Rainbow Nation unter Druck

  • 29.09.2012, 02:39

In Kapstadt wird soziale Ungleichheit in Autominuten gemessen: Zehn davon liegen zwischen dem reichen Zentrum und den informal Settlements. Dort herrscht Armut, und Widerstand. Besonders aktiv in Südafrikas einflussreicher Zivilgesellschaft sind feministische Organisationen. Zwei Monate Südafrika, zwischen diesen Extremen: Ein Reisebericht.

In Kapstadt wird soziale Ungleichheit in Autominuten gemessen: Zehn davon liegen zwischen dem reichen Zentrum und den informal Settlements. Dort herrscht Armut, und Widerstand. Besonders aktiv in Südafrikas einflussreicher Zivilgesellschaft sind feministische Organisationen. Zwei Monate Südafrika, zwischen diesen Extremen: Ein Reisebericht.

„For Nozizwe! Viva Nozizwe, viva!“ Eine Gruppe von etwa tausend Menschen hat sich vor der St. Georges Cathedral versammelt, Sprechchöre hallen in isiXhosa, Afrikaans und Englisch durch die Reihen. Ein Meer an Flugzettel, Bannern und lila T-Shirts rauscht durch die Straßen um sich schließlich in der Kathedrale im Herzen von Kapstadt einzufinden. Drinnen findet eine Kundgebung zur Bewusstseinsbildung für HIV/AIDS statt.

Ferienparadies statt Aidsbekämpfung. Die Kundgebung mehrerer Nichtregierungsorganisationen steht im Zeichen der Entlassung der stellvertretenden Gesundheitsministerin Nozizwe Mbela-Routledge. Der Grund für die Amtsenthebung: Neben dem Ausbau der Gesundheitseinrichtungen sprach sie sich auch dafür aus, HIV/AIDS nicht mehr totzuschweigen. „Südafrika leidet unter einer HIV/AIDS-Pandemie“, diesen Satz wollten einige nicht hören. Als Reaktion auf das Abweichen von der offiziellen Linie der Regierungspartei African National Congresses (ANC) wurde sie ihres Amtes enthoben.
Für viele NGOs und Gewerkschaften machen die Ereignisse Mbela-Routledge zur Heldin. Sie hat ein zentrales Problem angesprochen, Südafrika kämpft mit dem HI-Virus. Seit 1998 hat sich die Sterberate im Land bei den 20- und 40-jährigen um 150 Prozent erhöht. Aktuellen Schätzungen zufolge leben etwa 5 ½ Millionen SüdafrikanerInnen mit HIV/AIDS und jeden Tag sterben bis zu 1000 Menschen daran.
Die „Rainbow Nation“ steht innenpolitisch wie international unter Druck. Seit dem Ende der Apartheid, das sich unter weltweiter Beobachtung vollzog, gilt Südafrika als Vorzeigeprojekt für internationale Demokratisierungs- und Transformationsprozesse. Was diesem Bild nicht entspricht, schweigt die Regierung tot. Denn: die internationalen InvestorInnen und TouristInnen sollen nicht beunruhigt werden. Nicht jetzt, wo es um den Aufschwung des Landes geht.
Atemberaubend ist die Ansicht Kapstadts vor dem Hintergrund des Tafelberges, Blick auf das Meer. Zu einem international bedeutenden Zentrum und einer beliebten Reisedestination soll die Stadt werden. Und die Ernüchterung: Hinter diesen Wünschen stehen die wirtschaftlichen Interessen und Überlegungen der reichen, weißen Bevölkerung. Sie sind es auch, denen der Aufschwung hauptsächlich zu Gute kommt.

