April 2010

Ich bin mein Maßstab

  • 13.07.2012, 18:18

Clemens Hoke (23) will schöne Architektur kreieren.

Clemens Hoke (23) will schöne Architektur kreieren.

Mit dem Architekturstudium zu beginnen, war für mich eine Rückkehr zur Freiheit. In meinem vorangegangenen Politikwissenschaftsstudium beschäftigte ich mich über Jahre mit Dingen, die andere gemacht haben. Jetzt kann ich selber etwas erschaffen. Nichts anderes bedeutet für mich Freiheit.
Diese Freiheit existiert in allen Formen von Kunst und ist für mich auch ihr definierendes Element. Die Architektur ist aber sicher eine der eingeschränktesten Künste. Sie muss sich in erster Linie am Menschen und in weiterer Folge an der Physik, den Gesetzen und den ökonomischen Rahmenbedingungen orientieren. Während andere Kunstformen oft einer intellektuellen und finanziellen Elite vorbehalten sind, ist die Architektur überall präsent und betrifft jeden Menschen, unabhängig von seiner Klassenzugehörigkeit. Deshalb ist Architektur auch immer politisch.
Der Mensch steht im Mittelpunkt der Architektur, denn er muss in ihr leben, arbeiten oder sie sonst irgendwie nutzen. Um den Bedürfnissen des Menschen nahezukommen, werden Konzepte erstellt, die sich an Statistiken und Theorien festhalten. Oft wird dabei eine Bevormundung oder eine Idealisierung der Betroffenen vollzogen, die der Realität fern ist. Diese Praxis, gepaart mit einer Mode der spektakulären Formen und computergenerierten Bilder, macht moderne Architektur oft so schlecht.

Egoistisch und unreflektiert. Ich habe einen anderen Ansatz, der, dessen bin ich mir bewusst, als egoistisch und unreflektiert aufgefasst werden könnte. Er orientiert sich nicht an Idealbildern, sondern an mir. Ein Haus zu entwerfen, in dem ich nicht selber wohnen will, ein Krankenhaus zu planen, in dem ich nicht Patient sein will, oder eine Universität zu bauen, an der ich nicht studieren will, ist für mich nicht tragbar. Das heißt nicht, dass ich nur für mich bauen will, aber der Schritt zu einem guten Gebäude erfolgt über mein persönliches Empfinden.
Um ein Gebäude so zu gestalten, dass es mir gefällt, verlasse ich mich hauptsächlich auf mein Gefühl. Beim Betrachten einer Fassade kann ich in einem Augenblick entscheiden, ob sie gut oder wertlos ist. Da gibt es keine Formel oder Theorie, die ich lernen muss oder kann. Es ist ein Gefühl, das ausgelöst wird durch Proportionen und Details, und es ist mein Ziel, dieses Gefühl bei jedem meiner Gebäude zu nutzen, um etwas Schönes zu bauen. Es muss dabei nicht jedes Mal das Rad neu erfunden werden und ich muss mich auch keiner Mode unterwerfen, denn Mode veranlasst Gleichschaltung und Bewertung nach falschen Kriterien, ihre Resultate sind meistens schlecht.
Proportionen und Details sind entscheidend. Wie ein Raum wirkt hängt von den Verhältnissen der einzelnen Elemente zueinander und von den Elementen selbst ab. Was in einem Raum steht ist ebenso wichtig wie die Ausführung der Bausubstanz. Ob eine Wand gerade oder handverputzt ausgeführt wird, ist nur ein Detail, das weder im Plan noch im computergenerierten Bild vorkommt, das aber für die Wirkung des Raumes eine große Rolle spielt. Ebenso verhält es sich mit dem Inventar eines Gebäudes.
Mir sagt der Ansatz zu, bis zur Einrichtung alles zu entwerfen. Nur so kann ein Bau zu einem Kunstwerk werden, sonst ereilt ihn das Schicksal vieler Bauten, die an sich gut sind, aber zugemüllt wurden mit Schildern, Bankomaten, Würstelständen, Reklametafeln und barocken Altären. Nur wenn alles in sich stimmig ist, kann ein Gebäude schön sein, und darum geht es für mich letztendlich – schön zu bauen.

Heute eben keine gute Kunst

  • 13.07.2012, 18:18

Hyo Lee (26) studiert an der Universität für angewandte Kunst Fotografie.

Hyo Lee (26) studiert an der Universität für angewandte Kunst Fotografie.

Waschbären sind für Hyo Lee das Größte. Auch bei der aktuell laufenden Ausstellung der 26-jährigen Fotografiestudentin im Wiener Eventlokal Elektro Gönner stehen die Bären mit den charakteristischen schwarzen Augenschatten im Mittelpunkt. Nicht mehr als die logische Folge einer seltsamen Leidenschaft: Tagelang schaut die gebürtige Koreanerin momentan YouTube- Videos von Waschbären, zeichnet sie, redet begeistert über ihre Eigenheiten. „Wenn ich einen Waschbär auf Papier zeichne, ist das für mich so faszinierend, dass ich es immer und immer wieder machen will.“ Die mittlerweile seit fünf Jahren in Wien lebende Hyo Lee ist überzeugt davon, dass alle KünstlerInnen von Zeit zu Zeit von Themen besessen sind: „Du weißt nicht, was es ist, aber du kannst nicht aufhören damit. Wenn du bis zum Schluss den Grund für deine Faszination, den Sinn in einer Sache nicht finden kannst, musst du aufgeben. Aber vorher brauchst du immer diese Phase des Übertreibens, Ausreizens.“
Den Grund für ihre Besessenheit von Waschbären kann Lee heute – zumindest teilweise – schon benennen: Sie zieht in ihrer künstlerischen Arbeit eine Analogie zwischen dem Verhalten von Waschbären und den „Party people“, jenen nachtaktiven, überwiegend destruktiv lebenden Mitglieden der Party- und Spaßgesellschaft, zu denen sie sich auch selbst zählt. „Wir beide, Waschbären und Partymenschen sind ständig auf der Suche nach etwas, obwohl wir es schon hatten. Bei den Waschbären ist es das Essen. Sie essen, essen, essen, ohne je zufrieden zu sein. Sie sind gierig, immer auf der Suche, und nehmen im Grunde alles, was sie kriegen können. Bei uns ist es dasselbe, nur sind wir eben auf der Suche nach mehr Drogen, Alkohol oder mehr Sex auf der Party.“

