November 2007

Demokratie von unten

  • 29.09.2012, 03:21

Der westafrikanische Staat Mali wird von seinen BürgerInnen demokratisiert.

Der westafrikanische Staat Mali wird von seinen BürgerInnen demokratisiert.

Afrikanischen Regierungen wird gerne Korruption, Nepotismus und Kleptomanie zugeschrieben – eine Einschätzung, die von vielen Exil-AfrikanerInnen geteilt wird. Auch in Mali ist die Regierung äußerst unbeliebt. Aber das zu den ärmsten Ländern der Welt zählende Mali hebt sich von anderen afrikanischen Staaten deutlich ab. Die MalierInnen leben – trotz korrupter Eliten – in einer funktionierenden Demokratie und zeigen, dass Demokratie etwas ist, das von unten kommt.
Vor 16 Jahren fing alles an: Die damaligen Machthaber Malis ließen eine Demonstration niederschießen, woraufhin der Offizier Amadou Toumani Toure, genannt ATT, ins Lager der Aufständischen wechselte und die alte Regierung wegputschte. Kein ungewöhnliches Ereignis für die afrikanischen Länder schon hunderte Militärregierungen erlebten. Das besondere daran war, dass ATT kurze Zeit später seine frisch gewonnene Macht an eine zivile Regierung abgab. „Wenn der zivile Staatschef vereidigt ist, kann ich mich zur Ruhe setzen, Fußball spielen und Fallschirm springen“, sagte Toure.

Korruption reloaded. Wer glaubt, dass die zivilen MachthaberInnen daraufhin die Herzen der Bevölkerung eroberten, der irrt. Die Regierungen dümpelten vor sich hin, betrieben Klientelismus, die Beteiligung an den Wahlen war niedrig, die MalierInnen blieben bitterarm und die Pro-Kopf-Verschuldung stieg und stieg. 2002 trat der bei der Bevölkerung noch immer sehr beliebte ATT selbst noch einmal zum Rennen um das Präsidentenamt an und konnte 64 Prozent der Stimmen auf sich vereinen; aber trotz seiner Popularität gingen auch bei dieser Wahl nur drei von zehn MalierInnen zur Wahl. ATT ist auch heute noch im Amt – konnte dem parlamentarischen Staatssystem aber bis dato kein neues Leben einhauchen. Eher im Gegenteil: Vor kurzem wurde bekannt, dass der Staat im vergangenen Jahr 150 Millionen Euro unterschlug, diese Summe entspricht 70 Prozent aller staatlichen Gehälter. „Volksfeindlichen Vampirismus“, nannte das die Zeitung Les Echos.

Mutige Medien. Genau das ist aber der Punkt, der Mali von dutzenden anderen afrikanischen Staaten unterscheidet: Die Jahre der Demokratie brachten dem Land eine ansatzweise funktionierende Zivilgesellschaft und die Medien lassen sich vom Staat nicht gleichschalten und unterjochen. Amidu Diarra macht aus seinem Missmut über die herrschende Kaste kein Hehl: „Guten Tag, ihr korrupten Politiker! Guten Tag, ihr Diebe der öffentlichen Kassen! Guten Morgen ihr Arbeitsscheuen!“, beschimpft der populäre Radiomoderator die Machthaber in seiner Sendung. Vor kurzem wurde Diarra brutal zusammengeschlagen, aber in Mali gibt es an die 150 freie Radiostationen, die den Menschen nicht nur Unterhaltung bringen, sondern ihnen auch dabei helfen, ihr Leben zu organisieren und dabei auch politische Probleme thematisieren. Als vor kurzem fünf Journalisten verhaftet wurden, weil sie angeblich ATT beleidigt hatten, traten viele ihrer KollegInnen in Streik. Und das, obwohl die Strafe für die Verhafteten mit „Gefängnis auf Bewährung“ für afrikanische Verhältnisse relativ glimpflich ausfiel.
Die malische Demokratie hat auch den ständig von Hunger bedrohten Bauern etwas gebracht: „Sie sind nicht mehr stumm, sie haben eine Stimme: Vertretungen, Aktivisten, gewerkschaftsähnliche Verbände. Und die Bauern beginnen, wo es möglich ist, sich selbst zu organisieren, an der Basis“, schreibt die vor Ort berichtende Zeit-Journalistin Charlotte Wiedemann.

Eine Demokratie-Studie der Bertelsmann-Stiftung attestierte Mali eine schnellere Demokratisierung als Rumänien und 2006 fand der afrikanische Teil des Weltsozialforums, an dem 50 000 Menschen teilnahmen, in Malis Hauptstadt Bamako statt. Aber die Klagen der MalierInnen gegen ihre Regierung werden nicht leiser und Privatisierungen von einstigem Staatsbesitz heizen den Unmut weiter an: Als Antwort darauf, dass der Staat die malische Eisenbahn an ein französisch-kanadisches Konsortium verkauft hat, entstand ein „Bürgerkomitee für die Rückgabe der Eisenbahn“. „Wie kann ein Land, das sich souverän nennt, sein nationales Erbe verkaufen wie einen Sack Nüsse?“, fragt der promovierte malische Ingenieur und Schauspieler Tiscoura Traore.

Welcome to Nollywood

  • 29.09.2012, 03:09

Die nigerianische Filmindustrie boomt. Mit Low-Budget-Videoproduktionen hat es Nigeria geschafft, das drittgrößte Filmland der Welt zu werden. Eine Hybridform aus unterschiedlichen Genres hat dem Filmschaffen am afrikanischen Kontinent neuen post-kolonialen Schwung gegeben.

Die nigerianische Filmindustrie boomt. Mit Low-Budget-Videoproduktionen hat es Nigeria geschafft, das drittgrößte Filmland der Welt zu werden. Eine Hybridform aus unterschiedlichen Genres hat dem Filmschaffen am afrikanischen Kontinent neuen post-kolonialen Schwung gegeben.

Eine typische Nollywood-Szene: Wackelige Einstellung, schlechter Sound und oft laienhafte SchauspielerInnen. Was bei cinephilem oder Hollywood-verwöhntem Publikum zu heftigen Abwehrreflexen führen würde, erfreut sich in Nigeria und anderen afrikanischen Ländern uneingeschränkter Popularität. Nollywood-Filme sind die afrikanische Antwort auf Blockbuster aus Hollywood und glänzen durch reichliche Verwendung von Klischees, Voodoozauber, Schießereien und Romanzen. Genres wie Telenovela, Comedy und Melodrama werden zu einer ungewöhnlichen Hybridform verschmolzen. Erfahrungen des täglichen Lebens in übersteigerter Form oder Geschichten der Migration werden filmisch verarbeitet.
„In Nigeria erfand sich eine ganze Kinematografie selbst. […] Sollte irgendwer neue filmkünstlerische Impulse aus Nigeria erwarten: vorläufig wohl nicht“, schreibt Olaf Möller in die tageszeitung. Die meisten Filmschaffenden sind Autodidakten und halten sich nicht an filmische Konventionen und Bildsprachen, sondern produzieren was Spaß macht und am Ende auch Geld bringt.

Prinzip Nollywood. Das Nollywood-Kino ist rein kommerziell und bekommt keine Fördermittel. Die Filme müssen mit geringen Budgets von einigen tausend Euro auskommen. Innerhalb weniger Tage entsteht ein Nollywood-Film unter schwierigen Produktionsbedingungen, mit Digicams abgefilmt, dann am PC geschnitten und sofort auf VCD/DVD oder VHS kopiert. Ein durchschnittlicher Nollywood-Film wird anschließend an die 50.000-mal verkauft. „Nollywood spielt eine bahnbrechende Rolle in der digitalen Revolution, welche die Kinowelt formt“, schreibt Jochen Becker in der österreichischen Kunstzeitschrift „Springerin“. In den 80er Jahren brach aufgrund der Wirtschaftskrise der nigerianische Kinomarkt zusammen, seitdem wird in Nigeria auf Video produziert und auf VHS oder VCD/DVD vertrieben. Der Startpunkt von Nollywood war, dass TheatermacherInnen der Yoruba-Volksgruppe Ende der 1980er Jahre aus finanzieller Not ihre Theaterstücke auf Video filmten und dann massenhaft verkauften. Der nigerianische Filmmarkt ist heute zwischen den Volksgruppen der Yoruba und Haussa, die in ihrer Sprache produzieren, und den Igbo, die sowohl in Englisch als auch Igbo drehen, aufgeteilt.

