Trawnys Deutschtümelei

  • 11.05.2017, 09:00
Der Heideggerianer Peter Trawny bläst in seinem knappen Essay Was ist deutsch? einen kleinen Gedanken zum ganz großen auf.

Der Heideggerianer Peter Trawny bläst in seinem knappen Essay Was ist deutsch? einen kleinen Gedanken zum ganz großen auf: Intellektuelle seien ihrer gesellschaftlichen Relevanz beraubt worden. Ausgehend von Theodor W. Adornos Radioessay Auf die Frage: Was ist deutsch entstellt Trawny Adorno regelrecht zur Unkenntlichkeit, nennt ihn kurzerhand den „Spiritus Rector der Bundesrepublik“ und macht ihn posthum zum Säulenheiligen des postnazistischen Deutschland. Adornos Denken und Wirken wäre noch stark genug gewesen, um „die Vertreter eines anderen Deutschland in Schach zu halten.“

Heute sähe das mit Thilo Sarrazin, dem keine nennenswerte Entgegnung widerfahre, anders aus: Es herrsche ein „Diskurs-Vakuum“. Nicht jedoch zu Adornos Lebzeiten, denn dieser hätte nicht nur als „eine Instanz“ gewirkt, er selbst sei aus dem Exil zurückgekehrt, um eine Gesellschaft aufzubauen, „in der es sich nach dem Schrecklichsten wieder leben ließ“. Der Judenmord verkommt schlussendlich nicht nur zum schlecht-abstrakt Schrecklichen, nein, für die wahrlich vernichteten Jüdinnen und Juden ließ es sich nicht mehr in dieser Gesellschaft leben – sie beraubte man der Individualität und befehligte sie ins Massengrab. Dass Adorno jedoch in dem oben genannten Radioessay auch die Anpassungsschwierigkeiten bei seiner Rückkehr hervorhob, ihm jeder Mitmachzwang zuwider war, darüber schweigt Trawny freilich.

Im Weiteren schreibt Trawny über die Verfallsgeschichte der zweiten Generation der Kritischen Theorie eines Jürgen Habermas und von Thilo Sarazzins Deutschland schafft sich ab. Nicht fehlen darf ein „autobiografischer Exkurs“, wo der Autor darstellt, dass er bei sich angesichts von Auschwitz keine Schuldgefühle feststellen kann, da er von der Gnade des Spätgeborenen zehrt. Überhaupt sei die Rede von der Schuld, die er zum „Schuldkomplex“ aufbläht, irreführend, denn dies lenke von der Erinnerung an Auschwitz ab. Beinahe glücklich kann man sich schätzen, dass Trawny nicht auch noch auf die Idee kommt, gegen die lebenden Jüdinnen und Juden vom Leder zu ziehen.

David Hellbrück ist freier Autor und Verleger und studiert u. a. Philosophie in Wien.

AutorInnen: David Hellbrück