Uncut – ein Bruch mit dem Schweigen

  • 10.04.2015, 16:50

Am 20.03.2015 hatte Paul Poets neuester Film "My Talk with Florence" Premiere bei der Diagonale in Graz. Zu sehen ist ein zweistündiges, ungeschnittenes "Interview" mit Florence Bournier-Bauer, die von Misshandlungen in ihrer Jugend und ihrem Leben in Otto Mühls Kommune berichtet, wo auch ihre Kinder missbraucht wurden.

Am 20.03.2015 hatte Paul Poets neuester Film "My Talk with Florence" Premiere bei der Diagonale in Graz. Zu sehen ist ein zweistündiges, ungeschnittenes "Interview" mit Florence Bournier-Bauer, die von Misshandlungen in ihrer Jugend und ihrem Leben in Otto Mühls Kommune berichtet, wo auch ihre Kinder missbraucht wurden.

progress: Wie bist du zu der Idee gekommen, ein Gespräch über Missbrauch in einen Film zu verpacken?

Paul Poet: Der Film war als solcher nicht geplant. Er war im Rahmen des Theaterstücks „Satan Mozart Moratorium“, das ich 2008 fürs Donaufestival in Krems gemacht habe, entstanden. Im Vorfeld habe ich durch Zufall Florence kennengelernt. Sie hat 20 Jahre dafür gekämpft, dass ihre Geschichte gehört wird. Sie war maßgeblich mitverantwortlich, dass Otto Mühl wegen Kindesmissbrauchs verurteilt wurde. Sie war 10 Jahre in der Kommune Friedrichshof und hat nachher versucht, ihre Geschichte an die Öffentlichkeit zu bringen. Es wollte ihr aber keiner zuhören.

Ich wollte im Theaterstück den latenten Missbrauch in der Gesellschaft als Karikatur aufarbeiten. Für die Geschichte von Florence hatten wir ein Talkshow-Setting, in dem ich selber so ein klassisches Jauch-Arschloch gespielt habe. Ich hatte damals den Film als Back-up für das Theaterstück gedreht. Wir hatten drei Aufführungen geplant, aber ich wusste nicht, ob Florence wirklich immer auftaucht und wollte zur Sicherheit etwas filmen, um es notfalls projizieren zu können. Das Stück mit ihr hat aber  großartig geklappt, sie war jedes Mal voll da, wollte gehört werden und hat immer etwas anderes erzählt. Da der Film selbst aber so gut geworden ist, bringe ich ihn nun doch extra raus, um ihrem Leben wirklich Gehör zu verschaffen.

Hast du im Zuge des Gesprächs Bedenken gehabt, dass es bei ihr zu einer Re-Traumatisierung kommen könnte?

Wir haben im Vorhinein viele Gespräche geführt. Ich bin kein professioneller Psychologe. Zu dem Zeitpunkt hatte ich selbst eine lange Therapie abgeschlossen, weil ich lange schwer depressiv war. Das rührte zum Teil auch aus einer eigenen Missbrauchsgeschichte in der Vergangenheit und insofern waren wir Leute, die sich auf Augenhöhe trafen. Eine Garantie gibt es in solchen Bereichen aber nie.

Aus dem Film geht klar hervor, dass es nicht das erste Gespräch ist, das wir führe. Es ist klar, dass wir uns abgesprochen haben, es ist klar, dass Florence sich selbst inszeniert, zum Beispiel mit der missbrauchten Kinderpuppe, die ich selber als Regisseur furchtbar gefunden habe. Mich interessiert aber der Mensch als ambivalentes Wesen, so wie es für mich als Linken nur die Herangehensweise geben kann, Menschen in ihrer Komplexität zu begreifen statt Propaganda zu zimmern. Florence bezeichnet sich auch selbst als Täterin. Nicht weil sie missbraucht hätte, sondern weil sie ihre Kinder im Stich gelassen und nicht geschützt hat.

Was hat Florence zum Film gesagt?

Sie hat den FIlm zuerst gehasst, dann wieder geliebt, dann wollte sie eine ganz reguläre, klassische Doku haben. Und dann fand sie es wieder ganz großartig, dass er so künstlerisch ist.

Erging es dem Publikum auch so?

Der Großteil ist im Saal sitzen geblieben, manche haben mokiert, dass der Film von der Umgangsweise her schon sehr hart sei, aber er vermeidet eben jede Form von  gegenwärtigem Dokukino, das ich so hasse: diese vorgekauten Messages, diese schwer manipulativen emotionalen Trigger.

Florence wollte über ihre Geschichte sprechen. Welche Aspekte standen für sie dabei im Vordergrund?

Es ist natürlich schon ein egoistischer Aspekt für sie, das aufzuarbeiten, aber natürlich will sie Opfer inspirieren, darüber zu sprechen. Ich bin ja selber nicht primär, aber sekundär betroffen von Missbrauch. Als Kind musste ich mitansehen, wie ein guter Freund von mir vergewaltigt wurde. Ich weiß daher sehr gut, wie viel Verletzung die Schweigespirale auslöst. Es ging mir darum, mit dem Film genau diese zu brechen, um Leute zu inspirieren, nichts hinzunehmen.

Hast du Befürchtungen, dass Florence dich bittet, den Film zurückzuziehen?

Ich weiß nicht, wie groß es wird, es ist ein kleines Arthouse-Ding. Er wird vielleicht als Film ein langes Leben haben, der international auch gut präsent ist, aber er wird kein Blockbuster (lacht), das ist abzusehen. Und so haben Florence und ich einfach eine Abmachung, dass alle Einnahmen 50/50 zwischen uns geteilt werden, weil ich den Film nicht alleine als mein eigenes künstlerisches Produkt sehe, sondern sehr wohl als ihr Leben. Florence hat nur eine kleine Witwenpension, also hoffe ich, dass sie zumindest ein bisschen was reinkriegt, damit ihr Leben gesichert ist.

“My Talk with Florence”
Regie: Paul Poet
129 Minuten
ab Oktober 2015 im Kino

 

Gabriel Binder studiert Geschichte an der Universität Wien.

AutorInnen: Gabriel Binder