Von Mercedes zur Kunst. Lee denkt nicht gerne zu lange nach, bevor sie anfängt zu arbeiten. Sie wolle ganz einfach die Dinge tun, die ihr Spaß machen. Themen, die sie faszinieren, die sie persönlich betreffen, greift sie auf. „Kunst ist für mich die einzige Möglichkeit, besessen von mir selbst zu sein, ohne dafür kritisiert zu werden“, ist Hyo Lee überzeugt. „Es gibt Phasen, in denen ich nur Selbstportraits machen kann, weil ich so voll bin mit mir selbst.“ Voll von sich selbst sein, das gibt es für Hyo Lee eigentlich erst, seit sie seit 2006 an der Universität für angewandte Kunst Fotografie studiert. Davor verbringt sie, aufgewachsen als Tochter eines Reiseunternehmers und einer Hausfrau in Seoul, ihr Leben als funktionierendes Mitglied ihrer Familie und der koreanischen Leistungsgesellschaft. Während ihre Schwester herausragende Noten schreibt, aber auch laut und fordernd ist, bleibt Hyo stets ruhig und unkompliziert. Schon als kleines Kind zeichnet sie gern und gut, gewinnt Preise. Als sie sich im zweiten Jahr der High School für den Kunstzweig einschreiben will, ihr Vater sie aber lieber im Wirtschaftszweig sehen würde, akzeptiert sie seinen Wunsch. Danach beginnt sie ein Wirtschaftsstudium in Seoul, das sie mit 23 auch beendet. Während dieser Zeit macht sie in verschiedenen europäischen Städten Praktika, die sie durch die berufliche Tätigkeit ihres Vaters als Reiseunternehmer bekommt, eine dieser Städte ist Wien. Für Lee ist sofort klar: In dieser Stadt will sie leben. Nachdem sie ihr Studium beendet und noch sieben Monate bei Mercedes-Benz gearbeitet hat, müssen ihre Eltern ihren Wunsch, wegzugehen, akzeptieren.

Unerschütterlicher Optimismus. Als Lee zwei Tage vor der Aufnahmeprüfung in Wien ankommt, hat sie einige lose Fotos dabei. Sie klebt unter Zeitdruck noch ein Portfolio zusammen, ohne zu wissen, wie ein solches auszusehen hat – und wird an der Angewandten aufgenommen. „Auf gewisse Weise bin ich so natürlich durch Zufall zur Kunst gekommen. Aber ich glaube nicht, dass es irgendjemand wagen würde, nur aus Zufall heraus als KünstlerIn zu leben. Das ist viel zu riskant, nicht nur finanziell gesehen. Auch, weil man sich auf gewisse Weise eine eigene Welt aufbaut und so Gefahr läuft, niemals richtig erwachsen zu werden.“ Lee ist aber mit unerschütterlichem Optimismus gesegnet. Während unproduktiver Phasen sage sie sich: „Gut, heute mache ich eben keine gute Kunst. Dann kann ich wenigstens Spaß haben und Party machen, ich arbeite ohnehin in einem Lokal. Und wenn ich dabei keinen Spaß habe, verdiene ich heute eben einfach nur Geld.“ Sie richtet sich auf, so dass der Katzenprint auf ihrem Sweater sichtbar wird, und grinst: „Das macht alles total einfach.“

WM im gespaltenen Land

  • 13.07.2012, 18:18

Die Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika steht kurz bevor. Der Weltfußballverband FIFA verspricht ein Freudenfest, wie es die Welt noch nicht gesehen hat. Doch zum Feiern ist vielen SüdafrikanerInnen eigentlich nicht zu Mute. Zu groß sind die Probleme im eigenen Land.

Die Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika steht kurz bevor. Der Weltfußballverband FIFA verspricht ein Freudenfest, wie es die Welt noch nicht gesehen hat. Doch zum Feiern ist vielen SüdafrikanerInnen eigentlich nicht zu Mute. Zu groß sind die Probleme im eigenen Land.

In ihren Augen waren wir keine Menschen. “Als der 24-jährige Mathematiker MarcusSolomon 1964 seine 15-jährige Haftstrafe wegeniderstandes gegen die Staatsgewalt im Hochsicherheitsgefängnis von Robben Island antrat, wurden er und die anderen Häftlinge „wie Säcke von Kipplastern abgeladen“, erzählt Solomon. Hier, auf der Gefängnisinsel zwölf Kilometer vor Kapstadt, schlug die Unmenschlichkeit des Apartheid-Regimes mit voller Wucht zu. Unter der Woche mussten die 1.400 Insassen im Steinbruch bis zur völligen Erschöpfung arbeiten. Am Wochenende wurden sie wie Tiere in ihre Zellen gepfercht. Das Ziel der Handlanger des Buren-Regimes war klar: Der Wille der politisch unangenehmen Häftlinge sollte gebrochen werden. Es war aber weniger die kraftraubende Arbeit im Steinbruch, die den Insassen zu schaffen machte, als vielmehr die strikte Isolation und gähnende Langeweile an den Wochenenden. „Wenn wir doch wenigstens ein bisschen an die frische Luft gehen und Fußball spielen könnten“, dachte sich Solomon von den ersten Tagen an. Seine Mitinsassen waren von dieser Idee sofort begeistert, doch bei den Wärtern stießen sie auf taube Ohren. Dennoch: Drei lange Jahre brachten die Häftlinge Woche für Woche immer wieder den gleichen Wunsch vor: „Wir wollen Fußball spielen.“ Die Gefängnisdirektion antwortete mit Prügel und Essensentzug.

