Treffen sich zwei Krisen

  • 07.05.2020, 10:59
Hat das Coronavirus unsere Sicht auf die Klimakrise geändert? Ja und Nein. Eine Analyse aus zwei Perspektiven.

Perspektive 1) Die Optimistin in uns sagt, das Coronavirus sei eine Chance für den Kampf gegen die Klimakrise.

… aus wissenschaftlicher Sicht:

Die Klima- und die Coronakrise scheinen rein umweltbedingte Probleme zu sein. Und obwohl wir immer von einem gewissen Gas (Co2) und einem gewissen Virus (Covid-19) sprechen, sind diese Probleme auch gesellschaftlich bedingt. Nun gibt es zwar keine Wechselwirkung zwischen beiden Phänomenen, aber getrennt voneinander wirken sie auch nicht: Etwa ist der Grad der Luftverschmutzung in New York diesen März nur halb so hoch wie letztes Jahr. In Europa zeigen Satelliten der europäischen Weltraumorganisation einen Rückgang an Stickoxiden, die vor allem durch Verbrennungsprozesse entstehen.

Der Wissenschaftler Marshall Burke hat berechnet, wie viele Menschenleben durch die gesundheitlichen Vorteile, die das Coronavirus seltsamerweise mit sich zieht, gerettet werden. Das tat er nicht, um die Pandemie herunterzuspielen, sondern um die Langzeiteffekte aufzuzeigen, die verminderte Luftverschmutzung hat. Er kommt bei seinen Berechnungen auf mindestens 1400 Kinder unter fünf Jahren und 51700 Erwachsene über 70 Jahren, die durch eine zweimonatige verringerte Feinstaubbelastung einem frühzeitigen Tod entrinnen würden – alleine in China.

Neben der Natur profitiert auch der Glauben an die Politik von der Coronakrise. Covid-19 habe den Status Quo gebrochen, so die amerikanische Autorin Rebecca Solnit in der britischen Tageszeitung Guardian: „Ideen, die als links galten, scheinen für immer mehr Menschen vernünftiger: Da ist Raum für Veränderung, der vorher nicht da war.“ Die Coronakrise habe gezeigt, dass der Staat noch genug Macht innehat, um seine eigentliche Aufgabe – das Beschützen der Bürger_innen – auszuführen.

… aus aktivistischer Sicht:

Jahrelang und unermüdlich haben Klimaschützer_innen die Politik aufgefordert, endlich zu handeln, doch nur schleppende Veränderung bewirkt. Das Coronavirus hat gezeigt, dass die Politik auf jeden Fall handlungsfähig ist, wenn sie will. Das sei „eine Watschen für jeden Klimaschützer“, bringt es Meteorologe und Klimaaktivist Markus Wadsak im Interview mit dem Kurier auf den Punkt. Diese Watschen bedeutet nicht notwendigerweise nur Schlechtes.

Klara, eine Aktivistin von Fridays for Future, erzählt, die Klimabewegung könne aus der aktuellen Situation viel Zuversicht schöpfen: „Wir sehen, wie schnell gehandelt werden kann, wenn die Regierungen wollen.“ Die Studentin fühlt sich ermutigt und hat Hoffnung, dass die Coronakrise „der Beginn eines nachhaltigen, sozial und ökologisch gerechten Wirtschaftens wird“. Diese Hoffnung scheint weit verbreitet. Die jungen Klimaaktivist_innen haben einen immer größeren Zulauf an Interessierten, so Klara. Hat Corona wirklich einen Perspektivenwechsel in der Gesellschaft losgetreten?

… aus der Sicht von dir und mir:

„Meine Hoffnung wurde größer, dass ein allgemeines Umdenken stattfindet und sich in absehbarer Zeit einiges verändern kann“, sagt Kathi. Sie ist 17, Schülerin, und setzt sich schon länger mit dem Klimawandel auseinander. Ein Umdenken in der Politik, aber auch in den Breiten der Gesellschaft, ist das, was ihr bisher fehlt.