Nollywood in Österreich. Auch bei der afrikanischen Diaspora in Österreich sind die Nollywood-Filme heiß begehrt. In der Wiener Burggasse betreiben Andrew Osakpamwam und seine Frau das Video & Snacks Paradise, die einzige Videothek in Österreich für Nollywood-Filme. Viele AfrikanerInnen kommen gern in der Videothek vorbei, erkundigen sich über die neuesten Filme und sehen sich die Neuzugänge gleich direkt in der Videothek an. Angesprochen darauf, wie viel Videos vorrätig seien, kommt Osakpamwan ins Grübeln und verweist auf die jährlich zwischen 1000 und 2000 neu produzierten Videos. Sein Lieferant aus Lagos schicke ihm regelmäßig neue Filme. „Am beliebtesten sind Komödien und Filme mit Voodoo-Thematik, Thriller sind eher unbeliebt“, sagt Andrew Osakpamwam. „In letzter Zeit geht das Geschäft leider schlechter“, meint er, „weil viele Verwandte ihren Angehörigen die Filme nach Österreich schicken.“

Internationales Interesse. Nollywood-Filme haben in den letzten Jahren international Aufmerksamkeit erregt, auf der Berlinale und beim Rotterdamer Filmfestival wurde ihnen ein kleiner Schwerpunkt gewidmet. Der US-Amerikaner Jamie Meltzer drehte 2007 „Welcome to Nollywood“, einen Dokumentarfilm, der das rege Filmschaffen in Nigeria portraitiert. Und auch die Wissenschaft wurde auf das Phänomen Nollywood aufmerksam. Im Berliner Verlag b_books erscheint Ende 2007 ein Buch von Julien Enoka-Ayemba über Nollywood, das Open-Access-Journal Postcolonial Text widmet dem Thema die Ausgabe 2/2007. Wer sich mit dem Nollywood-Kino näher vertraut machen will, dem sei ein Besuch der Videothek Video & Snacks Paradise empfohlen.

Christoph Schlemmer studiert Sozioökonomie in Wien

http://de.wikipedia.org/wiki/Nollywood

„Ein unglaublich reicher Kontinent“

  • 29.09.2012, 02:57

In afrikanischen Ländern hat Zivilgesellschaft nichts mit Gutmenschen zu tun, sondern mit (Über-)Lebensstrategien. „Da liegt eine unglaubliche Kraft dahinter“ meint die Soziologin Veronika Wittmann vom Zentrum für soziale und interkulturelle Kompetenz an der Johannes-Kepler-Universität Linz.

In afrikanischen Ländern hat Zivilgesellschaft nichts mit Gutmenschen zu tun, sondern mit (Über-)Lebensstrategien. „Da liegt eine unglaubliche Kraft dahinter“ meint die Soziologin Veronika Wittmann vom Zentrum für soziale und interkulturelle Kompetenz an der Johannes-Kepler-Universität Linz.

progress: Es ist vermutlich sehr verallgemeinernd, von „der afrikanischen Zivilgesellschaft“ zu sprechen. Was kann Zivilgesellschaft übertragen auf afrikanische Länder bedeuten?

Veronika Wittmann: Grundsätzlich einmal halte ich es für unmöglich Konzepte von Zivilgesellschaft, die in Europa und Nordamerika entstanden sind, auf einen Kontinent wie Afrika zu übertragen. Die Rahmenbedingungen unter denen zivilgesellschaftliche Bewegungen dort handeln, sind ganz andere. Die Mehrheit der so genannten fragilen Staaten, wo der Staat nicht mehr das Gewaltmonopol hat, liegt in Afrika. Und ohne jetzt wieder ein klassisches Bild reproduzieren zu wollen, es ist ein Faktum, dass von den 48 ärmsten Ländern der Welt 35 in Sub-Sahara-Afrika liegen. Das bedeutet beispielsweise Analphabetismus oder dass 80 % des Kontinents nicht elektrifiziert sind. Dann muss man natürlich die immens hohen Raten an HIV-positiven Menschen berücksichtigen. Es sind andere Kämpfe, die geführt, und andere Mittel die eingesetzt werden. Außerdem ist es tatsächlich absolut verallgemeinernd von „der afrikanischen Zivilgesellschaft“ zu sprechen. Afrika, das sind 54 Länder mit unterschiedlichen historischen Entstehungsprozessen und gegenwärtigen politischen Rahmenbedingungen dessen was man unter einer Zivilgesellschaft verstehen kann.

progress: Welche Funktion erfüllen zivilgesellschaftliche Organisationen und Bewegungen in einzelnen afrikanischen Ländern?

Wittmann: Da muss man unterscheiden nach der Form der Organisation. Es gibt die ganze Bandbreite der Non Governmental Organisations. Die erfüllen durchaus eine Rolle des Watch Dog, drängen Regierungen auf die Einhaltung und Implementierung von Gesetzen, machen auf Missstände in einer Gesellschaft aufmerksam und so weiter. Diese NGOs sind darin zu unterscheiden, ob sie Regierungsgelder annehmen oder ob es NGOs sind, die vom Norden Donor-Funding erhalten. Hier kann dann natürlich die kritische Frage gestellt werden: wer bestimmt die Themen? Ein anderer wichtiger Teil von Zivilgesellschaft in Afrika sind Community-Based-Organisations, die so genannten CBOs. Das sind beispielsweise kleine lokale Radiostationen, die es vielerorts gibt, die unglaublich wichtig sind als Informationsquelle, um Menschen, die nicht lesen und schreiben können, zu erreichen. Das passiert in lokalen Sprachen. Man darf nicht vergessen, Afrika ist der sprachenreichste Kontinent der Welt. Hier erfüllen CBOs eine sehr wichtige Funktion zwischen NGOs und der dritten Gruppe der Zivilgesellschaft in afrikanischen Ländern, den Graswurzel-Bewegungen. Bei uns würde man sie als Basisbewegungen bezeichnen. Das sind beispielsweise oft Frauengruppen, die sich zusammenschließen, um mit bescheidenen Mitteln Aktivitäten zu setzen. Da liegt eine unglaubliche Kraft dahinter, diese Gruppen sind eigentlich die driving force. Aus Müll werden Kunstgegenstände hergestellt und verkauft. Frauen besetzen Gerichtsgebäude, wenn Fehlurteile gefällt werden. Wenn in Simbabwe Lebensmittelpreise erhöht werden, sind es Frauen, die sich auf die Straße stellen und demonstrieren. Es sind immer wieder Frauengruppen, die halte ich auch für die stärkste politische Bewegung am ganzen Kontinent.

progress: Füllen NGOs, CBOs und Grass-Roots-Organisations auch Versorgungslücken, die der Staat hinterlässt?

Wittmann: Ja. Ganz wenige Länder zum Beispiel haben eine staatliche Altersversorgung. Da kommen andere Netzwerke wie Großfamilien ins Spiel. Familie ist in vielen afrikanischen Ländern das, was wir als Netzwerk bezeichnen würden, weil es 200, 300 Personen umfasst, die zahlreiche Aufgaben übernehmen, die bei uns in eine öffentliche Sphäre gerückt sind. Ein anderes wichtiges Thema im südlichen Afrika ist HIV/Aids. Botswana hat eine Rate von 38 Prozent HIV-positiven Menschen. Viele von Frauen organisierte Grass-Roots-Bewegungen übernehmen die Betreuung der großen Anzahl an Aidswaisenkindern. Das sind klassische Aufgaben, die bei uns staatlicher Natur sind. In Sub-Sahara Afrika, wenn das nicht Frauen machen würden, würde es gar niemand machen.

progress: Zivilgesellschaft in afrikanischen Ländern ist also weniger eine bewusst wahrgenommene dritte, vierte Macht im Staat, sondern schlicht und einfach das alltägliche Leben?