Boykott der Freiheitskämpfer. Im Dezember 1967 wurden aber einige Häftlinge auf den Hinterhof der Barracken geführt. Dort erhielten sie einen Ball und die Erlaubnis, für eine halbe Stunde Fußball zu spielen. „Endlich hatten wir zumindest ein kleines Stück unserer Freiheit zurück“, erinnert sich Solomon. Die Häftlinge blieben aber den Wärtern ausgeliefert: Sie bestimmten, wer aus den Zellen raus durfte und wie lange gespielt wurde. Hatten die Insassen zu offensichtlich Spaß, setzten sie dem Spiel jäh ein Ende. Als zwei Jahre später auf Druck des Internationalen Roten Kreuzes die Gefängnisleitung durch eine gemäßigtere ausgetauscht wurde, durften die Häftlinge endlich ihre eigenen Spiele organisieren. Es dauerte nicht lange bis auf Robben Island ein eigener Verband gegründet wurde. Dabei wurde jeder Häftling, der mitmachen wollte, mit einer Aufgabe bedacht. Wer in keinem der acht Vereine unterkam, der half als Schiedsrichter, Funktionär, Trainer oder Platzpfleger mit. Robben Islands berühmtester Häftling Nelson Mandela durfte im Gegensatz zum heutigen Staatspräsidenten Jacob Zuma, der als linker Verteidiger spielte, nicht auf den Platz. Über ihn war eine Isolationshaft verhängt worden. Er konnte allerdings zu Beginn die Spiele von seinem Zellenfenster aus mitverfolgen. Als die Gefängnisleitung das bemerkte, ließ sie eine Mauer vor dem Fenster errichten. „Wir waren Idealisten. Die Organisation des Verbandes und die Spiele waren der Versuch,in einem barbarischen Umfeld zivilisiert miteinander umzugehen“, sagt Solomon.
Die Geschichte der Fußball spielenden Häftlinge auf Robben Island war landesweit bekannt, aber knapp 15 Jahre nach dem Ende des Apartheid-Regimes interessierte sie niemanden mehr. Erst mit der Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft an Südafrika wurde das Interesse daran wieder geweckt. Für den Weltfußballverband FIFA war es ein gefundenes Fressen. FIFA- Präsident Joseph Blatter reiste mehrere Male nach Robben Island, um dort mit Tränen in den Augen und „tief bewegt“, wie er sagte, den kickenden Freiheitskämpfern zu gedenken. Solomon und seine ehemaligen Weggefährten können dieser Inszenierung nichts abgewinnen. „Uns ging es ums Allgemeinwohl, die FIFA aber denkt nur ans Geschäft. Welchen Sinn macht es, wenn Stadien errichtet werden, die keiner braucht, obwohl unsere Kinder in den Townships absolut nichts haben“, kritisiert Solomon die PolitkerInnen seines Landes und den Weltfußballverband. Er selbst hat für sich schon die Konsequenzen gezogen: Er wird die Weltmeisterschaft im eigenen Land boykottieren.

Tötet die Buren. Tatsächlich ist Südafrika heute nicht nur hinsichtlich der WM ein gespaltenes Land. Die Spannungen zwischen der schwarzen und weißen Bevölkerung nahmen in der jüngsten Vergangenheit wieder zu. Das brutale soziale Ungleichgewicht innerhalb des afrikanischen Vorzeigelandes ist auch in der Post-Apartheid-Ära nicht vom Tisch. Obwohl inzwischen auch einige Schwarze den Aufstieg in die Oberklasse geschafft haben, lebt ein Großteil von ihnen heute noch immer in bitterer Armut, ohne Bildung, medizinische Versorgung und die Chance auf einen sozialen Aufstieg. Wie fragil das Gebilde Südafrika ist, zeigten die Spannungen der vergangenen Wochen. Als Eugene Terre‘Blanche, Führer der rechtsextremen Afrikaner Weerstandsbeweging (AWB), höchstwahrscheinlich von Bediensteten schwarzer Hautfarbe ermordet wurde, riefen seine AnhängerInnen offen zur blutigen Rache auf und drohten damit, das Land ins Chaos zu stürzen. Inzwischen hat der AWB-Sprecher Pieter Steyn aber erklärt, „dass seine Organisation in diesem Fall aller Gewalt abschwört.“ Julius Malema, der Anführer der ANC-Jugendliga und politische Ziehsohn von Präsident Zuma, heizte die Lage noch einmal zusätzlich an. Vor 500 Studierenden der Universität von Johannesburg stimmte er das ehemalige Kampflied der Freiheitsbewegung mit den Zeilen „Tötet die Buren, tötet die Farmer“ an.
Und das alles just in dem Moment, in dem die gesamte Weltöffentlichkeit in Erwartung der Weltmeisterschaft gespannt nach Südafrika blickt. „Ich fahre da nicht hin. Ich war nie ein großer Freund einer WM in Südafrika oder überhaupt auf dem afrikanischen Kontinent, solange Sicherheitsaspekte nicht zu 100 Prozent geklärt sind“, sagte Bayern München-Präsident Uli Hoeneß schon Anfang dieses Jahres. Mit dieser Meinung steht Hoeneß nicht alleine da. Die FIFA räumte inzwischen ein, dass anstatt der ursprünglich erwarteten 450.000 TouristInnen aus Übersee wohl nur knapp 350.000 die Reise ins südlichste Land Afrikas antreten werden. Die südafrikanische Regierung korrigierte die Zahl in ihren Berechnungen mittlerweile auf 300.000 BesucherInnen herunter. Die politische Führung des Landes sieht als Grund dafür die negative Medienberichterstattung in Übersee an. Dass die Sicherheitslage in Südafrika aber wirklich prekär ist, zeigt ein Blick in die Kriminalstatistik: 50 Menschen werden täglich in Südafrika ermordet. Die Dunkelziffer liegt laut ExpertInnen noch viel höher. Der Kampf gegen die Kriminalität ist inzwischen für viele SüdafrikanerInnen zur obersten Priorität geworden. So erklärte Max Price, der Vizerektor der University of Capetown, in einer viel beachteten Rede anlässlich der Begräbnisfeierlichkeiten des ermordeten Studenten Dominic Giddy, „dass die Apartheid zusammengebrochen ist, als die Zivilgesellschaft entschieden hat, dass sie am Ende ist. Jetzt müssen wir als Gesellschaft beschließen, dass Schluss sein muss mit der Kriminalität.“ Einen wesentlichen Teil der Schuld sieht Giddy in den PolitkerInnen des Landes. „Ihr müsst endlich beweisen, dass ihr es ernst meint. Wenn ihr das macht, unterstützen wir euch. Aber wenn Ihr, wie bisher, leichtfertig mit unseren Leben umgeht, werden wir euch den Mittelfinger zeigen und euch abwählen.“ Der Protest gegen Gewalt und Verbrechen findet immer mehr AnhängerInnen. So wurden vor kurzem auf eine Initiative der größten unabhängigen Gewerkschaftsbewegung des Landes 18 Schubkarren voll mit 107.000 Briefen, die zum Kampf gegen die Kriminalität auffordern, persönlich bei Präsident Zuma abgegeben.

