Nichts zu feiern, alles zu gewinnen

  • 24.02.2020, 15:18
„Unmöglich“ nannte das georgische Innenministerium die Pläne, eine Pride-Parade in Tbilisi abzuhalten. Die Organisator_innen der ersten Pride der Kaukasusrepublik belehrten sie eines Besseren. Doch dorthin war es ein harter Weg.

In Wien verbindet man die Pride mit ausgelassen tanzenden Menschen auf den Straßen, mit schrillen Kostümen und unbeschwerter Feierlaune. Die Pride ist in Wien mittlerweile eine einzige große Party, die die Wiener Innenstadt durchzieht. Die Ankündigungen für ihre erste georgische Schwesterveranstaltung 3000 Kilometer weiter östlich liest sich gänzlich anders: „Wir werden keinen festlichen Umzug abhalten. Die queeren Menschen Georgiens haben wenig zu feiern.“

Die Vorzeichen, unter denen diese beiden Events standen, könnten unterschiedlicher kaum sein: Während sich in Wien von der Stadtregierung über die Kaufleute bis zu den Verkehrsbetrieben alles in Regenbogen-Schale wirft, die Pride und ihre Gäste willkommen heißen und Proteste reaktionärer Akteur_innen weitgehend ausbleiben, wurde die Tbilisi Pride von Anfang an mit Ablehnung, Bedrohungen und Gewalt konfrontiert. „Ich mache mir Sorgen, dass jemand sterben könnte“, zitiert die Georgia Times ein besorgtes Mitglied der LGBTIQ-Community. Diese Furcht teilen viele queere Menschen in Georgien, nicht alle unterstützen die Idee größerer Sichtbarkeit, sie fürchten eine weitere Zunahme der Hasses gegen sie. Die queerfeindlichen Widerstände gegen die Pride umfassen diverse Akteur_innen – auch staatliche: Die Stadtregierung etwa gab Informationen über Veranstaltungsorte an ultraorthoxode Gruppen weiter, Medien veröffentlichten die Adresse des Büros des Organisationsteams. Die Folgen waren körperliche Angriffe auf Menschen, die als queer wahrgenommen wurden, LGBTIQ-feindliche Aufmärsche vor den Räumlichkeiten und plötzliche Absagen von bereits gebuchten Veranstaltungsorten.

Trotz dieser schwierigen Voraussetzungen wurde die erste Pride Week in Tbilisi für Mitte Juni 2019 ausgerufen. „Wir werden uns nicht verstecken, denn es ist unerträglich, ein Doppelleben zu führen. So haben wir keine andere Wahl, als für unsere Würde zu kämpfen.“, heißt es im Aufruf der Organisator_innen. Und ein Kampf war es wahrhaftig, die Pride Week sicher und erfolgreich über die Bühne zu bringen. Sie bestand aus insgesamt vier Veranstaltungen: Einem Theaterstück, einer Konferenz, einer Party sowie dem „March of Dignity“ – der eigentlichen Pride. Sie konnten schlussendlich allesamt stattfinden. Doch wie viel Arbeit und vor allem Mut dazu nötig waren, ist kaum in Worte zu fassen. Mehr als einmal standen die Veranstaltungen an der Kippe. Das Organisationsteam, das offen mit Namen und Gesicht auftritt, sah sich der ständigen Gefahr gewalttätiger Übergriffe ausgesetzt und auch jegliche Personen, die sich mit der LGBTIQ-Community solidarisch zeigten, gerieten alsbald in den Fokus ultraorthodoxer Fundamentalist_innen.

So widrig die Bedingungen waren, so wichtig war es für die LGBTIQ-Community im Kaukasus, dieses Zeichen der Sichtbarkeit gegen alle Widerstände durchzusetzen. Doch den Aktivist_innen verlangte der Weg dorthin alles ab. Bereits am ersten Tag der Veranstaltungsreihe gingen per SMS Morddrohungen bei zwei Sprechern der Gruppe ein. „Ich weiß, wo dein Büro ist. Ich werde deinen Kopf abschneiden und zum Helden werden“, stand darin zu lesen. Als nahezu zeitgleich eine Journalistin den Ort des Büros des Organisationsteams der Pride öffentlich ausplauderte, wurde das Gebäude vorsorglich geräumt. Und wirklich: Wenig später kam es unweit des Büros zu einem Angriff auf einen schwulen Mann, die Angreifer dürften bereits in der Nähe gewartet haben. Kaum eine Stunde nach dem Bekanntwerden der Büroanschrift sammelten sich etwa hundert ultraorthodoxe Fundamentalisten auf der Straße vor dem Gebäude. Sie trugen Banner, auf denen das Wort LGBTIQ durchgestrichenen war und eine Absage der Pride gefordert wurde. Unter den Teilnehmenden waren mehrere orthodoxe Geistliche, die vor Medienvertreter_innen als Sprecher auftraten. Sie schworen vor diversen Fernsehteams, die Pride Parade, die sie als „Feier der Perversion“ verunglimpften, zu verhindern. „Sie werden über unsere toten Körper gehen müssen“, verdeutlichte Sandro Bregadze, eine der Führungsfiguren der extremen Rechten Georgiens, die absolute Feindschaft zu jeglichem Ausdruck queerer Sichtbarkeit. Die erste Veranstaltung der Pride Week stand durch diese Ereignisse bereits unter großem Druck. Eine Absage stand lange im Raum, doch letzten Endes entschlossen sich die Beteiligten dazu, das Programm unter strenger Geheimhaltung und verschärften Sicherheitsvorkehrungen durchzuziehen.