Wittmann: Ja, das ist richtig ausgedrückt. Weil es ja oft auch eine Frage des Überlebens ist. Kämpfen wir dafür, dass wir sauberes Trinkwasser haben oder nicht?

progress: Welchen Stellenwert haben kulturelle Initiativen innerhalb von Zivilgesellschaft?

Wittmann: Ich denke, einen großen. Es gibt in Uganda eine Musiktruppe, die „Ndere-Troup“, die in einem Kulturzentrum in Kampala arbeitet, welches mit finanzieller Unterstützung der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit entstanden ist. Die MusikerInnen und TänzerInnen informieren Menschen in ländlichen Gebieten mit ihren Auftritten zum Beispiel über Verhütung. Denn ein Informationsblatt nützt nichts, wenn man nicht lesen und schreiben kann. Gesang und Tanz sind wichtige Informationsquellen, sehr viel Aufklärungsarbeit läuft über diese kulturellen Ausdrucksformen. Kulturelle Aktivitäten spielen aus einem weiteren Grund eine wichtige Rolle. Ich denke, dass gerade Kultur ein Bereich ist, wo sich der globale Süden und der globale Norden auf einer relativ gleichwertigen, partnerschaftlichen Ebene begegnen können. Das ist oft nicht der Fall, zum Beispiel im ökonomischen Bereich. Afrika ist nach wie vor primär ein Agrarproduzent, und am Weltmarkt haben Agrarprodukte einen geringen Stellenwert.

progress: Kann das Berichten über zivilgesellschaftliche Bewegungen vor Ort dem Bild, das viele Menschen von Afrika haben, etwas hinzufügen?

Wittmann: Ja! Menschen zu zeigen, die für sich sprechen und ihre Rechte einfordern, kann dem oft existierenden Bild von unterdrückten Menschen etwas entgegen setzen. Afrika, das ist oft ein stereotypes Bild von einerseits Katastrophen und andererseits Safaris. Und dazwischen viele arme Menschen. Afrika ist auch ein unglaublich reicher Kontinent und hat ein immenses Potential an dem, was man als Zivilgesellschaft bezeichnen kann. In Südafrika habe ich eine Frau kennen gelernt, die wäre ein Paradebeispiel. Sie kann nicht lesen und schreiben, aber sie hat in Zeiten der Apartheid Widerstand geleistet. Ihr größter Traum ist ein Haus aus Backsteinen statt Wellblech und ein Dach über diesem Haus. Und das ist auch eine Frau, die zusammen mit anderen das Bürgermeisteramt in Kapstadt besetzt. Die geht mit anderen Frauen 40 Kilometer zu Fuß dorthin, weil sie sich keinen Transport leisten können. Als sie keine Wasserleitung in ihrem Township bekommen haben, sind sie so lange gemeinsam im Bürgermeisteramt gesessen, bis sie ihr Ziel erreicht haben. Und von diesen Beispielen gibt es sehr viele mehr.

Dr. Veronika Wittmann besuchte im Rahmen zahlreicher Forschungs- und Studienaufenthalte neun Länder des afrikanischen Kontinents.
 

Rainbow Nation unter Druck

  • 29.09.2012, 02:39

In Kapstadt wird soziale Ungleichheit in Autominuten gemessen: Zehn davon liegen zwischen dem reichen Zentrum und den informal Settlements. Dort herrscht Armut, und Widerstand. Besonders aktiv in Südafrikas einflussreicher Zivilgesellschaft sind feministische Organisationen. Zwei Monate Südafrika, zwischen diesen Extremen: Ein Reisebericht.

In Kapstadt wird soziale Ungleichheit in Autominuten gemessen: Zehn davon liegen zwischen dem reichen Zentrum und den informal Settlements. Dort herrscht Armut, und Widerstand. Besonders aktiv in Südafrikas einflussreicher Zivilgesellschaft sind feministische Organisationen. Zwei Monate Südafrika, zwischen diesen Extremen: Ein Reisebericht.

„For Nozizwe! Viva Nozizwe, viva!“ Eine Gruppe von etwa tausend Menschen hat sich vor der St. Georges Cathedral versammelt, Sprechchöre hallen in isiXhosa, Afrikaans und Englisch durch die Reihen. Ein Meer an Flugzettel, Bannern und lila T-Shirts rauscht durch die Straßen um sich schließlich in der Kathedrale im Herzen von Kapstadt einzufinden. Drinnen findet eine Kundgebung zur Bewusstseinsbildung für HIV/AIDS statt.

Ferienparadies statt Aidsbekämpfung. Die Kundgebung mehrerer Nichtregierungsorganisationen steht im Zeichen der Entlassung der stellvertretenden Gesundheitsministerin Nozizwe Mbela-Routledge. Der Grund für die Amtsenthebung: Neben dem Ausbau der Gesundheitseinrichtungen sprach sie sich auch dafür aus, HIV/AIDS nicht mehr totzuschweigen. „Südafrika leidet unter einer HIV/AIDS-Pandemie“, diesen Satz wollten einige nicht hören. Als Reaktion auf das Abweichen von der offiziellen Linie der Regierungspartei African National Congresses (ANC) wurde sie ihres Amtes enthoben.
Für viele NGOs und Gewerkschaften machen die Ereignisse Mbela-Routledge zur Heldin. Sie hat ein zentrales Problem angesprochen, Südafrika kämpft mit dem HI-Virus. Seit 1998 hat sich die Sterberate im Land bei den 20- und 40-jährigen um 150 Prozent erhöht. Aktuellen Schätzungen zufolge leben etwa 5 ½ Millionen SüdafrikanerInnen mit HIV/AIDS und jeden Tag sterben bis zu 1000 Menschen daran.
Die „Rainbow Nation“ steht innenpolitisch wie international unter Druck. Seit dem Ende der Apartheid, das sich unter weltweiter Beobachtung vollzog, gilt Südafrika als Vorzeigeprojekt für internationale Demokratisierungs- und Transformationsprozesse. Was diesem Bild nicht entspricht, schweigt die Regierung tot. Denn: die internationalen InvestorInnen und TouristInnen sollen nicht beunruhigt werden. Nicht jetzt, wo es um den Aufschwung des Landes geht.
Atemberaubend ist die Ansicht Kapstadts vor dem Hintergrund des Tafelberges, Blick auf das Meer. Zu einem international bedeutenden Zentrum und einer beliebten Reisedestination soll die Stadt werden. Und die Ernüchterung: Hinter diesen Wünschen stehen die wirtschaftlichen Interessen und Überlegungen der reichen, weißen Bevölkerung. Sie sind es auch, denen der Aufschwung hauptsächlich zu Gute kommt.

