Zwischen den Stühlen

  • 29.12.2019, 15:44
Warum man sich als Erstsemester öfter auf’s Bauchgefühl verlassen und nicht immer mit dem Strom schwimmen sollte.

Das Wintersemester hat begonnen und neue Gesichter tummeln sich in den Gängen der Institute. Tausende „Erstis“ sind damit beschäftigt sich an die Kälte Wiens zu gewöhnen und das Anmeldesystem ihrer Universität zu begreifen. Der Studienbeginn ist schwer, das wissen wir alle, womöglich noch schwerer, wenn man in einer fremden Stadt zu studieren beginnt und diese Stadt Wien ist. Eines muss man allerdings immer im Hinterkopf behalten: Man ist nie allein auf der Suche nach netten Wiener_innen und dem Audimax.

„Was machst du dann damit?“ – Jede_r, immer.

All jene, die die letzten Wochen bereits in Hörsälen und Bibliotheken verbracht haben, haben den ersten Schritt bereits hinter sich: die Studienwahl. Den einen wurde der Karriereplan in die Wiege gelegt, vorgelebt oder aufgedrängt. Andere sind sich ihrer Berufung bereits im Teenageralter sicher geworden und wieder andere haben erst im Laufe der Ausbildung das richtige Berufsfeld für sich gefunden. Alle drei sind legitime Möglichkeiten zur Entscheidungsfindung, immerhin könnte genau in dieser Zeit der Dreh- und Angelpunkt der beruflichen Laufbahn liegen. Folgendes Beispiel zählt zur letzten Kategorie und ist ein Paradebeispiel dafür, dass dem eigenen Instinkt mehr Wert zugesprochen werden sollte als Empfehlungen von Dritten. Auch wenn diese Dritten Eltern, Freund_innen und Verwandte sind und erst recht, wenn die Stimme im Kopf dem gesellschaftlichem Zwang nach Anpassung entspringt. Für Charlotte* (24) begann die Zeit als Studentin 2014, als sie sich aus Interesse für Theater-, Film- und Medienwissenschaft (TFM) an der Hauptuni Wien inskribierte. Um außerdem noch ein „sicheres Standbein“, mit dem man auch „gutes Geld verdienen kann“, zu haben, begann sie parallel dazu mit der STEOP an der Wirtschaftsuni. Ein Semester und viel Arbeit später brach sie beide Studienrichtungen ab. Nicht zufrieden mit dem Input. Durch den guten Ruf des angesehenen Studiums, die große Lernkapazität von Charlotte und von extrinsischer Motivation gesteuert meldete sie sich um und begann 2015 Jus zu studieren. Fast zeitgleich stolperte sie über eine Ausschreibung und bekam einen Job am Theater im Publikumsdienst. Die Erinnerung an ihre eigentliche Leidenschaft kommt zurück und im Sommersemester 2016 nimmt Charlotte das Studium der TFM wieder auf. Heute hat sie seit knapp drei Jahren die Leitung eines 11-köpfigen Teams inne und übernimmt erfolgreich Projektleitungen bei Theater-, Kunst- und Kulturproduktionen. Moral der Geschichte? Nicht vom Druck des gesellschaftlichen Echos nach Erfolg und der österreichischen Titel-Geilheit verunsichern lassen. Wenn jede_r der Arbeit nachgeht, die er_sie gut und gerne macht, könnte man den Konkurrenzkampf und die Unzufriedenheit im Job ein Stück weit eindämmen.

Unglücklich im Studium. Wie geht es weiter?