Schwer bewaffnete Spezialeinheiten. Die WM-TouristInnen werden die Gewalt wohl dennoch nicht zu fürchten haben. Insgesamt 88.000 PolizistInnen, darunter schwer bewaffnete Spezialeinheiten, sollen die BesucherInnen von den „dunklen Seiten“ Südafrikas abschirmen. FIFA-Boss Blatter ist zuversichtlich: „Wir können nur für ein Minimum an Sicherheit garantieren, doch für den Rest haben wir von Anfang an Südafrika vertraut. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, die WM-Premiere in Afrika könne kein Erfolg werden. Wir ziehen doch nicht in den Krieg, wir sprechen über ein Fest“, erklärte er im März. Ein Fest, das von 88.000 Truppen beschützt werden muss.
Die finanziellen Mittel, die die südafrikanische Regierung für die Ausrichtung der WM in die Hand nimmt, sind enorm. Alleine in den Neubau bzw. die Renovierung der zehn WMStadien fließen € 1,25 Milliarden. Für Infrastrukturmaßnahmen rund um die Stadien stellt die Regierung rund € 570 Millionen bereit. Als Teil eines viel größeren Investitionsprogramms zur Verbesserung der Infrastruktur im Land wurden in den letzten vier Jahren insgesamt etwa € 36 Milliarden investiert. Zum Vergleich: Die bis dato teuersten Olympischen Spiele waren die jüngsten in Peking, wo die Kommunistische Partei Chinas rund € 28 Milliarden in die Hand nahm. Ein Teil-Nutzen dieses Programms für die Bevölkerung, die dadurch künftig zum Beispiel auf ein verbessertes öffentliches Verkehrswesen zurückgreifen kann, ist unbestritten. Wie viel Geld die WM im Gegensatz dazu in die Kassen des südafrikanischen Staates spülen wird, ist hingegen mehr als umstritten. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass die Austragung solcher sportlichen Großereignisse manchmal weit weniger bringt als erwartet wird. Mitunter kann ein Event dieser Größenordnung auch ins Negative umschlagen. Die kanadische Stadt Montreal, Austragungsort der Olympischen Winterspiele 1976, konnte sich erst 30 Jahre später von den daraus resultierenden Schulden befreien. In Südafrika rechnet die Regierung mit einem Plus von € 1,7 Milliarden alleine aus den Steuereinnahmen. € 760 Millionen sollen die WM-TouristInnen im Land lassen.
Wichtigste Aufgabe der WM in Südafrika ist aber ohnehin nicht die Erwirtschaftung vonmöglichst viel Geld, sondern vielmehr die Förderung einer landesweiten, einheitlichen Identität. Sportliche Erfolge spielen in der jungen Geschichte der Post-Apartheid-Ära eine wichtige Rolle. So brachte der Gewinn des Afrika-Cups 1996 im eigenen Land eine riesige Welle der Begeisterung mit sich. Für kurze Zeit waren alle sozialen Probleme im Land vergessen, im Freudentaumel schienen für kurze Zeit alle gleich. „Wir müssen den Sport nützen, um unser Volk in die Richtung eines vom Rassismus befreiten Südafrikas zu lenken. Wir müssen ihn für unser Nationbuilding nutzen, um Selbstwertgefühl und Nationalstolz zu stärken“, erklärte der ehemalige Sportminister Makhenkesi Stofile.

Blatter und der Friedensnobelpreis. Die „Bafana Bafana“, wie die SüdafrikanerInnen ihre Landesauswahl nennen, könnte Stofile einen Strich durch die Rechnung machen. Seit Jahren sucht die Mannschaft, die vom Brasilianer Carlos Alberto Parreira für eine Millionen-Gage trainiert wird, den Anschluss an die afrikanische Spitze. Nur wenn das Team rund um Spielmacher Steven Piennar über sich hinauswächst, kann ein Aus in der Vorrunde vermieden werden. Sollten sich die Gastgeber aber bereits vorzeitig aus dem Turnier verabschieden, was angesichts der Gruppengegner Frankreich, Mexiko und Uruguay sehr wahrscheinlich ist, dann ist es mit der Euphorie schnell wieder vorbei. Ein blamabler Auftritt der „Bafana Bafana“ könnte sich für die ganze WM als Sicherheitsrisiko erweisen.
Joseph Blatter hingegen will von alledem nichts wissen. Seit Monaten tourt der 73-jährige Schweizer rund um den Globus, um gute Stimmung für „seine“ WM in Südafrika zu machen. Als im Dezember 2009 der offizielle WM-Ball „Jabulani“ in Kapstadt der Öffentlichkeit präsentiert wurde, bekam diese auch einen völlig losgelösten FIFA-Präsidenten zu sehen. „Jabulani, ich liebe dich“, war der mächtige Funktionär nicht mehr zu halten. Nach der erfolgreichen Vergabe der WM an Südafrika hat der „Sonnenkönig“, so Blatters Spitzname, neben einer vierten Amtszeit als oberster Fußball-Funktionär, bereits ein weiteres Ziel vor Augen. Nicht weniger als den Friedensnobelpreis soll Blatter im Visier haben. Er sprach von diesbezüglichen „Initiativen“, die jetzt an ihn „herangetragen werden“. Unbescheiden wie er ist, sagte er aber auch: „Wenn wir einen Nobelpreis bekommen sollten, dann gebührt dieser der gesamten FIFA und nicht einem Mann.“ Falls die Auszeichnung aber doch direkt an ihn gehen würde? „Dann würde ich ihn nicht ablehnen. Natürlich nicht. Das gehört sich doch nicht.“

Was ist Kunst?

  • 13.07.2012, 18:18

Wikipedia sagt Folgendes: „Im engeren Sinne werden damit Ergebnisse gezielter menschlicher Tätigkeit benannt, die nicht eindeutig durch Funktionen festgelegt sind. Kunst ist ein menschliches Kulturprodukt, das Ergebnis eines kreativen Prozesses. Das Kunstwerk steht meist am Ende dieses Prozesses, kann aber seit der Moderne auch der Prozess selber sein.“
Weil uns diese Definition zu spröde ist, bedienten wir uns für das Dossier lieber eines Tom Wolfe-Zitats: „Die moderne Kunst ist durch und durch literarisch geworden: Die Gemälde und anderen Werke dienen nur zur Illustration des Textes.“ (siehe auch Buchrezension S. 24). Wir wollten uns an seinen Worten ein Beispiel nehmen und baten sechs KünstlerInnen, das Wort Kunst über ihre eigene Biographie zu definieren.
Ob dieser Versuch erfolgreich war, davon könnt Ihr euch auf den folgenden Seiten selbst überzeugen.

Die so gern verschwinden möchte

  • 13.07.2012, 18:18

Bettina Földesi (25). Tänzerin und Performerin

Bettina Földesi (25). Tänzerin und Performerin

„21 und freischaffende Künstlerin? Dazu habe ich mich damals einfach nicht bereit gefühlt“, sagt Bettina Földesi, Tänzerin, seit Beginn des Interviews im Schneidersitz auf der noch kühlen Frühlingswiese sitzend. Sie tanzt seit sie sechs Jahre alt ist. Es beginnt mit Ballett und rhythmischer Sportgymnastik, mit 14 kommen Abendklassen in zeitgenössischem Tanz dazu, in der Schule mit Tanzschwerpunkt choreographiert sie selber. Nach der Matura beginnt sie in Salzburg am SEAD (Salzburg Experimental Academy of Dance) eine dreijährige Ausbildung zur zeitgenössischen Tänzerin. Mit 21 macht sie dort ihren Abschluss. Nach ihrer Ausbildung geht sie nach Wien, trainiert dort mittels eines Förderstipendiums des Tanzquartier Wien und macht Stücke.

