Sparschiene

  • 23.02.2017, 17:54
360 Euro für ein österreichweit gültiges Studi-Ticket: Die Forderung klingt utopisch. Wie schneidet sie im europäischen Vergleich ab?

360 Euro für ein österreichweit gültiges Studi-Ticket: Die Forderung klingt utopisch. Wie schneidet sie im europäischen Vergleich ab?

Österreich ist ein kleines Land. Wer öfters mit dem Zug unterwegs ist, wird das vielleicht anders empfinden. Laute Mitreisende, langsames Fahren über Berge und Verspätungen können schon mal an den Nerven zerren. Vor allem dann, wenn die Fahrt entsprechend teuer war. Österreich mag im Vergleich mit den deutschen Nachbar*innen ein relativ günstiges Bahnland sein, die Preise können dennoch ein empfindliches Loch in studentische Geldbörsen reißen. Wer zum Beispiel mit der ÖBB von Wien nach Villach fährt, um über das Wochenende Familie und Freund*innen zu besuchen, zahlt dafür 28,30 Euro. Vorausgesetzt, man verfügt über die „Vorteilscard Jugend“, die jedoch auch einmal im Jahr 19 Euro kostet und nur bis 26 Jahre gilt. Ohne Verbilligung kostet der Wochenendtrip zu den Eltern das Doppelte: 56,60 Euro. Wer also zum Beispiel 21 Jahre alt ist, in Wien studiert und einmal im Monat die Eltern in Kärnten besuchen will, zahlt dafür sogar bei Ausnutzung des günstigen Sommertickets knappe 600 Euro im Jahr. Nicht alle Studierenden besuchen ihre Eltern so regelmäßig, andere fahren öfters von der Unistadt „aufs Land“, etwa, weil sie dort eine Fernbeziehung haben. Zum Geburtstag gibt es mit 26 dann eine nette finanzielle Überraschung: die Jugend-Vorteilscard gilt nicht mehr. „26 bist du aber bald mal und dann darfst du für jede Fahrt das Doppelte zahlen oder musst dir ausrechnen, ob die ‚normale‘ Vorteilscard sich lohnt“, beschwert sich Janine, die wie viele Studierende in Österreich länger studiert hat, als sie anfangs geplant hatte. Das Durchschnittsalter der österreichischen Studierenden liegt laut der aktuellsten Studierendensozialerhebung bei 26,2 Jahren, etwa ein Drittel der Studierenden ist älter als 26. Die Kosten für Mobilität unterscheiden sich stark je nach Alter: Unter-Zwanzigjährige kommen im Schnitt mit 54 Euro im Monat aus, Studierende, die älter als dreißig sind, verbrauchen das Doppelte, um von A nach B zu kommen.

SCHIENENERSATZVERKEHR. Alternativen zum Zugfahren sind mittlerweile gerade in studentischen Kreisen sehr beliebt, das Jammern über die ungemütliche und langsame Zugreise ist mittlerweile den verzweifelten Geschichten aus dem nicht-klimatisierten Fernbus mit verstopftem Klo gewichen. Von Wien nach Villach gibt es jedoch kein Angebot, denn wie auch die WestBahn versuchen die Fernbusunternehmen vor allem lukrative Strecken zu befahren und konzentrieren sich auf die profitable Weststrecke oder Verbindungen zwischen großen Städten. Wer nicht aus einem größeren Ort kommt, muss sowieso längere Fahrtzeiten und höhere Kosten auf sich nehmen, um die Verwandten „am Land“ zu besuchen. Neben dem öffentlichen Verkehr besteht natürlich auch immer die Möglichkeit, mit dem Auto zu fahren und Mitfahrgelegenheiten zu nutzen. Wie sehr die verfügbar sind, hängt natürlich auch davon ab, wo man wohnt und wie gut man vernetzt ist. Noch komfortabler ist der eigene PKW, was aber erhebliche Kosten für Versicherung und Erhalt mit sich bringen kann – noch dazu wird er in der Stadt eher selten gebraucht. Die teure Bahn ist für viele Studierende die einzige Möglichkeit, überhaupt mobil zu sein und Freund*innen, Bekannte oder die Familie zu besuchen. In Zeiten steigender Ticketpreise und seit Ewigkeiten nicht an die Inflation angepasster Beihilfen kann das Reisebudget schon mal sehr knapp werden. Dabei war das alles bereits anders. In den 1970ern wurde von der Regierung Kreisky die sogenannte „Schüler- und Studentenfreifahrt“ eingeführt, die Studierenden wurden finanziell entlastet. Das aber nicht nur mit den kostenlosen Öffis in den Unistädten, sondern auch mit der „Schulfahrtbeihilfe“, mit der „auswärts Studierende“, je nach Entfernung des Elternhauses, eine finanzielle Hilfe für die Heimfahrt erhalten konnten.

