Der Verfassungsschutz und seine Nazis?
Die Marsalek Bande. Rund um die neu auftauchenden Spionageskandale spielt hier der ehemalige Verfassungsschützer Egisto Ott eine zentrale Rolle. Zusammen mit seinem Vorgesetzten Martin Weiss, der wiederum direkter Mitarbeiter des untergetauchten Russlandspions Jan Marsalek ist, war Ott Teil eines Spionage-Netzwerkes innerhalb des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung.
Die Vorwürfe an eben diesen Spionage-Kreis sind lang. So soll Egisto Ott etwa Dokumente zum russischen Nervengift Nowitschok herausgegeben, gestohlene Smartphones von Spitzenbeamten an Spione verkauft, illegal Personendaten abgefragt und bei der Jagd auf einen Kreml-kritischen Journalisten geholfen haben. (1)
Infobox Jan Marsalek
Jan Marsalek ist ein ehemaliger Spitzenmanager, der in einem milliardenschweren Betrugsfall rund um das Wirecard-Unternehmen zu einem aktiven Agenten des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB wurde. Er wird seit 2020 von mehreren europäischen Sicherheitsbehörden gesucht und ist in Russland untergetaucht. Marsalek hat(te) zahlreiche Verbindungen zu hohen österreichischen Beamten, wie etwa dem Ex-Spitzen-Politiker Johann Gudenus (FPÖ) und zwei Verfassungschützern. Über diese Verbindungen hat Jan Marsalek zahlreiche sensible Informationen an den Kreml weitergegeben.
Suspendierungen und Evakuierungen. Bereits 2018 machten ausländische Geheimdienste auf die Russland-Verstrickungen von Egisto Ott (und anderen) aufmerksam: dieser wurde vom BVT zwar suspendiert, konnte kurze Zeit später aber in der ‚Sicherheitsakademie‘ schon wieder als Polizist tätig sein. Hier spioniert Ott einfach weiter und späht für seinen ehemaligen Vorgesetzten Martin Weiss, der nun für Jan Marsalek arbeitet, zahlreiche Personen aus. Bis zuletzt waren Egisto Ott und Martin Weiss in Spionageskandale verwickelt; während Martin Weiss aber in Dubai auf freiem Fuß ist (und wahrscheinlich nie vor ein österreichisches Gericht kommen wird) sitzt Egisto Ott seit März 2024 in U-Haft.
Neue Details. Wöchentlich kommen neue Details in der ,Causa Egisto Ott‘ ans Tageslicht. Über die 573 seitigen "Faktenblätter D" der ‚AG Fama‘, einer Ermittlungskommission im Bundesministerium für Inneres, ist nun bekannt geworden, dass Egisto Ott in mehreren Fällen illegal Antifaschist_innen ausspionierte. Bereits 2016 soll der Verfassungsschützer Adressen von mindestens 43 Personen und deren Umfeld abgefragt und möglicherweise an Rechtsextremisten weitergegeben haben. (2)
Die betroffenen Antifaschist_innen wurden zu keinem Zeitpunkt darüber informiert, dass ihre Daten, darunter auch Wohnadressen, möglicherweise an organsierte Rechtsextremisten weitergegeben wurden. Es scheint ganz so, als war Egisto Ott die Verfolgung von progressiven Kräften ein Herzensprojekt.
Legale und Illegale Methoden. Für die Verfolgung von antifaschistischen Aktivist_innen nutzte das Bundesamt für Verfassungschutz und Terrorismusbekämpfung neben illegalen Aktivitäten (wie etwa Datenabfragen) auch ganz legale Rechtskonstruktionen. Im Zuge der Ermittlungen im sogenannten ‚Antifa2020 Prozess‘ wurde der Vorwurf der „Bildung einer kriminellen Vereinigung und Organisation“ konstruiert. Mit diesem Vorwurf wurden weitreichende Ermittlungsmethoden, wie etwa das Abhören von Mobiltelefonen, legitimiert und die Möglichkeiten von Repressionen erheblich erweitert.
