Ein Verbot ist keine pädagogische Maßnahme

  • 03.02.2014, 12:27
Im Rahmen des progress-Schwerpunktes zum Thema Mehrsprachigkeit hat sich Vanessa Gaigg mit İnci Dirim, Professorin für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache an der Uni Wien, über Deutschgebote an Schulen und die Wechselwirkung von Gesellschaft und Universität unterhalten und erfahren, was in der Debatte um Ausgrenzung falsch läuft.
Im Rahmen des progress-Schwerpunktes zum Thema Mehrsprachigkeit hat sich Vanessa Gaigg mit İnci Dirim, Professorin für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache an der Uni Wien, über Deutschgebote an Schulen und die Wechselwirkung von Gesellschaft und Universität unterhalten und erfahren, was in der Debatte um Ausgrenzung falsch läuft.

 

Im Rahmen des progress-Schwerpunktes zum Thema Mehrsprachigkeit hat sich Vanessa Gaigg mit İnci Dirim, Professorin für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache an der Uni Wien, über Deutschgebote an Schulen und die Wechselwirkung von Gesellschaft und Universität unterhalten und erfahren, was in der Debatte um Ausgrenzung falsch läuft.

progress: Sie haben die erste Professur für Deutsch als Zweitsprache an der Uni Wien inne. Die Professur wurde erst 2010 eingeführt – wäre der Bedarf dafür nicht schon früher da gewesen?

İnci Dirim: Das ist die erste Professur für Deutsch als Zweitsprache bzw. für Deutsch in der Migrationsgesellschaft in ganz Österreich, nicht nur an der Uni Wien. Dass sie erst so spät eingeführt wurde, ist wahrscheinlich eine Frage von Politik und Selbstverständnis – ob man sich als Migrationsgesellschaft versteht oder nicht. Wahrscheinlich hat das auch mit der Distanz zwischen Uni und Gesellschaft zu tun, dass man also gesellschaftliche Entwicklungen und Herausforderungen nicht unbedingt als Aufgabe der Universität wahrgenommen hat.

Was ist der Unterschied zwischen Deutsch als Zweitsprache (DaZ) und Deutsch als Fremdsprache (DaF)?

Bei Deutsch als Fremdsprache geht es um den Deutschunterricht außerhalb von Österreich beziehungsweise außerhalb von amtlich deutschsprachigen Ländern. Das heißt zum Beispiel, wenn jemand in Südafrika in der Schule Deutsch oder wenn jemand in der Türkei zum Goethe-Insitut geht, um einen Deutschlurs zu besuchen, sind das Deutschlernaktivitäten in Umgebungen, in denen i.d.R. sonst nicht Deutsch gesprochen wird und man den Fremdsprachenunterricht Deutsch besucht. So wie wir hier zum Beispiel den Französischunterricht als Fremdsprachenunterricht haben – das ist dann eine Sprache, die man im Alltag und der Umgebung meistens nicht spricht. Deutsch als Zweitsprache wäre dann das Deutsch, das hier in Österreich benutzt wird. Wenn also Kinder, Jugendliche oder Erwachsene als MigrantInnen nach Österreich kommen und hier das Deutsche benutzen – bei ihnen geht man davon aus, dass sie Deutsch im Alltag, in der Bildungsinstitution und im Berufsleben brauchen. Es geht also um den Unterschied zwischen einer Fremdsprache und der Frage des Zurechtkommens mit der deutschen Sprache in der umgebenden Gesellschaft.

Was bringt die Differenzierung zwischen einer Erst- und Zweitsprache?

