer stabilen Situation wieder, in der sie versucht, immer ein Zeichen zu setzten, wenn sie Kraft dazu hat. „Ich gehe durch den 15. Bezirk mit meinem Kleid und wenn die Leute mich blöd anschauen, dann schau ich halt zurück. Das ist eine liebevolle Provokation“ schmunzelt sie. Am Tag vor der Clubnacht bummelt Thea über eine Einkaufsstraße. Sie möchte sich ein Outfit für die anstehende Party besorgen. Es leuchten Schilder in den verschiedensten Farben aus den Schaufenstern: Rot, ein grelles Gelb, Pink oder einfach nur Schwarz. Auf allen steht bedeutungsgemäß das gleiche. Abverkauf. Die Studentin* schlendert durch die Gänge eines Schuhgeschäfts. Schwarze Stiefeletten fallen ihr ins Auge. Ob es diese auch in ihrer Schuhgröße gäbe? Sie fragt nach. Die Sondergrößen wären im Untergeschoß, meint die Verkäuferin. Dort wo sich im stationären Einzelhandel wohl selten ein modischer Schuh hinverirrt hat. Deshalb sollten sie laut Thea dort auch besser bleiben. Im Internet würde sie bestimmt schöne Schuhe finden, die ihr passen. Und bei nächster Gelegenheit würde sie schon darin tanzen.

Anmerkung: Das Gendersternchen (*) wird in diesem Text verwendet, um die Realität geschlechtlicher Vielfalt auch in der Sprache sichtbar zu machen.