Nachhaltig Studieren

  • 18.03.2021, 16:51

Nachhaltig studieren

Universitäten weisen bei ihren wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen ein fundamentales Manko auf: Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein werden praktisch ignoriert. Das muss sich ändern. 

Nach meinem Schulabschluss entschied ich mich für ein Studium der Ökonomie, um meinen Wissensdurst über gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge zu stillen. Mich interessierten vor allem Volkswirtschaften insgesamt und die einzelnen Komponenten, die sie ausmachten. Wie funktioniert denn so ein Staat? 

Mit dieser und ähnlichen Fragen bewarb ich mich voller Elan an der Universität Wien, um Internationale Betriebswirtschaftslehre zu studieren. Meine anfängliche Euphorie verebbte recht schnell aufgrund einer ernüchternden Kenntnis. Die Lehre legte ihren Fokus hauptsächlich auf die Vermittlung von profitmaximierenden Theorien, die andere bedeutsame Aspekte, wie beispielsweise Nachhaltigkeit, ignorierten.

Dabei war auch zu meiner Studienzeit bekannt, dass der fortschreitende CO2-Ausstoß zu erheblichen Krisensituationen führen würde. Die stetig steigende Erderwärmung hat schon jetzt Hitzewellen, Waldbrände und den Meeresspiegelanstieg zur Folge. Für eine zukunftsfähige Welt müssen wir unseren CO2-Ausstoß drastisch reduzieren. 

Verfechter*innen der Klimawende hatten diese Reduzierung jahrzehntelang gefordert und tatsächlich reagierte die Politik nach andauerndem Klimaaktivismus allmählich auf die Forderungen. Insbesondere die massive FridaysForFuture-Bewegung schlug hohe Wellen in der politischen Landschaft und selbst Politiker*innen, die nicht zu naturnahen Parteien gehörten, befassten sich allmählich mit der Klimakrise. 

Bei der UN-Klimakonferenz in Paris im Jahre 2015 beschlossen Staatenlenker*innen die globale Erwärmung deutlich unter 2 °C, möglichst bei 1,5 °C zu halten. Um dieses Ziel zu erreichen, müssten die Treibhausgasemissionen wohl auf globaler Ebene zwischen den Jahren 2045 und 2060 auf null gesenkt werden. 

Im Hinblick auf das Klimaabkommen von Paris hat sich die Europäische Kommission ambitionierte Ziele gesetzt. Sie möchte ihre CO2-Emissionen drastisch senken und dafür sorgen, dass Europa im Jahr 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent avanciert.

Faktisch ist eine entschiedene Reduzierung der CO2-Emissionen nicht mit unserem herkömmlichen Wirtschaftssystem vereinbar, da dieses die Umwelt nicht priorisiert. Grundsätzlich hat es das Ziel, kontinuierlich für Wirtschaftswachstum zu sorgen, wofür in der jetzigen Form fossile Ressourcen verbraucht werden müssen und die Umwelt zerstört wird. 

An dieser Stelle muss klar betont werden, dass Wachstum per se keinen negativen Sachstand darstellt. Im Gegenteil, Wachstum kann Innovationen fördern, die Lebensqualität steigern und somit viele positive Merkmale aufweisen. Allerdings darf Wachstum nicht auf Kosten der Umwelt oder marginalisierter Bevölkerungsgruppen entstehen. Tatsächlich hat unser Wirtschaftssystem Ökologie, Gesellschaft und Ökonomie rigoros getrennt, wodurch soziale sowie ökologische Dilemmata entstanden sind. Ressourcen, Naturflächen, Arten und Ökosysteme sind konfrontiert mit Übernutzung und Ausbeutung. Darüber hinaus werden die Kosten, die durch Abfallproduktion und die Zerstörung der Umwelt verursacht werden, in unserem Wirtschaftsmodell nicht bedacht.

