Rechtsdrall in EUropa?

  • 13.07.2012, 18:18

Konservative dominieren Parlament und Kommission der Europäischen Union. Welche Aussichten hat eine progressive EU-Politik?

Konservative dominieren Parlament und Kommission der Europäischen Union. Welche Aussichten hat eine progressive EU-Politik?

„Wenn man die Globalisierung regulieren will, da kann man mir erzählen, was man will, wenn man da nicht Europa als Hebel hat, dann hat man gar keinen“, sagte vor kurzem Daniel Cohn-Bendit, Fraktionschef der Europäischen Grünen, der bekannt ist für seine pro-europäischen Positionen. Hat er Recht?
Im Juni haben die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ein neues Parlament gewählt. Dieses wird von konservativen und rechten Parteien dominiert – deutlicher als jemals zuvor. Die einst starken SozialdemokratInnen wurden auf ein Viertel der Sitze reduziert, aus dem linken Lager legten nur die Grünen zu. 

Auf nationaler Ebene, die bei der Ernennung der EU-KomissarInnen wichtig ist, sieht es für die Linke nicht besser aus: Nur sieben von 27 RegierungschefIinnen in der EU werden von ihr gestellt. (in Spanien, Portugal, Griechenland, Österreich, Ungarn, Slowakei, Großbritannien).
Bis Mitte der neunziger Jahre stellte die Fraktion der SozialistenInnen und SozialdemokratInnen die Mehrheit im EU-Parlament – doch diese Zeiten einer linken Hegemonie sind vorbei, die Rechten haben nun das Sagen in Europa. Und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem der EU-Vertrag von Lissabon kurz vor der Ratifizierung steht, was die EU sehr viel mächtiger machen wird.
Mit der positiven Abstimmung in Irland scheint der Lissabon-Vertrag – also de facto die EU-Verfassung – greifbar. Die Union wird mit dem Vertrag eine Rechtspersönlichkeit, die die Kompetenzen der Nationalstaaten noch enger beschneiden wird. Eine Persönlichkeit, deren Wesen vom Wunsch nach „freiem und unverfälschtem Wettbewerb“ bestimmt sein wird. Wie mit einem solchen Charakterzug die „Globalisierung reguliert“ werden soll, ist sehr fraglich.
Auf andere Charakterzüge wurde dafür verzichtet, als die Lissabonner „Rechtspersönlichkeit“ erschaffen wurde, sagen KritikerInnen des Vertrags. „Grundsätzliche Dinge wie ein europaweiter Mindestlohn und ein Streikrecht fehlen in der europäischen Gesetzgebung“, kritisiert der Innsbrucker Politologe Arno Tausch. EU-Staaten könnten sich weiterhin gegenseitig Konkurrenz um die niedrigsten Löhne und Sozialstandards machen, um Unternehmen eine Niederlassung schmackhaft zu machen. „Die Ungleichheit zwischen Armen und Reichen wird so immer größer, das ist ein Tanz ums goldene Kalb“, sagt Tausch.
Befürworter des neuen Grundvertrages beharren trotz solcher Kritik, dass der Vertrag von Lissabon Europa demokratischer und sozialer machen wird. Die Rechte des Parlaments gegenüber der EU-Kommission und dem Rat der EU würden gestärkt werden. Das vom Volk direkt gewählte Parlament hätte nun erstmals die Möglichkeit, in vielen entscheidenden Politikbereichen seine Meinung durchzusetzen. Soziale Mindeststandards könnten durch den Vertrag erstmals in der ganzen EU durchgesetzt werden.
Gegner des Vertrags wollen das nicht glauben. Sie orten bei der dem EU-Parlament angedachten Rolle demokratische Defizite. Auch in naher Zukunft wird es nicht das Recht haben, eigene Gesetze vorzuschlagen. Die Initiative liegt weiter bei der Kommission, die von den einzelnen Regierungen bestellt wird. Auch das „Europäische Volksbegehren“, das im Vertragswerk vage angesprochen wird, blieb bislang undefiniert.

Besonders betroffen von einem auf Wettbewerb aufgebauten Europa sind die neuen Mitgliedsländer des ehemals kommunistischen Osteuropas. Der Politikwissenschaftler Ulrich Brand sieht die Öffnung neuer Märkte in den östlichen Beitrittsländern als wesentliches Motiv für die EU-Osterweiterung. Versprechungen vom Segen der Marktwirtschaft hätten zu einer wirtschaftlichen „Kolonialisierung durch den Westen“ im Osten Europas geführt. „Es gab zwar einen Wohlstandszuwachs im Osten, aber es öffnete sich auch die Schere zwischen Arm und Reich“, sagt Brand. In zehn Jahren werde die Wende anders diskutiert werden, ist der studierte Betriebswirt sicher. „Es wird gefragt werden: Welche Alternativen sind verpasst worden?“ Mit der Privatisierung von Staatsbetrieben sei jedenfalls „Volksvermögen“ verschleudert worden.
Daniel Cohn-Bendit kann das nicht gegen den Lissabon-Vertrag aufbringen, er setzt auf eine Veränderung von innen. Die Europäischen Grünen müssten es schaffen, „die notwendige Transformation des Kapitalismus zu verbinden mit einer europäischen Positionierung“, sagte er vor kurzem einer österreichischen Tageszeitung.
Wie er sich damit gegen die rechte Mehrheit behaupten will? „Es geht mir auf den Geist, dass es immer nur gegen Nicolas Sarkozy geht, ich bin für Europa“, sagte Cohn-Bendit.

 

AutorInnen: Alexander Fanta