Man muss den Machismus aus der Gesellschaft verbannen

  • 26.02.2020, 10:56
Begriffe wie ‚Eifersuchtsmord‘ sind längst überholt, sagt Tania Sordo Ruz, Juristin und Expertin für machistische Gewalt und Feminizide in Spanien, im progress-Interview.

Frage: Spaniens Gesetz gegen machistische Gewalt wird von anderen Staaten als Vorbild betrachtet. Worin liegen seine Stärken und Schwächen?

Antwort: Die Ley Orgánica de Medidas de Protección Integral contra la Violencia de Género aus dem Jahr 2004 war eine wichtige Weichenstellung. Das Gesetz behandelt die Ursprünge, Hintergründe, Auslöser und Folgen dieser Gewalt. Nun wäre es an der Zeit, das Gesetz auf weitere Formen der machistischen Gewalt auszuweiten. Denn das Gesetz von 2004 behandelt nur Fälle aus dem nächsten Umfeld des Opfers, sprich wenn der (Ex-)Partner der Täter ist. In Fällen, wo die Täter dem Opfer unbekannt waren, gilt der Delikt z.B. nicht als machistische Gewalt. Auch die UNO hat Spanien schon ermahnt, den Gewaltbegriff im Gesetz auszuweiten. Man muss den Rahmen aktualisieren und anpassen. Auch in Bezug auf institutionelle Gewalt muss sich etwas ändern – es kann nicht sein, dass Überlebende von Gewalt die Justiz anrufen und anstelle von Unterstützung nur Demütigung erfahren oder beschuldigt werden, Übergriffe provoziert zu haben. Zudem muss in punkto Entschädigung der Opfer und der berlebenden weit mehr getan werden. Dabei geht es nicht allein um Finanzielles, sondern auch um die Verurteilung machistischer Gewalttaten seitens der Politik und Institutionen sowie Präventionsarbeit.

Frage: Welche Rolle spielen die Medien in der Bewusstseinsbildung?

Antwort: Es ist enorm wichtig, welche Botschaft in der Berichterstattung transmittiert wird. Begriffe wie „Eifersuchtsdelikt“, „Familiendrama“ oder „Mord aus Leidenschaft“ sollten längst nicht mehr verwendet werden, weil sie das strukturelle Element von Gewalt gegen Frauen verschleiern. In der medialen Berichterstattung geschieht es leider oft, dass den Betroffenen selbst Schuld oder Mitschuld zugeschoben wird, etwa durch Berichte zum Verhalten oder Details aus dem Privatleben des Opfers, die für die Straftat irrelevant sind und keine Funktion haben, außer das Delikt zu rechtfertigen.

Frage: Die rechtsradikale Vox-Partei mit ihrem antifeministischen Diskurs erreicht Wählerschichten. Dabei sind die Ultrarechten nicht nur frauenfeindlich, sondern auch rassistisch.

Antwort: Exakt, denn exualisierte Delikte werden gerne Migranten in die Schuhe geschoben, dabei hat Gewalt gegen Frauen nur einen gemeinsamen Nenner: den Machismus, keinesfalls die Herkunft. Man muss den Machismus aus der Gesellschaft verbannen. All die Fake-News-Massen, die die extreme Rechte produziert, müssen wir mit Daten aktiv widerlegen. Viele Ideen der Vox-Partei sind darüber hinaus antidemokratisch, verfassungswidrig und sie wollen alles rückgängig machen, was wir in hartem Kampf erreicht haben. Das liegt auch an der mangelnden Aufarbeitung der Franco-Diktatur, die nun hoffentlich mit der Linkskoalition beginnen wird. Der Diskurs der Vox-Partei ist klar fernab der Realität. Die Debatte, die Vox schürt, ist längst überholt. Aber wir dürfen sie nicht unterschätzen. Gewalt hat immer eine Geschlechterperspektive und punkt. Wenn Vox dem widerspricht, normalisieren sie Gewalt gegen Frauen und das kann zu ihrem Ansteigen führen.

Frage: Fälle sexualisierter Gewalt und Vergewaltigungen haben kürzlich viel mediale Aufmerksamkeit erregt, Gerichtsurteile in Folge haben Massenproteste ausgelöst.

Antwort: Wie anfangs angesprochen muss auch sexualisierte Gewalt, die von Unbekannten ausgeht, in das Gesetz der Geschlechtergewalt aufgenommen werden. Das Strafgesetzbuch muss klarer zwischen sexualisierter Gewalt und Missbrauch unterscheiden. Mit einer Gesetzesänderung ist es aber nicht getan, die Mentalität der Richter_innen in solchen Fällen muss sich ebenso ändern. Sie müssen sich bewusst sein, wann Unterdrückungsverhältnisse, Dominanz und Ohnmacht oder ungleiche Machtverhältnisse bestehen. Die in der Justiz Beschäftigten müssen dahingehend auch in Genderperspektive geschult werden. Zudem gibt es in Spanien bisher kein Krisenzentrum für Überlebende von Vergewaltigungen, die „Rape Crisis Centers“, wie sie in den USA und England seit Jahrzehnten existieren. Opfer brauchen eine Anlaufstelle, an die sie sich wenden können, und spezialisierte Anwält_innen, die in Sachen sexualisierter Gewalt Expertise haben. Aber das Recht alleine kann nicht alle Probleme lösen, es braucht auch Bildung aus Genderperspektive.

Zur Person:

Tania Sordo Ruz (* 1984 in Mexico-Stadt) ist Juristin spezialisiert auf Internationales Recht und Geschlechtergewalt. Sie lebt seit elf Jahren in Spanien, wo sie ihr Doktorat in Interdisziplinären Genderstudien abschloss. An der Madrider Universität Carlos III. forscht Sordo Ruz zu Geschlechtergewalt aus internationaler Perspektive. Zudem ist die Mexikanerin Anwältin und Autorin zahlreicher Studien über Geschlechtergewalt und Feminizide. Sie berät auch Institutionen, wie zuletzt die baskische Regionalregierung über die Neufassung ihres Gesetzes gegen die Geschlechtergewalt.

@TaniaSordoRuz auf Twitter.

Autoreninfo: Jan Marot (*1981 in Graz) studierte Publizistik- und Kommunikationswissenschaft in Wien und Zürich.

AutorInnen: Jan Marot