Juni 2016

Engelbert Dollfuß – Texings einziger Promi

  • 16.06.2016, 12:23
Im Jahr 1998 entsteht im niederösterreichischen Texing, finanziert mit Steuergeld, ein Dr. Engelbert Dollfuß Museum. Heldengedenken statt Anregung zum Diskurs – ein Lokalaugenschein.

Im Jahr 1998 entsteht im niederösterreichischen Texing, finanziert mit Steuergeld, ein Dr. Engelbert Dollfuß Museum. Heldengedenken statt Anregung zum Diskurs – ein Lokalaugenschein.

Er ist ein wenig in Vergessenheit geraten, der Dollfuß. Zu sehr haben die NationalsozialistInnen mit ihrem Terrorregime seine eifrigen Bemühungen, einen Konkurrenzfaschismus auf österreichischem Boden aufzubauen, überschattet. Selten schafft es der Mann, der Hitler „überhitlern“ wollte, noch in die öffentliche Debatte und wenn, dann verläuft diese meist entlang der exakt selben Frontlinien wie schon zu seinen Lebzeiten. Für die einen war er ein autoritärer Kanzler, der sich Hitler mutig entgegenstellte und sein Leben für Österreichs Unabhängigkeit opferte. Für die anderen ein glühender Antidemokrat, der Parlament und Gerichtsbarkeit ausschaltete, einen BürgerInnenkrieg auslöste, politische Gefangene hinrichten ließ und sein eigenes kleines KZ betrieb. Persönlich verorten wir uns eher in letzterem Lager. Als dialogbereite Bürger sind wir aber bereit, uns die Gegenseite anzuhören. Wo ginge das besser als im Dollfuß-Museum?

Von St. Pölten aus geht es immer weiter hinein in das hügelige Mostviertel. Straßen werden enger, Ortschaften kleiner, die Peripherie fühlbarer. In der Ortschaft Mank stoßen wir auf den Dr. Engelbert Dollfuß Platz, kurze Zeit später, in Kirnberg an der Mank, auf ein Dollfuß-Denkmal, verbunden mit einem Gedenkplatz für Gefallene des Zweiten Weltkrieges. Nach einer halbstündigen Autofahrt erreichen wir es schließlich: ein niederösterreichisches Landesmuseum der besonderen Art – das Dr. Engelbert Dollfuß Museum. Solch ein Museum lässt eine lange Bestandszeit vermuten. Tatsächlich ist es aber im Jahr 1998 von Landeshauptmann Erwin Pröll und vielen weiteren ÖVP-FunktionärInnen feierlich eröffnet worden. Diese späte Realisierung wird von der Museumsaufsicht damit begründet, dass eine Enkelin Dollfuß’ in den frühen 1990ern den Geburtsort ihres Vorfahren besuchte. Das Geburtshaus selbst war vom Abriss bedroht, also intervenierte sie beim Denkmalamt. Ein Bürgermeisterwechsel in der Gemeinde trieb die Realisierung des Dollfuß-Museums weiter voran. Man könnte meinen, dass der Austrofaschismus so knapp vor der Jahrtausendwende etwas kritischer behandelt worden sei. Doch schon vor dem Museum wird man eines Besseren belehrt: „Gewidmet dem großen Bundeskanzler und Erneuerer Österreichs“, ist auf einer Steintafel zu lesen.

DIE FINANZIERUNG DES MUSEUMS. Eine Informationstafel neben dem Eingang gibt Auskunft über die finanzielle Beteiligung. Neben niederösterreichischer Landesregierung und Bauernbund haben auch die Familie Karoline Dollfuß sowie das Bundesministerium für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten (BMUK) das Museum finanziell unterstützt. Betreiberin des Museums ist die Gemeinde Texingtal, wobei im Zuge unserer Anfrage auch Dank an die BesitzerInnen des Geburtshauses ausgesprochen wird, die dieses gratis zur Verfügung stellen. Die Kosten für die Gemeinde lagen laut der Historikerin Lucile Dreidemy bei 87.207 Euro. Das BMUK beteiligte sich mit einer Summe von 14.534 Euro an der Museumsgründung. Diese Förderung steht in Widerspruch zu den geltenden Richtlinien des International Council of Museums (ICOM), wonach ein Museum eine gesellschaftliche Einrichtung ist, die „zum Zwecke des Studiums, der Bildung und des Erlebens materielle und immaterielle Zeugnisse von Menschen und ihrer Umwelt beschafft, bewahrt, erforscht, bekannt macht und ausstellt“. Kurzum, ein Museum hat bildungspolitische Verantwortung. Erschreckend, dass sich das Ministerium hier selbst eine große Ausnahme gönnte.

