Tauschgeschäft mit Mitschriften

  • 22.05.2016, 21:09
Die deutsche Plattform studydrive möchte unsere Mitschriften und will uns dafür auch belohnen. Doch wie funktioniert dieses System? Werden die Strebsamen nun reich? Und die große Frage: Wie sinnvoll ist es überhaupt, sich auf die Mitschriften der StudienkollegInnen zu verlassen?

Die deutsche Plattform studydrive möchte unsere Mitschriften und will uns dafür auch belohnen. Doch wie funktioniert dieses System? Werden die Strebsamen nun reich? Und die große Frage: Wie sinnvoll ist es überhaupt, sich auf die Mitschriften der StudienkollegInnen zu verlassen?

Man kennt das Gefühl: Bevor ein neues Semester beginnt, bereitet man sich in einem Anflug von überraschender Motivation auf die Herausforderungen des Alltags vor. Die Festplatte wird aufgeräumt, die Dokumente im „Studium”-Ordner sortiert, weil man in diesem Jahr wirklich regelmäßig mitschreiben möchte. Nimmt das Semester jedoch an Tempo zu, gerät der Ordner immer mehr in Vergessenheit. Stattdessen durchsucht man Facebook-Gruppen, Foren oder Cloud-Service nach Mitschriften von jenen Menschen, für die diese Motivation damals vielleicht gar nicht so überraschend kam. Aber anstatt sie kostenlos ins WorldWideWeb zu stellen, möchte die deutsche Plattform studydrive etwas anderes. Zwar soll man weiterhin die Mitschriften kostenlos bei ihnen zum Download anbieten – die Studierenden sollen dafür aber mit Produkten oder Geld belohnt werden. Doch wie kann das funktionieren?

Geld für Mitschriften? Das 2013 gestartete Projekt geht davon aus, dass Studierende gerne ihre Mitschriften teilen: Aber während die einen es machen, um StudienkollegInnen zu helfen, braucht es für andere eventuell eine Motivation. Deshalb verdienen NutzerInnen auf studydrive.net für jede hochgeladene Mitschrift sogenannte Credits, die mit jedem Download verzweifelter KollegInnen mehr werden. Die höchste Prämie, ein iPad Air, scheint aber rein rechnerisch kaum erreichbar. Doch eines zeigt sich mal wieder: Ein Belohnungssystem funktioniert eben.

Credits sind aber etwas anderes als echtes Geld: Das kann man nur als sogenannter „Kursexperte” verdienen – und laut Kleinanzeige handelt es sich dabei um bis zu 500 Euro pro Semester. Aufgabe ist es hier, neben dem Hochladen zahlreicher Unterlagen, die einzelnen Kurse auch regelmäßig zu „promoten”, also der Plattform zu helfen, unter den StudienkollegInnen bekannter zu werden – sowohl online als auch offline. Aber erreicht man auch tatsächlich die vollen 500 Euro? Laut Philipp Mackeprang, einem der Gründer, schafften das bisher zumindest drei Personen pro Semester.

Geld verdienen die BetreiberInnen im Übrigen durch Kooperationen mit Unternehmen. Das ist vor allem deswegen möglich, weil studydrive mit den unterschiedlichen Kursen auch zielgerichtet werben kann, erklärt Mackeprang: „Dabei können wir sehr genau die Anzeigen ausspielen und der BWLer erhält Infos zu interessanten Events, die wirklich auch nur BWLer betreffen.”

