Vorgegaukelte Seriosität

  • 06.07.2013, 16:01

Von Kristallen, die Quanten ins Trinkwasser übertragen, hält der Quantenphysiker Florian Aigner nichts. Was es mit ihnen und den Parawissenschaften auf sich hat, erklärt er im progress-Interview.

Von Kristallen, die Quanten ins Trinkwasser übertragen, hält der Quantenphysiker Florian Aigner nichts. Was es mit ihnen und den Parawissenschaften auf sich hat, erklärt er im progress-Interview.

Laut einer SPECTRA-Studie glauben 68 Prozent aller ÖsterreicherInnen an übernatürliche Phänomene. An der Wirtschaftskammer sind 15.000 unzertifizierte EnergetikerInnen aus ganz Österreich gewerblich gemeldet. Quantenheilung, Heilsteine und Handauflegen sind voll im Trend. Die Wirksamkeit parawissenschaftlicher Methoden bleibt jedoch zweifelhaft und bis zum jetzigen Zeitpunkt wissenschaftlich unbelegt.

progress: Was sind Parawissenschaften?

Florian Aigner: Das sind Theorien, die Seriosität vorgaukeln, indem sie sich als Wissenschaften darstellen, ohne aber den tatsächlichen wissenschaftlichen Anforderungen gerecht zu werden. Man versucht, wissenschaftlich zu wirken, obwohl man es nicht ist. Esoterische Produkte wie sogenannte Heilsteine oder „belebtes Wasser“ werden mit wissenschaftlichen Begriffen wie „Quantenschwingung“ in Verbindung gebracht. Eine logische Verbindung zwischen diesen Begriffen und der angeblichen Wirkung wird dann aber gar nicht hergestellt. Das ist Missbrauch von Wissenschaft und macht es für Leute ohne wissenschaftliche Bildung schwierig zu unterscheiden, was Wissenschaft und was Humbug ist.

Sogar die ASFINAG hat versucht mit Hilfe von Kristallen Unfallstellen auf Straßen zu entschärfen. Auch andere öffentliche Einrichtungen wie Krankenhäuser setzen gerne esoterische Produkte ein, ohne deren Wirkung nachzuprüfen. Die Wissenschaft beruht aber darauf, dass die Aussagen, die man macht, getestet werden.

progress: Welche gesellschaftlichen Probleme können entstehen, wenn öffentliche Einrichtungen esoterische Produkte verwenden?

Florian Aigner: Ein Problem ist, wenn Steuergeld für etwas verwendet wird, das nicht wirkt. Das Problem geht aber weiter: Eine aufgeklärte, demokratische Gesellschaft funktioniert nur dann, wenn man sich darauf einigt, welche Argumente für den demokratischen Diskurs akzeptabel sind. Seit der Aufklärung hat sich der Standpunkt entwickelt, dass wir basierend auf Fakten argumentieren sollen, die man im Popper‘schen Sinn überprüfen kann: Wenn ich Behauptungen aufstelle, muss ich auch angeben, unter welchen Bedingungen ich bereit wäre, diese fallen zu lassen. Wenn wir den esoterischen Parawissenschaften zu viel Platz einräumen, dann haben wir einen gesellschaftlichen Diskurs, der von Fakten vollkommen entkoppelt ist. Bauchgefühle und Eingebungen, wie sie in den Parawissenschaften als Begründungen verwendet werden, dürfen in einer aufgeklärten Gesellschaft nicht Basis der Entscheidungsfindung sein. Auch wenn Parawissenschaften verständlicherweise eine gewisse Attraktivität haben.

progress: Worin liegt diese Attraktivität?

Florian Aigner: Erstens kann ich mich als etwas Besonderes fühlen, wenn ich behaupte, über spezielle Fähigkeiten oder außergewöhnliches Wissen zu verfügen. Ich hab etwas verstanden, was andere nicht verstehen und ich kann dieses Wissen nutzen. Auch ein Arzt hat eine gewisse Autorität durch ein langjähriges Medizinstudium. Viel einfacher ist es natürlich, einen dreiwöchigen EnergetikerInnenkurs zu machen. Der Anspruch, etwas Besonderes zu sein und etwas Besonderes zu können, lässt sich auch dadurch erfüllen.