GESCHICHTSVERKLÄRUNG IM MUSEUM. Es ist eine spannende Frage, für wen das Dollfuß-Museum geschaffen wurde. Für eine geschichtsinteressierte Person gibt es so gut wie nichts her: keine Hintergründe, keine differenzierte Auseinandersetzung. Es herrscht ein Mangel an Informationen sowie kritischer Distanz, der fast schon unterhaltsam ist: Dollfuß kam aus bescheidenen Verhältnissen, sammelte ein wenig Tand an, arbeitete hart und fleißig als Landwirtschaftsminister, wurde IRGENDWIE Kanzler, um dann von Nazis erschossen zu werden. Wer eine Ahnung von österreichischer Zeitgeschichte hat, muss schon eine Vorliebe für plumpe Aussparungen und Euphemismen haben, um dem Museumsbesuch etwas abgewinnen zu können. Wer keine hat, lernt auf Wikipedia wesentlich mehr.

Ist die Zielgruppe des Museums also der vermutlich schwindend kleine Rest alter AustrofaschistInnen, die ihrem „Heldenkanzler“ huldigen wollen? Schon eher, doch scheint es an Mut zu fehlen, dies klipp und klar auf den Tisch zu legen und voll auf klerikalfaschistische Sentimentalität zu setzen. Mit dem heuchlerischen Ergebnis, dass die Ideologie des Austrofaschismus komplett ausgespart wird. Ein wenig klammheimliche Freude darüber, dass Gott in der Verfassung des Ständestaats stand, ansonsten erfahren wir erstaunlich wenig über jene Ansichten, die Dollfuß’ politisches Handeln motivierten. Oder überhaupt zu Dollfuß selbst. Nach dem Besuch des Museums können wir zu seiner Persönlichkeit und seinem Charakter beinahe nichts sagen. Ein paar biographische Details, aus denen sich Vermutungen ableiten lassen, haben wir aufgeschnappt. Konkrete Informationen, wie etwa Aussagen von ZeitgenossInnen, fehlen jedoch: Er war arbeitsam und bescheiden, ein uneheliches, vaterloses Kind in einem bäuerlichkonservativen Umfeld, recht arm und wirklich sehr klein. Die Person hinter dem Politiker bleibt jedenfalls nebulös.

AUSTROFASCHISMUS? Zweimal kommt der Begriff „autoritärer Staat“ beziehungsweise „autoritärer Ständestaat“ vor. Was darunter zu verstehen ist, können sich Besuchende selbst ausdenken, das Museum hat dazu nichts zu sagen. Zudem wird oft eine Notwendigkeit dieser Entwicklung suggeriert: Im Kontext, in dem die Begriffe verwendet werden, wirkt die Etablierung eines autoritären Regimes als unabwendbar. Die Frage, welche Verantwortung Dollfuß an diesen Entwicklungen trug, wird nicht einmal gestellt, etwa bei der mysteriösen „Selbstausschaltung des Parlaments“. Dazu steht im Museum lediglich, dass sich das Parlament selbst auflöste und Dollfuß mit Notstandsverordnungen ohne Parlament weiter regierte. Mit keinem Wort wird erwähnt, dass ParlamentarierInnen, einen Tag nach der Auflösung wieder zusammentreten wollten, allerdings von der Polizei daran gehindert wurden.

Im Eingangsbereich wird die Bezeichnung „Selbstausschaltung des Parlaments“ immerhin unter Anführungszeichen gesetzt, später wird diese beschönigende Wendung kommentarlos übernommen. Auch der Bürgerkrieg wird als Mischung aus Sachzwang und Fremdverschulden dargestellt: Der rote Schutzbund war’s. Diese „paramilitärische Organisation“, die „illegal weiterbestand, obwohl sie verboten wurde“ und sich nicht entwaffnen lassen wollte. Mildernd suggeriert das Museum, dass Dollfuß unter großem Druck stand; von Heimwehr (der paramilitärischen Organisation der Christlichsozialen, die nicht illegal war, vermutlich weil diese in der Regierung saßen) und Ausland (konkret: seinem guten Freund und Förderer Mussolini).

