Wir schützen unsere Frauen

  • 18.06.2019, 15:41

Eine 80-jährge Niederösterreicherin ist das bereits zehnte weibliche Mordopfer des Jahres 2019. Ihr schwer kranker Mann erschoss sie, bevor er sich selbst das Leben nahm. Er hinterließ einen Ab- schiedsbrief, in dem er die Tat gestand1. Neun weitere Frauen haben in diesem noch jungen Jahr bereits ihr Leben verloren. Täter und Opfer stammen aus verschiedensten sozioökonomischen Hintergründen. Dennoch haben sie eine Gemeinsamkeit: Bei allen Tätern, die bis dato ermittelt werden konnten, handelt es sich um Männer aus dem engsten sozialen Umfeld der Getöte- ten: Ehemann, Ex-Freund, Bruder oder Enkelsohn. Mehrere dieser Männer waren bereits im Vorfeld als aggressiv oder gewalttätig aufgefallen oder sogar polizeibekannt. Dennoch konnten die Morde nicht verhindert werden.

Bereits die ersten drei Woche des Jahres brachten sieben Fälle von Mord oder Totschlag an Frauen mit sich. Diese schockierende Häufung rückte das Thema Frauenmorde in den medialen Fokus. „Frauenmord-Land Österreich?“ titelte etwa das Magazin News2 und PULS4 fragte im Magazin Pro&Contra „Mehr Frauenmorde als je zuvor:

Woher kommt die Gewalt?“3 Statistiken verdeutlichen wie dramatisch die Lage ist: In keinem anderen Land Europas ist der Anteil der weiblichen Opfer bei Tötungsdelikten so hoch wie in Österreich. Zumindest die letzte Headline verdeutlicht auch, in welche Richtung die Debatte um Gewalt gegen Frauen kippte: Sie bekam rasch eine rassisti- sche Schlagseite, wurde von einer Frage der geschlechterspezifischen Gewalt zu einer Debatte um Migration und Asyl umgedeutet. Doch wie kam es dazu?

Impuls von ganz rechts. 

Einmal mehr spielte die neofaschistische Gruppe der „Identitären“ dabei die Rolle der Stichwortgeber, der Aufstachler für die österreichische extreme Rechte. Und einmal mehr konnte sie damit den Ver- lauf der Debatte mitbestimmen. Sie griff aus den Morden im Jänner 2019 zwei sehr ähnliche Fälle heraus, deren Täter- Opfer-Konstellation sich für ihre Zwecke besonders eigneten: Die Opfer waren zwei sehr junge autochthone Frauen, beide gerade einmal sechzehn Jahre alt. Ermordet wurden sie von wenige Jahre älteren Männern mit aufrechtem Asyl- status. Die Rechtsextremen nutzten die mediale Aufmerksamkeit, die auf dem Thema lag, als Bühne für ihre völki- schen Umdeutung der Frauenmord-Pro- blematik. Diese beiden Fälle, die Morde an Manuela aus Wiener Neustadt4 und Michele aus Steyr5, dienten ihnen als Vehikel ihrer rassistischen Erzählung. Ihr Ziel war es, die Morde als alleinige Folge des Zulassens von Migration nach Österreich umzudeuten. Die Ebene der patriarchaler Unterdrückungsverhält- nisse sollte dadurch überlagert werden, Gewalt von Männern ohne Migrati- onshintergrund wird ausgeblendet. Die Verknüpfung von Rassismus und Geschlechterbildern wird hier über eine individualisierte und vor allem emotionalisierte Ebene betrieben, was sie ge- gen rationale Argumente immunisiert.

Diese Strategie ist keineswegs neu. Das Bild des bedrohlichen Fremden, der die autochthone Frau als Erhalterin des Volkes gefährde, ist in der extremen Rechten altbewährt. Zuletzt wurde sie 2017 in Deutschland mit einigem Erfolg angewandt. Als die 15-Jährige Mia aus dem rheinland-pfälzischen Kandel von ihrem gewalttätigen ex-Freund erstochen wurde, kam es zu mehreren größeren Demonstrationen der extre- men Rechten, die mediale Rezeption fanden. Auch in Österreich versuchten sich unter anderem die rechtsextremen „Identitären“ an Mobilisierungen in jenen beiden Städten, die Schauplatz der Morde waren. Unter dem Titel „Eine Kerze für Steyr“ wurden in dem nieder- österreichischen Ort mehrere Gedenk- veranstaltungen abgehalten. Mehrere hundert Personen, der größte Teil davon Anwohner_innen, nahm daran Teil. So auch in Wiener Neustadt, wo das zweite Mädchen starb, fanden am Wochen- ende nach dem Mord gleich zwei von Rechtsextremen organisierte Kund- gebungen mit jeweils etwa 200 – 250 Teilnehmenden statt. Was als Gedenken inszeniert wurde, war nichts anderes als ein Forum, um trauernden Menschen in geheucheltem Mitgefühl rechtsextreme Ideologie vorzusetzen, wurde doch in jeder Rede dieselbe Botschaft vermit- telt: Massenmigration sei schuld am Tod dieser Frauen.

