Vom Hochschulabschluss in die Krise

  • 12.03.2016, 15:12
Mit Mitte Zwanzig ziehen junge Menschen eine erste Lebensbilanz und fragen sich: Ist das Leben, das ich führe, das Leben, das ich führen will? Das endet oftmals in einer handfesten Krise.

Mit Mitte Zwanzig ziehen junge Menschen eine erste Lebensbilanz und fragen sich: Ist das Leben, das ich führe, das Leben, das ich führen will? Das endet oftmals in einer handfesten Krise.

Wer den Hochschulabschluss in der Tasche hat, hat auch das Rüstzeug, um in eine verheißungsvolle Zukunft zu starten. So sollte es zumindest sein. Was für die einen nämlich nach Aufbruch, Chancen und Freiheit klingt, ist für andere wiederum mit Angst, Unsicherheiten und Verzweiflung verbunden. Und darum verwundert es nicht weiter, wenn junge Menschen in dieser Lebensphase – nämlich beim Übergang vom Ausbildungs- zum Berufsleben – in eine Krise schlittern. Die Rede ist hier von der sogenannten „Quarterlife Crisis“.

#QUARTERLIFECRISIS. Ein Blick auf Twitter bestätigt: Die Quarterlife Crisis beschäftigt junge Menschen. Tweets wie „Ich hatte zwar keinen genauen Plan, wie mein Leben mit 24 aussehen sollte, aber so wie es jetzt aussieht… #quarterlifecrisis“, „Gespräche mit gleichaltrigen Berufstätigen zeigen mir auf: Ich würde auch nicht tauschen wollen. #quarterlifecrisis“ oder „Der Hashtag #quarterlifecrisis beschreibt mein Denken und meine Situation gerade sehr gut.“ lassen eine düstere Stimmungslage vermuten und sind nur ein Auszug der unzähligen Tweets zum Thema. Drei junge Menschen, die sich ebenfalls mit dem Hashtag #quarterlifecrisis zu Wort gemeldet haben, haben sich dazu bereit erklärt, über das Thema „Quarterlife Crisis“ zu sprechen: Thu Trang Eva (22) studiert „Zeitbasierte und Interaktive Medien“ an der Kunstuniversität Linz, Pia (28) hat kürzlich am Institut für Publizistik der Universität Mainz ihr Studium abgeschlossen und Roland (28) arbeitet als Assistenzarzt in der Notfallmedizin in Marburg.

Woran die drei erkannt haben, dass sie in einer Quarterlife Crisis stecken? „Ich habe vor allem gemerkt, dass mich das typische Generation Y-Gefühl, nämlich etwas ganz Besonderes aus meinem Leben machen zu müssen, plötzlich überfordert hat. Zudem hatte ich ständig Zweifel, welchen Weg ich denn nun einschlagen soll“, erzählt Pia. Mit dem Gefühl, den falschen Weg eingeschlagen zu haben, kämpft Roland: „Meine Berufsentscheidung zweifel‘ ich stark an. Ich habe einfach das Gefühl, dass ist nicht das Richtige.“ Obwohl Thu Trang Eva genau weiß, dass sie das Richtige macht, machten sich insbesondere in den ersten zwei Semestern ihres Studiums Zweifel breit: „Ich hatte damals den Eindruck, dass meine StudienkollegInnen viel besser, erfolgreicher und kreativer sind als ich.“ Den Eindruck, dass FreudInnen und KollegInnen ein besseres und erfolgreicheres Leben führen, als man selbst es tut, gewinnen junge Menschen auch über Social Media. „Die Geschichte mit Facebook und der plötzlichen Vermutung, im Vergleich schlechter abzuschneiden als andere, kenne ich sehr gut. Zum Glück wurde mir schnell klar, dass das Meiste auf Facebook reine Selbstdarstellung und nur eine Seite der Medaille ist.“

