Gibt’s das überhaupt noch? Solidarisches Teilen und Tauschen

  • 29.04.2015, 15:50

Obwohl der Leitspruch „Teilen statt besitzen!“ durch milliardenschwere Start-Ups wie Airbnb oder Uber wirtschaftlich ver- und damit entwertet wird, gibt es sie noch immer: pluralistische, solidar-ökonomische Organisationen, welche die sozialen und ökologischen Implikationen dieses Mottos hochhalten.

Obwohl der Leitspruch „Teilen statt besitzen!“ durch milliardenschwere Start-Ups wie Airbnb oder Uber wirtschaftlich ver- und damit entwertet wird, gibt es sie noch immer: pluralistische, solidar-ökonomische Organisationen, welche die sozialen und ökologischen Implikationen dieses Mottos hochhalten.

„Ressourcen nutzen und nicht brach liegen lassen.“ Dieser Satz bezieht sich beim „Talente Tauschkreis Wien“ nicht nur auf Güter und Gebrauchsgegenstände, sondern auch – und daher leitet sich der Name ab –- auf das Know-How und die besonderen Fähigkeiten seiner Mitglieder.

Elfriede Jahn, seit 2004 Mitglied und seit 2009 Obfrau des Vereins, macht keinen Hehl daraus, dass es sich bei seinen mittlerweile über 200 Mitgliedern überwiegend um PensionistInnen sowie andere Menschen handelt, die dem Arbeitsmarkt aus verschiedenen Gründen nicht mehr zu Verfügung stehen und allgemein von sozialer Marginalisierung bedroht sind. Angesichts der Tatsache, dass die „optimale Ressourcenallokation“ – eine der Kernerzählungen der freien Marktökonomie – real nur eingeschränkte Gültigkeit hat, bieten Tauschkreise besonders diesen Gesellschaftsschichten einen Kontext, in denen ihr Wissen und ihre Talente Anerkennung und Gebrauch finden.

40 bis 50 derartige Organisationen und Vereine gibt es derzeit in Österreich. Vorarlberg ist mit einem mehr als 1.000 Mitglieder zählenden Tauschkreis ein Vorreiter. Vom Tauschkreis-Verbund, der Dachorganisation für Wien, Niederösterreich und dem Burgenland ist zu lesen, dass sich die Mitgliederzahl von 2008 bis 2013 auf 1.150 Personen verdoppelt hat. „Die Zahl für den Verbund betrug im Jänner 2015 schon 1.700 Personen“, meint Elfriede Jahn. An Tauschkreisen beteiligen sich heterogene Personengruppen: StädterInnen und LandbewohnerInnen, Privatpersonen mit unterschiedlichen Bildungshintergründen, UnternehmerInnen und LandwirtInnen. Was die meisten eint, ist eine Skepsis gegenüber dem bestehenden Geldsystem und seinen Charakteristika.  

Das Interesse an alternativen Währungen steigt. Es gibt ein Bedürfnis, Geld wieder einfacher, risikofreier und lebensnaher zu gestalten und ihm wieder eine größere Wertdeckung zu geben. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Mitgliederzahlen der Tauschkreise gerade seit 2008 und der Eskalation der globalen Finanzkrise linear angestiegen sind.

