Oktober 2009

Ich komme zu dir

  • 13.07.2012, 18:18

Die bosnisch-österreichische Regisseurin Nina Kusturica war einst selbst Asylantin. Nun hat sie einen Film über unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gemacht, die in Europa auf der Suche nach ihrem Glück sind.

Die bosnisch-österreichische Regisseurin Nina Kusturica war einst selbst Asylantin. Nun hat sie einen Film über unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gemacht, die in Europa auf der Suche nach ihrem Glück sind.

Ich habe den Tod gerufen, aber er ist nicht gekommen. Sogar der Tod hasst uns“, sagt Jawid Najafi, einer der Protagonisten des Films „Little Alien“.
Das Filmteam rund um Regisseurin und Produzentin Kusturica zeigt unbegleitete minderjährige Flüchtlinge auf ihren Weg in die EU. Sie kommen aus Afrika und Afghanistan, sie sind geflüchtet vor Hunger und Verfolgung und erzählen von der ständigen Angst vor der Polizei und wie sie sich in LKWs versteckten,  um die vielen Grenzen und Kilometer ihrer Reise zu überwinden.
Die Schilderungen vom Überwinden des Meeres oder hoher Berge wirken im Film sehr sachlich, fast emotionslos – die Tristesse und das Grauen, die zu sehen sind, erscheinen den ZuseherInnen wie ein selbstverständlicher Teil des Lebens der Kinder.
Man sieht wuchtige Grenzposten, High-Tech-Sicherheitssysteme und Mauern, die die Berliner Mauer geradezu mickrig wirken lassen. Wer die Bilder sieht, dem drängt sich ein Bild von Europa als menschenfeindlicher Festung auf. 
Ein zentraler Schauplatz des Films ist Wien, hier wurden Szenen mit Jugendlichen gedreht, die die Stadt von unten kennen lernen. Sie werden angepöbelt, von der Polizei ein klein wenig schikaniert, und immer und immer wieder müssen sie irgendwelche Behördenwege erledigen.
Regisseurin Kustarica wollte auch im Flüchtlingslager Traiskirchen drehen, doch sie bekam keine Drehgenehmigung. Kustarica kennt den Asylapparat: Sie floh nach Kriegsausbruch als 17-Jährige nach Österreich, allerdings nicht unbegleitet, sondern gemeinsam mit ihren Eltern.
Trotzdem fühlt sich die Regisseurin den unbegleiteten „Little Aliens“ verpflichtet. Aus gutem Grund: Allein im Jahr 2008 stellten in Österreich 872 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge einen Antrag auf Asyl.
Diese Kinder kommen nach Österreich und versuchen hier, ihr Leben neu zu gestalten und kämpfen für ihr Recht auf eine halbwegs unbeschwerte Jugend.
Obwohl ihr Leben hier vor allem von Gesetzen bestimmt wird, nehmen es die Kinder mit erstaunlich viel Humor und haben ihre eigenen Mechanismen entwickelt, die ihnen helfen, ihre Probleme zu bewältigen. Sie leben ihre Jugend laut und frech, sie verlieben sich und trennen sich, genauso wie alle Jugendlichen auf dieser Welt. Es sind jedenfalls Leben im Ausnahmezustand.

Zurück zur Elite

  • 13.07.2012, 18:18

Hertha Firnberg forcierte einst eine Demokratisierung der Universitäten und öffnete sie für ArbeiterInnenkinder. Seit einigen Jahren sind ihre Errungenschaften bedroht, Wissenschaftsminister Johannes Hahn (ÖVP) arbeitet daran, den freien Hochschulzugang zu zerstören.

Hertha Firnberg forcierte einst eine Demokratisierung der Universitäten und öffnete sie für ArbeiterInnenkinder. Seit einigen Jahren sind ihre Errungenschaften bedroht, Wissenschaftsminister Johannes Hahn (ÖVP) arbeitet daran, den freien Hochschulzugang zu zerstören.