IST-ZUSTAND VS. IDEAL-ZUSTAND. Mit Mitte Zwanzig, also am Ende ihres ersten Lebensviertels, überkommt viele junge Menschen das Bedürfnis, eine erste Lebensbilanz zu ziehen, ob das Leben auch den eigenen Erwartungen und Vorstellungen entspricht. In dieser Phase stellen sie oftmals ihre Lebensentwürfe in Frage oder gleichen den Ist-Zustand mit dem vor Jahren anvisierten Ideal-Zustand ab. Dabei sind es Fragen wie „Bin ich mit meinen Beziehungen, meinen Interessen und meinem Job zufrieden?“, „Was mache ich mit meinem Leben?“ und „Wo sehe ich mich in der Zukunft?“, die jungen Menschen schlaflose Nächte bereiten. Während der Lebensweg der Eltern und Großeltern oftmals eingeschränkt und vorgezeichnet war, ist die Generation Y - also jene Menschen die zwischen 1980 und 1999 geboren sind - die erste Generation, die im Bewusstsein aufgewachsen ist, dass sie ihr Leben nach ihren eigenen Bedürfnissen und Wünschen gestalten können. Es ist die Freiheit, die zur Last wird und der Optionenüberschuss, der Entscheidungen erschwert. Die Freiheit wird vom permanenten Gefühl begleitet, dass man nicht alle Möglichkeiten, die einem offenstehen, gut genug nützen kann. Damit einhergehend entsteht auch oft der Eindruck, dass andere mehr aus ihren Möglichkeiten machen, als man selbst. Gleichzeitig machen anstehende Entscheidungen das Leben schwer, denn wer sich für etwas entscheidet, entscheidet sich gleichzeitig auch immer gegen etwas. Hier bekommt die Redensart „Wer die Wahl hat, hat die Qual“ einmal mehr ihre vollständige Berechtigung. Was sich auf den ersten Blick nach einem Luxusproblem anhört, kann tatsächlich in einer handfesten Krise enden.

Populär wurde der Begriff „Quarterlife Crisis“ um die Jahrtausendwende, als die beiden amerikanischen Autorinnen Abby Wilner und Alexandra Robbins das Buch „Quarterlife Crisis: Die Sinnkrise der Mittzwanziger“ verfassten. Dazu interviewten die beiden rund 200 MittzwanzigerInnen, werteten die Ergebnisse ihrer Befragungen aus und fassten sie in ihrem Buch zusammen. In diesem beschreiben sie die Quarterlife Crisis als einen Übergang von der „akademischen Welt“ in die „echte Welt“, an dem junge Menschen unaufhörlich ihre eigenen Entscheidungen und ihre Zukunft hinterfragen.

ORIENTIERUNGSLOSIGKEIT. Anlässlich ihrer Master-Thesis an der Wirtschaftsuniversität Wien hat Rafaela Artner sich intensiv mit dem Thema „Quarterlife Crisis“ beschäftigt und anhand einer Online-Umfrage die Verbreitung dieser Krise erhoben. Insgesamt haben 2.640 AkademikerInnen zwischen 20 und 30 Jahren des deutschsprachigen Raumes an der Ende 2014 durchgeführten Online-Umfrage teilgenommen. Durch die Auswertung ist Rafaela Artner zu dem Ergebnis gekommen, dass knapp ein Viertel (23,4 Prozent) der Befragten mit hoher Wahrscheinlichkeit an der Quarterlife Crisis leidet. Zwei interessante Fakten dazu: Laut den Ergebnissen sind Frauen, sozial Schwächere und Personen, die noch zu Hause wohnen, stärker betroffen als andere. Ein nennenswerter Zusammenhang zwischen dem Alter und dem akademischen Erfolg haben sich jedoch nicht nachweisen lassen - das heißt wohl, dass hochmotivierte KarrieristInnen von derselben Krise geplagt werden können wie LangzeitstudentInnen ohne große Karriereambitionen. Thomas Schneidhofer, mittlerweile Professor für Personal und Management an der Privatuniversität Schloss Seeburg, war Rafaela Artners Masterarbeitsbetreuer und weist darauf hin, dass in der Online-Umfrage lediglich die Selbsteinschätzung abgefragt wurde und es sich keineswegs um eine diagnostische Aussage handelt, dass rund ein Viertel der Befragten an einer Quarterlife Crisis leidet. „Wir können nicht sagen, dass wir definitiv wissen, dass die Befragten an einer Quarterlife Crisis leiden. Wir können nur sagen, dass ein sehr hoher Anteil der Befragten, nämlich insgesamt rund ein Viertel, angibt, unter der Quarterlife Crisis zu leiden“, so Schneidhofer.