WAS ZU SEHEN IST. Die ideologische Ausrichtung ist offenkundig, doch was hat das Museum neben inhaltsarmer Apologetik sonst noch zu bieten? Nicht viel. Das Museum ist klein und trotzdem war es offenbar nicht ganz einfach, es mit Inhalt zu füllen. Auf vier Ausstellungsräume verteilt sich ein Sammelsurium meist banaler Erinnerungsstücke. Raum 1 befasst sich mit Herkunft und Familie, Raum 2 bildet Dollfuß’ Einsatz im Ersten Weltkrieg ab. Raum 3 zeigt ihn als Kämpfer für Österreich, lediglich zwei Infotafeln beschreiben das Jahr 1934. Raum 4 ist ein reiner Gedenkraum, der sich mit der Zeit nach seinem Tod auseinandersetzt. „Du bist für uns nicht tot“ steht in Stein gehauen auf einem Relief, die letzten Worte der Ausstellung, die BesucherInnen des Museums zu lesen bekommen.

Ein paar Exponate sind zu erwähnen, die den Mythos Dollfuß versinnbildlichen: eine Lärchenholzkiste mit Kruckenkreuz, die die zertifizierte (!) Grabeserde Dollfuß’ beinhaltet oder drei verschiedene Totenmasken des „Märtyrer Kanzlers“, eine Reihe seiner Orden aus dem Ersten Weltkrieg, einige Cartellverband-Mützen seiner Verbindung Franco- Bavaria Wien, Gedenktassen und eine Uniform, von der man zunächst vermuten könnte, dass sie einem Kind gehörte, bis einem bewusst wird, wie klein der „große Mann“ doch war. Des Weiteren Straßenschilder, die seinen Namen tragen, oder eine Urkunde, welche belegt, dass sein Vater sich von seinen elterlichen Pflichten freigekauft hat und offenbar nichts mit seinem unehelichen Sohn zu tun haben wollte. Diese Aufzählung ist natürlich nicht vollständig, sie würde mit zunehmender Länge aber kaum spannender werden.

Zu guter Letzt blickt man als BesucherIn in den Abgrund – ins Gästebuch des Museums: „In Zeiten von Freihandelsabkommen und Massenmigration braucht es wieder einen starken Führer“, mit Titel und Namen unterschrieben. Ein Museum wie dieses richtet Schaden an. Keine Spur von diskursfördernden Ansätzen. Wie zum Hohn sponserte das Ministerium für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten unter Elisabeth Gehrer (ÖVP) ein Museum, das dieser Bezeichnung nicht gerecht wird.

Georg List studierte Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien.
Michael Gruber studierte Politikwissenschaft an der Universität Wien.

Kill the Masters

  • 15.06.2016, 21:19
30 werden ist eine so komplizierte Angelegenheit, dass es dazu zahllose Bücher gibt. Die Sache mit dem Erwachsenwerden wird ernst und langsam auch alternativlos. Viel schlimmer aber ist, dass der Freundeskreis erwachsen wird, Abschlüsse macht und beginnt, sich nach einer unsichtbaren Choreographie zu bewegen.

30 werden ist eine so komplizierte Angelegenheit, dass es dazu zahllose Bücher gibt. Die Sache mit dem Erwachsenwerden wird ernst und langsam auch alternativlos. Viel schlimmer aber ist, dass der Freundeskreis erwachsen wird, Abschlüsse macht und beginnt, sich nach einer unsichtbaren Choreographie zu bewegen.

Längst hatte ich mich darauf eingestellt, auf Partys oder Events die elende Frage nach dem Studienfach zu beantworten. Geeignet sind je nach Umfeld und Stimmung „Das Leben“, „Studierende“ oder bequeme Lügen wie „Astrophysik / Sozialwissenschaften / Was mit Medien“, die gelangweilt abgenickt werden. Das Studium ist, besonders bei sogenannten Twenty-Somethings, der Default. Leute mit schulischer Ausbildung, ohne Ausbildung, festen Jobs, Behinderung, Krankheit oder Erwerbslosigkeit kommen in diesem Mikrokosmos nicht vor und werden darum auch nicht mitgedacht. Kellnern etwa ist unter Studierenden schließlich kein Beruf, sondern ein Nebenjob.

