Im Herrenhaus des Horrors

  • 23.02.2017, 18:46
In ihrem Spukhaus nahe Lissabon seien Panikattacken die Regel, betont das junge Theaterkollektiv „Teatro Reflexo“. Ein Lokalaugenschein.

In ihrem Spukhaus nahe Lissabon seien Panikattacken die Regel, betont das junge Theaterkollektiv „Teatro Reflexo“. Ein Lokalaugenschein.

Belas ist ein beschauliches Dorf. Doch auf halbem Weg zwischen Lissabon und Sintra gelegen, hat es sich binnen eines Jahres zur Pilgerstätte für LiebhaberInnen gruseliger Erfahrungen gemausert. Unweit der alten Kirche und des noch älteren Friedhofs steht das mondäne Herrenhaus Quinta Nova da Assunção aus dem 19. Jahrhundert. Die rosa Farbe trügt. Nicht grundlos hört man von weitem angsterfüllte Schreie. Die Lokalpresse widmete sich über die vergangenen Dekaden angeblichen paranormalen Erlebnissen, die hier einst BewohnerInnen, HandwerkerInnen und BesucherInnen widerfahren seien. Was davon wahr ist und was erfunden, lässt der Initiator des Projekts Geisterhaus, Michel Simeão, im Gespräch mit progress offen: „Dass Freimaurer- Logen im Haus Rituale durchgeführt haben, ist belegt. Und in den nahen Gräbern liegen Gebeine von Tempelordensrittern“, bekräftigt Simeão, der das mehrfach preisgekrönte junge Theaterkollektiv „Teatro Reflexo“ mit Sitz in Sintra leitet.

SPUKHAUS-WARTELISTE. Auf die Idee, in Portugal Schockeffekt- Theater zu produzieren, kam Simeão in Irland, wo er 2011 geführte Touren zu schaurigen Orten unternahm. In Belas gehen er und sein 13-köpfiges Team aus SchauspielerInnen, Laien und TechnikerInnen viel weiter, seit sie das Geisterhaus-Projekt im Juni 2015 begannen. Mehr als 6.000 BesucherInnen empfing man seither. Knapp nochmal so viele stehen aktuell auf der Warteliste. Trotz der hohen BesucherInnenzahlen ist das Projekt kein leichtes Unterfangen im Portugal der Post-Troika-Rettung, wo man als SchauspielerIn oder TheatermacherIn kaum Chancen auf staatliche Förderungen hat. „Es waren harte Jahre“, weiß Simeão: „Das Letzte wofür meine Landsleute Geld aufwenden, ist Kultur. Selbiges gilt für den Staat.“ „Verstehen Sie Portugiesisch?“, fragt Simeão und warnt: „Sonst gehen Sie im Spukhaus verloren. Die per Audio-Guide geführte, sekundengenau abgestimmte Tour gibt es nur auf Português.“ Einmal drinnen, gibt es kein Entrinnen. Tür für Tür, Gänge entlang, Treppen hinauf, tastet man sich wie in den Resident-Evil-Computerspielklassikern vor. Die Sinne schärfen sich im Dunkeln. Geruch nach Flohmarkt, Modrigem bis Verdorbenem, gar Verwesendem umnebelt einen. Was das Auge im Kerzenschimmer nicht zu eruieren vermag, übernehmen das Ohr, die Nase oder eben die Haut. Wenn Spinnweben über das Haar streifen oder eisigkalter Atem einem in Genick und Ohr bläst, gefriert das Blut in den Adern. Der anfangs amüsante Gänsehautfaktor verwandelt sich in Panik. „Angstschweiß lockt wilde Tiere“, wird einem ins Ohr geflüstert. Hundebellen ertönt hinter der Türe, von der man erhoffte, sie gebe den Fluchtweg frei. Geschirr fällt zu Boden. Schritte nähern sich. Erst schlurfend, hinkend, und auf das Kommando „Verlass den Raum so rasch du kannst!“, einer 100-Meter-SprinterIn gleich. Die Klinke senkt sich quietschend. Nichts wie weg, sagt einem der Instinkt.