Kafka im Kirchenasyl

Der erste Programmpunkt war eine Adaption von Kafkas Theaterstück „Die Verwandlung“. Es behandelt das Leben, die zunehmende Verzweiflung und den Suizid eines schwulen Teenagers, der von seiner konservativen Familie verstoßen wird. Die Schlussszene zeigt den Laiendarsteller, einen jungen Mann mit kurzem rosa Haar, mit einer Schlingt um den Hals von der Familie verlassen alleine auf der Bühne. Ein schwermütiger Auftakt, der im konservativen, von der orthodoxen Kirche stark geprägten Georgien einen Nerv trifft. Dass Familien sich von ihren Kindern abwenden, sie verstoßen, sobald sie von deren Homosexualität erfahren, ist ein großes Problem, besonders in ländlichen Gebieten.

Die Aufführung fand an einem so unerwarteten wie symbolischen Ort statt: Einer Kirche. Deren evangelische Pastorin setzte sich für die queere Community ein und stellte ihre Räumlichkeiten zur Verfügung. „Auch sie sind Kinder Gottes“, begründete sie ihr Handeln. Ein lichtdurchfluteter Altar bildete die symbolträchtigste Bühne, die man sich für dieses Theaterstück hätte wünschen können. Diese ungewöhnliche Örtlichkeit war notwendig geworden, nachdem die Behörden die Adresse des Theaters, das die Veranstaltung hosten sollte, an Gegner der Pride weitergab. Über hundert Personen konnten trotz der Geheimhaltung und der ständigen Sorge vor Gegenaktivitäten an der Veranstaltung teilnehmen. Als der letzte Vorhang fiel, war die Stimmung gelöst, fast ausgelassen. Der erste Programmpunkt war geschafft, der erste Erfolg erkämpft. Die Möglichkeit einer Pride Week im erzkonservativen Georgien war damit unter Beweis gestellt und die Hoffnung, auch die Demonstration abhalten zu können, wuchs.

Perspektiven queerer Selbstermächtigung

Der zweite große Programmpunkt der Pride Week war eine internationale Konferenz. Auch sie fand unter strengen Sicherheitsvorkehrungen an einem zuvor geheim gehaltenen Ort in Tbilisi statt. Die Podien brachten aktivistische, politikwissenschaftliche und sozialarbeiterische Sichtweisen auf verschiedene Felder mit LGBTIQ-Bezügen zusammen. Diskutiert wurde etwa über die LGBTIQ-Feindlichkeit europäischer Staaten, über Gesundheitsrisiken, die speziell Schwule, Lesben und trans Personen betreffen, über Erfahrungen mit der Organisation von Pride Demonstrationen und mögliche Perspektiven für Georgiens queere Community.

Ein_e nicht-binäre Sexworker_in referierte am Podium über die verletzliche Position, in der sich exponierte Personen wie er_sie befinden. Ob es denn auch zu physischer Gewalt komme, wollte einer der vielen internationalen Gäste im Publikum wissen. „Jeden Tag“ lautete die Antwort schlicht und ungeschönt. In den Wochen nach der Bekanntgabe der Pläne, eine Queer Pride in Tbilisi zu veranstalten, hatten die Übergriffe sogar noch zugenommen. Die Plätze, an denen sich queere Sexarbeiter_innen oft aufhalten, an denen die Anbahnung der Kontakte stattfindet, sind auch fundamentalistischen Gruppen bekannt. Die Gefahr – man kann beinahe von einer Gewissheit sprechen, mit der sie sich Gewalt aussetzen – ist für die Betroffenen kaum zu vermeiden. Die queere Community hat in einer Reaktion darauf verstärkt selbst Schutz organisiert, denn auf die Polizei ist kein Verlass. Von ihr wird eher weitere Gewalt und Schikane als Hilfe erwartet, wie Aktivist_innen berichteten. Zwischen gewalttätigem LGBTIQ-Hass und sichtbar queeren Menschen steht zumeist nichts als die Solidarität untereinander.