Zweitens liegt den Parawissenschaften dieselbe Art von Neugier zugrunde, die man in Bezug auf die Wissenschaften hat. Es ist einfach schön, etwas Neues zu lernen – das gilt für die Wissenschaft genauso wie für die Esoterik. Aber bei näherer Betrachtung differenzieren sich die Dinge. Da gibt es dann Apparate, wie Kupferpendel, die nicht funktionieren, und echte Wissenschaft, die man sauber argumentieren kann.

progress: Wie lässt sich eine vermehrte Zuwendung zu den Parawissenschaften erklären?

Florian Aigner: Ich glaube, in Krisen versuchen die Leute etwas Neues zu finden. Es passiert oft, dass Leute mit persönlichen oder finanziellen Schwierigkeiten ihr Leben umkrempeln wollen, was an sich nichts Schlechtes ist. Das sind legitime Reaktionen. Oft wäre aber eine Psychotherapie oder eine intensive Aussprache mit Leuten, die man gut kennt, heilsamer und kostengünstiger.

progress: Die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP), bei der Sie tätig sind, beschäftigt sich seit geraumer Zeit mit der Faszination für Parawissenschaftliches. Was ist euer Antrieb?

Florian Aigner: Die GWUP ist eine Vereinigung, die versucht, wissenschaftlich rationales Denken zu propagieren und zu verbreiten. Wir wollen klar aufzeigen, welche Behauptungen wissenschaftlich sind und wo die Grenze zur bloßen Esoterik verläuft. Einmal im Jahr werden die sogenannten „Psi-Tests“ durchgeführt: EsoterikerInnen werden eingeladen, ihre Behauptungen unter sauber definierten Laborbedingungen unter Beweis zu stellen. Wer das schafft, könnte hohe Geldpreise gewinnen, doch bis jetzt ist das noch jedes Mal misslungen. Bei übersinnlichen Phänomenen ist die Einbildungskraft ein mächtiger Faktor. Der Selbstbetrug, also das zu sehen, was ich mir erwarte, ist eine ganz natürliche menschliche Eigenschaft. Die Wissenschaft ermöglicht uns, einen Schritt weiter zu gehen, um Selbstbetrugsphänomene aufzudecken und zur Wirklichkeit zu kommen, die stärker ist als mein Bauchgefühl.

progress: Im Falle der Homöopathie: Ist sie Medizin oder Täuschung?

Florian Aigner: Homöopathie ist mittlerweile Mainstream. Trotzdem weist die wissenschaftliche Faktenlage klar darauf hin, dass Homöopathie nicht besser wirkt als ein Placebo. Menschen sind aufgrund des Placeboeffekts schwieriger zu testen als simple physikalische Objekte. Der Placeboeffekt ist sehr mächtig, dazu gibt es viele Studien. Man kann viele verschiedene Placebobehandlungen anwenden, von Pillen ohne Wirkstoff über Spritzen bis hin zu Scheinoperationen. Diese Placebotherapien haben bei den PatientInnen oft gut gewirkt. Das liegt daran, dass der Kranke schon allein durch die Behandlung die persönliche Einstellung zur Krankheit ändert. Der Placeboeffekt ist zwar etwas Gutes, in der Medizin kommt man mit esoterischen Mitteln aber in gefährliches Gebiet. Wenn man Menschen von wirksamer medizinischer Versorgung abhält, indem man sie nicht richtig und ausreichend informiert, wird es äußert problematisch. Diese Verantwortungslosigkeit gegenüber den PatientInnen kommt selbst bei schwerwiegenden Krankheiten wie Krebs oft genug vor und kann bis zum Tod führen.

progress: Also gilt die Aussage „Information ist Macht“?

Florian Aigner: Esoterik, allgemein Heilungsprozesse haben sehr viel mit Macht zu tun. Die wissenschaftliche Nachvollziehbarkeit ist für den Durchschnittsverbaucher nicht gegeben. Wie auch? Esoterische Webseiten schauen oft sehr wissenschaftlich aus und verwenden wissenschaftliche Fachausdrücke. Da haben wir letztlich ein Konsumentenschutzproblem. Es braucht Einrichtungen, die esoterische Angebote prüfen und klassifizieren. Man muss klare Worte finden und offen sagen, worum es sich bei den Angeboten handelt. Konsumentenschutzeinrichtungen und Universitäten sollten sich hier mehr engagieren. Gerade Universitäten, an denen stetig neue Wissenschaft entsteht, hätten eigentlich ein Interesse daran, die Gesellschaft aufzuklären darüber, was Wissenschaft ist und was nicht.

Weblink: www.skeptiker.at

AutorInnen: Marlene Brüggemann