Heute eben keine gute Kunst

  • 13.07.2012, 18:18

Hyo Lee (26) studiert an der Universität für angewandte Kunst Fotografie.

Hyo Lee (26) studiert an der Universität für angewandte Kunst Fotografie.

Waschbären sind für Hyo Lee das Größte. Auch bei der aktuell laufenden Ausstellung der 26-jährigen Fotografiestudentin im Wiener Eventlokal Elektro Gönner stehen die Bären mit den charakteristischen schwarzen Augenschatten im Mittelpunkt. Nicht mehr als die logische Folge einer seltsamen Leidenschaft: Tagelang schaut die gebürtige Koreanerin momentan YouTube- Videos von Waschbären, zeichnet sie, redet begeistert über ihre Eigenheiten. „Wenn ich einen Waschbär auf Papier zeichne, ist das für mich so faszinierend, dass ich es immer und immer wieder machen will.“ Die mittlerweile seit fünf Jahren in Wien lebende Hyo Lee ist überzeugt davon, dass alle KünstlerInnen von Zeit zu Zeit von Themen besessen sind: „Du weißt nicht, was es ist, aber du kannst nicht aufhören damit. Wenn du bis zum Schluss den Grund für deine Faszination, den Sinn in einer Sache nicht finden kannst, musst du aufgeben. Aber vorher brauchst du immer diese Phase des Übertreibens, Ausreizens.“
Den Grund für ihre Besessenheit von Waschbären kann Lee heute – zumindest teilweise – schon benennen: Sie zieht in ihrer künstlerischen Arbeit eine Analogie zwischen dem Verhalten von Waschbären und den „Party people“, jenen nachtaktiven, überwiegend destruktiv lebenden Mitglieden der Party- und Spaßgesellschaft, zu denen sie sich auch selbst zählt. „Wir beide, Waschbären und Partymenschen sind ständig auf der Suche nach etwas, obwohl wir es schon hatten. Bei den Waschbären ist es das Essen. Sie essen, essen, essen, ohne je zufrieden zu sein. Sie sind gierig, immer auf der Suche, und nehmen im Grunde alles, was sie kriegen können. Bei uns ist es dasselbe, nur sind wir eben auf der Suche nach mehr Drogen, Alkohol oder mehr Sex auf der Party.“

Von Mercedes zur Kunst. Lee denkt nicht gerne zu lange nach, bevor sie anfängt zu arbeiten. Sie wolle ganz einfach die Dinge tun, die ihr Spaß machen. Themen, die sie faszinieren, die sie persönlich betreffen, greift sie auf. „Kunst ist für mich die einzige Möglichkeit, besessen von mir selbst zu sein, ohne dafür kritisiert zu werden“, ist Hyo Lee überzeugt. „Es gibt Phasen, in denen ich nur Selbstportraits machen kann, weil ich so voll bin mit mir selbst.“ Voll von sich selbst sein, das gibt es für Hyo Lee eigentlich erst, seit sie seit 2006 an der Universität für angewandte Kunst Fotografie studiert. Davor verbringt sie, aufgewachsen als Tochter eines Reiseunternehmers und einer Hausfrau in Seoul, ihr Leben als funktionierendes Mitglied ihrer Familie und der koreanischen Leistungsgesellschaft. Während ihre Schwester herausragende Noten schreibt, aber auch laut und fordernd ist, bleibt Hyo stets ruhig und unkompliziert. Schon als kleines Kind zeichnet sie gern und gut, gewinnt Preise. Als sie sich im zweiten Jahr der High School für den Kunstzweig einschreiben will, ihr Vater sie aber lieber im Wirtschaftszweig sehen würde, akzeptiert sie seinen Wunsch. Danach beginnt sie ein Wirtschaftsstudium in Seoul, das sie mit 23 auch beendet. Während dieser Zeit macht sie in verschiedenen europäischen Städten Praktika, die sie durch die berufliche Tätigkeit ihres Vaters als Reiseunternehmer bekommt, eine dieser Städte ist Wien. Für Lee ist sofort klar: In dieser Stadt will sie leben. Nachdem sie ihr Studium beendet und noch sieben Monate bei Mercedes-Benz gearbeitet hat, müssen ihre Eltern ihren Wunsch, wegzugehen, akzeptieren.

Unerschütterlicher Optimismus. Als Lee zwei Tage vor der Aufnahmeprüfung in Wien ankommt, hat sie einige lose Fotos dabei. Sie klebt unter Zeitdruck noch ein Portfolio zusammen, ohne zu wissen, wie ein solches auszusehen hat – und wird an der Angewandten aufgenommen. „Auf gewisse Weise bin ich so natürlich durch Zufall zur Kunst gekommen. Aber ich glaube nicht, dass es irgendjemand wagen würde, nur aus Zufall heraus als KünstlerIn zu leben. Das ist viel zu riskant, nicht nur finanziell gesehen. Auch, weil man sich auf gewisse Weise eine eigene Welt aufbaut und so Gefahr läuft, niemals richtig erwachsen zu werden.“ Lee ist aber mit unerschütterlichem Optimismus gesegnet. Während unproduktiver Phasen sage sie sich: „Gut, heute mache ich eben keine gute Kunst. Dann kann ich wenigstens Spaß haben und Party machen, ich arbeite ohnehin in einem Lokal. Und wenn ich dabei keinen Spaß habe, verdiene ich heute eben einfach nur Geld.“ Sie richtet sich auf, so dass der Katzenprint auf ihrem Sweater sichtbar wird, und grinst: „Das macht alles total einfach.“

AutorInnen: Cornelia Girardi