Prioritäten. Egisto Ott ist in dem weiten ‚Skandal Verfassungsschutz‘ nur das Symptom einer kaputten Institution. Eine Institution, der ein nicht haltbarer ‚Extremismusbegriff‘ zugrunde liegt. In diesem verdrehten Extremismusbegriff werden etwa linke und rechte Gewalt gleichgesetzt; die vermeintliche ‚politische Mitte‘ wird zur ‚demokratischen Mehrheit‘ auserkoren. Diese Fehlanalyse erkennt die autoritäre Zuspitzung eben dieser ‚politischen Mitte‘ nicht. Im spürbaren Rechtsruck werden Rassismus, Antisemitismus und andere menschenfeindliche Diskriminierungsformen genau hier wieder salonfähig. Der österreichische Verfassungsschutz beschäftigt sich indes lieber mit der Verfolgung von Antifaschist_innen, diffamiert diese als ‚staatsgefährdend‘.
Aus den Akten zum Antifa2020 Prozess geht etwa hervor, dass in fast jedem Bericht des damaligen Verfassungsschutzes eine politisch verdrehte Meldungslegung zu finden ist. Antifaschist_innen werden als extremistisch und gewaltbereit beschrieben, Rechtsextreme werden hingegen als “rechtsgerichtete Bürgerbewegung” bezeichnet und beschönigt.
Gleichzeitig hatte das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung offensichtlich keine Ressourcen für tatsächliche Terrorismusbekämpfung. So wurden Warnungen von ausländischen Geheimdiensten zu dem späteren islamistischen Attentäter in der Wiener Innenstadt ignoriert. Dieser hatte im November 2020 in unmittelbarer Nähe des Wiener Stadttempels mehrere Menschen ermordet.
Rechtsextremer Sumpf. Die Liste an Querverbindungen zwischen österreichischen Sicherheitsbehörden und zentralen Rechtsextremist_innen ist lang; FPÖ-nahe Beamt_innen und Politiker_innen scheinen als Scharnier zwischen dem organisierten Rechtsextremismus auf der einen Seite und der parlamentarischen Rechten auf der anderen zu fungieren. Der Verfassungsschutz wird hier zum Legitimationswerkzeug, mit der die Kriminalisierung von progressiven Bewegungen vorangetrieben wird und weitreichende Repression ermöglicht wird.
In einer 2018 vom damaligen Innenminister Herbert Kickl angeordneten Razzia des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, welche von der FPÖ-nahen ‚Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität‘ durchgeführt wurde, wurden große Mengen an Daten und Informationen über rechtsextreme Netzwerke vernichtet. Der Leiter ebendieser Razzia soll dabei enge Kontakte zu Neonazi Gottfried Küssel gehabt haben.
2022 gab es außerdem Berichte, nach denen zufolge die FPÖ versucht haben soll, sich Personendaten über Egisto Ott zu besorgen. Bei einer Hausdurchsuchung in der Wohnung Otts wurde ein Eisernes Kreuz samt Hakenkreuz gefunden. Dass im unmittelbaren Nachfeld der illegalen Datenabfragen ein Einbruch durch Neonazis bei einer abgefragten Person versucht wurde, bestärkt die Vermutung, dass Ott die abgefragten Daten an Rechtsextreme weitergegeben hat.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung war und ist neben Spionageskandalen also augenscheinlich auch in rechtsextreme Netzwerke verwickelt, weitere vermeintliche ‚Einzelfälle‘ sind in der Quellenbox angeführt. (3) und (4)
Am rechten Auge weiter blind? Mit der offiziellen Schließung des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung hören die Skandale aber noch lange nicht auf. In Österreich besteht der jetzige ‚Verfassungsschutz‘ aus der bundesweit agierenden Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst und den einzelnen Landesämtern für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung. Obwohl das ehemalige BVT aufgelöst ist, bestehen weiterhin klar rechte bis rechtsextreme Strukturen innerhalb der Landesämter. In Wien etwa untersteht das zuständige Landesamt der Landespolizeidirektion Wien, welches wiederum von Gerhard P. geleitet wird, der selbst aktiv in einer völkisch-nationalen schlagenden Burschenschaft war. Das Wiener Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung gilt als FPÖ-nahe, erreicht diese in dortigen Gewerkschaftswahlen doch regelmäßig 40% und mehr.