Irgendwann, spätestens mit 30, sind alle Partys in diesen homogenen Zirkeln ausgesessen, die Abschlussarbeiten abgegeben. Die Tiraden über stressige Klausurphasen (während der eigenen stressigen Pitchphase), verdammt frühe Vorlesungszeiten (9 Uhr, übel, da mach ich die dritte Rauchpause) –, Beschwerden über die Lehrqualität („Niemand sagt mir, was ich wie tun soll, die Uni bereitet einfach nicht auf das Leben vor!“) scheinen vorbei, meine Freund_innen können endlich meine eigene Not im Großraumbüro nachvollziehen.

VERSCHIEDENE HAMSTERRÄDER. Man möchte niemandem die Arbeitswelt an den Hals wünschen, aber die kleine boshafte Stimme im Kopf freut sich doch ganz kurz, dass mit dem Masterabschluss auch die letzten flügge geworden sind und endlich 40 Stunden pro Woche mit 25 Urlaubstagen im Jahr runterreißen müssen. Die Schadenfreude währt nicht lange, denn letztlich sind desillusionierte und erschöpfte Freund_innen, die plötzlich im gleichen Hamsterrad mitrennen müssen, nichts Erfreuliches. Dass die Hamsterräder in völlig unterschiedlichen Käfigen stehen, dämmert mir langsam, als ich merke, dass meine berufseinsteigenden Freund_innen sich längst an den Futtertrögen der Macht positioniert haben.

Noch in der Uni-Bib oder der Kneipe wird ein Startup oder Beratungsunternehmen gegründet. In der Mensa finden sich bei günstigen, warmen Mahlzeiten wertvolle Netzwerke zusammen. Unterstützt von Infopoint, Studierendenvertretung, psychologischem Dienst oder speziellen Angeboten der Kinderbetreuung können im Uni-eigenen Hackspace oder Bandraum Fertigkeiten ausprobiert und entwickelt werden. Rabatte beim Nahverkehr und Laptopkauf, dem Uni-Dönerladen oder dem städtischen Kulturangebot, Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen und damit Wissen – die Ressourcen werden verteilt. Des einen Bildungsförderung ist des anderen Ausschluss, Barriere oder gläserne Decke.

PRIVILEGIEN POPPEN AUF. Man muss nicht erst in einer Burschenschaft vernetzt sein, um von akademischen Strukturen auch langfristig zu profitieren: etwa durch Alumni-Netzwerke, Mentoring-Projekte mit dem Vorstand und der Startpositionierung an den richtigen Schnittstellen. Die ersten treten ihr Erbe an oder studieren direkt aus der staatlich geförderten Eigentumswohnung der akademisierten Eltern heraus.

War es bisher Common Sense, gerade als klassischerweise linke_r Studierende_r, Klassenunterschiede, Rassismus und Sexismus irgendwie blöd zu finden, wandeln sich diese Einstellungen mit dem zunehmenden Profit an den eigenen Privilegien. Zuvor von Möglichkeiten und Lebenswegen überfordert, verengt sich mit der beruflichen Qualifizierung im Angesicht des ernsten Lebens der Blick nach und nach. Steuerlasten wollen gemindert werden und selbsternannte Leistungstragende sich abgesichert wissen.

Die 4-Zimmer-Altbauwohnung, einst als Studi-WG angemietet, bleibt besetzt und eignet sich mit eingefrorenem Mietvertrag und ohne Mitbewohner_in perfekt als zukünftiges Familiennest für die nächste Generation Elite. Herrschaftskritisch, im Rahmen einer selbstverständlich gleichberechtigten Beziehung, wird die Haushaltsarbeit aufgeteilt, indem man via App eine Putzfrau engagiert. Sozialneidisch denke ich an meine dreckige Wohnung und beäuge die vom als kärglich bejammerten Einstiegsgehalt angeschafften neuen Couchgarnituren und Einbauküchen. Die frischgebackenen Master beneiden mich derweil um meine langjährige Berufserfahrung. Ich versuche, mir vor Augen zu halten, was für ein Glück ich hatte, mit 16 Vorstellungsgespräche und Gehaltsverhandlungen führen zu dürfen, scheitere aber, als ich mich daran erinnere, dass die Gleichaltrigen seinerzeit auf Klassenreise in New York waren und ich mir frühestens in fünf Jahren ein neues Sofa leisten kann.