STUDITICKET JETZT! Die Österreichische Hochschüler*innenschaft (ÖH) lobbyiert seit knapp einem Jahr mit der Kampagne #studiticketjetzt für ein österreichweites Studierendenticket. Im Oktober wurde dem Parlament eine Bürgerinitative mit über 25.000 Unterzeichner_innen präsentiert, dort wurde das Anliegen an den Verkehrsausschuss weitergeleitet. Außerdem gab es mehrere Treffen der ÖH-Spitze mit Minister*innen. Das Ticket soll nach Vorstellung der ÖH 360 Euro im Jahr kosten und für alle öffentlichen Verkehrsmittel österreichweit gelten. Anspruchsberechtigt sollen dabei alle Studierenden sein, die ab dem 3. Semester acht ECTS aus dem vorigen Semester nachweisen können. Die ÖH fordert also ein Ticket ohne Altersbeschränkung. Um „Schein-Studierende“ zu verhindern, die sich nur inskribieren, um das günstige Ticket zu erhalten, soll die Anspruchsdauer in Summe 120 Monate betragen, die jedoch nicht am Stück verbraucht werden müssen. Die Forderung ist ein seltenes Beispiel für harmonische Zusammenarbeit von ÖH-Exekutive und Opposition: Der Antrag auf der ÖH-Bundesvertretungssitzung wurde einstimmig beschlossen, die meisten großen Fraktionen beteiligen sich namentlich an der Kampagne. Mobilitätskosten sind mitunter auch bei der Studienwahl entscheidend. So wird das Studium nicht nur nach den eigenen Interessen, sondern eben auch nach den Fahrtkosten zum Studienort gewählt. Ein Studiticket, wie die ÖH es fordert, könnte hier helfen. Magdalena Hangel von der Maturant_innenberatung der ÖH-Bundesvertretung erklärt: „Ein österreichweites Studierendenticket lindert den finanziellen Druck bei der Studienwahl, es führt zu einer besseren Vernetzung von Region und Stadt und schafft Freiheit für zukünftige Studierende. Natürlich gehören da andere Faktoren auch dazu. Als Studienberater_innen wissen wir aus unserem Beratungsalltag aber, dass der Faktor Studienort nicht zu unterschätzen ist.“ Die ÖH argumentiert neben den sozialen Effekten auch damit, dass ein Studiticket der Umwelt zu Gute kommen würde – die Regierung könnte das Studiticket nicht nur als soziale Maßnahme, sondern auch als österreichischen Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel, verkaufen.