Das Universitätsorganisationsgesetz von 1975 war ein Meilenstein für die Entwicklung österreichischer Universitäten. Das Gesetz trug maßgeblich die Handschrift der damaligen SPÖ-Ministerin Hertha Firnberg, die damit folgendes initiieren wollte: die Transparenz aller universitären Entscheidungen und demokratische Mitsprache und Mitbestimmung aller Menschen, die an der Hochschule tätig sind. Dies alles sollte der Qualität von Forschung und Lehre dienlich sein. Zusätzlich sollte die Verantwortung zwischen Universität und Gesellschaft geteilt werden, so der damalige Beschluss.
Am 10. Juni 2009 wurde das Universitätsgesetz von 2002 novelliert. Damit werden Bachelor- und Masterzugangsbeschränkungen ermöglicht, Studieneingangsphasen (die knock-out-Prüfungen gleichen) verpflichtend und die demokratische Mitbestimmung der Studierenden beschnitten.

Umbau. Der Umbau des Hochschulwesens nach den Kriterien einer konservativen und wirtschaftsliberalen Ideologie hat schon vor knapp zehn Jahren begonnen. 1999 enigten sich die europäischen WissenschaftsministerInnen auf die Vereinheitlichung des europäischen Hochschulraums. Von Seiten der schwarz-blauen Regierung wurde das als Freischein zur kompletten Neukonzeptionierung nach den schon erwähnten Kriterien gesehen. Ministerin Elisabeth Gehrer (ÖVP) führte die Studiengebühren ein, ihr Nachfolger Minister Elisabeth Hahn (ÖVP) die Möglichkeit, Zugangsbeschränkungen zu installieren. 

Veränderungen. Die österreichischen Universitäten folgten bis in die 70er dem Muster der Ordinarienuniversität. Diese Form der Universitätsorganisation beschreibt ein Modell von mehr oder weniger lose miteinander verknüpften Instituten, denen jeweils eine Professorin oder ein Professor vorsteht. StudentInnen haben nicht ein Fach studiert, sondern bei einem der ProfessorInnen. Diese Struktur bedeutete, dass Studierende den Lehrenden völlig ausgeliefert waren.
Hertha Firnberg, die erste Wissenschaftsministerin Österreichs, hat dies am eigenen Leib erfahren, als ein Professor sich weigerte, Frauen bei einer Prüfung positiv zu benoten. Sie musste ihr Studium wechseln, um sich dieser Schikane zu entziehen.
Als Ministerin änderte sie dieses System radikal zu Gunsten der Studierenden. Die Ordinarienuniversität wurde zur Gruppenuniversität. Zum einen schaffte sie die Studiengebühren ab, die bis dahin nur einer kleinen Elite ein Universitätsstudium erlaubten. Zum anderen änderte sie die innere Struktur der Universitäten. Die mächtige Position der ProfessorInnen wurde zu Gunsten eines Mitspracherechts beschnitten, von dem nun alle an der Universität vertretenen Gruppen profitieren sollten. 

Drittelparität. Damals wurde auch die Drittelparität eingeführt. Das bedeutete, dass Studierende, AssistentInnen und ProfessorInnen nun gleichberechtigt über die Vorgänge an den Universitäten entscheiden durften. In einigen Bereichen musste die geplante Drittelparität aber zu Gunsten von 50% ProfessorInnen und jeweils 25% Studierende und AssistentInnen aufgegeben werden, weil der Widerstand der ProfesorInnen gegen die neue Regelung zu groß war.. Sie drohten mit Streik und zeigten sich von Firnberg „persönlich enttäuscht“. Firnberg konterte lakonisch, dass „die Männer so schrecklich emotional“ seien und sah dem Streik gelassen entgegen, weil „die Herren Professoren nicht so unentbehrlich sind, wie sie glauben“. Dass nicht geheizt werde oder keine Rechnungen ’zahlt werden – das würd’ ma ja spürn“. (Firnberg konnte zuvor sowohl die Studierenden, wie die AssistentInnen als auch das Verwaltungspersonal für ihre Reformen gewinnen).
Gegen den ausdrücklichen Willen der ProfessorInnen, der Opposition (ÖVP, FPÖ) und des gesamtem konservativen Lagers wurde das UOG 1975 beschlossen. Ein absolutes Novum für ein Bildungsgesetz.