Falls ein Studienwechsel notwendig ist, beachte Folgendes: Seitens der Universitäten darf man das Studium so oft ummelden, wie man möchte, allerdings hat man nach zweimaligem Wechsel keinen Anspruch mehr auf Studienbeihilfe, welche bis zu 679€ ausmachen kann. Gleiches gilt für die Familienbeihilfe, zusätzlich müssen die Studienwechsel vor dem dritten inskribierten Semester vorgenommen werden. Der erste Schritt ist es, den Antrag auf Zulassung zum Studium in u:space zu stellen. Sollte das Studium keine Zugangsbeschränkung vorsehen, ist der zweite und letzte Punkt die fristgerechte Ummeldung über die Studienzulassung persönlich oder online per Kontaktformular. Internationale Studierende müssen zusätzlich zur normalen Prozedur außerdem erneut einen Antrag auf Zulassung für den gewünschten Studiengang stellen. Bei der Ummeldung auf ein Bachelorstudium mit Aufnahmetest muss dieser natürlich absolviert werden, bevor die Inskription abgeschlossen werden kann. Im Regelfall finden Aufnahmeverfahren nur im Wintersemester statt, demnach ist ein Wechsel im Sommersemester nicht immer möglich

Zwei-Semester-Theorie

Bevor man sich allerdings der Tortur der Bürokratie hingibt, gilt es abzuwägen, ob die Unzufriedenheit tatsächlich von den Inhalten des Lehrplans ausgeht oder ein Zeichen der Überforderung ist. Gleich vorab: Mit den Symptomen eines Burn Outs oder einer psychischen Krankheit ist nicht zu spaßen. Sollten ungewöhnliche Signale wahrgenommen werden, gibt es viele Stellen, an die Studierende sich wenden können. Eine davon ist initiiert vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft und stellt online auf www.studierendenberatung.at wertvolle Informationen zur Verfügung oder verweist auf Ansprechpersonen, die helfen können. Für andere, die ob der neuen Situationen gestresst sind, gilt: In den ersten Semestern ist jeder Studiengang verwirrend, doch sobald man die anfänglichen Unklarheiten überstanden hat, wird es im Regelfall entspannter und man kann sich auf das Wesentliche konzentrieren. Lucia* (22) studiert im fünften Semester Architektur und sie meint: „Die ersten beiden Semester waren für mich anstrengende Eingewöhnungszeit. In dem Zeitraum war ich mir gar nicht sicher, ob ich die richtige Wahl getroffen habe und war auch sehr unglücklich mit dem Studienlehrplan. Mittlerweile liebe ich mein Architektur-Studium, arbeite bereits in der Branche und schließe den Bachelor demnächst ab. Mein Tipp ist also zwei Semester durchzuhalten, bevor man voreilig das Studium schmeißt“. Lucias Zwei-Semester-Theorie fordert zwar die oben erwähnten Voraussetzungen für den Erhalt der Familienbeihilfe heraus, aber: no risk – no fun.

Undercover oder Community Building?

In großen universitären Netzwerken, wie Wien eines ist, ist vollkommene Anonymität möglich. So kann man sich getrost hinter der eigenen Matrikelnummer verstecken und kaum Privates nach außen tragen, wenn man das möchte. Wer sich allerdings beim Betreten des Hörsaales nicht die Schirmkappe tiefer vor das Gesicht rückt, sondern lieber nach Bekannten Ausschau hält, könnte auch an freiwilligen Angeboten der Uni Interesse finden. An jeder Universität gibt es einem Kreis Motivierter, die zum Beispiel die Institutszeitung befüllen, Diskussionsrunden organisieren oder ein eigenes Projekt ins Leben rufen. Neben dem Aufbau einer Community stärkt das auch den Bezug zur Praxis, deren Fehlen gegenüber stark praxisbezogener Fachhochschulen an der Universität bemängelt wird.

