Ich habe heuer leider keinen Studienplatz für dich!

  • 01.04.2019, 10:13
Immer mehr Bachelorstudiengänge verlangen die positive Absolvierung einer Aufnahmeprüfung. Doch stellen diese eine notwendige Selektionsfunktion oder doch eher die rigorose Auslese einer Bildungselite dar?

Als Charles Darwin 1869 den Ausdruck des Survival of the Fittest prägte, bezog er sich vermutlich nicht auf die neuzeitliche Regelung an österreichischen Hochschulen. Doch im Jahr 2019 regieren jene Studierenden das Audimax, die im kommagenauen Auswendiglernen und punktgenauen Abrufen detailreicher Informationen die Konkurrenz überbieten können. Rücken Kompetenz und Fachinteresse in den Hintergrund, wenn ein System die Oberhand gewinnt, in dem Gefügigkeit und Ellbogentechnik dominieren?

Im Anschluss an Budgetverhandlungen zwischen dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung und der Universitätenkonferenz wurde kürzlich der Entschluss verkündet, an österreichischen Hochschulen ab dem Wintersemester 2019 weitere Zugangsbeschränkungen einzuführen. Zukünftig fordert der Großteil der österreichischen Universitä- ten zur Zulassung die vorangehende positive Absolvierung eines Aufnahmeverfahrens. Insgesamt sind 17 Fächer davon betroffen. An der Universität Wien zählen dazu die Studien Chemie, Transkulturelle Kommunikation, Rechtswissenschaften, English and American Studies, Politikwissenschaft, Kultur- und Sozialanthropologie sowie Soziologie. Für die Studiengänge der Wirtschaftswissenschaften, Biologie, Psychologie, Publizistik und Kommunikationswissenschaft, Ernährungswissenschaft, Informatik, Pharmazie und des Lehramts gilt diese Voraussetzung bereits seit längerem.

Eine Statistik des Datawarehouse des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung zeigt, dass die Anzahl der Studienanfänger_innen in den letzten Jahren tendenziell stark zugenommen hat. Konnten die Universitäten bundesweit im Studienjahr 2000/01 knapp 39.000 Neuzugänge verzeichnen, so waren es im Jahr 2017/18 fast 57.000. Ein Drittel der momentan inskribierten StudentInnen musste sich bereits in einem Aufnahmeverfahren beweisen. Bereits jetzt kann österreichweit mehr als ein Fünftel aller StudentInnen nicht in das von ihnen präferierte Studium einsteigen. Eine weitere Verschärfung der Aufnahmebedingungen wird dieses Problem zunehmend verschlimmern. In der Frage um das beliebteste Studienfach liefern sich seit Jahren weiterhin Wirtschaftswissenschaften und Jus ein Kopf an Kopf Rennen.

Zugangsmanagement statt offene Hochschule.

Das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung begründet die neuen Leistungsvereinbarungen auf seiner offiziellen Website damit, dass „das bestehende Zugangsmanagement weiterentwickelt und insbesondere in sogenannten ,Massenfächern‘ ausgeweitet [werden soll]. Mit diesem inhaltlichen wie strukturellen ‘Paradigmenwechsel’ wird von den Universitäten eine deutliche Steigerung der Forschungs- und Lehrleistungen und somit eine höhere Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich erwartet.“ Durch die Investition in die Hochschulbildung sollen Verbesserungen der Studienbedingungen und Prüfungsaktivitäten erzielt werden.

Ein weiterer Punkt der aktuellen Leistungsvereinbarungen ist neben den Budgeterneuerungen auch die Autonomie der Universitäten im Bezug auf die Aufnahmekriterien. Denn ab Herbst stehen den Universitäten die selbständige Planung und Regulierung der Zugangsbeschränkungen zu besonders nachgefragten Fächern zu.

Ebenso soll es eine Veränderung des Prüfungsablaufes und der -zusammenstellung bei den ab 2019 verschärften Studienfächern geben. Denn zusätzlich zum herkömmlichen Modus des Aufnahmeverfahrens, bestehend aus mehrteiligen Testfragmenten, soll ein Online-Self-Assessment (OSAS) Einblick in das ausgewählte Studium bieten und als Orientierungsfunktion für Interessierte dienen. Dabei kann den Student_innen auf Basis verschiedener Aufgaben detallierte Auskunft über ihre eigenen studienrelevanten Interessen und Fähigkeiten gegeben werden. Magdalena Taxenbacher vom Vorsitzteam der ÖH Uni Wien äußert sich im Bezug auf die Angebotsform des OSAS skeptisch. Ihrer Meinung nach müsste diese “für alle Studiengänge offen stehen, damit Studierende wissen, worauf sie sich im Studium einstellen können. Dieses Self-Assessment aber als Mittel zum Ausschluss zu verwenden, zeigt, dass es hier nicht darum geht, eine echte Orientierung für Studierende zu bieten”, so Taxenbacher.