Da könnte man zunächst die Begriffe selbst kritisch beleuchten. Studierende in meinem Fachbereich haben das beispielsweise kritisiert und gesagt, Zweitsprache ist ein Begriff, der einen eigentlich auf einen bestimmten Status von Zugehörigkeit festlegt. Geht man zum Beispiel davon aus, dass jemand in Tschechien Deutsch als Fremdsprache gelernt hat und nach Österreich kommt, wird er in zum Zweitsprachler des Deutschen. Aber Sie werden mir zustimmen, dass man niemals vom Deutsch als Zweitsprachler zum Deutsch als Muttersprachler werden würde. Es wird also akzeptiert, dass man eine große Nähe zum Deutschen als Sprache hat, aber man wird nicht wirklich als Deutsch-Sprechender akzeptiert. Und da haben Studierende zu Recht gefragt: Warum ist das eigentlich so? Immerhin empfinde ich die Sprache genauso als meine Sprache und denke, lebe, träume in dieser Sprache. Und wenn ich jetzt einen bosnischen und keinen kärtnerischen Akzent habe, warum ist das ein Problem? Aus einer spracherwerbstheoretischen Perspektive aus lässt sich sagen, dass es Unterschiede im Erwerb des Deutschen als die Erstsprache (bis zum dritten Lebensjahr) und dem Erwerb des Deutschen als Zweitsprache gibt, je nachdem wann der Erwerb des Deutschen einsetzt.

Wohin kann diese Unterscheidung führen?

Die Frage ist, was als Unterschied angesehen wird, jenseits der spracherwerbstheoretischen Erkenntnisse? Wenn es die Herkunft der Eltern sein soll, nach der bestimmt wird, dass man Deutsch als Zweitsprache erwirbt, dann wäre das eine biologistische Interpretation und sehr problematisch – das kann bis hin zu Rassismus gelangen. Ich finde es problematisch, wenn eine Gruppe von Personen konstruiert wird, die nie wirklich akzeptiert werden wird. Aber zu sagen: Ach so, dann brauchen wir ja Deutsch als Zweitsprache gar nicht mehr, ist natürlich auch nicht richtig. An den Schulen gibt es viele Kinder, die nicht das Deutsch sprechen, das die Schule erwartet, die also im Unterricht sitzen und nicht genug verstehen. Diesen Kindern die Förderung zu enthalten wäre eine Katastrophe. Also solange die Schule monolingual deutschsprachig bleibt, muss die Deutschförderung, die gebraucht wird, auch angeboten werden, ohne jedoch Kinder und Jugendliche für immer auf einen Status von nicht-kompetenten SprecherInnen des Deutschen festzulegen.

Ist der derzeitige Umgang mit Mehrsprachigkeit im Schulsystem sinnvoll?

Die Monolingualität der Schule passt nicht zur Mehrsprachigkeit der Gesellschaft. Es ist schon so oft festgestellt worden, dass eine bilinguale oder mehrsprachige Erziehung für die Kinder besser wäre. Aber das hängt davon ab, wie diese Erziehung angeboten wird. Mir geht es darum, Benachteiligung zu reduzieren und Selbstartikulation im Sinne von Agency zu ermöglichen. Nach den gängigen Vorstellungen heißt Mehrsprachigkeit in der Schule leider oft, dass etwa zwei Kinder, die in der Klasse sitzen, gefragt werden: Kannst du das denn mal auf Serbisch sagen? Ihr sprecht ja so schön Serbisch alle! Und dann denkt man sich: Erledigt. So einfach ist das aber nicht. Allerdings gibt es bereits Projekte, die zum Ziel haben, den Einbezug von Mehrsprachigkeit in die Schule zu systematisieren und zu professionalisieren, z.B. das Projekt „MARILLE“.

Werden die LehrerInnen im Bereich Mehrsprachigkeit allein gelassen?

Es geht darum, dass die Kinder die Sprachen als Bildungssprachen lernen, sie benutzen können, und darum, die Benachteiligungen zu reduzieren, die durch die Monolingualität der Schule entsteht. Es wäre eine Qualifizierungsaufgabe für die Universitäten und die Pädagogischen Hochschulen die LehrerInnen so auszubilden, dass sie in den verschiedenen Sprachen auch Unterricht anbieten können. Im Moment sind wir davon meilenweit entfernt. Deshalb muss man unter diesen Umständen vornehmlich auf Deutsch als Zweitsprache-Förderung setzen, sie garantieren. Die Entwicklung von Methoden des Einbezugs von Mehrsprachigkeit würde dann mit gutem Gewissen dem folgen können.

Welche Rolle spielt Mehrsprachigkeit derzeit in der LehrInnenausbildung?