Unser Stolz. Entlang der Stadtautobahn N2 breiten sich so genannte informal settlements oder Townships aus, die einen Großteil der Bevölkerung Kapstadts beheimaten. Im Zuge der Segregation von Menschen nach Hautfarbe während des Apartheid-Regimes wurden viele in diesen Niederlassungen ausgesetzt. Die Standards unterscheiden sich von Township zu Township: Da gibt es Hütten und Verschläge – genannt Shacks – aus Wellblech, Holz, Plastik, alten Autoteilen oder Stroh, teilweise ohne Strom, fließendes Wasser oder Heizung. In den „besseren Gegenden“ sind die Häuser aus Backstein, die allerdings ungefähr 2000 Rand kosten. Das sind 200 Euro und mehr, als viele im Monat zur Verfügung haben.
Die Townships tragen Namen wie Unser Stolz, Mond, Sonne, Neue Heimat. Dort konzentrieren sich Armut, Arbeitslosigkeit (in manchen Townships liegt sie bei geschätzten 70 Prozent), HIV/AIDS aber auch politische Aktivität. Die Bevölkerung der Townships ist multikulturell und ethnisch vielfältig, sie hat aber Eines gemeinsam. Es klingt wie aus einer anderen Zeit: Sie ist nicht weiß.
Aber nicht still. In der politischen Debatte kommen die Township-BewohnerInnen und ihre Anliegen wenig bis gar nicht vor. „Es gibt kein HIV/AIDS-Problem“, sagt die amtierende Gesundheitsministerin Manto Tschabalala-Msimang und ist damit auf ANC-Linie. In der Kathedrale zu St. James begegnet man diesem Satz mit Wut und Sprechchören, obwohl viele der Anwesenden selbst ANC-VeteranInnen oder AnhängerInnen sind. Die starke Zivilgesellschaft Südafrikas ist ein Erbe aus dem Kampf gegen das Apartheid-Regime.
Besonders feministische Organisationen machen sich momentan für Mbela-Routledge, oder Nozizwe, wie sie von ihren UnterstützerInnen genannt wird, stark. „Es ist ein Zeichen, dass gerade an einer Politikerin ein Exempel statuiert wird,“ meint Edwina von der Organisation New Women’s Movement in der anschließenden Rede. „Und es ist auch ein Exempel, dass sie gerade für ein Thema einstehen wollte, dass Frauen betrifft und so viele andere Bereiche berührt. Frauen und Gewalt, Frauen und Sexualität, Frauen und Verhütung.“

New Women’s Movement ist eine Organisation, die in den Townships aktiv ist und sich speziell an Frauen richtet. Mit über 5000 Mitgliedern und Aktivistinnen, ist New Women‘s Movement eines der größten Frauennetzwerke in Kapstadt. Wie alle Organisationen, die eine regierungskritische Position einnehmen, erhält sich NWM von Mitgliedsbeiträgen und Spenden.
Zu den Finanzierungsschwierigkeiten kommen weitere Probleme hinzu, denn es ist schwierig die Frauen in den Townships zu erreichen. Viele von ihnen sind einer doppelten und dreifachen Belastung ausgesetzt: Kinder, Gelegenheitsarbeit und politische Aktivität. „Es braucht alles viel Zeit, abwaschen, kochen, Wäsche waschen“, erzählt Noma, eine der jungen Aktivistinnen des New Women’s Movment. „Wir haben keinen Strom, wenn das Geld aus ist. Und gleichzeitig machen sie auf SABC (einem staatlichen Fernsehkanal) Werbung für Geschirrspüler, weil es Wasser spart.“
Im September war „Heritage Month“ in Südafrika. Ziel sei es, dem gemeinsamen kulturellen Erbe zu gedenken und sich der Bedeutung der Republik bewusst zu werden. Doch einfach ist dieser Prozess der Bewusstseinsbildung nicht immer: Ob Noma schon einmal auf der Gefängnisinsel Robben Island war, wo Nelson Mandela die meiste Zeit seiner 27-jährigen Haft verbrachte? Nein, der Eintritt kostet 150 Rand, das sei die Hälfte von dem, was sie im Monat zur Verfügung habe.
Und im Sommer sind die Touren meist ohnehin von TouristInnen ausgebucht.

Maude Lake studiert Theologie in Linz.

AutorInnen: Maude Lake