Höbelt – Abriss eines Skandals
Wer sich in den letzten Monaten mit Hochschulpolitik beschäftigt hat, ist um Lothar Höbelt nicht herumgekommen. Der bereits lange umstrittene außerordentliche Professor am Institut für Geschichte hatte wieder auf sich aufmerksam gemacht, als er im Herbst 2019 einen Vortrag mit dem Titel „‘Entgermanisierung‘? Österreich und Deutschland nach 1945“ bei der Herbstakademie des Instituts für Staatspolitk (IfS) gehalten hat. Das IfS gilt als Think Tank der Neuen Rechten und beruft sich laut dem Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen auf antidemokratische Ideologien. Dieser Auftritt also war der Anlass für Protestaktionen gegen Höbelt, die an der Universität Wien zwar nichts neues sind, aber eine breite Debatte ausgelöst haben.
Den Protesten ging einiges voraus: Lothar Höbelt macht seit den 1990ern mit bestenfalls fragwürdigen Aussagen und Auftritten auf sich aufmerksam. Dabei ist es egal ob er sich positiv in einem nicht-wissenschaftlichen Kontext auf Göring bezieht, die Waffen SS mit einem SPÖ-nahen Kindergartenverein vergleicht, das Verbotsgesetz als „Ärgernis“ bezeichnet oder an einer Festschrift für den verurteilten Holocaust-Leugner David Irving mitarbeitet – sobald Kritik aufkommt, fühlt er sich einfach missverstanden. Dass ein Historiker sich doch eigentlich so präzise ausdrücken können müsste, dass er bei so sensiblen Themen möglichst nicht so fatal missverstanden werden kann, wird dabei eher außer Acht gelassen. Höbelt weiß genau, in welchen Bereichen er sich bewegen kann. Wenn er etwa seinen Kritiker_innen einen Aufenthalt am Steinhof wünscht, kann er meinen, diese gehören in ein psychiatrisches Krankenhaus. Dass dort jedoch in der Anstalt „Am Spiegelgrund“ die Nazis ihr Euthanasieprojekt „Aktion T4“ durchführten, bleibt auch im Interpretationsspielraum. Es ist wichtig zu betonen: Weder von solchen Aussagen, noch von Auftritten bei BDM- und HJ-Nostalgietreffen, noch vom Beitrag für Irving hat sich Höbelt jemals distanziert. Im Gegenteil, er macht einfach weiter. Man kann also davon ausgehen, dass er doch eine gewisse Freude daran hat, missverstanden zu werden.
So viel zu seiner Person. Die Medienrezeption war zunächst überschaubar. Erst nach der Eskalation der Proteste gegen Ende des Semesters, nachdem rechtsextreme „Identitäre“ sich dazu berufen fühlten „Saalschutz“ für Höbelts Vorlesung zu machen und antifaschistische Aktivist_innen diese in Folge blockierten, wurde die Diskussion breiter geführt. Was dabei zu beobachten war, war dass beinahe alle liberalen Medien sofort gegen die Protestierenden Position bezogen. In einem Kommentar im Falter etwa wurde sogar behauptet, man hätte ja gar nichts gegen Höbelt in der Hand, man hoffe ja schon fast auf einen Ausrutscher. Dabei sind die meisten der oben beschriebenen Fälle seit Jahren bekannt und dokumentiert. Es ist die Rolle der Journalist_innen sich darüber zu informieren wen sie hier verteidigen. Es geht auch nicht nur darum, dass Höbelt ein FPÖ-Parteiprogramm mitgeschrieben und am „Historikerbericht“ der FPÖ mitgearbeitet hat.
Man kann ihm sicherlich ein Näheverhältnis zur FPÖ unterstellen, aber die Vorwürfe gegen ihn darauf zu reduzieren ist verharmlosend. Auch die Aufforderung, die Studierenden sollten doch mit ihm diskutieren, zeugt von Verharmlosung oder nur von Ahnungslosigkeit was die Machtverhältnisse an der Universität betrifft. Studierende können Lehrenden in einer Diskussion nicht auf Augenhöhe begegnen, weil sie in der Hierarchie klar unter ihnen stehen und oft abhängig von Benotungen sind. Mal abgesehen davon, dass es auch gar nicht darum geht, Höbelt zu belehren, sondern dieses Verhalten zu skandalisieren. Dann kommt in die Berichterstattung noch ein guter Schuss Vermischung dieses Falles mit der Kritik an Alice Schwarzer und Diskussionen an US-amerikanischen Universitäten, und raus kommt ein undifferenziertes Gesamtbild mit dem Tenor: Die Studierenden sind im Unrecht. Dabei wurden gerade diese Studierenden vor ein paar Jahren noch so für ihre angebliche Politikverdrossenheit kritisiert. Jetzt aber sind sie plötzlich zu laut, zu radikal in ihrer Kritik und ihren Forderungen und haben seit neuestem die wundersame Macht erlangt, ganze Karrieren zu zerstören, Diskurse zu dominieren und Unis lahmzulegen.
