Integration durch Rassismus

  • 21.06.2013, 16:38

Andreas Peham ist Rechtsextremismusexperte des „Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes“ (DÖW). Seit Jahrzehnten setzt er sich mit den Problemfeldern des Antisemitismus und Rassismus in der österreichischen Gesellschaft auseinander. Claudia Aurednik hat mit ihm für progress über das Problem des Rassismus innerhalb der ex-jugoslawischen und türkischen Community gesprochen.

Andreas Peham ist Rechtsextremismusexperte des „Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes“ (DÖW). Seit Jahrzehnten setzt er sich mit den Problemfeldern des Antisemitismus und Rassismus in der österreichischen Gesellschaft auseinander. Claudia Aurednik hat mit ihm für progress über das Problem des Rassismus innerhalb der ex-jugoslawischen und türkischen Community gesprochen.

progress: Gibt es unter den österreichischen MigrantInnen Rassismus?

Peham: Rassismus funktioniert relativ unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Staatsbürgerschaft und liegt quer über den verschiedenen Differenzen. Insofern können Menschen gleichzeitig Objekte sowie Subjekte des Rassismus sein. Sie können aber auch mit der Umwandlung von einem Objekt des Rassismus zum Subjekt werden und im Zuge dessen ihre rassistischen Erfahrungen verarbeiten. Kurzum: Sie können ihre Erfahrungen der Diskriminierung, Ausgrenzung und des Hasses auch nach unten weitergeben. Innerhalb der österreichischen Gesellschaft gibt es eine Hackordnung, bei der sich Menschen mit schwarzer Hautfarbe und Roma ganz unten befinden. Innerhalb der ex-jugoslawischen und türkischen Community existieren nun genau gegen diese beiden Gruppen starke Vorurteile bis hin zu offenem Hass.

progress: Welche rassistischen Vorurteile existieren in den migrantischen Communities?

Peham: Ich gebe in Schulen Workshops. Dabei werde ich oft mit dem Antiziganismus von MigrantInnen aus der ex-jugoslawischen Community konfrontiert. Dieser ist auch bei UngarInnen sehr verbreitet. Bei TschetschenInnen und TürkInnen habe ich hingegen Vorurteile gegenüber Menschen mit dunkler Hautfarbe mitbekommen. Ich verwehre mich aber dagegen, dass man – wie das die FPÖ gern zu tun pflegt – einem Objekt des Rassismus generell einen Gegenrassismus, der sich gegen ÖsterreicherInnen richte, unterstellt.

progress: Aber ist es nicht geradezu paradox, dass MigrantInnen aus der ex-jugoslawischen und türkischen Community beispielsweise AfrikanerInnen hassen?

Peham: Ein erfolgreicher Antirassismus würde ein vernünftiges oder aufgeklärtes politisches Subjekt voraussetzen. Doch dieses gibt es nicht, auch weil täglich in der Gesellschaft eine bestimmte Rangordnung mit einem bestimmten Machtgefälle produziert wird. Zudem bilden sowohl Rassismus als auch Antisemitismus Gemeinschaften. Insofern kann natürlich die These formuliert werden, dass der Rassismus innerhalb der migrantischen Communities ein Versuch ist, die Seite zu wechseln. Ich möchte das aber nicht den MigrantInnen vorwerfen. Denn es wäre ein Wunder, wenn es anders wäre. Gerade aus der Warte der Marginalisierung ist es sehr wahrscheinlich, dass man auf alles zurückgreift, das eine Zugehörigkeit vermitteln kann. Und dazu zählen innerhalb der österreichischen Gesellschaft der latente Antisemitismus sowie der Rassismus.

progress: Somit stellt der Rassismus für MigrantInnen eine Integrationsfunktion in die österreichische Mehrheitsgesellschaft dar?

Peham: Ja, denn mit dem Rassismus können sich MigrantInnen in Österreich integrieren. In einer Mehrheitsgesellschaft, in der Rassismus nicht so stark auftritt und in der MigrantInnen anders wahrgenommen werden, wird die Integrationsbereitschaft von diesen anders ausgeprägt sein. Ich denke, dass nicht so sehr die Herkunft der Menschen entscheidend ist, sondern die Gesellschaft in der die Menschen leben. Ich glaube zum Beispiel, dass der Rassismus gegen Menschen mit dunkler Hautfarbe nicht überall in der türkischen Diaspora gleich stark ist. Es kommt darauf an, wie das jeweilige Migrationsregime organisiert ist.

progress: Inwiefern ist die politische Einstellung der MigrantInnen für deren Rassismus entscheidend?

