Im Süden nichts Neues

  • 11.12.2014, 23:02

Während innerhalb der EU Grenzen abgebaut werden, lässt das „Friedensprojekt“ die Menschenrechte an seiner Süd- und Südostgrenze vor der Tür. Die Abschottung gegenüber Immigrant*innen wird jetzt mit einem neuen Programm ausgebaut.

Während innerhalb der EU Grenzen abgebaut werden, lässt das „Friedensprojekt“ die Menschenrechte an seiner Süd- und Südostgrenze vor der Tür. Die Abschottung gegenüber Immigrant*innen wird jetzt mit einem neuen Programm ausgebaut.

Als Italien mit seiner Küstenwache am 18. Oktober 2013 die Aktion „Mare Nostrum“ (dt.: unser Meer) startete, war die Resonanz in den meisten Medien bescheiden. Dabei handelte es sich um ein Novum in der europäischen Grenzpolitik. Die Kernaufgabe der Küstenwache im Rahmen dieser Aktion sollte nämlich sein, tief in das Mittelmeer einzudringen und Menschen von in Not geratenen, meist überfüllten Kuttern zu holen. Innerhalb eines Jahres wurden 150.000 Menschen auf diese Weise gerettet: mehr als dreimal so viele wie ohne das Programm.

Im tagespolitischen Kontext war dieser Umschwung als Reaktion auf das große Bootsunglück vor der italienischen Insel Lampedusa zu interpretieren. Am 3. Oktober 2013 ertranken nicht weit von der Küste entfernt mehr als 360 Menschen, nachdem sie mit einem libyschen Kutter gekentert waren. Im Unterschied zu zahlreichen vorhergegangenen und nachfolgenden Vorfällen wurde „die Tragödie von Lampedusa“ in den Medien tagelang unter die Headlines gebracht und die Politik sah sich zu symbolischen Handlungen genötigt. Hohe EU-Vertreter*innen wie der damalige Kommissionspräsident José Manuel Barroso reisten zum Särge-Begutachten und Mitleid-Spenden auf die Mittelmeerinsel.

Ende der Solidarität. Während das Unglück auf europäischer Ebene keine Richtungsänderung der EU-Grenzpolitik gebar, reagierte Italien im Alleingang mit „Mare Nostrum“. Seitdem ist mehr als ein Jahr vergangen. In der Zwischenzeit haben die zunehmende Eskalation des Syrienkrieges, die Ausweitung des Krieges auf den Irak und die instabile Situation in Nordafrika zu einer neuen Dynamik der Flüchtlingsbewegungen geführt. Der Anstieg der weltweiten Flüchtlingszahlen um 6 Millionen auf insgesamt 51,2 Millionen Menschen – den höchsten Wert seit dem 2. Weltkrieg – sei laut dem UN Flüchtlingskommissariat hauptsächlich auf die Nahost- Konflikte zurückzuführen. Die Zahl der Flüchtlinge, die versuchen über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen, steigt seit Sommer 2013 wieder.

Genau in dieser Situation entschloss sich Italien jedoch, „Mare Nostrum“ einzustellen. Dies hatte zwei Hauptgründe: Zum einen kostete die Rettungsaktion den italienischen Staat laut Pro Asyl monatlich fast 10 Millionen Euro. Italien, das ohnehin an einer Schieflage seiner Finanzen leidet, wandte sich an die europäische Gemeinschaft mit dem Appell, diese Kosten zu europäisieren. Der Vorschlag wurde trotz vielbeschworener „europäischer Solidarität“ von den EU Partner*innen ignoriert. Zum anderen befürchtete man in der EU, dass „Mare Nostrum“ den Anreiz zur Mittelmeerüberquerung noch zusätzlich steigern würde. So behauptete Deutschlands Innenminister Thomas de Maizière beim EUInnenminister*innentreffen im Oktober diesen Jahres, dass die Operation „Mare Nostrum“ sich statt als Hilfsaktion „als Brücke nach Europa“ erwiesen habe.

Neues Abschottungsprogramm. Die italienische Rettungsaktion wurde also mit Ende Oktober 2014 nach nur einem Jahr eingestellt, doch eine Lücke sollte nicht hinterlassen werden. Die EU-Innenminister*innen einigten sich auf ein neues Grenzprogramm: Operation „Triton“. Ein aufschlussreicher Ausflug in die griechische Mythologie: Triton, der Sohn von Poseidon und Aphrodite, war der Meeresgott. Er besaß die Macht, das Meer aufzuwühlen und warf gestrandete Boote wieder zurück in die Fluten. Dies lässt erahnen: Die neue EU-Mission, die am 4. November startete, ist keine Rettungsaktion. Fast wortwörtlich bestätigte dies auch die Leitung von Frontex. Die Kosten wurden auf circa 2,9 Millionen Euro pro Jahr geschmolzen und das Aktionsgebiet der eingesetzten Schiffe auf 30 Seemeilen vor der italienischen Küste reduziert (während das Einsatzgebiet von „Mare Nostrum“ das gesamte Mittelmeer zwischen Italien und Nordafrika umfasste). Es ist also damit zu rechnen, dass dadurch die Zahl der Bootsunglücke wieder steigen wird. Selbst während der italienischen Rettungsaktionen sind im Jahr 2014 schätzungsweise 3.000 Menschen im Mittelmeer gestorben. Tatsächlich ist „Triton“ auch nicht als vollwertiger Ersatz für die bisherige italienische Mission „Mare Nostrum“ konzipiert, sondern als Zeichen des Wiedererstarkens des Grenzschutzparadigmas. In den letzten zehn Jahren gab es EU-Verordnungen, die etwa das Abfangen und umgehende Zurückschicken von Flüchtlingsbooten durch den Küstenschutz beinhalteten, obwohl dies gegen EU-Recht verstoße, wie zum Beispiel Völkerrechtler Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte meint. In Kooperation zwischen EU und Muammar al-Gaddafi wurden in Libyen Lager zur Internierung potentieller „illegaler Immigranten*innen“ errichtet. Diese erfüllten den Zweck, Flüchtlinge am Erreichen der Mittelmeerküste zu hindern. Im Beschluss der EU Innenminister*innen wird neben „Triton“ auch diese Art der Kooperationen wieder angedacht. Obwohl das Gaddafi-Regime seit 2011 Geschichte ist, existieren viele dieser Lager laut Amnesty International bis heute.

Auch EU-intern wird auf Marginalisierung gesetzt: Mit der Dublin-II-Verordnung wurde 2003 geregelt, dass Flüchtlinge in jenes EU-Land abzuschieben sind, in dem sie als erstes EU-Territorium betreten haben. In den meisten Fällen sind das die Länder im südlichen Europa. Die Grenzschutzpolitik verläuft in der EU also wie eine Einbahnstraße. Egal, welches Unglück geschieht oder welche Krise eskaliert: Die EU reagiert mit Verschärfungen der Grenzsicherung. Die UNO hat im Oktober übrigens damit begonnen, ihre Lebensmittelhilfen für den Nahen Osten um 40 Prozent zu kürzen und viele EU-Staaten sind vom selbst gesteckten Ziel, 0,7 Prozent ihres BIP für Entwicklungshilfe einzusetzen, weit entfernt.

 

Johannes Mayerhofer studiert Soziologie und Psychologie an der Universität Wien.

 

AutorInnen: Johannes Mayerhofer