Demokratisierung. Die Öffnung und Demokratisierung der Universitäten führte dazu, dass mehr Leute aus den so genannten bildungsfernen Schichten den Weg an eine Hochschule fanden und diese auch abschlossen. „Mehr ArbeiterInnenkinder an die Universität“ war ein Credo von Firnberg, dem sie sich verpflichtet sah. Auch der Anteil der Studentinnen stieg rapide an. (Diskriminierungen im Ordinarienmodell, wie sie das Beispiel Firnbergs zeigte, waren kein Einzelfall). Der offene Hochschulzugang an österreichischen Universitäten war geboren.
Gleichzeitig stieg auch das Budget der Universitäten in den Jahren Firnbergs als Ministerin von  2,3 Millarden Schilling (1970) auf 10 Milliarden Schilling (1982). Ebenfalls wurden die Planstellen (ProfessorInnen, außerordentliche ProfessorInnen, AssistentInnen) von 8600 (1970) auf 12600 (1982) erhöht. 

Rücknahmen. Nach und nach wurden diese Errungenschaften zerstört. Zum einen mit einer schwarz-blauen Regierung, die die Studiengebühren wieder einführte, Universitäten wie Unternehmen geführt wissen wollte und die demokratische Direktwahl der ÖH abschaffte. Zum anderen mit Minister Hahn, der den freien Hochschulzugang abschaffte. 
Mittlerweile sind die Universitäten zurück bei einer quasi Alleinherrschaft der ProfessorInnen, die in allen Gremien die Mehrheit stellen. Zugangsbeschränkungen wurden neu errichtet, die Lehre an den Universitäten ist konsequent unterfinanziert und die Universitäten verfügen über zu wenige Planstellen in der Lehre. Das Wissenschaftsministerium stiehlt sich mit der „Autonomie der Universitäten“ aus der gesellschaftlichen Verantwortung.
Die Umstände und Probleme heutzutage gleichen denen vor dem UOG 75, auch wenn das Modell ein anderes war.  Das zeigt, dass sich jedes System verändern lässt, wenn der politische Wille dafür da ist.

Rechtsdrall in EUropa?

  • 13.07.2012, 18:18

Konservative dominieren Parlament und Kommission der Europäischen Union. Welche Aussichten hat eine progressive EU-Politik?

Konservative dominieren Parlament und Kommission der Europäischen Union. Welche Aussichten hat eine progressive EU-Politik?

„Wenn man die Globalisierung regulieren will, da kann man mir erzählen, was man will, wenn man da nicht Europa als Hebel hat, dann hat man gar keinen“, sagte vor kurzem Daniel Cohn-Bendit, Fraktionschef der Europäischen Grünen, der bekannt ist für seine pro-europäischen Positionen. Hat er Recht?
Im Juni haben die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ein neues Parlament gewählt. Dieses wird von konservativen und rechten Parteien dominiert – deutlicher als jemals zuvor. Die einst starken SozialdemokratInnen wurden auf ein Viertel der Sitze reduziert, aus dem linken Lager legten nur die Grünen zu. 