Fakt ist: Unternehmen sind einem gewissen Einfluss der Umwelt ausgesetzt. Beispielsweise leiden Agrarunternehmen unter Dürresommern und verlieren beim Klimawandel. Der Naturschutzbund Deutschland (NABU), der als NGO die Umwelt und die Natur schützen möchte, schreibt auf seiner Website: „Wir zahlen schon heute hohe Reparaturleistungen für die Dürreschäden in der Land- und Forstwirtschaft, für Überschwemmungen, den Zubau der Deiche oder die Aufbereitung unseres mit Nitrat belasteten Grundwassers. Dieses Modell, das alle Kosten auf die Gesellschaft, andere Länder oder zukünftige Generationen abwälzt, hat keine Zukunft. Gebraucht werden deshalb neue, ganzheitliche und gemeinwohlorientierte Ansätze des Wirtschaftens“. 

Die Klimawende gelingt nur mit Vertreter*innen der Wirtschaft

Eine Abhilfe für diese elementare Misere könnte das Nachhaltige Wirtschaften schaffen, das die Reduzierung des Ressourcenverbrauchs bei steigendem Wachstum anstrebt. Im Fachjargon ist oft von „Entkopplung“ der Faktoren Ressourcenverbrauch und Wachstum voneinander die Rede. Eine solche Entkopplung ist für das Erreichen des Klimaziels 1,5 Grad Erderwärmung nötig. Doch einer Studie mit Beteiligung von Forscher*innen der Universität für Bodenkultur zufolge haben sich Materialverbrauch und Energiekonsum vom Wirtschaftswachstum so gut wie gar nicht gelöst.

Es muss ein grundsätzliches Umdenken in der Gesellschaft entstehen, bei dem Nachhaltigkeit und Umweltschutz zum Dogma erhoben werden. Nur mit kollektiven Kraftanstrengungen kann die Klimawende gelingen. Die*der einzelne Konsument*in kann sich z.B. an Siegeln orientieren, die umweltfreundliche Produkte und Dienstleitungen kennzeichnen. In Deutschland gibt es zum Beispiel den Blauen Engel, den nur nachhaltige sowie umweltschonende Produkte und Dienstleistungen erhalten. Der Blaue Engel kooperiert auch mit Österreich und kann für Verbraucher*innen als Indikator für einen nachhaltigen Konsum dienen. Noch bedeutsamer kann es jedoch sein, den sogenannten „materiellen Fußabdruck“ zu betrachten, der auch den Ressourcenverbrauch bei der Produktion berücksichtigt. So werden beispielsweise bei der Benutzung von Elektroautos keine fossilen Brennstoffe verbraucht, bei der Herstellung schon. Treibhausgasemissionen werden überwiegend von Betrieben verursacht, die der Wirtschaft zugeordnet werden können, nicht von Individuen. Demnach braucht es für die Klimawende die Kooperation von Vertreter*innen der Wirtschaftswelt.

Vor diesem Hintergrund fällt auf universitäre Einrichtungen, die zukünftige Unternehmer*innen ausbilden, eine besondere Verantwortung. Ein Studium stellt eine sehr prägende Zeit dar, die sich auch auf die Zukunft des*r jeweiligen Studierenden auswirkt. Umso wichtiger erscheint es, in der wirtschaftswissenschaftlichen Universitätsausbildung verpflichtende Kurse einzubauen, die sich mit Nachhaltigkeit beschäftigen. Die Schaffung einer Sensibilisierung im ökonomischen Universitätsumfeld ist wesentlich für das Erreichen eines nachhaltigen Wirtschaftssystems. In diesem Sinne müssten Fächer in den Stundenplan von Wirtschaftsstudiengängen eingebaut werden, bei denen die Dringlichkeit der Klimawende aufgezeigt werden. Curricula müssen den Aspekt der Nachhaltigkeit aufgreifen und dürfen sich nicht nur auf die Lehre der Neoklassik, also der herkömmlichen Wirtschaftslehre, beschränken. 

In Wirklichkeit gibt es schon eine Bewegung, die sich gegen eben diese neoklassische Unterrichtslehre stellt. Verfechter*innen der sogenannten „Pluralen Ökonomik“ kritisieren die traditionelle Wirtschaftslehre, da diese soziale sowie ökologische Aspekte nicht abdeckt und somit als realitätsfern gilt. Die Plurale Ökonomik hat ihren Ursprung um die Jahrtausendwende in Paris, wo Student*innen gegen den neoklassischen Monotheismus protestierten. Sie verurteilten die neoklassische Mainstreamlehre, die als absolutistische Unterrichtsform deklariert wurde. Befürworter der Pluralen Ökonomik sprechen sich für pluralistische Ansätze und Methoden aus, die sich nicht auf profitmaximierende Strukturen beschränken. Unter anderem fordern sie die Etablierung des nachhaltigen Wirtschaftens in der Universitätslehre.