Tod der Foren? Früher gab es Foren, später kamen gemeinsam geführte Dropbox-Ordner und schließlich Facebook-Gruppen für jeden einzelnen Kurs dazu. Wie Christian Swertz, Professor für Medienpädagogik an der Uni Wien erklärt, war das kollektive Sammeln von Mitschriften auch schon vor dem Computerzeitalter eine gewohnte Routine – heutzutage sei diese Tätigkeit durch die Technik vereinfacht und globaler geworden. Aber warum sollte man die Unterlagen einem externen Anbieter zur Verfügung stellen, der schließlich mit einem Geschäftsmodell auch damit Geld verdienen möchte? Der eindeutige Vorteil ist die übersichtliche Gliederung der einzelnen Kurse sowie das Bewertungssystem. Wie ein erster Blick zeigt, ist das Angebot an Mitschriften an Österreichs Universitäten aber noch etwas spärlich. So wurden von den rund 1.000 Studierenden, die die Universität Wien als die ihre angeben, bisher erst 100 Dokumente hochgeladen – und das für erst 70 eingetragene Kurse. Deshalb bemüht sich studydrive mittels Kleinanzeige Kurstutoren zu bemühen – hier scheint es also in Österreich noch Aufholbedarf zu geben.


Was passiert jedoch, wenn jemand auf die Schnelle ein paar Credits verdienen möchte, aber nicht seine eigenen Mitschriften hochlädt? Kann man anderswo gut nachvollziehen, wer für Mitschriften verantwortlich ist, fällt dies bei studydrive eindeutig schwerer. Solche Fälle gab es bisher, erklärt Mackeprang, jedoch nur in sehr geringem Ausmaß: „Nach den drei Jahren, in den bei uns mittlerweile über 75.000 Dokumente geteilt worden sind, hatten wir nicht mal eine Hand voll solcher Fälle.“ Finden die Betreiber Derartiges heraus, ermahnen sie den/die NutzerIn, löschen die Dokumente und sperren eventuell den/die NutzerIn komplett. Wie sie aber ein solches Fehlverhalten erkennen, bleibt fraglich. Vermutlich muss der/die wahre AutorIn selbst darauf aufmerksam machen, dass jemand unter falschem Namen ein Dokument veröffentlicht hat. Bei einer relativ kleinen NutzerInnenzahl wie in Österreich kann es also leicht sein, dass einfach nur noch niemand draufgekommen ist.

Besser lernen? Fördert eine solche Plattform faule Studierende? Will man die Prüfung einfach nur bestehen, so können Mitschriften schon nützlich sein, so Medienpädadgoge Swertz: „Wenn es möglich ist, mit den Mitschriften anderer die Prüfung zu bestehen, ist es sinnvoll, mit den Mitschriften anderer zu lernen – vorausgesetzt, Sie interessieren sich nicht für die Sache.“ Jedoch sieht er eine Problematik, wenn man sich rein auf die Mitschrift eines/einer StudienkollegIn verlässt – den „Stille-Post-Effekt”. Denn es handelt sich dabei um eine „Interpretation einer Interpretation”, wo auf dem Wege eventuell wichtige Inhalte verloren gingen.

Egal, wie man Mitschriften generell bewertet: Die Idee, sie untereinander zu teilen, ist nichts Neues. Die BetreiberInnen von studydrive.net zählen nur zu den ersten, die sich dieser Thematik angenommen, eine professionelle, übersichtliche Plattform entwickelt und ein Belohnungssystem eingeführt haben. Und im Gegensatz zur niederländischen Konkurrenz stuvia legen die Studierenden hier nicht einen Preis pro Download fest, sondern bekommen Credits oder „echtes Geld” von der Plattform bzw. den dort werbenden Unternehmen.

Natürlich kann man Studierende verstehen, wenn ihnen nach der fünfzehnten Zusammenfassung ein rasches „Danke!” nicht mehr reicht und sie Wege suchen, etwas damit zu verdienen. Und gerade deshalb ist die Grundidee von studydrive gelungen: Der Download bleibt für Studierende weiterhin kostenlos, der oder die AutorIn bekommt aber etwas dafür. Aber zahlt es sich wirklich aus, als „Kursexperte” anzuheuern? Denn hier sind es nicht nur die hochgeladenen Dokumente, die zählen, sondern ­ wie anfangs erwähnt ­ auch Marketingmaßnahmen, ob nun online oder am eigenen Campus, um die Plattform bekannter zu machen. Wären die angekündigten (bis zu) 500 Euro rein für die Zusammenfassungen und Mitschriften, wäre das definitiv ein netter Zuverdienst, für etwas, was manche Menschen ja schließlich sowieso freiwillig machen. Wie umfangreich die Werbeaufgaben jedoch sind, diese Information bleibt die Plattform noch schuldig: Es klingt fast so, als wären die (wie gesagt: maximal) 500 Euro vielmehr eine schlechte Bezahlung für regelmäßige Promotion.