Dann folgt allerdings die Krise. „Ich hatte nach meiner Ausbildung das Gefühl, gut, technisch bin ich vielleicht soweit. Aber von PerformerInnen wird erwartet, dass sie ihre Arbeit künstlerisch genau verorten können, dazu muss man viel über Kunsttheorie, aktuelle Kunstschaffende und zeitgenössische Kunst wissen. Für mein Gefühl hatte ich damals definitiv noch nicht genug Zeit gehabt, mich theoretisch damit zu befassen. Jedenfalls wusste ich absolut nicht, was ich der Welt als Künstlerin eigentlich sagen will.“ So inskribiert sie Philosophie und will vom Tanz zwei Jahre lang nichts wissen: „Das war wie ein Ventil, um Druck abzulassen. Endlich einmal etwas machen, wo keiner etwas von mir erwartet. Einfach in der Masse von Studenten untergehen, wo jedem egal ist, was du tust.“
Kunst schaffen sei für sie schon immer mit starken Erwartungshaltungen verbunden gewesen. Zu Beginn ist es der starke körperliche Leistungsdruck in der rhythmischen Sportgymnastik. Als sie mit 14 zeitgenössischen Tanz entdeckt, erlebt sie zum ersten Mal, dass es nicht wichtig ist, wie dick oder dünn jemand ist, wie hoch die Beine sind. Vielmehr geht es darum, den eigenen Körper sinnvoll einzusetzen, zum Beispiel die Gravitation und das eigene Gewicht bei Sprüngen zu nutzen. Földesi, die unter den SportgymnastInnen immer als „zu unbeweglich“ galt, ist fasziniert: „Ich habe plötzlich gemerkt, dass mein Körper nicht per se schlecht ist – er ist einfach so, wie er ist, und wenn ich ihn so nütze, wie er ist, kann ich mehr daraus kriegen.“ Als die junge Frau sich mit fortschreitender Zeit zunehmend mit Performance beschäftigt, merkt sie allerdings, dass du dich als KunstschaffendeR immer behaupten musst: „Du musst das, was du sagst, immer sehr wichtig finden. Was diesen Umstand betrifft, muss ich noch hart an mir arbeiten, um künstlerisch erfolgreich zu sein.“ Denn sie habe sich beim Training schon immer gern in die hintere Reihe gestellt, oder sehr lange den anderen zugehört, bevor sie ihre eigene Idee aussprach.

Auf der Bühne verschwinden. Ironischerweise plant die Tänzerin derzeit ein Projekt, das fast so wirkt, als greife es ihre Selbstzweifel auf: „Ich möchte in diesem Stück probieren, ob ich auf der Bühne verschwinden kann, obwohl ich körperlich anwesend bin.“ Bei genauerer Betrachtung ist aber zu erkennen, dass hier kein Zusammenhang besteht – vielmehr interessiert Földesi das Spiel mit der Bühnenpräsenz. Wenn sie selber Tanzstücke ansehe, falle ihr immer wieder auf, dass eine Tänzerin mit ihrer Präsenz eine gewisse Zeitspanne lang ihre volle Aufmerksamkeit fordere, dann aber würden als Zuschauerin irgendwann die Gedanken wieder abschweifen. „Mich interessiert genau dieser Moment, in dem die Präsenz der Tänzerin für die ZuschauerInnen verschwindet. Ob sich die Tänzerin durch gewisse inszenatorische Mittel zum Beispiel auch vor den ZuschauerInnen verstecken kann.“ Um das zu untermalen, erzählt sie von einem Tänzer, der fünf Minuten lang auf der Bühne nichts anderes tut, als mit den Beinen zu stampfen. „Je länger er das tut, umso mehr entzieht sich der Tänzer der Aufmerksamkeit des Publikums.“
Dass der Tanz als Bühnenkunst immer im Moment existiert, hat für Földesi Vor- und Nachteile. Einerseits sei er durch seinen vergänglichen Charakter weniger leicht zu vermarkten als zum Beispiel Kunstobjekte. Andererseits liege genau in dieser Vergänglichkeit der Zauber des Erlebens für TänzerIn und ZuschauerIn. Manchmal überlegt die junge Tänzerin auch, ob sie ohne den Tanz leben könnte. Sie weiß es noch nicht. „Aber ich weiß, dass mein Körper beim Tanzen auf der Bühne ganz genau weiß, was er zu tun hat. Ich bin dann in jeder Sekunde hundertprozentig anwesend. Nicht wie sonst, beim Kaffeekochen etwa, wo man mit den Gedanken auch nicht beim Kaffeekochen ist, sondern woanders. Es ist ein so Genau-Drinnen-Sein in sich selbst, dass man das Gefühl hat, frei zu sein … das fällt mir dazu ein.“

Wer mit wem?

  • 13.07.2012, 18:18

Schon bald soll das Kommunikationsverhalten aller ÖsterreicherInnen gespeichert werden. Wer hat uns das eingebrockt?

Schon bald soll das Kommunikationsverhalten aller ÖsterreicherInnen gespeichert werden. Wer hat uns das eingebrockt?

Freitagabend im Wiener Museumsquartier, der Verein quintessenz hält seinen Stammtisch ab. Männer sitzen vor ihren Laptops und schweigen. Georg Markus Kainz, der Obmann des Vereines, trägt ein schwarzes T-Shirt mit einem Bundesadler, dem eine Überwachungskamera aus dem Hals wächst. Big Brother Awards ist zu lesen. Die Vereinigung setzt sich für die Wiederherstellung der BürgerInnenrechte im Informationszeitalter ein und verleiht jedes Jahr Negativpreise an Firmen, Behörden und Menschen, die sich besonders bei der Überwachung hervortun. Die Gruppe hat sich auch intensiv mit der Vorratsdatenspeicherung beschäftigt, also der Speicherung aller Telefon-, E-Mail- und Internetverbindungen der gesamten Bevölkerung, die schon bald in Österreich umgesetzt werden soll. „Ich sehe das große Problem, dass die PolitikerInnen – da sie von den BeamtInnen getrieben werden – nicht merken, welche gesellschaftspolitischen Nebenwirkungen das hat“, sagt Kainz. quintessenz hat eine Stellungnahme an das Ministerium geschickt. Sämtliche Kommunikationsdaten ohne konkreten Verdacht zu speichern, widerspreche den Grundrechten, heißt es in der Stellungnahme. „Wenn Leute sich nicht mehr trauen, etwas zu sagen oder wo anzurufen, weil sie Angst haben, dass das gegen sie verwendet wird, hat das massive Auswirkungen“, sagt Georg Markus Kainz.