Auch ohne die vermisste Berufserfahrung kann die Werkstudentin von gestern morgen meine neue Vorgesetzte sein. So lebe ich in der ständigen Furcht, eines Tages Vorgesetzten ausgeliefert zu sein, deren eigene Erfahrungen als Arbeitnehmende sich darauf beschränken, schon einmal Promotionsmaterial in der Fußgängerzone verteilt oder eine Kickstarter- Kampagne aufgesetzt zu haben. Das Praktikumsprojekt und ein_e gewogenr_e Professor_in sind „Referenzen”, der Bekanntenkreis „Kontakte”.

Auf den Partys gibt es jetzt richtiges Essen, dazu werden Visitenkarten gereicht, Projektideen und Kooperationen besprochen. Aus meinem bewunderten Erfahrungsschatz heraus rate ich, nun unironisch, zu Berufsunfähigkeitsversicherung und Steuerberatung. Das bringt mir diverse Anfragen für das Korrektorat von Bewerbungsanschreiben ein, und ich wünsche mir die Hausarbeiten der anderen zurück, für die ich leider nie genug Adorno gelesen hatte, obendrein nichts von akademischen Zitierregeln verstanden habe und daher leider nicht helfen konnte. Ich werde endlich nicht mehr gefragt, was ich studiere, sondern danach, was ich eigentlich studiert habe.

Anne Pohl sollte an dieser Stelle angeben, was sie wo studiert hat.

Da war es nur noch einer

  • 15.06.2016, 20:34
Die Uni Wien will durch die Reduzierung von Masterstudiengängen in der Verwaltung sparen. So werden vier Spezialisierungsmaster der Fakultät für Geschichte ab nächstem Wintersemester zu einem einzigen Masterstudium zusammengefasst. Tatsächliche Einsparungen dürfte das aber nicht bringen.

Die Uni Wien will durch die Reduzierung von Masterstudiengängen in der Verwaltung sparen. So werden vier Spezialisierungsmaster der Fakultät für Geschichte ab nächstem Wintersemester zu einem einzigen Masterstudium zusammengefasst. Tatsächliche Einsparungen dürfte das aber nicht bringen.

Wenn Eva über ihren baldigen Studienabschluss spricht, mischt sich die Freude darüber, bald fertig zu sein mit Nervosität. Denn sie hat nur noch wenige Wochen Zeit, um ihre Masterarbeit fertig zu schreiben und ihre letzte Prüfung zu absolvieren. Anders als bei anderen Masterstudierenden ist der Studienabschluss bis Ende Juni für sie jedoch kein selbst gesetztes Ziel. Schafft sie es nicht, diese Deadline einzuhalten und ihr Studium in den nächsten Wochen abzuschließen, muss sie kurz vor ihrem Masterabschluss noch das Studium wechseln. Denn Evas Studienrichtung Zeitgeschichte wird es ab nächstem Wintersemester nicht mehr geben. Ebenso wenig wie die Masterstudiengänge Frauen- und Geschlechtergeschichte, Wirtschafts- und Sozialgeschichte oder Historisch-kulturwissenschaftliche Europaforschung.

ALLES IN EINEN TOPF. Stattdessen werden all diese Masterstudiengänge ab dem Wintersemester 2016/2017 in einem einzigen neuen Studiengang Geschichte zusammengefasst. Für die circa 140 Studierenden, die zurzeit einen der oben genannten spezialisierten Masterstudiengänge in Geschichte belegen, bedeutet dies daher: entweder dieses Semester fertig werden, wie Eva, oder den neuen Master Geschichte beginnen – und dabei eine ganze Reihe von Lehrveranstaltungen nachholen. Wie viele von den betroffenen Studierenden den Abschluss rechtzeitig schaffen und wie viele umsteigen müssen, ist noch nicht klar. Aus Erfahrung wisse man aber, dass Studierende in so einer Situation eher versuchen würden, das Studium so schnell wie möglich abzuschließen, heißt es an der Universität Wien. Auf jeden Fall gibt es für die Betroffenen ein „Notfallpaket“, das heißt einen per E-Mail ausgeschickten Zeitplan mit Informationen über die Optionen Studienabschluss und Umstieg. Doch die Änderungen werfen nicht nur studiengangspezifische Fragen über Anrechnungen, Umstiege oder Masterarbeits-Deadlines auf, sondern auch grundsätzliche darüber, wie das Bologna-System in Zukunft aussehen soll und wie erfolgreich die Versuche der Universität Wien sind, bei der Verwaltung einzusparen.