Was genau ist denn die Neoklassik und wie wirkt sie sich auf die Universitätslehre aus?

„Die neoklassische Theorie stellt die Wirtschaft vor allem als System von Märkten dar, auf denen Angebot und Nachfrage durch die Güterpreise ins Gleichgewicht gebracht werden.“ Diese Beschreibung ist im Duden aufzufinden und im Grunde drückt sie aus, dass Unternehmen in ihrem Tun Gewinnmaximierung anstreben. Verbraucher*innen haben das Ziel, mit dem Konsum ihre Bedürfnisse zu befriedigen und die Wirtschaftsschaffenden antworten auf diese Nachfrage mit einem Angebot, durch das sie den größtmöglichen Profit generieren möchten. Je nachdem wie hoch die Nachfrage und das Angebot sind, pendelt sich der Preis für das jeweilige Produkt oder die Dienstleitung bei einem bestimmten Niveau ein. 

Eben diese Theorie wird im Studium als Maxime gelehrt, wodurch andere Ansätze unbeachtet bleiben. In meinem Studium wurde nicht nur der Aspekt der Nachhaltigkeit völlig ignoriert, sondern auch überwiegend der soziale Faktor. Erst später jedoch wurde mir bewusst, dass ich gewissermaßen eine Wissenslücke in Bezug auf das gesamtwirtschaftliche Konstrukt hatte. Nicht nur mir ging es so.

„Nach dem Studium habe ich gemerkt, dass ich überhaupt nicht vorbereitet war auf das wahre Leben und meinen Beruf in der Wirtschaftswelt. Eigentlich habe ich nur gelernt, dass die Anhäufung von Gewinn das Wichtigste ist. Heute weiß ich aber, wie bedeutsam Themen wie Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsability sind“, sagte eine ehemalige Kommilitonin von mir, die anonym bleiben möchte und auch Internationale Betriebswirtschaftslehre an der Universität Wien studiert hat. Als Mitarbeiterin in einer Marketingabteilung weiß sie, dass die Erzielung von Gewinn überaus wichtig ist, doch nicht das ausschließliche Ziel eines Unternehmens darstellen sollte. 

Insbesondere durch die eindrucksvolle FridaysForFuture-Bewegung hat sie sich mit Umweltschutz und Nachhaltigkeit beschäftigt und eine gewisse Sensibilisierung zu diesem Thema erlangt. 

Nachhaltigkeit muss verpflichtend in die Studienpläne

Der Mangel an Nachhaltigkeitsthemen in Wirtschaftsstudiengängen ist kein Phänomen, das ausschließlich an der Universität Wien existiert. Auch an allen anderen staatlichen österreichischen Universitäten werden ökologische Themen nicht in den wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen behandelt. Lediglich die Johannes-Kepler-Universität in Linz und die Leopold-Franzens-Universität in Innsbruck bieten ökologische Wirtschaft als Wahlfach an. 

Meiner Meinung nach muss Nachhaltigkeit verpflichtend in die Curricula eingeführt werden, damit wir für uns und Folgegenerationen eine lebbare Welt schaffen können. Die klimatische Notlage ist akut und das muss auch in ökonomischen Studiengängen verdeutlicht werden. In diesem Zusammenhang habe ich eine Petition gestartet, bei der ich genau das verlange:

(http://chng.it/Zv9hCVzt). 

In unserem System muss sich vieles ändern, damit wir in Europa im Jahre 2050 Klimaneutralität behaupten können. Die Einführung von Nachhaltigkeit in den Wirtschaftsstudiengängen ist ein Anfang.

Atahan Demirel studiert internationale Betriebswirtschaftslehre an der Uni Wien

AutorInnen: Atahan Demirel