NICHT NUR LESEN GEGEN RECHTS, ABER AUCH.

  • 12.06.2024, 14:47
(auto)fiktionale Bücher, die zu politischer Handlungslust beitragen können

Der spürbare Rechtsruck in Europa lässt sich nicht allein durch Lesen abwenden. Schon Stefan Zweig beschrieb vor fast 100 Jahren in seiner Autobiografie Die Welt von Gestern, wie sehr er gegen den aufkommenden Faschismus angelesen und angeschrieben hatte. Auch ohne die Stefan-Zweig-Lektüre ist klar, wir können noch so viel diskutieren, lesen, schreiben oder Seminare belegen und dennoch sind rechte Bewegungen in ganz Europa auf dem Vormarsch.

Wer trotzdem noch etwas übrig hat für die Literatur, fragt sich vielleicht: Was lesen gegen den Faschismus? Nicht nur Theorietexte sind hilfreich, um die absolute Notwendigkeit einer solidarischen Zukunft zu verstehen. Besonders Autofiktionen ermöglichen uns Perspektiven, die uns sonst nicht immer zugänglich sind. Aus Empathie kann Solidarität und Wut über die unerträgliche Ungerechtigkeit entstehen, die durch kapitalistische, rassistische und patriarchale Politik jeden Tag reproduziert wird. Gleichzeitig haben autofiktionale Texte das Potenzial, unglaublich heilsam zu wirken. Heilsam wie Fatima Daas' Debütroman Die jüngste Tochter, indem sie die Geschichte einer jungen lesbischen Muslima in den Vororten von Paris erzählt. Der Roman zeigt poetisch, wie eine rassifizierte und queere Person lernt, sich selbst anzuerkennen.

Wütend machend schreibt der schweizerisch-kamerunische Autor Max Lobe in seinem autobiografisch gefärbten Roman Drei Weise aus dem Bantuland über Rassismus und Queerfeindlichkeit in der Schweiz. Nach seinem Studium hat der junge schwarze Protagonist Mwána Probleme, eine Lohnarbeit zu finden. Im Gegensatz zu privilegierten weißen Kommiliton_innen, die die Unterstützung ihrer Eltern sowohl finanziell als auch durch deren Kontakte genießen, ist Max Lobes Protagonist auf sich allein gestellt. In dem Roman geht es um die Ambivalenzen innerhalb einer linken Bewegung. Lobes Figur beginnt ein prekäres Praktikum bei einer Non-Government-Organisation, die sich gegen Rechtsruck einsetzt. So demonstrieren sie alle zusammen gegen das rassistische Schäfchenplakat der Schweizerischen Volkspartei, während er seit Tagen aufgrund seiner finanziellen Lage kaum etwas gegessen hat.

Rechte Politik schafft Tatsachen. Der französische Autor Édouard Louis schreibt: „Die Herrschenden mögen sich über eine Linksregierung beklagen, aber keine Regierung bereitet ihnen jemals Verdauungsprobleme, keine Regierung ruiniert ihnen jemals den Rücken, keine Regierung treibt sie dazu, ans Meer zu fahren. Die Politik verändert ihr Leben nicht oder kaum." (S. 71) Er bezieht sich hier auf die Auswirkungen, die Sarkozys Politik auf das Leben seiner Familie hatte. Louis schreibt: „Für die Herrschenden ist die Politik weitgehend eine ästhetische Frage: eine Art, sich zu denken, sich zu erschaffen, eine Weltsicht. Für uns ist sie eine Frage von Leben und Tod." (S. 71) Louis erzählt von Sozialhilfekürzungen und wie die Politik Menschen in den Arbeitsmarkt drängt, gleichzeitig wird die Vermögenssteuer gesenkt. Louis lässt uns die Tatsachen, die rechte Politik schafft, in seinem Buch Wer hat meinen Vater umgebracht? verstehen.

Diejenigen, denen die Klimakrise schlaflose Nächte bereitet, können Robin Wall Kimmerer lesen. In Geflochtenes Süßgras erzählt die Botanikerin und Angehörige der Potawatomi eine Geschichte über die Beziehung zwischen Mensch und der sogenannten Umwelt. Hier habe ich gelernt, dass eine „Bucht sein" ein Verb sein kann und dass ich am Ende vielleicht mehr mit einem Berggipfel gemeinsam habe, der im Kapitalismus ausgebeutet wird, als mit einem Jeff Bezos oder Elon Musk.

Bücher zu lesen wird die FPÖ, die AfD und die Verschiebung des öffentlichen Diskurses nach rechts nicht stoppen können. Es kann aber trotzdem helfen: Die erlebte Empathie und Solidarität beim Lesen sind nämlich nicht fiktiv. Immer wieder erfahren, kann sie uns weiter politisieren.

 

Genannte Bücher:

Daas, F. (2021) Die jüngste Tochter. Claassen Verlag.

Kimmerer, R. W. (2021) Geflochtenes Süßgras. Aufbau Verlag.

Lobe, M. (2020) Drei Weise aus dem Banutland. austernbank verlag.

Louis, É. (2019) Wer hat meinen Vater umgebracht. S. Fischer Verlag.

Zweig, S. (2013) Die Welt von Gestern. Anaconda Verlag.

 

Carlotta Partzsch studierte Literaturwissenschaften an der Uni Wien und ist jetzt im Master in Critical Studies an der Akademie der bildenden Künste Wien.

AutorInnen: Carlotta Partzsch