Frauen schützen?

Dabei fiel oft der aufschlussreiche Begriff der „impor- tierten Gewalt“, den Rechtsextreme all- zu gerne strapazieren, um geschlechter- spezifische Gewalt zu ethnisieren. Hier wird versucht, ein Bild zu schaffen, in dem die „wirkliche“ Gefahr geschlech- terspezifischer Gewalt ausschließlich von nicht-‚autochtonen‘ Männern aus- geht. Diese werden als „übermännlich“, impulsiv und gewaltaffin dargestellt, wobei sie dem Bild des durch jahre- lange Sozialisierung „verweichlichten“ europäischen Mann gegenübergestellt werden. Diese Eigenschaften, die dem „Fremden“ negativ zugeschrie- ben werden, drücken gleichzeitig ein Ideal gewalttätiger Männlichkeit aus, das Rechtsextreme hegen. Der Begriff nimmt Gewalt völlig aus dem Begriffs- rahmen, sobald die Täter ‚autochthone‘ Männer sind.

Das offenbart auch das verquere Ver- hältnis der extremen Rechten zum The- menkomplex der Gewalt gegen Frauen: Als schützenswert gilt der weibliche 

Körper im rechtsextremen Denken lediglich als unverzichtbare Ressour- ce des Volkserhalts, zu schützen vor dem Zugriff von allem, das als ‚fremd‘ ausgemacht wird. Nicht der Schutz der Unversehrtheit und des Wohlergehens der Frauen steht im Zentrum – von

der Problematisierung patriarchaler Verhältnisse, die sie gefährden ganz zu schweigen – sondern die Abwehr von Fremden. Das dadurch transportierte Bild des Beschützers stärkt wiederum Geschlechterhierarchien. Es stellt Frauen als ständig bedrohte, gleichzeitig aber passive und wehrlose Objekte der Begierde und somit von der Stärke und Gunst eines Mannes abhängig dar. Die rechtsextreme Thematisierung geschlechterspezifischer Gewalt dient somit der Funktion der Privilegiensicherung weißer, hegemonialer Männ- lichkeit verkörpernder „Inländer“, also der größten Zielgruppe rechtsextremer Ideologien. Da Frauen in rechtsextremen Ideologien vorrangig als Mütter und somit Verantwortliche für den Fortbestand des Volkes angehen werden, wird jeder Angriff auf Frauen von ‚fremden’ Männern als Angriff auf das Volk selbst gesehen. Schutz gegen diesen Angriff zu gewähren wird im rechtsextremen Diskurs als ehrwürdige Pflicht jedes ‚autochtonen’ Mannes gesehen6.

Regierung spart bei Gewaltschutz und Beratungsstellen.

Von weit größerer Bedeutung
als die Mobilisierungen der außer- parlamentarischen extremen Rechten auf der Straße war jedoch, dass das FPÖ-geführte Innenministerium das rassistische Erklärmuster aufgriff und die hohe Zahl der Morde zu einem Problem der Zuwanderung erklärte. So versprach Innenminister Herbert Kickl medienwirksam, er werde eine Taskforce einrichten und die Abschiebung von anerkannten Geflüchteten erleichtern. Vizekanzler Heinz-Christian Strache griff dabei auch den Begriff der importierten Gewalt wieder auf – selbst rhetorisch passte bei diesem Thema kaum ein Blatt Papier zwischen die neofaschistischen„Identitären“ und die FPÖ. Doch auch die ÖVP stimmte in den rassistischen Kanon mit ein. Sie argumentierte, leichtere Abschiebungen – auch ohne Vorliegen einer schweren Straftat - würden dem Hausverstand der Österreicher entsprechen. Für Empörung sorgte lediglich der Zusatz des Innenministers, er wolle sich dabei notfalls auch über die Europäische Menschenrechtskonvention hinweg- setzen, sollte diese einer Abschiebung im Weg stehen7. So war es am Ende die Regierung, die mit all ihrer Reichweite von der notwendigen Debatte, wie der Serie an Frauenmorden Einhalt zu gebieten ist ablenkte. Stattdessen wurde über Abschiebungen für Bagatelldelikte debattiert.