Dickes Geld. Seit 20. November des Vorjahres liegt der Entwurf des Infrastrukturministeriums vor, der die Umsetzung einer EU-Richtlinie in nationales Recht bedeuten würde. Bis zum 8. April sind 189 Stellungnahmen im Ministerium eingetroffen. AbsenderInnen sind einzelne BürgerInnen, Standesvertretungen, NGOs, Firmen und Behörden. Es ist eine breite Front, die sich gegen die Überwachung stellt. An der Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung lässt das Ministerium jedoch keinen Zweifel. Noch vor Sommer soll es einen Regierungsvorschlag geben, sagt Walter Fleißner, Sprecher im Infrastrukturministerium. Derzeit werden die Stellungnahmen gesichtet, einzelne Punkte überarbeitet und mit dem Justizministerium verhandelt. „Wir sind ja nicht dagegen, dass der Staat oder die Polizei arbeiten kann“, sagt der Obmann von quintessenz, „nur diese gesamte Diskussion ist von der Industrie getrieben. Da gibt es ein paar Firmen, die wirklich dickes Geld verdienen.“
Ursprünglich wurde die Maßnahme von der Europäischen Union als Instrument zur Terrorbekämpfung verkauft. Doch im Text der Richtlinie 2006/24/EG ist eine Einschränkung auf TerroristInnen nicht mehr zu finden, stattdessen wird als Ziel der Überwachungsmaßnahmen angegeben: „Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von schweren Straftaten.“ Was eine schwere Straftat ist, darf jedes Land selbst bestimmen.

EU-Kommission klagt Österreich. Vor vier Jahren beschlossen der MinisterInnenrat und das EU-Parlament diese Richtlinie, Pläne für ein derartiges Vorhaben existierten schon seit Jahren. Auch Österreich stimmte der Richtlinie zu. Die damals zuständige Justizministerin Karin Gastinger (BZÖ) gab ihr Einverständnis. Die einzelnen Mitgliedsländer der EU hatten bis zum 15. September 2007 Zeit, die Richtlinie umzusetzen. Österreich ist dem nicht nachgekommen. Deshalb hat die EU-Kommission im Mai 2009 eine Klage eingebracht. Vom laufenden Verfahren will man sich im Ministerium allerdings nicht unter Druck setzen lassen. „Diese Geschichte müssen wir in Kauf nehmen“, sagt Walter Fleißner. Zwei Tage zuvor reichte die Kommission eine Klage gegen Schweden ein, das die Vorratsdatenspeicherung ebenfalls noch nicht gesetzlich geregelt hat. Schweden wurde mittlerweile vom Europäischen Gerichtshof verurteilt. Das Land muss allerdings nur die Prozesskosten zahlen und kein Bußgeld. Den ersten Anlauf in Österreich, das Vorhaben umzusetzen, gab es 2007 unter dem damaligen Infrastrukturminister Werner Faymann (SPÖ), er blieb jedoch erfolglos. Im Vorjahr nahm sich Doris Bures (SPÖ) als Nachfolgerin von Faymann der EU-Richtlinie an. Sie beauftragte das Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte, gemeinsam mit anderen ExpertInnen einen Gesetzestext zu erarbeiten. Als die Ministerin heuer im März in der ORF-Pressestunde zu Gast war, nahm sie zum vorliegenden Entwurf Stellung: „Es geht hier um Grundrechtsfragen, daher solle man nur das Mindestmaß umsetzen“, sagte Bures. Willkür und Missbrauch sollen mit dem Gesetz ausgeschlossen werden, und mögliche Strafzahlungen, die Österreich bei einer Nichtumsetzung drohen könnten.

Trifft die Falschen. Georg Markus Kainz glaubt nicht, dass Missbrauch bei so einem Vorhaben ausgeschlossen werden kann: „Der Missbrauch der Daten ist einkalkuliert. Alle Beteiligten, auch die BefürworterInnen, sagen im zweiten Satz immer, sie wissen, dass die Daten missbraucht werden.“ Das Problem sei, dass immer wenn Daten vorhanden sind, Begehrlichkeiten aus verschiedenen Richtungen entstehen, diese Daten einzusehen und für eigene Zwecke zu verwenden. „Von Leuten, die Daten auswerten, wissen wir, dass der Einzelkostennachweis eines Handybenützers reicht, um zum Beispiel sagen zu können, ob jemand eine Freundin neben seiner Frau hat oder nicht“, sagt Kainz. Es reicht das Anrufverhalten zu kennen, Inhalte sind nicht notwendig. „So entstehen Gerüchte, es wird interpretiert.“ Unter den KritikerInnen des geplanten Gesetzes ist auch die PiratInnenpartei, sie fordert, das Gesetz nicht umzusetzen. Max Lalouschek, der die PiratInnenpartei vertritt, sagt, die geplante Vorratsdatenspeicherung erwische nicht diejenigen, für die sie gedacht sei: „Leute, die wirklich gegen den Staat vorgehen wollen, wissen die Lücken zu nützen, kleine Provider sind ja von der Überwachung ausgenommen.“ Dass eine ungeliebte EU-Richtlinie umgesetzt wird, nur weil sie umgesetzt werden muss, glaubt er nicht. „Die Leute, die am Hebel sitzen, haben ein Interesse das umzusetzen. Nach dem Motto: Wir haben die technischen Möglichkeiten, jetzt machen wir das auch.“ In der Stellungnahme, die quintessenz an das Ministerium geschickt hat, steht am Schluss das Ersuchen, ein Gespräch zu führen, „um unsere Bedenken und Vorschläge detailliert zu erörtern.“ Ist es zu einem Termin in der Radetzkystraße gekommen? Kainz muss lachen: „Nein, leider nicht.“

Exklusive Opernhäuser?

  • 13.07.2012, 18:18

Nicht nur im Studien-Stress spitzt sich die Lage angesichts des nahenden Sommers zu, auch bildungspolitisch braut sich was zusammen.

Nicht nur im Studien-Stress spitzt sich die Lage angesichts des nahenden Sommers zu, auch bildungspolitisch braut sich was zusammen. Beatrix Karl hat Anfang April drei sogenannte „124b Anträge“ in Begutachtung geschickt. Karl will den Zugang in Publizistik, Architektur und auf der Wirtschaftsuniversität beschränken und lässt auch sonst nichts unversucht, um aus den Universitäten jene exklusiven Opernhäuser für eine kleine Elite zu machen, die sie immer wieder in der Öffentlichkeit fordert. Wir setzen alles daran, die für uns klar rechtswidrigen Anträge zu bekämpfen und der Ministerin klar zu machen, dass am offenen, freien Hochschulzugang nicht zu rütteln ist.

