SXTN – „Leben am Limit“
KATJA: Die laut Selbstbezeichnung im ersten Track „talentlosen Fotzen“ von SXTN haben endlich ein Album gemacht, yaaaaas. Jetzt kann man sich die derben Texte von Juju und Nura auf Albumlänge anhören und das lohnt sich. Die zwei Rapperinnen aus Berlin, die auf Four Music gesignt sind und zum Beispiel mit Haftbefehl auf Tour waren, haben nichts von ihrem Drive einbüßen müssen, der bei ihrer EP Asozialisierungsprogramm und in den vorgeschossenen Singles zu spüren war.
Auf wie viele verschiedene Arten die beiden sich dem Sprachgebrauch von Rappern [sic] annehmen und die Rollen vertauschen ist genial. Sie rappen darüber, einen Ständer zu kriegen und (d)eine Mutter zu ficken. Angenehm selbstreflexiv wird es bei Tracks wie Ausziehen, der Sprüche des Publikums bezüglich des Entkleidens der Rapperinnen auf der Bühne aufgreift. Der Re- Album nur als akustischer Füller zwischen den Acts laufen sollte, werden sich bestimmt viele fragen, welches unbekannte Album von Sleater-Kinney das ist. Marie Luise: Aivery wurde 2012 gegründet, jetzt kommt ihr erstes Album bei Siluh heraus. Bisher gab es eine 7-Inch-Platte und eine Kassette. Die drei Frauen an Gitarre, Bass und Schlagzeug bewegen sich zwischen Grunge, Noize und Punk. Manchmal wird riotgrrrlig geschrien, oft ist aber die Stimme von Franziska Schwarz zu hören, die ungebrochen, samtig abgemischt und gut zu verstehen die englischen Texte singt. Der Song Don’t you dare war auch schon auf dem Nono- Sampler vertreten, auf dem es um female* Bands ging, die über das Nein- Sagen singen. Secret war schon auf Aiverys 7-Inch zu hören, kommt jetzt aber in neuem Gewand, neu aufgenommen und gemischt. Ich mag den ersten Teil von Not Sorry gern, in dem einen Gitarre und Beat wie in einen Strudel hineinziehen. Zu Aivery lässt sich in kleinen Underground-Punk-Lokalen tanzen und auch beim Hören daheim muss ich mitwippen, ganz besonders beim immer wiederkehrenden Gitarrenriff von Space Between, vielleicht musikalisch meinem Lieblingssong auf der Platte. Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst und Drehbuch an der Filmakademie Wien. frain besteht angenehmerweise nur aus dem Schlachtruf „Ausziehen! Ausziehen!“, den ich mir in einer Konzertsituation – von oben nach unten gerufen – sehr befreiend vorstellen kann.
Marie Luise: SXTN fordern heraus, sie provozieren mit expliziten Raplyrics. Ihren großen Durchbruch hatten sie mit Ich fick deine Mutter und dem dazugehörigen Video auf Vimeo mit nackten Frauen, Explosionen und Gras. Mit dem Motto „Jeder Hater ist ein Klick mehr“ mischen sie den Klischeetopf ordentlich durch, versprechen in den Texten eins auf die Nase, zelebrieren sich als starke Frauen und nutzen selbstbestimmt sexualisierte Kleidung und Posen für sich. Inwiefern das Reproduktion von sexistischen Klischeebildern ist, kann jede* für sich entscheiden, und inwiefern jede* die destruktiven Rhymes bis zum Schluss supporten will auch. Was deutlich ist: Es funktioniert. Das neue Album erzählt vom jüngsten Erfolgsschub. Der Titel des ersten Lieds auf der Platte ist Programm. Da schimpfen sie auf Mackerrapper und machen „Realtalk von nem Mannsweib, was ja doch ein bisschen rappen kann, anscheinend“. Andere Songs heißen Ständer, Partyopfer oder Frischfleisch. In Er will Sex singen sie „Du willst mich ficken, aber du darfst es nicht, weil ich es verbiete“. SXTN besitzen sich selbst und sind dabei wahnsinnig cool.
Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Universität Wien.
Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst und Drehbuch an der Filmakademie Wien.