Unmut macht sich im Bezug auf den inhaltlichen Aspekt der Prüfung unter anderem an der BOKU Wien breit. Ab Herbst soll nämlich das Studienfach Umwelt- und Bioressourcenmanagement (UBRM) einer Zutrittsbeschränkung unterlegen sein. Nachdem laut Marcus Beringer, Referent für Bildungspolitik der ÖH BOKU, nach Bekanntgabe der neuen Universitätsfinanzierung ein Jahr lang nichts geschehen sei, muss nun bis Ende April ein fertiges Konzept über alle Details der Prüfung feststehen. “Die Vorgabe, in derart kurzer Zeit ein auch nur einigermaßen qualitätsvolles Verfahren auszuarbeiten, ist absurd. Dass StudienbewerberInnen die mangelnde Planung auf verschiedenen Ebenen ausbaden müssen, ist unverantwortlich.“, äußert sich Beringer kritisch.

Effizienz regiert.

Im Universitätsbericht 2017, der Februar letzten Jahres von Wissenschaftsminister Heinz Faßmann präsentiert wurde, werden die Vorzüge der Zugangsbeschränkungen stark hervorgehoben. Dem Bericht zufolge soll eine Evaluierung der Studien mit Aufnahmeregelungen ergeben haben, dass die Zulassungsverfahren reibungsfrei verlaufen seien. Weiters sollen positive Auswirkungen auf den Studienverlauf, die Studienzufriedenheit und die Abschlüsse festgestellt worden sein.

Dies ist vor allem ökonomisch gesehen von Bedeutung. Denn der Entscheidung über die Anzahl der Studierenden wohnt ein nicht übersehbarer wirtschaftlicher Aspekt bei. Was langfristig als Investition in eine gut ausgebildete Gruppe von Arbeitskräften gesehen werden kann, ist erstmal eines: teuer. Denn da öffentliche Hochschulbildung für den_die Einzelne_n (noch) gebührenfrei ist, muss der Staat zunächst die Kosten tragen. Brechen Studierende ihr Studium vorzeitig ab oder werden in einem anderen Berufsfeld tätig, stellt die kostenintensive Ausbildung pragmatisch gesehen nur eine nutzlose Kapitalanlage dar, die sich wirtschaftlich nicht rentiert. Der Versuch, dieses Risiko durch eine limitierte Anzahl an Studienplätzen einzudämmen, wirkt jedoch fragwürdig. Sparmaß- nahmen und Budgetknappheit als Erklärungsversuche für die Verschärfungen zu nutzen, ist jedenfalls nicht legitim. Denn mit einer Erhöhung von rund 1,3 Mrd Euro wurde zum Jahresende die neue Leistungsvereinbarung für alle 22 Universitäten Österreichs präsentiert. Das landesweite Budget für den Zeitraum 2019 bis 2021 wurde auf 11 Mrd Euro aufgestockt. Mit der Budgeterhöhung erhofft sich die stellvertretende Generalsekretärin der WKÖ, Mariana Kühnel, eine klare Leistungssteigerung: “Jetzt gilt es Kurs zu setzen und die gesteckten Ziele bis 2021 zu erreichen, damit die heimischen Universitäten weiter an die Spitze der europäischen Hochschulen herankommen und für Österreich jene Kompetenzen sichern, die es für den Weg in die Zukunft braucht.“

Lena Köhler vom Vorsitzteam der ÖH sieht ein unausweichliches Hindernis bezüglich der angeblich erfolgreichen Eliminierung der Studienplatzprobleme. Ihrer Meinung nach würden sich „wissbegierige Menschen nicht einfach vom Studieren abhalten lassen, sondern dann eben in ein anderes Studienfach wechseln, welches dann wieder als ,überlaufen‘ gelten wird“. Weiters bemängelt sie: „Anstatt die Studienbedingungen zu verbessern, kommen weitere Hürden und Ausschlüsse. Wir wollen, dass Bildung allen offen steht.“

Kritik von Studierenden.