Auf die künftig Inskribierten sowie die UmsteigerInnen kommen einige Veränderungen zu. Denn die neuen AbsolventInnen des Bachelors Geschichte können sich ab nächstem Semester nicht mehr durch ihre weiterführende Studienwahl spezialisieren. „Gesamt gesehen bleibt das Studienangebot in seiner Breite bestehen, auch die Differenzierung in Bezug auf das Lehrveranstaltungsangebot in den einzelnen Schwerpunkten bleibt erhalten“, heißt es dazu zwar von der Universität Wien. Doch im Gegensatz zum bisherigen System, in dem die Studierenden ihr gesamtes Masterstudium, also 120 ECTS, in einem Bereich machen konnten, ist eine Schwerpunktsetzung in Zukunft nur mehr im Ausmaß von je höchstens 30 ECTS möglich. Eine weitere Änderung wird sein, dass dieser neue Masterstudiengang nur noch im Wintersemester begonnen werden kann.

FLEXIBILITÄT ODER OBERFLÄCHLICHKEIT. „Fluch und Segen“ nennt Wolfgang Wiesinger von der Studienrichtungsvertretung Geschichte die Einstellung der Masterstudien. Der Segen ist für ihn dabei, dass der neue Master flexibler sein und mehr Auswahlmöglichkeiten bieten soll, anstatt einem strengen modularen Aufbau zu folgen, wie das die vier bald abgeschafften Studiengänge tun. „Das Problem, das wir bisher hatten war, dass die Studienpläne einfach die Institutsstruktur abbildeten“, erklärt Wiesinger. Bisher richtete sich der Lehrinhalt der Geschichte-Master tatsächlich weniger nach inhaltlichen Fragen, sondern nach der Organisationsstruktur der Fakultät. Es gibt ein Institut für Zeitgeschichte, also gibt es einen Master Zeitgeschichte, ein Institut für Wirtschaftsund Sozialgeschichte, also gibt es einen Master Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Die Zusammenfassung dieser Studiengänge zu einem einzigen Masterstudium soll diese Struktur aufbrechen. Oder wie es die Pressestelle der Univerität Wien ausdrückt: „So können die Studierenden durch die Bündelung in einem Programm bei gleichzeitiger Flexibilisierung des Angebots die Spezialisierungsmöglichkeiten individueller gestalten. Weiteres Ziel bei der Umstellung ist, die Anrechenbarkeiten nach Mobilitätsprogrammen und durch den Wahlbereich die Durchlässigkeit zu anderen Disziplinen zu erhöhen.“ Soweit jedenfalls der Plan.

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Die Frage, ob dies tatsächlich möglich sein wird, hängt allerdings weniger vom Aufbau des neuen Studienplans ab, als davon, welche Lehrveranstaltungen dann in der Praxis tatsächlich zur Auswahl stehen werden. Die Studienvertretung Geschichte kritisierte schon früher ein mangelndes Kursangebot der Fakultät. „Im Moment würde es funktionieren, weil die alten Masterstudiengänge dieses Semester noch viele Lehrveranstaltungen anbieten. Aber wie es nächstes Semester läuft, wenn es die Spezialisierungsmaster nicht mehr gibt, muss man sich ansehen“, meint Wiesinger.