Unser Stolz. Entlang der Stadtautobahn N2 breiten sich so genannte informal settlements oder Townships aus, die einen Großteil der Bevölkerung Kapstadts beheimaten. Im Zuge der Segregation von Menschen nach Hautfarbe während des Apartheid-Regimes wurden viele in diesen Niederlassungen ausgesetzt. Die Standards unterscheiden sich von Township zu Township: Da gibt es Hütten und Verschläge – genannt Shacks – aus Wellblech, Holz, Plastik, alten Autoteilen oder Stroh, teilweise ohne Strom, fließendes Wasser oder Heizung. In den „besseren Gegenden“ sind die Häuser aus Backstein, die allerdings ungefähr 2000 Rand kosten. Das sind 200 Euro und mehr, als viele im Monat zur Verfügung haben.
Die Townships tragen Namen wie Unser Stolz, Mond, Sonne, Neue Heimat. Dort konzentrieren sich Armut, Arbeitslosigkeit (in manchen Townships liegt sie bei geschätzten 70 Prozent), HIV/AIDS aber auch politische Aktivität. Die Bevölkerung der Townships ist multikulturell und ethnisch vielfältig, sie hat aber Eines gemeinsam. Es klingt wie aus einer anderen Zeit: Sie ist nicht weiß.
Aber nicht still. In der politischen Debatte kommen die Township-BewohnerInnen und ihre Anliegen wenig bis gar nicht vor. „Es gibt kein HIV/AIDS-Problem“, sagt die amtierende Gesundheitsministerin Manto Tschabalala-Msimang und ist damit auf ANC-Linie. In der Kathedrale zu St. James begegnet man diesem Satz mit Wut und Sprechchören, obwohl viele der Anwesenden selbst ANC-VeteranInnen oder AnhängerInnen sind. Die starke Zivilgesellschaft Südafrikas ist ein Erbe aus dem Kampf gegen das Apartheid-Regime.
Besonders feministische Organisationen machen sich momentan für Mbela-Routledge, oder Nozizwe, wie sie von ihren UnterstützerInnen genannt wird, stark. „Es ist ein Zeichen, dass gerade an einer Politikerin ein Exempel statuiert wird,“ meint Edwina von der Organisation New Women’s Movement in der anschließenden Rede. „Und es ist auch ein Exempel, dass sie gerade für ein Thema einstehen wollte, dass Frauen betrifft und so viele andere Bereiche berührt. Frauen und Gewalt, Frauen und Sexualität, Frauen und Verhütung.“

New Women’s Movement ist eine Organisation, die in den Townships aktiv ist und sich speziell an Frauen richtet. Mit über 5000 Mitgliedern und Aktivistinnen, ist New Women‘s Movement eines der größten Frauennetzwerke in Kapstadt. Wie alle Organisationen, die eine regierungskritische Position einnehmen, erhält sich NWM von Mitgliedsbeiträgen und Spenden.
Zu den Finanzierungsschwierigkeiten kommen weitere Probleme hinzu, denn es ist schwierig die Frauen in den Townships zu erreichen. Viele von ihnen sind einer doppelten und dreifachen Belastung ausgesetzt: Kinder, Gelegenheitsarbeit und politische Aktivität. „Es braucht alles viel Zeit, abwaschen, kochen, Wäsche waschen“, erzählt Noma, eine der jungen Aktivistinnen des New Women’s Movment. „Wir haben keinen Strom, wenn das Geld aus ist. Und gleichzeitig machen sie auf SABC (einem staatlichen Fernsehkanal) Werbung für Geschirrspüler, weil es Wasser spart.“
Im September war „Heritage Month“ in Südafrika. Ziel sei es, dem gemeinsamen kulturellen Erbe zu gedenken und sich der Bedeutung der Republik bewusst zu werden. Doch einfach ist dieser Prozess der Bewusstseinsbildung nicht immer: Ob Noma schon einmal auf der Gefängnisinsel Robben Island war, wo Nelson Mandela die meiste Zeit seiner 27-jährigen Haft verbrachte? Nein, der Eintritt kostet 150 Rand, das sei die Hälfte von dem, was sie im Monat zur Verfügung habe.
Und im Sommer sind die Touren meist ohnehin von TouristInnen ausgebucht.

Maude Lake studiert Theologie in Linz.

„Mawubuye umhlabawethu!”

  • 29.09.2012, 02:24

„Lasst uns unser Land zurückholen!” – Unter diesem Motto versucht eine Gruppe von knapp 400 Menschen im südafrikanischen Barberton an der Grenze zu Swaziland, das durch Kolonial- und Apartheidregierungen enteignete Land ihrer Vorfahren zurück zu holen.

„Lasst uns unser Land zurückholen!” – Unter diesem Motto versucht eine Gruppe von knapp 400 Menschen im südafrikanischen Barberton an der Grenze zu Swaziland, das durch Kolonial- und Apartheidregierungen enteignete Land ihrer Vorfahren zurück zu holen.

Land spielte in der Geschichte des südlichen Afrikas schon immer eine zentrale Rolle. Als fundamentale Ressource in der politischen Ökonomie, aber auch als kultureller Faktor, der komplexe historische Bedeutungen und Identitäten konstruiert(e) und reflektiert(e). Mit Ende der Apartheid 1994 waren rund 87 Prozent der Fläche in „weißer“ Hand. Die neue demokratische Regierung stand einer Herausforderung von politischer, ökonomischer, aber ebenso sozialer wie auch symbolischer Bedeutung gegenüber. Von sicheren Besitzverhältnissen über Landzugang von Landlosen und Frauen, bis hin zu kommerziell genutzter Landwirtschaft reichten die Anforderungen an die Landreform, die zugleich historische Wiedergutmachung und nationale Versöhnung vorantreiben sollte. Die von der Weltbank beeinflusste Strategie zur sozialen Transformation verfolgte das Ziel 30 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche innerhalb der ersten fünf Jahre an die ehemals benachteiligten Gruppen umzuverteilen. Mit einem Drei-Säulen-Modell der Restitution, Redistribution und Bodenrechtsreform versuchte nun die Regierung die historisch gewachsenen Ungleichheiten zu beheben.

Kaufwillig. Welche Ergebnisse kann man nun 13 Jahre nach Implementierung dieses Modells festhalten und schafft das Programm eine effektive und nachhaltige Transformation der sozioökonomischen Verhältnisse marginalisierter Bevölkerungsgruppen? Die südafrikanische Regierung wählte den neoliberalen Ansatz des „willing buyer, willing seller“, um die soziale und ökonomische Transformation voran zu treiben. Dieser geht davon aus, dass der freie Markt selbst den besten Regelungs- und Umverteilungsmechanismus darstellt. Der Landmarkt ist aber kein apolitischer und ahistorischer Raum, sondern gemeinsam mit Nachfrage und Angebot das Ergebnis historisch sozialer Konstruktionen. Durch das Restitutionsprogramm soll Land, welches mit der Implementierung des Gesetzes zur Schaffung von Reservaten im Jahr 1913 enteignet wurde, an die rechtmäßigen BesitzerInnen zurückgegeben werden. Zu diesem Zweck kauft der Staat selbst teilweise Land auf dem freien Markt. Daneben gibt es aber auch staatliche Zuschüsse, um Land über die Redistribution an ehemals benachteiligte Gruppen zu verteilen. Da diese jedoch bescheiden ausfallen, bedarf es des Zusammenschlusses vieler Menschen, um Land um den verhältnismäßig hohen Marktpreis überhaupt kaufen zu können. Wie Untersuchungen auf Weinfarmen rund um Kapstadt sowie diversen anderen sozioökonomischen Entitäten im Osten des Landes zeigen, kommt es nach dem Landtransfer vermehrt zu Schwierigkeiten in Bereichen der rechtlichen Besitztitel sowie zur Fortsetzung ökonomischer und diskursiver Abhängigkeitsverhältnisse. Wurde zum Beispiel kommerziell genutztes Land an FarmarbeiterInnen übertragen und Partizipationsprojekte eingerichtet, wie es u.a. auf einigen Weinfarmen der Fall war, stellt sich meistens auf Grund des Fehlens ökonomischen Kapitals und grundlegender Produktionsmittel eine Situation ein, die durch die weiterhin notwendige Lohnarbeit jener neuen LandbesitzerInnen in den „Mutterbetrieben“, gar zu einem verstärkten Abhängigkeitsverhältnis führt. Daneben haben sich auf Farmen oft auch paternalistische Dependenzen, d.h. komplexe asymmetrische Machtbeziehungen zwischen meist männlichen Farmern und ihren ArbeiterInnen, festgeschrieben.