Eine viel zu geringe Rolle. Im Moment sind das nur die Deutsch-Studierenden an der Uni Wien, die verpflichtend ein Modul aus DaZ/DaF besuchen müssen, wobei es hier ja vornehmlich um Deutsch geht und nicht um andere Sprachen als Deutsch. Alle anderen Lehramtsstudierenden kommen aber auch mit DaZ gar nicht in Berührung. An den Universitäten und Pädagogischen Hochschulen ist DaZ generell nicht systematsich verankert. Aber es gibt viele DozentInnen, die mit großem Eigenengagement die Perspektive DaZ in ihre Lehre integrieren. Mehrsprachigkeit im Sinne von migrationsspezifischer Mehrsprachigkeit kommt dem gegenüber eher weniger vor und hängt auch vom Engagement von Einzelpersonen ab.

Bleiben wir bei der Schule: Sind Maßnahmen wie Deutsch vor Schuleintritt oder Deutschgebote in Pausenhöfen sinnvoll?

Sprache erfüllt mehrere Funktionen, auf der einen Seite spielt Sprache eine Rolle als Kommunikationsmittel, auf der anderen Seite ist Sprache auch ein Phänomen, mit dem Zugehörigkeiten markiert werden. Und diese Frage von Zugehörigkeit spielt auch eine große Rolle in der Gesellschaft. Es gibt verschiedene Argumente für Deutschgebote und Sprachenverbote. Es wird z.B. behauptet, dass andere gestört würden, wenn die Kinder andere Sprachen als Deutsch sprechen, weil sie nichts verstehen. Ich denke generell, dass die Pause für Erholung und Gespräche zur Verfügung steht. Dafür dass alle alle privaten Gespräche verstehen, besteht keine Notwendigkeit. Wenn ich selber an der Uni bin und Kaffee trinke, dann bin ich auch froh, wenn ich nicht alles verstehen muss, was um mich herum gesagt wird. Auch Lehrkräfte im Unterricht müssen nicht alles verstehen können, das wäre ohnehin auch mit dem alleinigen Gebrauch des Deutschen nicht möglich – man schreibt sich z.B. Zettel und flüstert sich zu. Zudem gibt es viele gute Möglichkeiten, die Mehrsprachigkeit für die Bildung von Schülerinnen und Schülern einzusetzen. Es kommt vielmehr darauf an, dass die Ausbildung verbessert wird und methodisch in den Sprachen gearbeitet wird, die von den Kindern und Jugendlichen gesprochen werden. Ein Verbot ist keine pädagogische Maßnahme.

Was sagen Sie zur Zurückstellung vom Schulbesuch, wenn Kinder nicht ausreichend Deutsch können?

Es ist durchaus möglich, dass ein Vorschuljahr mit guter Deutschförderung sprachliche Zuwächse im Deutschen mit sich bringt. Man kann jedoch Bildung nicht allein aus der Perspektive des Wissenszuwachses beurteilen. Bildung heißt nicht nur, dass man Wissen erwirbt, es heißt auch Subjektivierung. Die Einschulung spielt eine ganz große Rolle in unserem Leben, ist ein wichtiges Ereignis. Wenn man zu einem Kind sagt: Du kommst nicht in die erste Klasse, du musst jetzt erstmal Deutsch lernen, dann ist das ein möglicherweise ein Schock. Das Kind bekommt den Eindruck: Mit mir stimmt etwas nicht. Welches Kind versteht denn, was ausreichende Deutschkompetenz heißt? Abgesehen davon, lässt sich die Schulreife nicht an der Beherrschung der Sprache Deutsch festmachen. Kinder können in anderen Sprachen und Sprachenkombinationen schulreif sein. Es wäre also eine große Ungerechtigkeit, Kinder nicht vom der Einschulung zurückzuhalten, weil die Schule keine Angebote in den von ihnen gesprochenen Sprachen bereithält. Aus vielen Gründen also muss man vom Kindergarten an bis zur Matura ausreichend Lernangebote für die deutsche Bildungssprache schaffen. Ein Qualifizierungs- und Angebotsdefizit von Universität, Hochschule und Schule kann nicht auf dem Rücken der Kinder ausgetragen werden.