Mit dieser Verschiebung konnte die Regierung von einem für sie weit unan- genehmeren Themenfeld ablenken: Sie hat 2018 trotz steigenden Zahl an Frau- enmorden massiv beim Gewaltschutz eingespart. Beratenden Fraueninitiati- ven und Familienberatungsstellen für Krisensituationen wurden die Mittel ge- kürzt. Damit fielen Beratungsangebote für von Gewalt bedrohte oder betroffene Frauen weg. Doch diese präventiven Maßnahmen wären essenziell, um einer weiteren Eskalation der Gewalt zuvor zu kommen. Denn statistisch gesehen wird rund die Hälfte der Morde angekündigt, in vielen Fällen beginnt die Spirale der Gewalt schon lange zuvor. Um gefähr- dete Frauen schützen zu können, gab es bis zum Herbst 2018 auch monatliche Treffen der „Wiener Interventionsstelle gegen familiäre Gewalt“ und anderer re- gionaler Gewaltschutzeinrichtungen mit der Polizei. Dabei wurden Hochrisiko- Fälle dokumentiert und besprochen, um weiterer Gewalt zuvor zu kommen. Ziel dieser Fallbesprechungen war es, eine Strategie zu finden, um Leib und Leben der bedrohten Frau zu schützen. Trotz der alarmierenden Zahl an Frauenmor- den hat die Schwarz-Blaue Regierung diese Besprechungen nun ersatzlos aus- laufen lassen. Damit fällt für bedrohte Frauen noch eine zweite entscheidende Möglichkeit der Prävention weg. „Ein- fach nur gesagt zu bekommen ‚Zeigen Sie halt wieder an, wenn es nochmal passiert‘, ist zu wenig“, kritisierte Rosa Logar von der Wiener Interventionsstel- le gegen familiäre Gewalt gegenüber dem sozialdemokratischen Online-Magazin Kontrast.8

Auf dem Rücken der Frauen.

Die rassistische Debattenverschiebung von Gewaltschutz zu Migration verschleiert, dass bei weitem nicht alles getan wird, um Frauen zu schützen und solchen Taten Einhalt zu gebieten.  Statt Beratungsstellen mehr Mittel zur Verfügung zu stellen, Behörden im Umgang mit bedrohten Frauen besser zu schulen und alle daran zu setzen, die Gewaltspirale zu durchbrechen, bevor es zum Äußersten kommt, zettelte die Regierung die nächste Debatte über Migration an. Ein billiges Ablenkungsmanöver, das jedoch von Gewalt betroffenen Frauen teuer zu stehen kommt. Deutlich wird dabei, dass es rechtsextremen „Identitären“ wie Regierung keineswegs um eine tatsächliche Bekämpfung geschlechts- bezogener Gewalt geht, sondern sie
das Thema vielmehr als Vehikel für ihren Rassismus instrumentalisieren: Sie betreiben ein Framing, das die Erzählung des „integrationsunfähigen muslimischen Mannes“ bedient. Durch die emotionale Aufladung, die mit der Thematik geschlechtsbezogener Gewalt verbunden ist, wird das zusätzlich verfestigt. Das Leben von Frauen wird hier zum Spielball rassistischer Politik. Dabei wäre eine ehrliche Debatte über die Ursachen der eklatant hohen Quote an Frauenmorden im Land dringend notwendig. Doch eine solche kann dann einen Beitrag zum Gewaltschutz leisten, wenn sie ohne Rassismus auskommt und um der Betroffenen Willen geführt wird.

Julia Spacil studiert Jus und Politikwissenschaft auf der Universität Wien.

1 https://www.heute.at/oesterreich/ niederoesterreich/story/44226369

2 https://www.news.at/a/frauenmor- de-oesterreich-zahlen-10595056

3 https://www.puls4.com/pro-und- contra/videos/ganze-folgen/Ganze- Folgen/Mehr-Frauenmorde-als-je- zuvor-Woher-kommt-die-Gewalt

4 https://derstandard. at/2000096084363/Junge-Frau-tot- in-Wiener-Neustadt-gefunden-Gewalttat-vermutet

5 https://www.nachrichten.at/ oberoesterreich/Maedchenmord- in-Steyr-Tatmotiv-war-vermutlich-Eifersucht;art4,3083850

6 Weidinger, Bernhard/Werner, Katharina (2017): „Finger weg von unseren Frauen!“ Männlichkeit, extreme Rechte und sexualisierte Gewalt. In: Journal für Psychologie, Jg. 25 (2017), Ausgabe 2, S. 153-178.

7 https://derstandard.at/2000096888042/Kickl-stellt-Menschenrechtskonvention-in-Frage

8 https://kontrast.at/trotz-steigender-gewalt-an-frauen-innenministerium-stoppt-projekt-zum-gewalt-schutz

AutorInnen: Julia Spacil