Gerade die Reaktion der Universität bzw. die Nicht-Reaktion hat auch zur Eskalation der Proteste beigetragen. Erst nach dem Gipfel mit der Blockade der Vorlesung und dem Standard-Streitgespräch zwischen dem Professor und der ÖH-Uni Wien Vorsitzenden Jasmin Chalendi gab es eine Stellungnahme des Instituts für Geschichte. Dieser schloss sich auch das Institut für Zeitgeschichte an. Die Stellungnahme legt sehr aufschlussreich auch interne Diskussionsprozesse offen und stellt sich gegen die „schleichenden Normalisierung von rechtsextremem Gedankengut“ in Bezug auf Höbelts Publikum, wie die rechtsextremen „Identitären“. Auch haben Lehrende der Universität Kommentare veröffentlicht, die sich kritisch mit manchen Aussagen oder seiner Sicht auf die Geschichtswissenschaft auseinandersetzen. Das Rektorat jedoch stellt sich nur im Wunsch um ein „respektvolles Miteinander“ gegen die Eskalation der Proteste und schweigt sonst beharrlich. Sicher, Höbelt ist außerordentlicher Professor und hat alle Rechte, die damit einhergehen. Das sind in dem Fall vor allem Lehrbefugnis und Kündigungsschutz. Aber deshalb keine öffentliche Äußerung zu den Vorwürfen zu tätigen, oder diese auch nur zu prüfen, ist unverständlich und lässt es so aussehen, als wären diese gar nicht der Rede wert. Dadurch entsteht das Bild, die Uni-Leitung würde sich hinter Höbelt stellen, was nicht zur Deeskalation beiträgt.
Affäre erinnert. Nicht nur wegen der Reaktion der Universität fühlen sich viele unweigerlich an die Borodajkewycz-Affäre erinnert. Taras Borodajkewycz, Professor für Wirtschaftsgeschichte an der damaligen Schule für Welthandel (heute Wirtschaftsuniversität) war 1946 als „minderbelastet“, also in minderem Maß in der NSDAP tätig, eingestuft worden, jedoch weiterhin stolz auf seine NSDAP-Mitgliedschaft. Er tätigte in seinen Vorlesungen immer wieder nazistische und antisemitische Aussagen. Diese wurden von einem Studenten (späterer Finanzminister Lacina) dokumentiert und von einem jungen Juristen (Heinz Fischer) veröffentlicht und skandalisiert. Die Affäre gipfelte 1965 in einem Zusammentreffen einer antifaschistischen Demonstration von Gegner_innen des Professors und einer vom Ring Freiheitlicher Studenten (RFS) organisierten Gegendemonstration. Bei diesem Zusammentreffen schlug ein vorverurteilter Neonazi den kommunistischen Widerstandskämpfer Ernst Kirchweger zu Boden, welcher später an seinen Verletzungen verstarb. Die Borodajkewycz-Affäre hatte den ersten politischen Toten der Zweiten Republik gefordert. Borodajkewycz selbst wurde erst 1971 zwangspensioniert – mit vollen Bezügen.
Gleichsetzen lassen sich beide Affären nicht, vergleichen aber sehr gut. Zum einen ist es wieder der RFS, der sich gemeinsam mit Deutschnationalen Burschenschaften und Identitären dazu berufen fühlt, Höbelt gegen „Linksextreme“ zu verteidigen. Wie bei Borodajkewycz wird die Freiheit der Wissenschaft als Totschlagargument verwendet. Zum anderen sind der eigentliche Grund für die Proteste ja weder Borodajkewycz noch Höbelt. Sie beide sind Symptome eines gesellschaftlichen Konflikts und Anlässe, dass sich dieser an der Universität entzündet. Insofern könnte man das Gefühl bekommen, dass sich in den letzten 50 Jahren nichts verändert hat an Österreichs Universitäten. Dabei hat sich sogar sehr viel getan. Die Universität Wien als Institution und ihre Historiker_innen haben sich intensiv mit NaziKontinuitäten an der Universität auseinandergesetzt. Als 2017 antisemitische und sexistische Inhalte aus Chatgruppen der Aktionsgemeinschaft (ÖH Fraktion) am Juridicum bekannt wurden, reagierte die Universität sofort. Deshalb ist das Schweigen der Uni-Leitung jetzt auch so unverständlich. Denn auch wenn Höbelt nicht persönlich verantwortlich sei, wenn seine Hörer_innen angesichts der Jüdischen Österreichischen Hochschüler_innen „Juden raus!“ schreien, muss darauf reagiert werden. Eine Reaktion bleibt aber aus. Was nach einem Protest-Semester bestehen bleibt ist Höbelts Lehrauftrag, den er sehr komfortabel zur Mittagszeit im repräsentativen Hauptgebäude ausführen darf.
Durch die momentane Schließung der Universitäten durch COVID-19 wird diese Vorlesung und so auch mögliche Proteste bis April nicht stattfinden. Die Spannungen sind aber definitiv nicht gelöst. Bestehen bleibt die Legitimation, die Höbelt seinem Lehrauftrag verdankt. Auch wenn er in seinen Vorlesungen mittlerweile nichts Grenzüberschreitendes mehr von sich gibt – das Göring Zitat aber war sehr wohl aus einer Vorlesung – kann er dennoch als „Professor an der Universität Wien“ an rechtsextremen Veranstaltungen teilnehmen und sprechen. Er wurde zur Causa laufend interviewt und konnte sich profilieren. Nun kann das sehr wohl eine Folge der Proteste sein, wie einige meinen. Wenn es keine Proteste gegeben hätte, würde Höbelt in ein paar Jahren ruhig in Pension gehen. So hat er kurz davor noch einmal Trubel um seine Person, an dem er sichtlich Freude hat. Das mag sein, aber er kann nur so freudig und entspannt sein, weil er bis jetzt noch nie Konsequenzen erfahren hat. Das ist der wahre Skandal!