In der sogenannten Integrationsdebatte wird oft über Sprache gesprochen. Funktioniert Inklusion wirklich in erster Linie über Sprache?

Ich würde eigentlich beide Begriffe nicht verwenden wollen. Integration wird oft als Assimilation verstanden und richtet sich einseitig an MigrantInnen. Ich stehe auch nicht für den Begriff der Inklusion, weil er ein pathologisierendes Element enthält. Ich würde einfach sagen: Beteiligung an der Gesellschaft. Und die wird nicht nur durch Deutsch ermöglicht. Das Problem ist, dass die Mehrheitsgesellschaft dabei „fein aus dem Schneider ist“, Ausgrenzungsmechanismen und institutionelle Diskriminierung aber bestehen bleiben. Auch wenn jemand perfekt Deutsch kann, gibt es Ausgrenzungsprobleme, die wir bewältigen müssen. Ich würde nie sagen, die Menschen sollen kein Deutsch lernen, aber auch nicht: Die Menschen sollen Deutsch lernen, weil ich davon ausgehe – und das ist meine feste Arbeitshypothese – dass sowieso jeder, der nach Österreich kommt, Deutsch lernen möchte. Wer möchte denn schon auf der Straße stehen und einen Busfahrplan nicht verstehen? Oder wenn man angesprochen wird, nicht antworten können? Es soll Angebote geben, aber ich halte nichts von Zwang, der Menschen unterstellt, dass sie kein Deutsch sprechen möchten.

Warum reagieren so viele Leute negativ, wenn sie „Ich geh’ Billa“ hören?

Die Leute haben vielleicht ein Problem damit, dass Deutsch auf eine Weise gesprochen wird, durch die erkennbar wird, dass wir in einer Migrationsgesellschaft leben. Wenn Jugendliche sagen Ich geh Billa, dann wird möglicherweise interpretiert, dass die Jugendlichen nicht mehr richtig Deutsch sprechen können. Da kommt dann eine Vorstellung von sprachlicher Korrektheit ins Spiel und es wird gesagt: Das Deutsch geht kaputt,, die Sprachkompetenz in der Gesellschaft nimmt ab... Das ist ein Rattenschwanz an Argumenten. Aber Sprache verändert sich immer. Die Sprache wird ja von vielen Seiten beeinflusst, aber in diesen Argumentationen kommt dann die Hierarchie ins Spiel: Wird Deutsch vom Französischen beeinflusst, hat niemand damit ein ernsthaftes Problem. Aber mit einem Einfluss des Türkisch zum Beispiel schon, jedenfalls wäre das meine Hypothese. Das Problem ist nicht, dass die Sprache sich verändert, sondern dass manche MigrantInnengruppen als schlechter angesehen werden und ein Einfluss dieser Sprachen auf das Deutsche möglicherweise von Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft negativ beurteilt wird.

 

Vanessa Gaigg führte das Interview, sie studiert Philosophie an der Universität Wien.

 

Im Rahmen des progress-Schwerpunktes zum Thema Mehrsprachigkeit hat sich Vanessa Gaigg mit İnci Dirim, Professorin für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache an der Uni Wien, über Deutschgebote an Schulen und die Wechselwirkung von Gesellschaft und Universität unterhalten und erfahren, was in der Debatte um Ausgrenzung falsch läuft.

progress: Sie haben die erste Professur für Deutsch als Zweitsprache an der Uni Wien inne. Die Professur wurde erst 2010 eingeführt – wäre der Bedarf dafür nicht schon früher da gewesen?

İnci Dirim: Das ist die erste Professur für Deutsch als Zweitsprache bzw. für Deutsch in der Migrationsgesellschaft in ganz Österreich, nicht nur an der Uni Wien. Dass sie erst so spät eingeführt wurde, ist wahrscheinlich eine Frage von Politik und Selbstverständnis – ob man sich als Migrationsgesellschaft versteht oder nicht. Wahrscheinlich hat das auch mit der Distanz zwischen Uni und Gesellschaft zu tun, dass man also gesellschaftliche Entwicklungen und Herausforderungen nicht unbedingt als Aufgabe der Universität wahrgenommen hat.