Gleichzeitig befindet sich der von Amtsvorgänger Hahn auf Druck der Studierenden eingeläutete Hochschuldialog auf halber Strecke. Während die Ministerin damit beschäftigt ist, für Studiengebühren und Zugangsbeschränkungen zu werben, ist im Dialog der HochschulpartnerInnen von mehr Studierenden und einer Verbesserung der Studienwahl die Rede. Es bleibt aber weiterhin abzuwarten, ob brauchbare Ergebnisse erarbeitet werden und vor allem ob die Ministerin sie dann auch umsetzt.
Wenn es um eine Verbesserung der Studienwahl geht, verlassen wir uns natürlich nicht auf das Ministerium. Das zeigt das neu eingerichtete Referat für Studien- und MaturantInnenberatung der ÖH-Bundesvertretung. Das motivierte Team startet mit der Weiterführung des erfolgreichen Projekts Studieren Probieren in die Referatsarbeit – wir wünschen ihnen viel Glück dabei.
Euch wünschen wir viel Glück bei der Suche nach Motivation im Übergang zwischen vorlesungsfreier Zeit und Sommersemester-Endzeit-Stress. Und wenn gar nichts mehr geht: Entspannen wir uns doch zur Abwechslung mal in der Oper und träumen einen Sommernachtstraum von demokratischen Hochschulen.

Serieller Abgesang

  • 13.07.2012, 18:18

Willenskraft allein reicht in den USA nicht mehr zum Aufstieg. So scheinen es zumindest neue US-Serien zu suggerieren, die Amerika als tief gespaltene Gesellschaft zeigen.

Willenskraft allein reicht in den USA nicht mehr zum Aufstieg. So scheinen es zumindest neue US-Serien zu suggerieren, die Amerika als tief gespaltene Gesellschaft zeigen.

Der elektrische Stuhl ist die grausamste Art der Hinrichtung, die in den USA praktiziert wird. Langsam und unter Todesqualen wird der Verurteilte von innen gegrillt. Trotzdem fürchtet Walter White sich nicht. Denn sterben muss der unheilbar Krebskranke sowieso. An die 500 Kilo der Droge Crystal Meth hat der arglose High School-Chemielehrer binnen weniger Wochen produziert und auf den Markt geworfen, eine Tat, die ihm im Bundesstaat New Mexico locker die Todesstrafe einbringen könnte. Dabei ist Walter kein schlechter Kerl; ein bisschen verrückt vielleicht, aber das Publikum mag ihn.
Walter ist der Protagonist der neuen US-Serie Breaking Bad, ein Liebling der KritikerInnen. Schauspieler Bryan Cranston machte als Chaos-Vater Hal bereits Malcolm Mittendrin zu einem Publikumshit. Die Serie formuliert ein moralisches Dilemma: Muss Walter nun sterben, wenn er kein Meth verkauft, weil er keine gute Krankenversicherung hat? Dünn versteckt unter dem vermeintlichen Gangsta-Narrativ steckt harte Kritik am US-Gesundheitssystem. Die ZuseherInnen werden geduldig an die Anatomie des Verbrechens herangeführt. Ähnlich wie das kalifornische Marihuana-Drama Weeds, von dem Breaking Bad das Konzept geborgt hat, ist die Hauptfigur ein eigentlich sympathischer Mittelklasse- Bürger. Ähnlich wie auch die ProtagonistInnen im düsteren postindustriellen Drama The Wire wird Walter – beinahe wider Willen – in eine Welt des Werterelativisimus geworfen. Seine bourgeoisen Vorbehalte gegen RechtsbrecherInnen und ihre Lebensrealität muss er bald aufgeben – er wird einer von ihnen.

Tratschtanten und eiskalte Engel. An Walter und seinem Schicksal werden die tiefen Bruchlinien innerhalb der US-amerikanischen Gesellschaft deutlich. Seit dreißig Jahren wächst die Kluft zwischen Arm und Reich. Die Wirtschaftskrise, die mit der Implosion des Häusermarktes in den USA begann, setzte viele Mittelklassefamilien unter Druck, zu entscheiden, auf welcher Seite dieser Kluft sie stehen wollen. Statusparanoia ist eine wiederkehrende Erzählung im US-Fernsehen. Selbst einfach gestrickte Unterhaltungsdramen wie der New Yorker Schickeria-Schund Gossip Girl, der in jeder einzelnen Folge die Story von Eiskalte Engel nacherzählt, haben die Furcht vor dem sozialen Abstieg tief in ihre Erzählung eingewoben. Hauptfiguren, deren Namen den niederländischen Klang alter New Yorker Aristokratenfiguren haben, können ihre zumindest der oberen Mittelklasse angehörenden Duzfreunde mit schneidender Verachtung behandeln, ohne darum notwendigerweise die Gunst der ZuschauerInnen zu verlieren. Dieser Trick wird durch die formvollendete Schönheit der Hauptfiguren und ihre allzu geschliffenen Manieren erreicht, die sie als feinsinniger und cleverer darstellen, als die bloß strebsamen, braven BürgerInnenkinder, die sich mit Fleiß und Intelligenz den Eintritt in die Glitzerwelt erkaufen.
Das erschreckende Zerrbild, welches von Gossip Girl bis zum TeenagerInnendrama O.C. California reicht, ist das einer streng abgegrenzten Oberschicht, die es als unfein empfindet, an der „Masse“ anzustreifen. In letzterer Serie verlängerte sich die Klassenparanoia sogar bis in die reale Satire. Hauptfigur Ryan, der aus der Unterschicht in die reiche Familie Cohen reinadoptierte Prolet, kommt aus dem als Slum apostrophierten Problemviertel Chino. Der Schönheitsfehler an dieser Darstellung ist nur, dass im wirklichen Leben Chino ein absolut durchschnittlicher Ort in Suburbia ist, dessen BürgerInnenmeister vehement gegen die „Verunglimpfung“ durch die Serie protestierte. Doch diese „Slumifizierung“ hat System. In der neuen Dualität der Gesellschaft gibt es nur noch arm und reich.