Erasmus+

„Erasmus-Teilnahme fördert Jobchancen“, titelt unter anderem die Süddeutsche Zeitung und verweist auf eine Studie der Brüsseler EU-Kommission. Die „Erasmus+ Higher Education Impact Study“ wurde im Mai 2019 veröffentlicht und befragte rund 77.000 Studierende und Hochschulmitarbeiter_innen, die im Zeitraum von 2014 bis 2018 ein Lehr- oder Lernprogramm in Anspruch nahmen. Dieser Studie zufolge wurden 80% aller befragten Erasmusteilnehmer_innen bei der Jobsuche nach Abschluss des Studiums bereits innerhalb von drei Monaten fündig. 72% gaben an, durch die Erasmus+ Teilnahme „große Vorteile“ bei der Jobsuche gehabt zu haben. Außerdem fiel ihnen die Anbahnung von Geschäftsbeziehungen mit anderen Kulturen leichter und neben anderen gewonnenen Kompetenzen wurden die Befragten aus eigenen Angaben auch selbstbewusster. Fast die Hälfte der Absolvent_innen, die ihren ersten Job im Ausland angenommen haben, bekamen diesen im gleichen Land in dem sie ihre Erasmus+ Erfahrung gemacht haben. Eine gute Möglichkeit also für alle, die bereits ein Auge auf ein bestimmtes Branchengebiet oder ein Unternehmen geworfen haben. Wer nicht die Karriere, sondern Spaß und persönliche Entwicklung in den Vordergrund stellen möchte (oder die Frist verpasst hat), kann sich auch für Restplätze bewerben und das Schicksal entscheiden lassen. Es wird empfohlen, erst ab dem dritten Semester einen Auslandsaufenthalt zu machen, doch die Planung sollte mindestens zwei Semester vor regulärem Reiseantritt starten. Vor allem im Hinblick auf Bewerbungsfristen, einzureichende Sprachnachweise und die Suche nach passenden ECTS, die den eigenen Studienplan ergänzen ist zeitgerechte Organisation ein Muss. Conclusio? Geht ins Ausland und stresst euch nicht, das Studium in Mindeststudienzeit fertigzumachen. Apropos Mindeststudienzeit. Laut Statistik Austria schließt der Großteil der Studierenden das Bachelorstudium zwischen dem 23. und 25. Lebensjahr ab. Kein Grund zur Sorge also, falls man das Auslandssemester verlängern möchte, das ist nämlich möglich, wenn man im Wintersemester begonnen hat. Die statistischen Ausreißer_innen kommen aus der Generation unserer Eltern. Bei den 40- bis 49-jährigen steigt die Zahl der Erstabschlüsse nämlich noch einmal an. Es ist demnach nie zu spät, einen Hochschulabschluss in Angriff zu nehmen.

Negativbeispiel mit positiver Quintessenz

In der Regel steigt man spätestens nach Austritt aus dem (Hoch-)Schulsystem als vollwertige Kraft in den Arbeitsmarkt ein und ist somit Teil der Auswertung des Arbeitsmarktservices (AMS) wie der von November 2018. Es wurden arbeitslose Akademiker_innen nach abgeschlossenem Studium eingeteilt und in absoluten Zahlen erfasst. Dieser Vorgang ergab folgende Daten: Theaterwissenschaft 204, Lehramt 625, Architektur 688, Medizin 716, Rechtswissenschaften 1.114, Betriebswirtschaft 1.606 und Naturwissenschaften mit 2.333 Arbeitsuchenden. Alle Nebenfaktoren bewusst außer Acht gelassen, erschließt sich aus diesen Zahlen eine motivierende Schlussfolgerung: Mit keinem gängigen Studium ist dir ein Arbeitsplatz in der jeweiligen Branche sicher. Doch hat man mit Sicherheit nach jedem abgeschlossenen Bachelor die Chance auf einen Job im studierten Arbeitsgebiet.

Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom

Eine kleine Umfrage von Bitkom, dem Digitalverband Deutschland, in der 503 Geschäftsführer_innen und Vorstandsmitglieder zu Social-Media-Auftritt und Online-Werbung befragt wurden, bestärkt den positiven Einfluss der Digitalisierung. 75% der Befragten sehen Potenzial, via Social Media Kund_innenakquise und -service zu verbessern. Immer mehr Unternehmen setzen auf günstige Online-Werbung in den sozialen Netzwerken, sei es mittels Influencer_innen, klassischen Werbeschaltungen oder Online-Kampagnen. Eine neue Branche entsteht und den Generationen Y-Z kommt sie zugute. Keine Gruppe ist so intensiv mit sozialen Medien und deren Wirkung vertraut wie die Millennials, welche nun die besten Voraussetzungen haben, neue Jobs zu forcieren. Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom und der Strom ist in diesem Fall ein verrosteter Arbeitsmarkt.

*Name von der Autorin geändert.

AutorInnen: Iris Stasser