Was ist der Unterschied zwischen Deutsch als Zweitsprache (DaZ) und Deutsch als Fremdsprache (DaF)?

Bei Deutsch als Fremdsprache geht es um den Deutschunterricht außerhalb von Österreich beziehungsweise außerhalb von amtlich deutschsprachigen Ländern. Das heißt zum Beispiel, wenn jemand in Südafrika in der Schule Deutsch oder wenn jemand in der Türkei zum Goethe-Insitut geht, um einen Deutschlurs zu besuchen, sind das Deutschlernaktivitäten in Umgebungen, in denen i.d.R. sonst nicht Deutsch gesprochen wird und man den Fremdsprachenunterricht Deutsch besucht. So wie wir hier zum Beispiel den Französischunterricht als Fremdsprachenunterricht haben – das ist dann eine Sprache, die man im Alltag und der Umgebung meistens nicht spricht. Deutsch als Zweitsprache wäre dann das Deutsch, das hier in Österreich benutzt wird. Wenn also Kinder, Jugendliche oder Erwachsene als MigrantInnen nach Österreich kommen und hier das Deutsche benutzen – bei ihnen geht man davon aus, dass sie Deutsch im Alltag, in der Bildungsinstitution und im Berufsleben brauchen. Es geht also um den Unterschied zwischen einer Fremdsprache und der Frage des Zurechtkommens mit der deutschen Sprache in der umgebenden Gesellschaft.

Was bringt die Differenzierung zwischen einer Erst- und Zweitsprache?

Da könnte man zunächst die Begriffe selbst kritisch beleuchten. Studierende in meinem Fachbereich haben das beispielsweise kritisiert und gesagt, Zweitsprache ist ein Begriff, der einen eigentlich auf einen bestimmten Status von Zugehörigkeit festlegt. Geht man zum Beispiel davon aus, dass jemand in Tschechien Deutsch als Fremdsprache gelernt hat und nach Österreich kommt, wird er in zum Zweitsprachler des Deutschen. Aber Sie werden mir zustimmen, dass man niemals vom Deutsch als Zweitsprachler zum Deutsch als Muttersprachler werden würde. Es wird also akzeptiert, dass man eine große Nähe zum Deutschen als Sprache hat, aber man wird nicht wirklich als Deutsch-Sprechender akzeptiert. Und da haben Studierende zu Recht gefragt: Warum ist das eigentlich so? Immerhin empfinde ich die Sprache genauso als meine Sprache und denke, lebe, träume in dieser Sprache. Und wenn ich jetzt einen bosnischen und keinen kärtnerischen Akzent habe, warum ist das ein Problem? Aus einer spracherwerbstheoretischen Perspektive aus lässt sich sagen, dass es Unterschiede im Erwerb des Deutschen als die Erstsprache (bis zum dritten Lebensjahr) und dem Erwerb des Deutschen als Zweitsprache gibt, je nachdem wann der Erwerb des Deutschen einsetzt.

Wohin kann diese Unterscheidung führen?

Die Frage ist, was als Unterschied angesehen wird, jenseits der spracherwerbstheoretischen Erkenntnisse? Wenn es die Herkunft der Eltern sein soll, nach der bestimmt wird, dass man Deutsch als Zweitsprache erwirbt, dann wäre das eine biologistische Interpretation und sehr problematisch – das kann bis hin zu Rassismus gelangen. Ich finde es problematisch, wenn eine Gruppe von Personen konstruiert wird, die nie wirklich akzeptiert werden wird. Aber zu sagen: Ach so, dann brauchen wir ja Deutsch als Zweitsprache gar nicht mehr, ist natürlich auch nicht richtig. An den Schulen gibt es viele Kinder, die nicht das Deutsch sprechen, das die Schule erwartet, die also im Unterricht sitzen und nicht genug verstehen. Diesen Kindern die Förderung zu enthalten wäre eine Katastrophe. Also solange die Schule monolingual deutschsprachig bleibt, muss die Deutschförderung, die gebraucht wird, auch angeboten werden, ohne jedoch Kinder und Jugendliche für immer auf einen Status von nicht-kompetenten SprecherInnen des Deutschen festzulegen.