Farm-Management. Neben den durch das wirtschaftsliberale Modell limitierten staatlichen Interventionsmöglichkeiten ergeben sich in Folge auch Schwierigkeiten bei der Nutzung und Aufrechterhaltung agrarischer Produktion sowie der generellen Sicherstellung und Errichtung rudimentärer Infrastruktur, wie z. B. Wasser und Kanalisation. Trotz der offiziellen Maxime eines deregulierten Marktes bedarf es direkter Eingriffe des Staates in Produktion und Vertrieb, um die Nahrungssicherheit für das südliche Afrika auch in Zukunft zu gewährleisten. Daher liegt das Hauptaugenmerk seit einiger Zeit auf Ausbildung und Training von FarmarbeiterInnen, weil es ihnen grundsätzlich an Management-Wissen fehlt. Kommerzielle Farmen sollen dann nach der Umverteilung nicht mehr zu reinen Wohnsiedlungen verkommen. Ob diese Maßnahmen zur Aufrechterhaltung landwirtschaftlicher Produktion beitragen, oder doch zu einer ähnlich chaotischen Situation wie in Simbabwe führen, werden wohl erst die nächsten Jahre zeigen.

Rechtsunsicherheit. Die Organisationsform des neu erworbenen Landes kann grundsätzlich von den NutznießerInnen selbst entschieden werden. Neben herkömmlicher Wohn- und Subsistenznutzung sowie kommerzieller Landwirtschaft werden auch traditionelle Autoritäten und Institutionen vermehrt zur Verwaltung dieser Gebiete eingesetzt. Sie repräsentieren vor allem Fragen der Zugehörigkeit und Identität sowie die Durchsetzung lokaler Autonomie gegen die globalisierenden und modernisierenden Bestrebungen des Staates. Problematisch sind diesem Kontext Tendenzen zur weitgehenden Isolation dieser Entitäten, weil Theorie und Praxis menschenrechtlicher Aspekte oft weit auseinander klaffen und insbesondere Landrechte von Frauen und Jüngeren teilweise beschnitten werden. Im Hinblick auf rechtliche Besitztitel reproduziert die südafrikanische Landreform hier eine Problematik der Rechtsunsicherheit, die seit der Etablierung der Reservate zu teilweise chaotischen Systemen der Landvergabe führte. Diesen BewohnerInnen sowie ArbeiterInnen auf kommerziellen Farmen sollen durch die Bodenrechtsreform eine Anerkennung ihrer Besitz- und Nutzungsrechte garantiert werden. Bis dato wurden jedoch nur marginale Erfolge erzielt und die Situation, vor allem von Frauen, bleibt prekär. Sie unterliegen nach wie vor einer multidimensionalen Unterdrückung aus Rassismen und Sexismen kapitalistisch-patriarchaler Gesellschaftsstrukturen. Bis zum Jahr 1999 wurde lediglich ein Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche Südafrikas mit Hilfe der Landreform transferiert. Anfang 2005 waren es immerhin vier Prozent. Das neue Ziel zur Erreichung der 30 Prozent Quote und somit der Armutsbekämpfung, sozialen Durchlässigkeit und Gendergerechtigkeit, ist auf das Jahr 2015 verschoben worden. Ob dies erreicht werden kann, hängt zu einem beträchtlichen Teil von den Möglichkeiten der Partizipation und Selbstbestimmung aller benachteiligten Gruppen in Südafrika ab.

Severin Lenart studiert Kultur- und Sozialanthropologie in Wien.

Africa must unite!

  • 29.09.2012, 02:09

Der vergessene Kontinent versucht seit Jahren mithilfe wirtschaftlicher und politischer Zusammenschlüsse auf internationalem Parkett wieder wahrgenommen zu werden. Schwarzes Gold und neue Geberländer könnten Afrika auf die Sprünge helfen.

Der vergessene Kontinent versucht seit Jahren mithilfe wirtschaftlicher und politischer Zusammenschlüsse auf internationalem Parkett wieder wahrgenommen zu werden. Schwarzes Gold und neue Geberländer könnten Afrika auf die Sprünge helfen.

Bereits mit der Unabhängigkeit der ersten afrikanischen Kolonien (Ghana 1957) begann sich eine panafrikanische Bewegung zu institutionalisieren. Die neuen unabhängigen Staaten schlossen sich in der Organisation für Afrikanische Einheit – aus der die Afrikanische Union (AU) hervor ging – zusammen. Fast alle afrikanischen Länder (nur Marokko, das seit über 30 Jahren die Demokratische Republik Sahara völkerrechtswidrig okkupiert hält, ist nicht Mitglied) haben sich dort zusammen gefunden, um demokratisch Entscheidungen zu treffen. Der wirtschaftliche Bereich wird einerseits durch die sieben regionalen Wirtschaftsvereinigungen der AU abgedeckt, andererseits durch NEPAD, die Neue Partnerschaft für Afrikas Entwicklung. Diese Organisationen haben zum Ziel, die Entwicklung Afrikas zu fördern.

Am Rande des Geschehens. International gesehen liegt Afrika aber weiterhin am Rande des Geschehens: Wo noch in den 1970er-Jahren sein Anteil am Bruttoglobalprodukt drei Prozent betrug, liegt er 2006 nur mehr bei knapp zwei Prozent. Auch wenn man die Ressourcenströme der Welt betrachtet, fließt das meiste Kapital zwischen der Triade USA-EU-Japan, Afrikas Anteil am Welthandel sank von über sieben Prozent (1950) auf unter drei Prozent (2005). Ebenso sind die Anteile an Auslandsdirektinvestitionen in afrikanische Länder verglichen mit denen in andere Regionen minimal (ca. 2,8 Prozent im Jahr 2004). Und sogar der Fluss der ODAZahlungen (Official Development Assistance) der OECD-Länder nimmt trotz gegenteiliger internationaler Zusagen ab (2006 um 5,1 Prozent).

A new Scramble for Africa? Trotz seiner Stellung als Peripherie im Weltsystem nimmt Afrikas Bedeutung in manchen Regionen zu: Für neue Geberländer wie China wird Afrika zu einer immer größeren Spielwiese. So besuchte etwa der chinesische Präsident Hu Jintao im letzten Jahr so viele afrikanische Länder wie kein anderes Staatsoberhaupt. Die chinesischen Erdölimporte aus Afrika steigen und auch Hilfsmaßnahmen werden arrangiert. Wie die USA auf diese Konkurrenz reagieren bzw. welche Auswirkungen die chinesische Hilfe auf die afrikanische Bevölkerung haben wird, bleibt abzuwarten. Die EU versucht jedenfalls, durch Economic Partnership Agreements (EPA) ihre Vormachtstellung in Afrika aufrecht zu erhalten: Noch bis Ende des Jahres müssen EPAs mit allen afrikanischen Ländern abgeschlossen werden, meinen EU und WTO unisono. Viele afrikanische Länder und deren Zivilgesellschaft versuchen sich zu wehren, auch weil Zölle abgeschafft werden sollen, die noch immer einen Großteil der öffentlichen Einnahmen vieler nicht-industrialisierter Länder bilden. Ob sich hier wieder der Westen durchsetzen kann, um danach „Hilfe“ anzubieten und seine Weste durch Charity-Maßnahmen weiß zu waschen, wird die Zukunft zeigen.

Tobias Orischnig hat in Innsbruck „Internationale Wirtschaftswissenschaften“ abgeschlossen und studiert derzeit „Internationale Entwicklung“ in Wien.

Eine kurze Geschichte des Tätowierens

  • 29.09.2012, 01:59

Schon bei „Ötzi“ finden sich Tätowierungen an verschiedenen Stellen seines Körpers. Bei den Maori dienen sie als Schmuck und zum Sichtbarmachen der Stammeszugehörigkeit sowie des persönlichen Status. Im alten Japan hingegen waren Tattoos ein Protest gegen obrigkeitliche Verbote.