Zusammengefasst sind es drei Symptome, die auf eine Quarterlife Crisis schließen lassen, erklärt Thomas Schneidhofer: „Das sind die Orientierungslosigkeit hinsichtlich der momentanen Lebenssituation und zukünftigen Lebensplanung, die Orientierungslosigkeit hinsichtlich der beruflichen Ziele und Berufswahl und die Orientierungslosigkeit hinsichtlich der Familiengründung und Karriereplanung.“ Diese drei Symptome lassen junge Menschen mit Mitte Zwanzig dann häufig in eine Krise schlittern. „Es geht um ein Gefühl der Perspektivenlosigkeit unter der gleichzeitigen Erfahrung, eigentlich schon recht viel gemacht und erreicht zu haben, aber nicht so ganz genau zu wissen, wie es weitergeht“, erklärt Schneidhofer.

KRISE ALS CHANCE. Warum die Quarterlife Crisis ein Phänomen der Generation Y ist, liegt laut Rafela Artner sowohl an der Überforderung mit der Vielzahl an Möglichkeiten, als auch am gestiegenen Konkurrenz- und Leistungsdruck. Die Erwartungshaltung der Generation Y sei wesentlich höher als die vorangegangener Generationen. Sie suche viel stärker nach dem Sinn des Lebens. Dazu kommt, dass sich junge Menschen heute viel stärker mit anderen vergleichen und dies heute im Vergleich zu früher auch sehr viel einfacher möglich ist. Die Vergleichsobjekte sind zum einen Menschen, die einem selbst aufgrund ihres bisherigen Werdegangs sehr ähnlich sind und andererseits auch Menschen, die aus anderen Gründen eine Vorbildfunktion ausüben. Social Media ermöglicht es, rasch und unkompliziert Einblick in das Leben dieser Menschen zu bekommen. Das kann dazu führen, dass man den Eindruck bekommt, dass alle anderen den besseren Job, die tollere Partnerschaft und grundsätzlich das erstrebenswertere Leben haben. „Durch diesen Vergleich kann natürlich der Eindruck entstehen, dass wir immer schlechter abschneiden, als die anderen. Und dabei haben wir gar nicht so wirklich im Kopf, dass das, was die über sich preisgeben, auch nur die positiven Dinge im Leben sind“, erklärt Schneidhofer.

Wissenschaftlich abgesicherte Methoden, um wieder aus einer Quarterlife Crisis herauszufinden, gibt es bisher noch keine. „Es lässt sich aber vermuten, dass es mit dem Eintritt ins Berufsleben und mit der Absicherung der beruflichen Perspektiven zu einer Besserung kommen müsste“, schließt Schneidhofer. Ein Patentrezept, um wieder aus der Krise herauszufinden, haben auch Thu Trang Eva, Pia und Roland nicht. Während Roland dabei ist, sich alternative Berufsmöglichkeiten zu erarbeiten, versucht Thu Trang Eva, sich nicht immer selbst so unter Druck zu setzen und einfach einmal zu schauen, wohin der Weg sie führt. Und Pia hat es sich zum Ziel gesetzt, sich mehr auf sich selbst und weniger auf die anderen zu fokussieren. Und bis es soweit ist, zahlt es sich in jedem Fall aus, die Chancen, die sich aus dieser Krise ergeben, zu ergreifen. Zum Beispiel die Chance, dass eine Bestandsaufnahme des bisherigen Lebens nicht nur sinnvoll, sondern auch reinigend sein kann. Und eine solche Bestandsaufnahme macht man meist eben nur dann, wenn es nicht so rund läuft.

Sandra Schieder studiert Globalgeschichte und Global Studies an der Universität Wien.

AutorInnen: Sandra Schieder