Unter den Studierenden stoßen die Vereinbarungen großteils auf Kritik. Andrea Baciu, Studentin der Publizistik und Kommunikationswissenschaft im zweiten Semester, meint etwa: „Zugangsbeschränkungen sind für mich eigentlich nur ein Störfaktor in der uneingeschränkten Studienwahl. Ich bin ziemlich froh darüber, dass die Aufnahmeprüfung bei uns aus Teilnehmer_innenmangel abgesagt wurde. Einen Plan B habe ich nicht wirklich gehabt.“ Ein Kriterium, das unter anderem über Bestehen oder Scheitern bestimmen könnte, ist oftmals der enorme Zeitdruck während der Prüfung. Beim Versuch diesen zu überlisten, präferieren viele TeilnehmerInnen stumpfes Auswendiglernen gegenüber verständnisorientiertem Erlernen des Stoffes. Der ehemalige Medizinstudent Hassan Safaverdi ist der Meinung, dass die Aufnahmekriterien sich weder auf Intelligenz, noch Kompetenz stützen. „Schnelligkeit und Stressresistenz gepaart mit Wissen sind die einzig wichtigen Faktoren für das Bestehen des Tests“, so Safaverdi.

Klar ist natürlich, dass der Großteil der Arbeitnehmer_innen in Österreich nicht aus fertig ausgebildeten, jedoch arbeitslosen, Jurist_innen, Soziolog_innen und Blogger_innen bestehen kann. Die aktuelle Auslesemethode ist allerdings fragwürdig. Zudem kann diese Begründung unter anderem in den Lehramt- oder Medizinstudien nicht validiert werden, in denen Jahr für Jahr verzweifelt versucht wird, den Arbeiter_innenmangel auszugleichen.

Alternative gesucht.

Doch was wären die Alternativen? Das Ziel der Zulassungsprüfungen ist es, die Studierenden pro Fach auf eine sinnvolle und möglichst effiziente Anzahl zu reduzieren. Sprich, wer das Studium beginnt, sollte es nicht vorzeitig abbrechen, es in der Mindeststudienzeit beenden und idealerweise danach einen Job in dem Berufsfeld ergreifen. Um dies zu erreichen, könnten schwierigere STEOP-Prüfungen eingeführt werden. Sind diese, ähnlich wie die Aufnahmeprüfungen, an ein deutlich zu anspruchsvolles Niveau angepasst, fungiert diese Methode zwar ebenfalls als scharfe Auslesefunktion, die nüchtern gesehen die Spreu vom Weizen trennt, doch birgt diese einige Vorteile für alle Parteien. Denn obwohl ein angebrochenes Semester dem Staat natürlich minimale finanzielle Verluste bereiten würde, könnten sich Erstsemestrige bereits vor der Prüfung ein Bild über die Studienrichtung machen und selbständig die Entscheidung treffen, ob sie sich für diese geeignet sehen. Dies wiederum würde wirtschaftlich als Allokationsfunktion dienen, bei der Student_innen selbstbestimmt in ein für sie passendes Studium wechseln würden.

Eine andere, verrücktere Option wäre natürlich, Hochschulbudget als Zukunftsinvestition anzusehen, Bildungsinstitutionen auszubauen und notwendi- gerweise zu erweitern, um Studienfächer für alle uneingeschränkt zugänglich zu machen.

Der Anmeldeprozess für das Aufnahmeverfahren selbst gestaltet sich zunächst recht human: Zwei, beziehungsweise vier Monate stellt die Universität Wien den unschlüssigen Studierenden für das gedankliche Hin und Her zur Verfügung. Entscheidet man sich dafür, am Aufnahmeverfahren teilzunehmen und die für die Anmeldung obligatorischen 50 Euro, so steht der Teilnahme an der Prüfung nichts mehr im Wege. Weniger behutsam sieht es wenige Monate später aus. Denn die Prüfungsergebnisse für das mit Oktober beginnende Studienjahr werden frühestens Anfang September per Mail verkündet. Durch eine hoch elaborierte Rechenoperation wird erkennbar, dass die Frist zwischen dem Erhalt der Nachricht und Semesterbeginn maximal fünf Wochen beträgt, was eine relativ kurze Zeitspanne für eine komplette Neuorientierung darstellt. Da zu diesem Zeitpunkt bereits alle Prüfungstermine für die Aufnahme in ein alternatives Studium vorüber sind, kommt nur noch eine eingeschränkte Anzahl an Fächern in Frage. Wer jedoch trotzdem an seinem Wunschstudium festhalten will, für den stehen natürlich weiterhin alle Türen offen. Denn mit viel Glück oder Pech findet das ganze Prozedere im darauf folgenden Jahr erneut statt. Diejenigen, für die es da erneut nicht klappt, können ja beim dritten, vierten und fünften Antritt wieder gegeneinander antreten.

Ines Shubshizky, Studentin der Publizistik und Kommunikationswissenschaft, wäre sehr gerne Psychologiestudentin gewesen.

AutorInnen: Ines Shubshizky