Während antifaschistische Kräfte hier als ‚staatsgefährdend‘ eingestuft und verfolgt werden, scheinen gerade die Landesämter am rechten Auge weiterhin blind zu sein.
Infobox Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst
Die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) ist seit dem 1. Dezember 2021 die Nachfolgeorganisation des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Sie untersteht dem Bundesministerium für Inneres und damit dem derzeitigen Innenminister Gerhard Karner, seines Zeichens Mitverantwortlicher des ‚Dr. Engelbert-Dollfuß-Museums‘ in Niederösterreich und 2021 mit schwerwiegenden Antisemitismusvorwürfen konfrontiert. (5)
Der Hass auf progressive Bewegungen vieler österreichischer Beamt_innen ist gefährlich: sowohl für antifaschistische Aktivist_innen, die der Gewalt von Rechtsextremen ausgesetzt sind als auch für das Projekt einer gesellschaftlichen Veränderung. Wenn Rechtsextreme nicht gezielt verfolgt werden, verhindern die Landesämter für Verfassungsschutz damit auch progressive Politik.
Mehr Überwachung. Die Befugnisse des Verfassungsschutzes werden seit Jahren ausgeweitet. Unter einer fadenscheinigen Argumentation fordert hier auch die ÖVP und ihre DSN weitreichendere Möglichkeiten der Überwachung und Repression. Das alles wird unter einem rassistischen Sicherheitsbegriff legitimiert, der Migrant_innen und als migrantisch angenommene Personen als ‚Gefahr für die Demokratie‘ diffamiert. Über diesen Sicherheitsbegriff rechtfertigt der österreichische Staat auch seine Unterstützung des europäischen Abschieberegimes. In seinem menschenfeindlichen Verständnis muss hier die ‚Festung Europa‘ geschützt werden, Zuwanderungsströme werden zum ‚Sicherheitsrisiko‘ erklärt.
Gleichzeitig sind linke Bewegungen immer mehr Repressionen ausgesetzt. Das zeigt sich unter anderem auch in der Kriminalisierung der kurdischen Befreiungsbewegung. Egal ob Sicherheitsbehörden nun dysfunktional und korrupt (wie das aufgelöste BVT) oder effektiv sind: Sie sind immer eine Gefahr für progressive Linke und vor allem diskriminierte Gruppen. Dem Diskurs um staatliche und öffentliche Sicherheit liegen menschenfeindliche Narrative zu Grunde; insbesondere der Verfassungsschutz ist hier Einfallstor für Rechtsextremismus, Rassismus, Missbrauch und Gewalt.
Ein Umstand, der leider nicht verwundert. Linke Bewegungen stellen immer auch das Bestehende infrage, denken Gesellschaft neu, frei von diskriminierender Gewalt und Faschismus.
Tina Wafien studiert Politikwissenschaften und ist immer wieder von Repression betroffenen.
Quellenbox
(1) Wie Egisto Ott zum gefürchteten Doppelagenten für Russland wurde. (2024, 05. April). DER STANDARD. www.öh.at/V1
(2) Ex-BVT-Agent Ott zapfte offenbar illegal Daten zu Antifaschisten ab. (2024, 24. April). DER STANDARD. www.öh.at/V2
(3) Hackspiel, S. (2022, 11. Februar). Rechtsextremismus-Vorwurf: Kärntner LVT-Leiter Tauschitz muss gehen | Tiroler Tageszeitung Online. www.öh.at/V3
(4) Die verräterische Küssel-Mail. (2024, 19. April). DER STANDARD. www.öh.at/V4
(5) Rücktrittsaufforderung an Innenminister Karner wegen antisemitischer Rhetorik. (2021, 13. Dezember). DER STANDARD. www.öh.at/V5