Als Alternativwährung verwendet man bei den Tauschkreisen sogenannte Zeitwertscheine. Die gedruckten Scheine sind mit einer Sicherheitssignatur versehen und stark dem herkömmlichen Papiergeld nachempfunden. Diverse Zeitwerte können gegen Waren und Dienstleistungen getauscht werden. Dies erleichtert einen reziproken, flexiblen Tauschhandel: Person A kann eine Leistung von Person B in Anspruch nehmen, auch wenn sie keine für B attraktive Ware oder Dienstleistung anzubieten hat. Stattdessen wird etwa eine Stunde Malertätigkeit durch einen Zeitwertschein für eine Stunde abgegolten. Gleiches gilt für diverse andere Angebote, wie eine Stunde Englisch-Nachhilfe oder Rechtsberatung. „Eine Stunde menschliche Lebenszeit behält immer denselben Wert, dadurch werden alle Menschen, die sich an dieser Handelsform beteiligen, gleichgestellt“, begründet Obfrau Jahn. Darüber hinaus verfügen alle Tauschkreise im deutschsprachigen Raum über eine eigene IT-Struktur, um Zahlungsverkehr, (Zeitwert-)Kontoführung und Angebote managen zu können: Cyclos. Der Tauschvorgang zwischen zwei Beteiligten vollzieht sich allerdings weniger in der binären Logik „KundIn/DienstleisterIn“, sondern hat eher den Charakter von Nachbarschaftshilfe. Damit wird die soziale Komponente – auch dies ein Kernstück der Tauschkreis-Idee – gestärkt.    

Foto: www.lastenradkollektiv.at

UMZIEHEN PER RAD? Anders organisiert, aber ebenfalls an sozialem Austausch und solidarischer Ökonomie orientiert, ist eine relativ junge Wiener Organisation: das „Lastenradkollektiv“ (LKR). Die Idee zur Gründung kam Ende der 2000er Jahre auf und entstand vor allem aus der Leidenschaft am Rad(fahren) und der Ablehnung massenhaften städtischen Autoverkehrs, erklärt eines der drei LKR-Gründungsmitglieder. Es sei nicht akzeptabel, dass man für schwerere Transporte oder Umzüge immer auf einen Pkw, oder Lkw angewiesen sei. Weiters sei das LKR nicht im luftleeren Raum entstanden, sondern im Kontext verschiedener Institutionen, wie etwa dem Tüwi und der Boku. Daher habe auch der ökologische Gedanke bei der Gründung eine gewisse Rolle gespielt. Das als Verein agierende Kollektiv umfasste bisher zwischen acht und 15 Personen, die Fluktuation sei recht hoch. Nicht zuletzt aufgrund der überschaubaren Mitgliederzahl kann das Kollektiv weitgehend auf Hierarchien verzichten und Beschlüsse im Rahmen unregelmäßiger Plenartreffen basisdemokratisch fassen.

Auf der Homepage des Kollektivs kann man sich je nach Bedarf eines der acht Fahrräder, beziehungsweise einen der neun Anhänger aussuchen und circa eine Woche im Vorhinein per Mail reservieren. Per Telefon werden dann meist noch Details abgesprochen, wie etwa der aktuelle Standort des benötigten Rades oder Anhängers sowie der Zeitpunkt der Abholung und der Rückgabe. Das LKR verfügt nämlich über keinen zentralen Stützpunkt, die Vehikel sind an verschiedenen, sich ständig ändernden Orten abzuholen. Vor der Nutzung ist eine Kaution für den Fall etwaiger Schäden oder Diebstahl zu bezahlen, fixe Preise möchte man allerdings nicht kassieren. „Solidarische Ökonomie“ verwirklicht sich im Kollektiv der Gestalt, dass man die finanzielle Zugangsschwelle sehr niedrig halten möchte und daher nur freie Sach- und Geldspenden entgegennimmt. „Wir betreiben zwar schon Selbstausbeutung, aber in einem Rahmen, den wir als gemütlich empfinden“, heißt es vonseiten des LKR. Bei den Menschen, die Lastenräder nutzen, handle es sich allerdings um eine recht homogene Gruppe: männlich, jung („bis 35“), studentisch und ohne Migrationshintergrund sei der typische Lastenradfahrer. Wo diese sozialstrukturelle Verzerrung herrührt? Einerseits hadert das Kollektiv mit der Sprachbarriere, andererseits entstand es in einem studentisch-universitären Kontext und ist darin noch stark verhaftet. Außerhalb dieses Umfeldes sei es leider noch immer unwahrscheinlich überhaupt von der Existenz des LKR zu erfahren.   

 

Johannes Mayerhofer studiert Soziologie und Psychologie an der Universität Wien

 

AutorInnen: Johannes Mayerhofer