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Verlustängste. Alles in allem ist die Grundidee von studydrive.net nicht schlecht. Aber auch hier besteht ständig eine Gefahr: Verschwindet die Plattform, sind auch die dort gespeicherten Mitschriften Geschichte. Im Gegensatz zu den Foren früher, wo meist zumindest die Studienvertretung bzw. die lokalen ÖHs den Überblick zu behalten versuchten, übergibt man die Organisation und alle Daten an gewinnorientierte Dritte. Vielleicht auch noch interessant: Der größte Investor in die Plattform war 2015 übrigens DvH Ventures, eine Beteiligungsfirma aus dem Kreis der einflussreichen Verlegerfamilie von Holtzbrink.

Wer mit dieser Gefahr leben kann, kriegt dafür eine übersichtliche Mitschriftensammlung, bei der für die AutorInnen selbst auch noch etwas dabei rausschaut. Während früher von Studienvertretungen zum Teil Studierende im Sommer bezahlt wurden, in den Mitschriftforen mal wieder aufzuräumen, geht nun die Belohnung direkt an die AutorInnen. Somit übernimmt studydrive eine Aufgabe, die früher an den Studienvertretungen hängen geblieben ist – eine Zusammenarbeit ist für Gründer Mackeprang aber nicht effizient: „Wir hatten vereinzelte Kooperationen, haben aber gemerkt, dass es sehr zeitaufwändig ist, Partnerschaften aufzubauen und zu pflegen.”

Die Menschen hinter studydrive versuchen übrigens auch noch mit weiteren Produkten Studierende anzusprechen: Auf studytutors.net kann man mit Hochschulnachhilfe laut Aussage auf der Website 14,40 Euro pro Stunde verdienen ­ von zuhause aus. thestudycrowd.com ist hingegen eine Plattform, auf der man ähnlich der Website gutefrage.net Fragen zu Aufgaben oder Lösungen stellen kann, in der Hoffnung, dass andere NutzerInnen sie beantworten können. Was bleibt ist die Frage, ob sich ein solches Angebot an Plattformen für Studierenden schlussendlich rentieren kann ­ vor allem, weil es für die EndnutzerInnen schließlich immer kostenlos bleiben muss.

Alternativen schwächeln. Nun kann man darüber diskutieren: Ist es zielführend, einem gewinnorientierten Unternehmen die Mitschriften zu überlassen? Wären Studienvertretungen in Wahrheit nicht viel besser dafür geeignet? Natürlich: Sie sitzen sozusagen an der Quelle, Studierende einer Studienrichtung könnten Mitschriften sammeln, ordnen und (durch die Nähe zum Fach) nach Qualität filtern. Das Problem ist nur: Eine solche Arbeit muss effizient passieren, es müssen sich jedes Semester neue Freiwillige melden und wenn hier jemand Geld bekommt, dann maximal die SammlungsbetreuerInnen und nicht jene, die die Mitschriften gemacht haben. Deshalb ist studydrives Idee vermutlich ansehnlicher: Das Unternehmen übernimmt die Organisation, die Menge der NutzerInnen übernimmt den Qualitätscheck und die „Bezahlung“ erhalten die Mitschreibenden. Einen solchen Service kann eine Studienvertretung wohl oder übel leider nicht anbieten.

Dominik Leitner studiert Journalismus und Neue Medien an der FH der Wirtschaftskammer Wien

AutorInnen: Dominik Leitner