Schon bei „Ötzi“ finden sich Tätowierungen an verschiedenen Stellen seines Körpers. Bei den Maori dienen sie als Schmuck und zum Sichtbarmachen der Stammeszugehörigkeit sowie des persönlichen Status. Im alten Japan hingegen waren Tattoos ein Protest gegen obrigkeitliche Verbote.

Tattoos sind wieder stark in Mode. Und sie sind nicht mehr auf ein bestimmtes Milieu beschränkt. Bekannt wurden Tattoos vor allem durch die Seeleute. Captain James Cook brachte 1775 einen tätowierten Tahitianer von einer seiner Fahrten in die Südsee mit. Die große Begeisterung löste eine wahre „Tattoomania“ aus und Tätowierungen wurden als Schmuck getragen. Mit dem Tätowieren wurde jedoch schon viel früher begonnen. Menschen haben sich schon vor tausenden Jahren tätowiert. Es gibt Funde von mumifizierten Leichen, die Tattoos auf ihrer Haut tragen. Ein berühmtes Beispiel ist „Ötzi“.

Bei den Maori in Neuseeland hat die traditionelle Form der „Tatauierung“ (tahitisch „tatau“, was so viel wie „eine Wunde schlagen“ oder „kunstvoll hämmern“ bedeutet) den Sinn zu zeigen, welchen Rang jemand in der Gemeinschaft innehat. Aus den unterschiedlichen Motiven („Mokos“) lässt sich herauslesen, welcher Familie, welchem Klan die Person angehört. Gleichzeitig stellt diese Form des Tätowierens auch eine Mutprobe dar, die traditionellen Werkzeuge (Tierknochen oder feine Hämmerchen) verursachen viel mehr Schmerzen, als die im Westen verwendeten Nadeln. Maori-Männer schmücken sich mit großflächigeren Tattoos als Frauen. Sie zeichnen außerdem die Linien und Falten ihres Gesichtes nach, was als „Wappen“ des Mannes gilt.

Big in Japan. Bevor die Tätowierkunst nach Europa kam, wurde sie Ende des 18. Jahrhunderts in Japan als „body-suits“ (Ganzkörpertätowierung) bekannt. Dabei tätowierte man sich aus Protest die Symbole eines verbotenen Kimonos auf die Haut. Früher wurden auch in Japan Tätowierungen als Schmuck getragen, heute sind sie hingegen nicht mehr so gerne gesehen, weil sie mit der japanischen Mafia, den Yakuza, in Verbindung gebracht werden. Aus diesem Grund dürfen beispielsweise großflächig tätowierte Menschen nicht in öffentliche Bäder.

In Europa und Amerika sind Tattoos wieder stark im Kommen. Auffallend ist dabei die stilistische Vielfalt an Motiven, die von originalgetreuen Stammestätowierungen aus der Südsee, über deren moderne Adaptionen („Tribals“), bis hin zu „Celtic Tattoos“ reichen. Und darüber hinaus gibt es sogenannte „Biomechanics“, Graffitti- und Comic-Motive, indianische Symbole, Tiere, einfarbige Tattoos mit vielen Schattierungen ebenso wie klare und kräftig gefärbte Motive. Frauen sind momentan übrigens die am schnellsten wachsende Gruppe der Tattoo-TrägerInnen, jeder zweite „Kunde“ im Tattoo-Studio ist in Wirklichkeit eine Kundin.
Hannah Gehart studiert Pädagogik in Graz.

Hannah Gehart studiert Pädagogik in Graz.

Dreißig Jahre zu spät

  • 29.09.2012, 01:52

Am 10. Dezember wird Doris Lessing als elfter Frau der Literaturnobelpreis verliehen. Geehrt wird eine Erzählerin, die zentrale Themen des 20. Jahrhunderts bearbeitet. Die Kritik an Kolonialismus und Geschlechterungleichheit prägt ihr facettenreiches Werk. Ein Blick auf ihr Leben, ihr Schaffen und das Verhältnis von Schweden zu Literaturnobelpreisträgerinnen.

Am 10. Dezember wird Doris Lessing als elfter Frau der Literaturnobelpreis verliehen. Geehrt wird eine Erzählerin, die zentrale Themen des 20. Jahrhunderts bearbeitet. Die Kritik an Kolonialismus und Geschlechterungleichheit prägt ihr facettenreiches Werk. Ein Blick auf ihr Leben, ihr Schaffen und das Verhältnis von Schweden zu Literaturnobelpreisträgerinnen.

Als die Schwedische Akademie ihre Entscheidung über den Literaturnobelpreis 2007 verkündete, war die 87-jährige Doris Lessing gerade einkaufen und daher selbst für die honorigen SchwedInnen nicht erreichbar. Zwei Stunden später fuhr sie mit dem Taxi vor ihrem Haus in London vor und wurde bereits von einer ReporterInnenschar erwartet. Ihre erste Reaktion fiel in der ihr eigenen nonchalanten Begeisterung aus: „Das geht jetzt schon 30 Jahre lang so. Ich habe alle Auszeichnungen in Europa gewonnen, jeden verdammten Preis! Also bin ich entzückt, sie jetzt alle zu haben. Es ist ein „Royal Flush. […] Sie können den Nobelpreis keinem Toten geben. Deshalb haben sie wahrscheinlich gedacht, ihn mir besser jetzt zu geben, bevor ich abkratze.“ Nun ist Frau Lessing nicht nur um eine Ehrung, sondern auch um 1,1 Millionen Euro reicher.

Ihr Leben – eine Geschichte. Doris Lessing wurde 1919 als Tochter eines britischen Kolonialbeamten und einer Krankenschwester im Iran geboren. Als sie sechs Jahre alt war, zog die Familie nach Südrhodesien (Simbabwe) um. Bald wurde sie mit der Trostlosigkeit des kolonialen Alltags konfrontiert. Lessing erlebte sowohl das Platzen des Traumes vom Reichtum Afrikas in der eigenen Familie, als auch das Elend der einheimischen Bevölkerung. Diese Problematik sollte prägend für ihre frühen Texte werden. Lessing brach ihre rigide Schulerziehung mit vierzehn Jahren ab und machte sich intellektuell wie ökonomisch selbstständig. Kurz nachdem sie 1937 nach England zurückgekehrt war, heiratete sie. Doch das Gefühl gefangen zu sein, ließ sie nicht los, sie verließ ihren Mann. Kurz darauf kam sie in Kontakt mit dem „Left Book Club“, einer kommunistischen Buchklub- und Diskussionsbewegung, wo sie ihren zweiten Mann Gottfried Lessing kennen lernte. Nach und nach jedoch wurde sie von der kommunistischen Partei enttäuscht und verließ diese 1954 wieder. Es folgte Anfang der 1970er und 1980er eine sehr produktive Zeit für Lessing, in der sie sich auf die Suche nach anderen Perspektiven zur Überwindung von Ungerechtigkeiten und Dichotomien machte. Dabei bleibt sie der Linken und der Frauenbewegung jedoch ihr Leben lang verbunden. In den 1990-er Jahren fand ihr Werk zunehmend Anerkennung und sie erhielt zahlreiche Preise. Bis heute lebt, schreibt und publiziert Doris Lessing in London.

Das Werk als Spiegel der Zeit. Die frühen Texte wie „The Grass Is Singing“ beschäftigen sich, basierend auf ihren eigenen Erfahrungen, mit Kolonialismus in Afrika. Sie prangern die Enteignung der AfrikanerInnen, die rassistische Ungerechtigkeit und die Sterilität der importierten europäischen Kultur an. Die Texte machten Lessing lange Zeit zur persona non grata in Südrhodesien und Südafrika. Lessings politische Erfahrungen Anfang der 1940er kulminieren in ihrem großen Roman „The Golden Notebook“ von 1962. Das höchst komplex auf fünf Erzählebenen aufgebaute Buch versucht ein Panorama über politische und soziale Entwürfe weiblicher Subjektivität dieser Zeit zu geben. Ihre Ambition dabei ist es, wie die Realisten des 19. Jahrhunderts, das Portrait einer ganzen Gesellschaft und ihres Klimas zu zeichnen. In den 1970er und 80er Jahren wendet sich Lessing einer von islamischer Mystik inspirierten Science Fiction zu. Es entsteht der fünfbändige Zyklus „Canopus in Argos: Archives“. Ihr neuester Roman „The Cleft“ erschien 2007 und sucht eine mythische Gesellschaft am Anfang der Menschheit auf, die nur aus Frauen besteht.