Ist der derzeitige Umgang mit Mehrsprachigkeit im Schulsystem sinnvoll?

Die Monolingualität der Schule passt nicht zur Mehrsprachigkeit der Gesellschaft. Es ist schon so oft festgestellt worden, dass eine bilinguale oder mehrsprachige Erziehung für die Kinder besser wäre. Aber das hängt davon ab, wie diese Erziehung angeboten wird. Mir geht es darum, Benachteiligung zu reduzieren und Selbstartikulation im Sinne von Agency zu ermöglichen. Nach den gängigen Vorstellungen heißt Mehrsprachigkeit in der Schule leider oft, dass etwa zwei Kinder, die in der Klasse sitzen, gefragt werden: Kannst du das denn mal auf Serbisch sagen? Ihr sprecht ja so schön Serbisch alle! Und dann denkt man sich: Erledigt. So einfach ist das aber nicht. Allerdings gibt es bereits Projekte, die zum Ziel haben, den Einbezug von Mehrsprachigkeit in die Schule zu systematisieren und zu professionalisieren, z.B. das Projekt „MARILLE“.

Werden die LehrerInnen im Bereich Mehrsprachigkeit allein gelassen?

Es geht darum, dass die Kinder die Sprachen als Bildungssprachen lernen, sie benutzen können, und darum, die Benachteiligungen zu reduzieren, die durch die Monolingualität der Schule entsteht. Es wäre eine Qualifizierungsaufgabe für die Universitäten und die Pädagogischen Hochschulen die LehrerInnen so auszubilden, dass sie in den verschiedenen Sprachen auch Unterricht anbieten können. Im Moment sind wir davon meilenweit entfernt. Deshalb muss man unter diesen Umständen vornehmlich auf Deutsch als Zweitsprache-Förderung setzen, sie garantieren. Die Entwicklung von Methoden des Einbezugs von Mehrsprachigkeit würde dann mit gutem Gewissen dem folgen können.

Welche Rolle spielt Mehrsprachigkeit derzeit in der LehrInnenausbildung?

Eine viel zu geringe Rolle. Im Moment sind das nur die Deutsch-Studierenden an der Uni Wien, die verpflichtend ein Modul aus DaZ/DaF besuchen müssen, wobei es hier ja vornehmlich um Deutsch geht und nicht um andere Sprachen als Deutsch. Alle anderen Lehramtsstudierenden kommen aber auch mit DaZ gar nicht in Berührung. An den Universitäten und Pädagogischen Hochschulen ist DaZ generell nicht systematsich verankert. Aber es gibt viele DozentInnen, die mit großem Eigenengagement die Perspektive DaZ in ihre Lehre integrieren. Mehrsprachigkeit im Sinne von migrationsspezifischer Mehrsprachigkeit kommt dem gegenüber eher weniger vor und hängt auch vom Engagement von Einzelpersonen ab.

Bleiben wir bei der Schule: Sind Maßnahmen wie Deutsch vor Schuleintritt oder Deutschgebote in Pausenhöfen sinnvoll?

Sprache erfüllt mehrere Funktionen, auf der einen Seite spielt Sprache eine Rolle als Kommunikationsmittel, auf der anderen Seite ist Sprache auch ein Phänomen, mit dem Zugehörigkeiten markiert werden. Und diese Frage von Zugehörigkeit spielt auch eine große Rolle in der Gesellschaft. Es gibt verschiedene Argumente für Deutschgebote und Sprachenverbote. Es wird z.B. behauptet, dass andere gestört würden, wenn die Kinder andere Sprachen als Deutsch sprechen, weil sie nichts verstehen. Ich denke generell, dass die Pause für Erholung und Gespräche zur Verfügung steht. Dafür dass alle alle privaten Gespräche verstehen, besteht keine Notwendigkeit. Wenn ich selber an der Uni bin und Kaffee trinke, dann bin ich auch froh, wenn ich nicht alles verstehen muss, was um mich herum gesagt wird. Auch Lehrkräfte im Unterricht müssen nicht alles verstehen können, das wäre ohnehin auch mit dem alleinigen Gebrauch des Deutschen nicht möglich – man schreibt sich z.B. Zettel und flüstert sich zu. Zudem gibt es viele gute Möglichkeiten, die Mehrsprachigkeit für die Bildung von Schülerinnen und Schülern einzusetzen. Es kommt vielmehr darauf an, dass die Ausbildung verbessert wird und methodisch in den Sprachen gearbeitet wird, die von den Kindern und Jugendlichen gesprochen werden. Ein Verbot ist keine pädagogische Maßnahme.