Unter den Studierenden herrscht diesbezüglich die Befürchtung vor, dass das Studium im neuen Master oberflächlicher wird. „Ich würde den neuen Master nicht beginnen, außer es gibt wirklich gar keine andere Möglichkeit mehr. Ich habe mich nach dem Bachelor für Zeitgeschichte entschieden, weil mich das am meisten interessiert hat“, erzählt Eva. „Ich habe mir das schon hypothetisch überlegt: Wenn ich jetzt mit dem Bachelor fertig werden würde, würde ich im neuen Master wahrscheinlich die Schwerpunkte Zeitgeschichte und Frauen- und Geschlechtergeschichte wählen. Aber es würde nicht dasselbe sein. Es wäre nicht Zeitgeschichte.“

EINSPARUNGSPOTENTIAL. Neben Schlagworten wie Flexibilisierung und Interdisziplinarität steht aber noch ein anderer Faktor im Raum: Einsparungen in der Verwaltung. Statt bisher vier verschiedene Studiengänge auf vier getrennten Instituten, muss in Zukunft nur noch ein einziger Studiengang administriert werden. „Das ist allerdings vollkommener Blödsinn“, sagt Wiesinger. „Das hören wir übrigens auch von der Studienservicestelle.“

Für die Institute, an denen die spezialisierten Masterprogramme angesiedelt waren, hat das Ende derselben noch eine weitere Dimension: Sie fürchten, dadurch, dass sie keine kompletten Studiengänge mehr anbieten können, international in Zukunft weniger wahrgenommen zu werden. Eine Lösung haben die verschiedenen Institute dafür jedoch schon gefunden – aber auch diese trägt nicht unbedingt zu Einsparungen in der Verwaltung bei: Das Rektorat will nämlich nicht nur bei der Administration einsparen und alte Strukturen aufbrechen, sondern auch die Interdisziplinarität zwischen verschiedenen Fachgebieten fördern. Der neue Geschichte-Master soll laut der Universität Wien daher unter anderem auch „durch den Wahlbereich die Durchlässigkeit zu anderen Disziplinen erhöhen“.

ALLES BEIM ALTEN. Gleichzeitig gründen die Institute für Zeitgeschichte und Wirtschafts- und Sozialgeschichte im nächsten Jahr neue Studiengänge. Diesmal jedoch unter dem Banner der Interdisziplinarität und mit dem erklärten Ziel ihr Profil zu stärken. Das Masterstudium „Zeitgeschichte und Medien“, das diesen Mai präsentiert wurde, ist eine Co-Produktion der Institute Zeitgeschichte, Politikwissenschaft und Publizistik. Die Wirtschafts- und Sozialgeschichte wird sich mit der VWL zusammentun. Das Institut für Osteuropäische Geschichte ist von den aktuellen Kürzungen nicht betroffen, weil es schon länger zusammen mit dem Slawistik-Institut den Studiengang „Osteuropastudien“ betreibt. Auf Nachfrage von progress preist das Institut für Zeitgeschichte seinen neuen Master auch tatsächlich als Möglichkeit zur Weiterführung des alten Masters an. Auch wenn bisher weder Lehrveranstaltungen für das erste Semester dieses neuen Masters feststehen, noch klar ist, wie viel sich an einem Umstieg interessierte Studierende aus dem alte Studienplan anrechnen lassen werden können.

Die Gründung all dieser neuen interdisziplinären Studiengänge würde teilweise einen Schritt in Richtung altes Mastersystem darstellen – nur eben mit einem zusätzlichen allgemeinen Studiengang, den es bisher auch schon gab. Oder wie es Studienvertreter Wiesinger ausdrückt: „Die Situation wird ähnlich wie vorher – nur komplizierter zu administrieren.“

Dass die verschiedenen Institute für Geschichte möglicherweise über Umwege wieder zur alten Struktur zurückfinden, macht für Noch-Zeitgeschichte- Studentin Eva keinen Unterschied mehr. „Der größte Stress ist, dass ich vielleicht noch eine Prüfung machen muss, dass ich irgendeine Lehrveranstaltung übersehen habe“, sagt Eva. „Wenn mir doch noch ein Seminar fehlt, muss ich den neuen Master machen. Aber das will ich auf keinen Fall.“ So schreibt sie unter großem Druck ihre Masterarbeit und bereitet sich auf ihre Prüfung vor. „Das ist ja vielleicht das einzige Gute an der ganzen Situation“, lächelt sie verschmitzt. „Ich hab eine Deadline. Ich muss endlich fertig werden.“

Magdalena Liedl studiert Anglistik und Geschichte an der Universität Wien.

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