Umstrittene Entscheidung. Nicht alle sind mit der Entscheidung für Doris Lessing zufrieden. Marcel Reich-Ranicki spricht von einer „bedauerlichen Entscheidung“. Er kenne „viele, jedenfalls mehrere bedeutendere, wichtigere Schriftsteller“ aus dem angelsächsischen Sprachraum. Von Lessing habe er „vielleicht drei“ Bücher gelesen und „nichts hat mich wirklich beeindruckt.“ Ganz anders reagierte Elfriede Jellinek, die 2004 selbst den Nobelpreis erhalten hat: „Ich hatte sogar gedacht, sie hätte ihn schon längst. Das ‚Goldene Notizbuch‘ [ist] sicher eines der wichtigsten feministischen Werke der Literatur überhaupt.“ In der Tat schlägt sie damit in eine Kerbe, die auch andere KritikerInnen anführen: Der Preis sei wichtig und verdient, komme aber „um 30 Jahre zu spät“, so Sigfried Löffler.

Die obskure Entscheidungsfindung der Schwedischen Akademie wurde in den letzten Jahren immer wieder kritisiert. Überspitzt gesagt machen honorige ProfessorInnen einer (bis vor einigen Jahren ausschließlich männlichen) Kommission Vorschläge. In geheimen Beratungen wird dann der/die PreisträgerIn bestimmt: die Black Box spuckt einen Namen und eine zweizeilige Begründung aus und schiebt 1,1 Millionen Euro über den Tisch. Die Entscheidungen sind oft eher ein politisches als ein ästhetisches Statement – und dementsprechend auch umstritten. So wurden etwa mit Harold Pinter (2005) oder Dario Fo (1997) keine großen Stilisten ausgezeichnet – jedoch vehemente Kritiker neoliberaler Politik.

Frauen als Nobelpreisträgerinnen waren lange Zeit eine Seltenheit: Seit 1901 wurde der Nobelpreis 104 mal vergeben, davon nur 11 mal an Frauen. In den letzten 20 Jahren scheint sich jedoch ein deutlicheres Bewusstsein für solche Ungleichheiten gebildet zu haben: Zwischen 1901 und 1990 betrug der Frauenanteil ganze 7 %, während er seit 1991 auf 30 % angestiegen ist. Ähnlich sieht es mit dem Anteil von SchriftstellerInnen aus postkolonialen Kontexten aus. In der Begründung für die Verleihung an Doris Lessing heißt es, sie sei eine „Epikerin weiblicher Erfahrung, die sich mit Skepsis, Leidenschaft und visionärer Kraft eine zersplitterte Zivilisation zur Prüfung vorgenommen hat“. Darin zeigt sich der schmale Grat zwischen Essentialismus und Differenzkonzepten. AutorInnen, die an der Dekonstruktion von Dichotomien arbeiten, mit Begriffen wie „weibliches Schreiben“ zu etikettieren, ist gefährlich. Die Herausforderung besteht darin, „daß wir die Dinge nicht auseinanderdividieren dürfen, nicht in Fächer aufteilen dürfen“, wie Doris Lessing im Vorwort zu „The Golden Notebook“ schreibt. Dieses Ringen nach einer totalen Perspektive ist es wohl, was Doris Lessings Werk so wertvoll macht.

Timon Jakli studiert Germanistik und Soziologie in Wien.

www.dorislessing.org
www.nobel.se

Subalternity speaking!

  • 29.09.2012, 01:35

Die gebürtige Iranerin Marjane Satrapi legte die mit „Persepolis“ als erste eine autobiografisch inspirierte Migrationsgeschichte als Comic vor. Dieser geglückte Versuch blieb keineswegs eine singuläre Erscheinung. Mittlerweile haben auch andere Arbeiten von Migrantinnen Einzug in ein vormals männlich und eurozentristisch dominiertes Genre gefunden.

Die gebürtige Iranerin Marjane Satrapi legte die mit „Persepolis“ als erste eine autobiografisch inspirierte Migrationsgeschichte als Comic vor. Dieser geglückte Versuch blieb keineswegs eine singuläre Erscheinung. Mittlerweile haben auch andere Arbeiten von Migrantinnen Einzug in ein vormals männlich und eurozentristisch dominiertes Genre gefunden.

Innerhalb der Migrationsforschung herrscht bis heute kein Konsens darüber, welche Faktoren ausschlaggebend sind für die zahllosen transkulturellen Wanderbewegungen, die dieser Tage global zu verzeichnen sind. Ökonomische Gründe und/oder Flucht aufgrund von politisch, sexistisch und/oder rassistisch motivierter Verfolgung sind in vielen Fällen nicht allein der Grund für das Überschreiten territorialer Grenzen. Oftmals sind es die diffusen Hoffnungen auf ein besseres Leben anderswo, die Menschen dazu bringen Staatsgrenzen hinter sich zu lassen. Als zureichende Gründe für Asyl gelten derartige „Landkarten der Sehnsucht“ bis heute nicht.
Comics von Migrantinnen sind ein Medium, das weitaus mehr über die Hintergründe von Migrationsbewegungen vermittelt, als das elaborierteste Zahlenmaterial. Mit den Werken von Marjane Satrapi, Parsua Bashi und Karlien de Villiers liegen drei unterschiedliche Comics vor, in deren Zentrum die Migrationsgeschichten der Autorinnen stehen.

Comic-Coming-Outs. Rückblickend betrachtet ist die iranisch-französische Zeichnerin Marjane Satrapi möglicherweise die Begründerin eines neuen Comic-Genres. Der erste Teil ihres zweibändigen Werks „Persepolis“ erschien im Jahr 2004 in deutschsprachiger Übersetzung, schnell folgten weitere Comics zum Thema Migration. 2006 bedienten sich die ebenfalls im Iran geborene und in die Schweiz emigrierte Zeichnerin Parsua Bashi sowie die in Frankreich lebende weiße Südafrikanerin Karlien de Villiers dieses Mediums zur Darstellung ihrer Migrationsgeschichten. Ähnlich wie die kleine Marji aus Satrapis „Persepolis“ erzählen auch die Heldinnen der Comics „Nylon Road“ (Parsua Bashi) und „Meine Mutter war eine schöne Frau“ (Karlien de Villiers) ex post von einem „dritten Ort“ jenseits der beiden Herkunftskulturen. Es entsteht dabei ein Bild von Zugehörigkeit, das sich nicht in der Identität mit einer einzigen Kultur erschöpft. Die Protagonistinnen der Comics nehmen unterschiedliche kulturelle Einflüsse in ihre Lebensformen auf und präsentieren sich als selbstbewusste Akteurinnen am Schnittpunkt mehrerer Kulturen.