Beim Coronavirus hingegen ging dieses Umdenken so schnell, dass schon bald von einer „neuen Normalität“ die Rede war. Nun wünschen sich Jugendliche kaum, dass die aktuellen Maßnahmen normal werden, sondern dass eine neue, klimagerechte Normalität entsteht. Wie etwa der 15-jährige Schüler Felix: „Jetzt sollten wir die Augen öffnen und uns gut überlegen, ob wir nach Corona genauso weitermachen wie gehabt. Oder ob wir uns doch entscheiden, die Welt für die nächsten Generationen wieder gesünder zu machen.“

Perspektive 2) Der Pessimist in uns sagt, die Coronakrise sei ein Rückschlag für den Klimaschutz

… aus wissenschaftlicher Sicht:

Einerseits freuen sich aktuell viele Menschen über Nachrichten von sauberer Luft oder die Erholung der Natur. Andererseits ist die Überschattung der nicht weniger gefährlichen Klimakrise ein Rückschritt. In einem Fachartikel resümieren Expert_innen, dass die Coronakrise zwar positive und negative Effekte auf die Umwelt hat, letztere aber größer seien. Das liegt an den kurzen Zeiträumen der Emissionsrückgänge und dem zu kurzfristig gedachten Krisenmanagement. Rückblickend auf die Finanzkrise 2008 werden „wichtige strukturelle Veränderungen“ im Kampf gegen den Klimawandel ersetzt durch „kurzfristige Symptombekämpfung“. So erklärt es Maja Göpel vom wissenschaftlichen Beirat der deutschen Bundesregierung Globale Umweltveränderung im Spiegel.

Wie und ob sich das wiederholt bewahrheitet, bleibt offen. Zumindest den Anfang hat der tschechische Premierminister Andrej Babiš schon gemacht. Er forderte die EU auf, den europäischen Green New Deal abzublasen und sich auf den Kampf gegen das Coronavirus zu fokussieren.

… aus aktivistischer Sicht:

Wenn Corona die Klimakrise verdrängt, wäre das für Umweltschützer_innen natürlich verheerend. Im Sinne der Bemühungen um sinnvolle Klimapolitik versuchen sie die Coronakrise jetzt zwar als Chance zu sehen, zweifeln aber am kapitalistischen System.

Beide Krisen verschärfen die sozialen Ungleichheiten, die durch dieses System geschürt werden. Die Bevölkerungsgruppen, die am gröbsten von diesen Krisen benachteiligt werden, sind die gleichen. Das weiß auch Klara, Aktivistin bei Fridays for Future. Sie sagt, entsprechend dieser sozialen Ungleichheiten solle man „in eine ökosoziale Zukunft mit klimagerechtem Wirtschaftssystem modellieren.“

Auf die Frage, ob wir die Klimakrise schon eingebremst hätten, wenn es sich dabei um einen Virus handeln würde, entgegnet sie: „Im Gegensatz zu neuartigen Viren haben wir in der Klimakrise alle technischen Voraussetzungen, um ihr weitestgehend entgegenzuhalten. Hier fehlt der politische Wille.“

… aus der Sicht von dir und mir:

Dass der Wille fehlt, merkt auch Journalismus-Studentin Magdalena: „Die Klimakrise ist ein Paradebeispiel für die Unbrauchbarkeit des kapitalistischen Systems abseits des Profitdenkens, was in Krisensituationen fatal ist. Denen, die tatsächlich Machtpositionen innehaben, ist die Krise einfach wurscht.“ Und dann wäre da noch die Befürchtung, vielleicht die schlimmste von allen, dass die Welt zu dem zurückkehrt, wie sie einmal war. So sagt die 23-jährige Studentin Michaela: „Ich befürchte leider, dass es, sobald sich die Situation normalisiert, heißt: Jetzt ist alles wieder beim Alten.“

AutorInnen: Johanna Brodträger