Hochglänzend paranoid. Das Premiumsegment des neuen Para-noia-TV deckt die Hochglanz-Retrospektion der Serie Mad Men ab, die in den frühen Sechzigern spielt. Am Tag slicker Werbefachmann mit einem Auge für den teuren, guten Geschmack, wird der enigmatische Don Draper des Nachts von Erinnerungen an seine Jugend im Amerika der großen Depression geplagt. Indessen wartet seine Frau den ganzen Tag in ihrem brandneuen Einfamilienhaus inmitten einer nigelnagelneuen Siedlung darauf, ihm die ideale Hausfrau und Mutter zu sein. Alles an ihrem Leben wirkt wie frisch einstudiert, das Einkaufen in der Neuerfindung Supermarkt ebenso wie die suburbane Selbstisolation von Verwandten und FreundInnen. So wenig geübt sind Betty und Don Draper in ihrem neuen Status: Eine Mittelklassefamilie zu sein. Mad Men erinnert die ZuseherInnen daran, wie relativ neu die breite Mittelschicht ist, die der Wohlfahrtsstaat in den Fünfzigern und Sechzigern schuf. Und wie schnell sie wieder vergehen kann.
Bestes Spiegelbild einer Gesellschaft sind jedoch nicht ihre Selbstportraits, sondern ihre Utopien. War das Leitbild der USA unter Clinton noch das liberale Utopia von Star Trek, hat die böse neue Welt der Post-Bush-Ära im Kampfstern Galactica ihren Orbit erreicht, der bittersten Vision einer menschlichen Zukunft. Eine heldenmütige Schar von Überlebenden eines Todesroboterangriffs flieht im titelgebenden Raumschiff von Stern zu Stern, um gelegentlich den Roboter-Bastarden zu zeigen, wer das rote Blut hat. Die ExilantInnengesellschaft der Galactica ist ganz selbstverständlich eine Militärdiktatur, auf der eine „zivile Präsidentin“ mühsam versucht, ein wenig Rest-Zivilisation zu erhalten. Dieses zukünftige, letzte Bild der US-Gesellschaft zeigt eine Form der kollektiven Reflexion: Selbst die Göttinnen und Götter der Demokratie sind fehlbar geworden.

Maria Fekter und das Werkstattrollbrett

  • 13.07.2012, 18:18

Letztes Jahr jammerte Innenministerin Maria Fekter, dass die Polizei mit angezogener Handbremse im Golf unterwegs ist, während Kriminelle im Porsche fahren.

Letztes Jahr jammerte Innenministerin Maria Fekter, dass die Polizei mit angezogener Handbremse im Golf unterwegs ist, während Kriminelle im Porsche fahren. Nach Ansicht der Ministerin soll der Golf getunt werden. Also rasch neue Methoden – wie die Vorratsdatenspeicherung – zulassen. Ab in die Werkstatt und den Golf tiefer legen. Schneller wird das Auto dadurch zwar nicht, aber zumindest könnte das Gefühl davon aufkommen. Ob das Tuning mit der Straßenverkehrsordnung vereinbar ist? Egal, Hauptsache schneller als die VerbrecherInnen. Dabei ist der Polizei-Golf schon ganz ordentlich aufgemotzt worden in den letzten Jahren: Rasterfahndung, Lauschangriff, Handyortung usw.
Zur Aufklärung von schweren Strafsachen stehen also genug Werkzeuge zur Verfügung. Jetzt soll aber durch die Vorratsdatenspeicherung jeder einzelne unbescholtene Bürger und jede Bürgerin auf Schritt und Tritt überwacht werden. Mit wem wird telefoniert? Wessen E-Mails landen im Posteingang? Welche Internetseiten werden besucht? Durch dieses Wissen können Persönlichkeitsprofile erstellt werden, potentielle TäterInnen am besten gleich vorbeugend weggesperrt werden.
Es gab mal so etwas wie Grundrechte. 100-prozentige Sicherheit wird es aber nie geben. Wer wird nun mithilfe dieser ganzen gesammelten Daten erwischt? TerroristInnen, Mitglieder von kriminellen Organisationen? So wie sich unter EinbrecherInnen herumgesprochen hat, Handschuhe anzuziehen, sind Kriminelle auch in ihrem Kommunikationsverhalten darauf bedacht, keine verdächtigen Spuren zu hinterlassen. Die Möglichkeit, der Vorratsdatenspeicherung auszuweichen, gibt es. Der Rest wird überwacht. Es ist nur eine Frage der Zeit bis ein Leck auftritt und gesammelte Datensätze ausrinnen. So wie das bei der EKIS, dem Elektronischen Kriminalpolizeilichen Informationssystem, passiert ist. 

In welchem Universum lebt eigentlich Frau Knackal?

  • 13.07.2012, 18:18

„So falsch, dass nicht einmal das Gegenteil wahr ist.“

„So falsch, dass nicht einmal das Gegenteil wahr ist.“ So kanzelte eine Figur in Friedrich Torbergs Tante Jolesch einst einen Gegenspieler ab. In diese Richtung driftet auch das österreichische Fernsehen in seinem verzweifelten Versuch, die Alltagsrealität des Landes abzubilden. Am Schauplatz scheitert an dieser Aufgabe eigentlich am absurdesten, wie unlängst der Skandal um zwei Skinheads, den FPÖ-Chef und eine um sechzig Jahre veraltete Grußform zeigte. AusländerInnen, Spielsüchtige und  lkoholikerInnen sind in der Mediengalaxie des ORF am äußeren Rand der Milchstraße angeordnet, in einer Art Hundstage-Dystopia. Währenddessen verharrt das innere „Wir“ immer noch in einem flurbereinigten „Mittel- Österreich“, in dem soziale Probleme vor der eigenen Haustür enden.
Während die USA, angeblich das Land der „dummen, weißen Männer“ (wie es in Michael Moores Bestseller heißt), sich mit Serien wie The Wire selbst einer Psychotherapie unterzieht (sihe S. 26), fehlt der  inwohnerInnenschaft der Alpenrepublik immer noch ein modernes mediales Selbstbild. Im Kontinuum vom echten Wiener „Mundl“ bis zum Kaisermühlenblues wird endlos der Mythos einer Wohlstandsgemeinschaft wiederholt, in der – im Sinne der sinnesfrohen MA 2412 – nicht einmal richtig gehackelt werden muss. Ganz einfach eine Insel der Seeligen. Was wie Ein echter Wiener geht nicht unter einst stilistische Anleihen am sozialistischen Realismus nahm, ist längst zu einer Art grau-beigen Folklore verramscht worden.
Anleihen kann der ORF beim privaten Konkurrenten ATV suchen. Tausche Familie oder Teenager werden Mütter mögen degoutant sein, dumm oder überhaupt abgekupfert. Aber es stellt seine Narren nicht in ein separates Narrenkastl namens „Neonazi-Szene“, oder irgendeine andere scheinbare Halbwelt, sondern setzt sie intensiv mit dem herkömmlichen „Mittel- Österreich“ in Beziehung. Damit erreicht es eine beinahe phantastische Gesellschaftsutopie: Die Integration der verschiedenen Sorten von Öster- Menschen.

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