Jenseits der Kulturen. Das Oszillieren zwischen den Kulturen wird in allen drei Comics als durchaus schwierige Etappe der Selbstfindung, der Bewusstwerdung und des Erinnerns dargestellt. In narrativer Hinsicht sind die Comics zumeist Coming-Of-Age-Stories, deren Protagonistinnen keineswegs frei von Ambivalenzen sowohl gegenüber dem Einwanderungs- als auch dem Herkunftsland sind. Lakonisch stellt Satrapis Heldin Marji bei ihrer Ankunft in Wien im November 1984 fest, dass auch das laizistische Europa von religiösen Repressionen nicht frei ist. Nachdem sie in einer Nonnenpension einquartiert wurde, muss sie die Erfahrung machen, dass sie auch hier aufgrund ihrer Religion unterdrückt ist. Anders ergeht es der Heldin aus „Nylon Road“. Aus Mangel an anderen westlichen Vorbildern entwirft deren iranische Freundin in Zürich eine Modelinie für Frauen, die den Titel „Süße Sklavinnen“ trägt. Wieder einen anderen Eindruck gewinnt Karlien de Villiers Heldin bei ihrer Rückkehr nach Südafrika: Sie wird sich ihrer MittäterInnenschaft als weiße Frau an der Diskriminierung von black people bewusst. Einen Anfang zum Abbau westlich-hegemonialer Vorstellungen leisten die vorliegenden drei Comics allemal: Wenn „wir“ weiße EuropäerInnen erst einmal beginnen „uns“ durch die Augen der Marginalisierten zu sehen, haben wir Grund genug, unsere Vormachtstellung kritisch zu hinterfragen.

Barbara Eder studiert Doktorat Philosophie und Gender Studies in Wien und Berlin.

Im Land der Barone

  • 29.09.2012, 01:24

Für ein Land wie Rumänien, das beinahe ein halbes Jahrhundert mit eiserner Hand von der Kommunistischen Partei geführt wurde, sind „die Reichen“ ein sehr junges Phänomen. Ihr Streben nach sozialer Abgrenzung hat sie für die Öffentlichkeit rasch sichtbar gemacht und eine Debatte über Reichtum ausgelöst, deren politische Relevanz nicht unterschätzt werden sollte.

Für ein Land wie Rumänien, das beinahe ein halbes Jahrhundert mit eiserner Hand von der Kommunistischen Partei geführt wurde, sind „die Reichen“ ein sehr junges Phänomen. Ihr Streben nach sozialer Abgrenzung hat sie für die Öffentlichkeit rasch sichtbar gemacht und eine Debatte über Reichtum ausgelöst, deren politische Relevanz nicht unterschätzt werden sollte.

Kommunistische „Gleichheit“? Noch vor 20 Jahren war Rumänien kein freundlicher Platz für Reiche. Fast alle arbeitsfähigen RumänInnen arbeiteten für einen gewaltigen Arbeitgeber, den kommunistischen Staat. Dieser sorgte dafür, dass die Einkommenskluft gering blieb. In den staatlichen Betrieben, in den Agrarproduktionskollektiven (APK, rumän. „CAP“, die rumänische Version von Kolchosen) oder in den Zunftgemeinschaften betrug der Einkommensunterschied zwischen ArbeiterInnen und einem Direktor in den 80ern nie mehr als ein Viertel. Weder die Reformgesetze der 70er-Jahre, wie beispielsweise das Redistributionsgesetz (1974), das auf die Effizienzsteigerung im industriellen Sektor abzielte, noch die Beschlüsse des Staatsrates in den 80er-Jahren die Motivation der ArbeiterInnen betreffend haben es geschafft, dieses auf Ideologie gestützte Verhältnis zu stören.
In der tiefen ökonomischen Krise, die in den 80er-Jahren ausbrach, bedeutete dies allerdings eher „eine Gleichheit in Armut“, wie die rumänische Dichterin Ana Blandiana treffend bemerkte.
Laut Alina Mungiu-Pippidi, einer rumänischen Politikwissenschafterin, hat diese vom Staat gelenkte Gleichheit im jungen rumänischen Kapitalismus dann zu einem verstärkten Drang nach Abgrenzung und Zurschaustellung von Wohlstand geführt. Die so genannte Rumänische Revolution im Dezember 1989 hat das Monopol der Gleichheit plötzlich gebrochen und so den Weg für zahlreiche Privatisierungsmaßnahmen freigemacht. Eine der Konsequenzen dieses Prozesses ist die Entstehung einer neuen sozialen Schicht: die der „Reichen“.

Lokale Barone. Ehemalige, unbedeutende FunktionärInnen in Lokalräten, IngenieurInnen aus staatlichen Betrieben, GewerkschaftsführerInnen, GeheimdienstagentInnen oder illegale HändlerInnen waren jene, die den auseinander fallenden postkommunistischen Staat in ein Riesengeschäft zu ihrem eigenen Nutzen umgewandelt haben. Sie sind diejenigen in Rumänien, die „es geschafft haben“ – die Oligarchen Rumäniens, die im Land als „lokale Barone“ (es gibt kaum eine Frau in dieser auserlesenen Gruppe) bekannt sind. Inoffiziell beherrschen sie ein Gebiet, manchmal eine Stadt, ein andermal eine ganze Region. Sie sind wahre Gatekeeper, die Ressourcen und sogar „Gerechtigkeit“ in ihrem Territorium verteilen. Ein Beispiel hierfür ist die Biographie von Dumitru Sechelariu, der bis 2004 Bürgermeister der ostrumänischen Stadt Bacău war. Vor 1989 war Sechelariu zunächst nur unter SpekulantInnen bekannt. In der ersten der Privatisierungsphasen nach dem Fall des Kommunismus knüpfte er aber ein beeindruckendes Netz von Kontakten, das ihn schließlich in die Politik brachte. In seiner achtjährigen Amtszeit als Bürgermeister baute er gemeinsam mit seinem Bruder, einem sozialdemokratischen Senator, ein regionales Imperium auf, das sich von Fußballvereinen über Hotels bis zu Baufirmen erstreckte. Seiner politischen Tätigkeit verdankt Sechelariu, dass er von der Staatsanwaltschaft in Ruhe gelassen wurde. Je nach politischer Situation wechselte er die Partei. Innerhalb von acht Jahren wurde er vom Liberalen, zum Sozialdemokrat und schlussendlich zum Nationalisten. Als im Jahr 2004 dann doch ein Gerichtsverfahren wegen Korruption, Amtsmissbrauch und Meineid gegen Sechelariu eingeleitet wurde, war seine politische Niederlage besiegelt. Derzeit verkauft Sechelariu sein gesamtes Eigentum mit der Absicht in die USA auszuwandern.

Kleine UnternehmerInnen. Die „Barone“ stellen aber nur die Spitze eines Eisbergs dar. Andere ökonomische Eliten erscheinen längerfristig betrachtet viel bedeutender. Es handelt sich um LokalunternehmerInnen, die GründerInnen der über 500.000 Klein- und Mittelbetriebe in Rumänien, von Bars, Boutiquen am Straßenrand, Pizzerias und Apotheken. Sie sind der Stolz der heimischen National-Liberalen Partei. Jedoch haben auch sie ein Imageproblem. Die meisten werden von den Medien als frühere KommunistInnen dargestellt, die das neue kapitalistische Kostüm bequem übergezogen haben. Häufig werden Parallelen zu den ManagerInnen der staatlichen Betriebe gezogen, denen korruptes Vorgehen im Rahmen des Privatisierungsprozesses unterstellt wird. Sie legen für sich selbst überdurchschnittlich hohe Einkommen fest, während die Firmen in den Konkurs schlittern. Durch diesen Prozess werden die mittlerweile massiven Einkommensunterschiede noch vergrößert. Heute verdienen ManagerInnen einer Bank in Rumänien zwischen EUR 7.000 und 10.000, gleichzeitig liegt das Durchschnittseinkommen für die Mehrheit der Bevölkerung relativ niedrig bei derzeit EUR 252.
Diese Umwälzung der sozialen Schichten Rumäniens schlägt sich vor allem in der Politik nieder. Im Rahmen der letzten nationalen Wahlen im Jahr 2004 wurden die lokalen Barone einer Enthüllungskampagne unterzogen. Traian Basescu, der aktuelle Präsident Rumäniens, zog als Kämpfer gegen die Korruption in den Wahlkampf. Sein Slogan: „Gerechtigkeit und Wahrheit“. Der Kampf gegen die illegale Bereicherung, heißt es, hat aber erst angefangen.

Ovidiu Pop studiert Politikwissenschaft in Wien.

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