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KINDHEITSÄNGSTE. Durchatmen ist nur angesagt, um das eine oder andere Rätsel in Teamarbeit oder im Alleingang zu lösen, während der nächste Schockmoment nur Zentimeter entfernt wartet. „Dort, hinter dem Ohrensessel, neben dem Ehebett, dort ist mein Versteck“, scherzt Lavínia Roseiro, die Schauspielerin in einer Zombie- Rolle. Wenn man unter ein Bett kriecht, kommt der Moment, auf den die Untote nur gewartet hat. Wahrlich monsterhaft ihr Make-up, allzeit bereit auf die Matratze zu springen: „Ich werde nach dir Ausschau halten.“ Ohne zu viele Spoiler zu liefern: Die Suche nach einem adäquaten Versteck ist aussichtslos. Sollte jemandem der Spuk zu weit gehen, müsse er das Safeword „Miguel“ rufen. Laut Simeão hätten viele den Namen verzweifelt gerufen. „Zur Hilfe eilte man jedoch meist nicht. Es soll vor allem vor dem Eintritt beruhigen und einen glauben machen, man käme heraus.“ Panikattacken und eine Handvoll Ohnmachtsanfälle im letzten Jahr sind dokumentiert. Das rührt die Werbetrommel, primär über klassische Mundpropaganda, exponentiell verstärkt über soziale Netzwerke.

In Belas war die Theatergruppe zunächst nicht willkommen. „Die Dorfbevölkerung ist eine sehr verschlossene“, sagt Simeão: „Wie in den Romanen von Stephen King.“ Hier wollte man von schwarzen Messen, obskuren Treffen von Geheimbünden, die Tier- und Menschenopfer zelebrierten, nichts wissen. „Noch weniger, weil tief katholisch, vom Exorzismus-Ritual, das zwischen den Mauern des Hauses stattgefunden haben soll.“

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SOLIDARITÄT FÜR GEISTER. Eine BürgerInnenplattform mobilisierte gegen das unchristliche Gruselkabinett. Vor allem die ältere Generation protestierte gegen die TheatermacherInnen. Der Bürgermeister entzog dem Spukhaus-Projekt zeitweise die Genehmigung. Schade es doch dem Image des Ortes, der sonst für seine Fofos genannten kleinen, süßsündigen Backwaren aus Biskuit und Konditorcreme berühmt ist. Es sind willkommene Blutzuckerspender vor dem Adrenalinrausch, die ungefähr seit der Bauzeit des Horrorhauses um 1850 vis-à-vis in der kleinen Bäckerei verkauft werden.

„Über soziale Netzwerke organisiert, folgte eine Welle der Solidarität für uns Schreckgespenster“, sagt Simeão. So darf in der rosa Villa das Grauen weiterregieren. Und sollte das internationale Interesse wachsen – die Rundgänge sind auf fast ein Jahr hin ausgebucht, sodass nun Extra-Touren im Halbstundentakt starten –, plant Simeão eine englische Version. Auch für das nächste Projekt, das er anstrebt: ein interaktives Krimi-Stück, wo es ganz in der Manier von Agatha Christie darum geht, dass das Publikum die MörderInnen gemeinsam entlarvt. Denn Simeão ist, wie seine Kollegin Roseiro, überzeugt, dass „in der Immersion des Publikums, und dem Miteinbeziehen der ZuseherInnen, die Zukunft des Theaters liegt“.

Facebook: facebook.com/projecto.casa.assombrada. 15 Euro Eintritt pro Person

Jan Marot studierte Publizistik- und Kommunikationswissenschaft in Wien und Zürich. Seit 2007 arbeitet er als freier Auslandsjournalist in Spanien.

AutorInnen: Jan Marot