Auf nationaler Ebene, die bei der Ernennung der EU-KomissarInnen wichtig ist, sieht es für die Linke nicht besser aus: Nur sieben von 27 RegierungschefIinnen in der EU werden von ihr gestellt. (in Spanien, Portugal, Griechenland, Österreich, Ungarn, Slowakei, Großbritannien).
Bis Mitte der neunziger Jahre stellte die Fraktion der SozialistenInnen und SozialdemokratInnen die Mehrheit im EU-Parlament – doch diese Zeiten einer linken Hegemonie sind vorbei, die Rechten haben nun das Sagen in Europa. Und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem der EU-Vertrag von Lissabon kurz vor der Ratifizierung steht, was die EU sehr viel mächtiger machen wird.
Mit der positiven Abstimmung in Irland scheint der Lissabon-Vertrag – also de facto die EU-Verfassung – greifbar. Die Union wird mit dem Vertrag eine Rechtspersönlichkeit, die die Kompetenzen der Nationalstaaten noch enger beschneiden wird. Eine Persönlichkeit, deren Wesen vom Wunsch nach „freiem und unverfälschtem Wettbewerb“ bestimmt sein wird. Wie mit einem solchen Charakterzug die „Globalisierung reguliert“ werden soll, ist sehr fraglich.
Auf andere Charakterzüge wurde dafür verzichtet, als die Lissabonner „Rechtspersönlichkeit“ erschaffen wurde, sagen KritikerInnen des Vertrags. „Grundsätzliche Dinge wie ein europaweiter Mindestlohn und ein Streikrecht fehlen in der europäischen Gesetzgebung“, kritisiert der Innsbrucker Politologe Arno Tausch. EU-Staaten könnten sich weiterhin gegenseitig Konkurrenz um die niedrigsten Löhne und Sozialstandards machen, um Unternehmen eine Niederlassung schmackhaft zu machen. „Die Ungleichheit zwischen Armen und Reichen wird so immer größer, das ist ein Tanz ums goldene Kalb“, sagt Tausch.
Befürworter des neuen Grundvertrages beharren trotz solcher Kritik, dass der Vertrag von Lissabon Europa demokratischer und sozialer machen wird. Die Rechte des Parlaments gegenüber der EU-Kommission und dem Rat der EU würden gestärkt werden. Das vom Volk direkt gewählte Parlament hätte nun erstmals die Möglichkeit, in vielen entscheidenden Politikbereichen seine Meinung durchzusetzen. Soziale Mindeststandards könnten durch den Vertrag erstmals in der ganzen EU durchgesetzt werden.
Gegner des Vertrags wollen das nicht glauben. Sie orten bei der dem EU-Parlament angedachten Rolle demokratische Defizite. Auch in naher Zukunft wird es nicht das Recht haben, eigene Gesetze vorzuschlagen. Die Initiative liegt weiter bei der Kommission, die von den einzelnen Regierungen bestellt wird. Auch das „Europäische Volksbegehren“, das im Vertragswerk vage angesprochen wird, blieb bislang undefiniert.

Besonders betroffen von einem auf Wettbewerb aufgebauten Europa sind die neuen Mitgliedsländer des ehemals kommunistischen Osteuropas. Der Politikwissenschaftler Ulrich Brand sieht die Öffnung neuer Märkte in den östlichen Beitrittsländern als wesentliches Motiv für die EU-Osterweiterung. Versprechungen vom Segen der Marktwirtschaft hätten zu einer wirtschaftlichen „Kolonialisierung durch den Westen“ im Osten Europas geführt. „Es gab zwar einen Wohlstandszuwachs im Osten, aber es öffnete sich auch die Schere zwischen Arm und Reich“, sagt Brand. In zehn Jahren werde die Wende anders diskutiert werden, ist der studierte Betriebswirt sicher. „Es wird gefragt werden: Welche Alternativen sind verpasst worden?“ Mit der Privatisierung von Staatsbetrieben sei jedenfalls „Volksvermögen“ verschleudert worden.
Daniel Cohn-Bendit kann das nicht gegen den Lissabon-Vertrag aufbringen, er setzt auf eine Veränderung von innen. Die Europäischen Grünen müssten es schaffen, „die notwendige Transformation des Kapitalismus zu verbinden mit einer europäischen Positionierung“, sagte er vor kurzem einer österreichischen Tageszeitung.
Wie er sich damit gegen die rechte Mehrheit behaupten will? „Es geht mir auf den Geist, dass es immer nur gegen Nicolas Sarkozy geht, ich bin für Europa“, sagte Cohn-Bendit.

 

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