Peham: Rassismus ist jeweils bei den AnhängerInnen von nationalistischen und rechten Gruppen stark ausgeprägt. In der türkischen Community sind dies die AnhängerInnen der rechtsextremen MHP, die sich selbst als „Graue Wölfe“ bezeichnen. Bei den KroatInnen handelt es sich um AnhängerInnen der rechtsextremen HSP – „Kroatische Partei des Rechts“. Bei den SerbInnen um AnhängerInnen der neofaschistischen „SRS/CPC“ -„Serbische Radikale Partei“. Je weiter jemand sich politisch dem rechten Spektrum zuordnet, desto rassistischer ist er. Und umgekehrt: je rassistischer jemand ist, desto mehr wird er politisch rechts stehen. Im politisch linken Spektrum nimmt der Rassismus ab. Aber ganz links außen nimmt er wieder ein bisschen zu. Das ist sowohl beim Rassismus als auch beim Antisemitismus so. Kurz nach der Wende 1989 habe ich das bei linken autoritär eingestellten Menschen bemerkt, die hetzerische und rassistische Aussagen gegen OsteuropäerInnen äußerten. Obwohl diese Menschen nicht bereit waren in einem osteuropäischen kommunistischen Land zu leben, warfen sie den OsteuropäerInnen vor „den Sozialismus zerstört zu haben“.

progress: Dann wären wir bei Theodor W. Adorno und dessen Theorie der autoritären Persönlichkeit.

Peham: Ja, denn es ein besteht ein Zusammenhang zwischen Dogmatismus und einer Ablehnung von Differenz. Das bedeutet, dass Menschen die politisch autoritär denken und in autoritären Gruppen organisiert sind, eher zu Rassismus und Antisemitismus neigen. Eine autoritäre Grundstruktur des einzelnen Individuums prädestiniert geradezu für Rassismus und Antisemitismus. Und der kommt in rechter und linker Form vor. Entscheidend ist es, inwiefern ein Mensch bereit ist Differenzen auszuhalten und darüber zu diskutieren. Eine Kehrseite des Antisemitismus ist der Philosemitismus, der Juden romantisch verklärt. Beim Rassismus gibt es auch ein Gegenstück, den Exotismus. Dabei wird das Fremde geradezu schwärmerisch verklärt.

progress: Was kann man gegen den Rassismus in der ex-jugoslawischen und türkischen Community tun?

Peham: Man muss Aufklärung an den Schulen betreiben. Ich selbst und auch andere Vereine - wie beispielsweise der Verein „Zara“ - gehen in Schulen und halten dort Workshops ab. In den Workshops kläre ich die Jugendlichen unabhängig von ihrer jeweiligen Herkunft über Rassismus auf. Dabei bringt es beispielsweise wenig türkischen Jugendlichen etwas über Afrika zu erzählen. Denn der Rassismus hat nichts mit unterschiedlichen Hautfarben oder Kulturen zu tun. Vielmehr geht es darum, die unterdrückten Sehnsüchte und Wünsche der Jugendlichen zu erkennen und diese auf einer persönlichen Ebene aufzuklären. Denn der Rassismus hat viel mit der fehlenden Aufklärung über sich selbst und die österreichische Gesellschaft zu tun.

progress: Zu den aktuellen Protesten der Refugees haben sich die migrantischen Vereine und Diaspora-Organisationen kaum geäußert. Nur die „Israelitische Kultusgemeinde“ hat sich in der Vergangenheit deutlich gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ausgesprochen. Was sind die Gründe für die mangelnde Solidarität?

Peham: Die Ex-JugoslawInnen und TürkInnen sind in Verbänden organisiert, die nicht wirklich repräsentativ sind. Politisch steht bei diesen die politische Agenda ihrer  Herkunftsländer im Vordergrund. Diese Verbände sind tunlichst drauf bedacht, das offizielle Österreich nicht zu irritieren. Daher mischen sie sich nicht in die Innenpolitik Österreichs ein und üben keine Kritik am Migrationsregime. Dahinter steckt natürlich auch die Angst, sich aus der Deckung zu wagen. Denn man muss sich in einer gesicherten Position befinden, um Österreichs Politik zu kritisieren. In der antirassistischen Bewegung selbst ist es leider zu einer Spaltung in einen eher sozialarbeiterischen und einen politischen Teil von Aktivisten gekommen. Es sollte jedoch eine Bewegung sein, die kurzfristige Hilfe und langfristige Opposition zusammenbringt. Im Unterschied zu früheren Protesten ist es beim Refugee Camp aber zu einer Selbstorganisation der Flüchtlinge gekommen. Das betrachte ich als einen großen Fortschritt.

 

AutorInnen: Claudia Aurednik