Auch trans Personen müssen alltäglich Übergriffe fürchten. Als die vortragende Person im kleineren Rahmen weiter über die Gewalt, mit der sie und ihre Mitstreiter_innen konfrontiert sind, berichtete, fiel schließlich der Name Zizi Shekeladze. Sie war eine mutige, lebenslustige Frau, vielen in der Community eine Freundin. War. Denn sie wurde im Jahr 2016 auf offener Straße in Tbilisi erschlagen, das Motiv war Hass gegen trans Personen.

Ein russischer Affront als Hindernis

Auf der Konferenz wurde schließlich und sichtlich schweren Herzens auch die Verschiebung des dritten, zentralen Programmpunktes der Pride Week bekannt gegeben: Aufgrund der zu diesem Zeitpunkt sehr aufgeheizten politischen Lage, mit täglichen Demonstrationen in der Innenstadt von Tbilisi, sollte die Pride nicht am geplanten Datum stattfinden. Die Sicherheitslage wurde als zu prekär eingestuft. Grund dieses Aufruhrs war einmal mehr das zerrüttete Verhältnis zu Russland. Dieser Konflikt um mehrere Grenzgebiete ist ein Pulverfass, der letzte Krieg liegt erst wenige Jahre zurück. Eine Provokation durch einen russischen Abgeordneten war der Funken, der vor der Pride erneut Proteste in Gang setzte. Über zehntausend Demonstrant_innen versammelten sich daraufhin vor dem Parlament. Als sie versuchen hineinzugelangen, wurde die Kundgebung von der Polizei unter massiver Gewalt aufgelöst. Über Stunden wurden Wasserwerfer, Tränengas und Gummischrott gegen die Protestierende eingesetzt. Es gab über hundert Festnahmen und viele Verletzte. Bilder einer bekannten Journalistin, die vor laufender Kamera im Tränengas zusammenbrach, sorgten für große Empörung. Die Polizeigewalt, die einer Frau das Augenlicht kostete, wirkte wie ein Katalysator für die Proteste.

Aktivist_innen der Tbilisi Pride Organisation entschlossen sich aufgrund dieser Ereignisse zu einer Teilnahme an den großen Demonstrationen, die seit jener Eskalation vor dem Parlament jeden Tag stattfanden. Eine organisierte Teilnahme mit Sichtbarkeit als LGBTIQ-Aktivist_innen auf einer dieser Großdemonstrationen wurde geplant, aber im letzten Moment von deren Veranstalter_innen unterbunden. Die Hoffnung auf eine offene Solidarisierung der Proteste, die tendenziell progressivere Teile der georgischen Gesellschaft umfassten, mit den Anliegen der Pride, wurde jäh enttäuscht. Die Solidarität zwischen den Protesten erwies sich als einseitig.

Die Pride wird Wirklichkeit

Erst mehrere Wochen später hatte sich die politische Lage einigermaßen beruhigt. Die Regierung war auf einen Teil der Forderungen der anti-russischen Proteste eingegangen. Zwischenzeitlich hatte das Organisationsteam der Tbilisi Pride einen zweiten Versuch, die Pride abzuhalten, abbrechen müssen, nachdem der Ort bekannt geworden war und LGBTIQ-feindliche Gruppen den Versammlungsort besetzten – ein weiterer Rückschlag. Trotz der Enttäuschungen und den nach intensiven Wochen bereits schwindenden Energien entschloss sich die LGBTIQ-Community zu einem letzten Versuch, ihren Protest für ein Leben in Freiheit und Würde auf die Straße zu tragen. Im Geheimen und möglichst kurzfristig wurde intern mobilisiert, um dem Mob ultraorthodoxer Männer diesmal keine Chance zu geben, sich vorab am Versammlungsort zu formieren. Und diesmal sollte es gelingen: Etwa eine halbe Stunde konnten die Teilnehmenden mit Regenbogenfahnen und Protestschildern vor dem Innenministerium ihren Forderungen Öffentlichkeit verleihen - dann wurde die Veranstaltung angesichts dessen, dass sich queerfeindliche Gruppen am Weg zur Kundgebung befanden, beendet.

Diese kleine Kundgebung war für die LGBTIQ-Community Georgiens ein Meilenstein, ein wichtiger Ansatzpunkt. Die allererste Pride in diesem Land hat am Ende unter größten Anstrengungen stattfinden können. Allen Widrigkeiten zum Trotz. Sie ist ein erstes Zeichen, auf dem in den kommenden Jahren aufgebaut werden soll. Der georgischen LGBTIQ-Community stehen noch viele Kämpfe um Gleichberechtigung, Sichtbarkeit und ein Leben in Würde bevor. Ihr Durchhaltevermögen und ihre Unerschütterlichkeit hat sie bereits eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

AutorInnen: Julia Spacil