ANDERE LÄNDER, ANDERE TARIFE. Wie sieht die Situation eigentlich in anderen Ländern aus? Zumindest was die Preise für den öffentlichen Nahverkehr angeht, kommen die Studierenden in Österreichs größter Universitätsstadt (Überraschung: Wien!) auch im europäischen Vergleich recht günstig weg: 75 Euro im Semester kostet das Ticket für die Wiener Linien, wenn der Hauptwohnsitz in Wien liegt und das magische Alter von 26 nicht überschritten ist. In Deutschland ist die Situation kompliziert, da die Hochschulen, anders als in Österreich, in die Kompetenz der Bundesländer fallen, die jeweils eigene Regelungen haben. Oft bezahlen Studierende in Deutschland gleichzeitig mit den Studiengebühren ein Semesterticket, mit dem sie meistens nicht nur die öffentlichen Verkehrsmittel ihres Studienortes, sondern auch den Regionalverkehr um den Ort herum, manchmal sogar im ganzen Bundesland, nutzen dürfen. Teilweise sind diese Tickets „vollsolidarisch“, d.h. alle Studierenden müssen sie kaufen – wer nicht mit den Öffis fährt, subventioniert die Fahrten der Anderen mit. Andere Tickets bestehen aus mehreren Komponenten, die optional hinzugekauft werden können. Mit mindestens 204 Euro im Semester wäre ein angedachtes Modell in Baden-Württemberg aber teurer geworden als das ÖH-Studiticket. Im Nordwesten Deutschlands gibt es hingegen erstaunliche Bewegungsfreiheit: Wer beispielsweise in Göttingen studiert, kann für knapp 110 Euro in der ganzen Region fahren, bis nach Hamburg oder gar an die Nordsee – allerdings nur mit dem Regionalverkehr, Schnellzüge der Deutschen Bahn dürfen die Studierenden nicht benutzen. In den Niederlanden können Studierende auswählen, ob sie am Wochenende oder werktags gratis fahren wollen. Allerdings müssen sie ihr Studium innerhalb von zehn Jahren abschließen, sonst gilt das kostenlose Ticket nur als „Darlehen“ für Tickets, die knapp 100 Euro im Monat kosten. Das Ticket ist eine Leistung der niederländischen Studienfinanzierung. Zusätzlich dazu gibt es die Möglichkeit, günstige Tarife für wenig frequentierte Reisezeiten auszunutzen und so auch am Wochenende günstig von Amsterdam nach Breda zu kommen. In Finnland gibt es kein Studi-Ticket, das für das gesamte Streckennetz gilt, allerdings bestehen hier spezielle Vergünstigungen für Studierende. Finnische Studierendenorganisationen haben im Februar 2016 einen 30-Prozent-Rabatt mit der VR Group, der finnischen Staatsbahn, ausgehandelt. Innerhalb der Städte zahlen finnische Studierende die Hälfte des Ticketpreises auf Zeitkarten, diese Ermäßigung besteht allerdings schon länger.

ES GEHT AUCH GRATIS. Die ÖH-Forderung nach einem österreichweit gültigen Ticket um 360 Euro im Jahr scheint im europäischen Vergleich also gar nicht so unrealistisch und günstig, wie das vielleicht auf den ersten Blick scheint. Vor allem dann nicht, wenn man den Blick nach Osten schweifen lässt: In der Slowakei fahren Studierende nämlich gratis. Allerdings gilt diese Regelung nur bis 26. Theoretisch können sogar alle studierenden EU-Bürger*innen einen Zero-Rate-Pass in der Slowakei beantragen, sofern sie ihre Studienbestätigung auf Slowakisch übersetzen lassen. Mit dem Pass lassen sich dann kostenlos Fahrkarten für das gesamte Schienennetz lösen. Die sind allerdings an Passagier*in und Zugverbindung gebunden – ein bisschen Vorplanung ist also vonnöten. Auch in Luxemburg gibt es ab August ein Gratisticket für Studierende – dabei soll der Studienort egal sein und das Ticket in allen öffentlichen Verkehrsmitteln gelten. Weit fahren können die luxemburgischen Studierenden damit allerdings nicht: Das Großherzogtum hat in etwa die Fläche von Vorarlberg. Diese Beispiele zeigen, dass es prinzipiell nicht unmöglich ist, Studierende günstig (beziehungsweise sogar gratis) mit der Bahn herumfahren zu lassen. Österreich sollte das doch auch schaffen können. Mit einem einheitlichen Studi- Ticket, das für Bus, Bahn und Bim gilt, würden die unfairen Tarifunterschiede zwischen den verschiedenen Studienorten innerhalb Österreichs ebenfalls abgeschafft werden. Die Umwelt, ganz besonders das Klima, würde sicherlich profitieren, angehende Studierende hätten einen Faktor weniger, den sie bei der Studienwahl berücksichtigen müssten und ältere Studierende hätten weniger Geldsorgen. Vielleicht würden auch weniger Fernbeziehungen in die Brüche gehen. Alleine das wäre doch Grund genug, das Studi-Ticket endlich einzuführen.

Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.

AutorInnen: Joël Adami