Was sagen Sie zur Zurückstellung vom Schulbesuch, wenn Kinder nicht ausreichend Deutsch können?

Es ist durchaus möglich, dass ein Vorschuljahr mit guter Deutschförderung sprachliche Zuwächse im Deutschen mit sich bringt. Man kann jedoch Bildung nicht allein aus der Perspektive des Wissenszuwachses beurteilen. Bildung heißt nicht nur, dass man Wissen erwirbt, es heißt auch Subjektivierung. Die Einschulung spielt eine ganz große Rolle in unserem Leben, ist ein wichtiges Ereignis. Wenn man zu einem Kind sagt: Du kommst nicht in die erste Klasse, du musst jetzt erstmal Deutsch lernen, dann ist das ein möglicherweise ein Schock. Das Kind bekommt den Eindruck: Mit mir stimmt etwas nicht. Welches Kind versteht denn, was ausreichende Deutschkompetenz heißt? Abgesehen davon, lässt sich die Schulreife nicht an der Beherrschung der Sprache Deutsch festmachen. Kinder können in anderen Sprachen und Sprachenkombinationen schulreif sein. Es wäre also eine große Ungerechtigkeit, Kinder nicht vom der Einschulung zurückzuhalten, weil die Schule keine Angebote in den von ihnen gesprochenen Sprachen bereithält. Aus vielen Gründen also muss man vom Kindergarten an bis zur Matura ausreichend Lernangebote für die deutsche Bildungssprache schaffen. Ein Qualifizierungs- und Angebotsdefizit von Universität, Hochschule und Schule kann nicht auf dem Rücken der Kinder ausgetragen werden.

In der sogenannten Integrationsdebatte wird oft über Sprache gesprochen. Funktioniert Inklusion wirklich in erster Linie über Sprache?

Ich würde eigentlich beide Begriffe nicht verwenden wollen. Integration wird oft als Assimilation verstanden und richtet sich einseitig an MigrantInnen. Ich stehe auch nicht für den Begriff der Inklusion, weil er ein pathologisierendes Element enthält. Ich würde einfach sagen: Beteiligung an der Gesellschaft. Und die wird nicht nur durch Deutsch ermöglicht. Das Problem ist, dass die Mehrheitsgesellschaft dabei „fein aus dem Schneider ist“, Ausgrenzungsmechanismen und institutionelle Diskriminierung aber bestehen bleiben. Auch wenn jemand perfekt Deutsch kann, gibt es Ausgrenzungsprobleme, die wir bewältigen müssen. Ich würde nie sagen, die Menschen sollen kein Deutsch lernen, aber auch nicht: Die Menschen sollen Deutsch lernen, weil ich davon ausgehe – und das ist meine feste Arbeitshypothese – dass sowieso jeder, der nach Österreich kommt, Deutsch lernen möchte. Wer möchte denn schon auf der Straße stehen und einen Busfahrplan nicht verstehen? Oder wenn man angesprochen wird, nicht antworten können? Es soll Angebote geben, aber ich halte nichts von Zwang, der Menschen unterstellt, dass sie kein Deutsch sprechen möchten.

Warum reagieren so viele Leute negativ, wenn sie „Ich geh’ Billa“ hören?

Die Leute haben vielleicht ein Problem damit, dass Deutsch auf eine Weise gesprochen wird, durch die erkennbar wird, dass wir in einer Migrationsgesellschaft leben. Wenn Jugendliche sagen Ich geh Billa, dann wird möglicherweise interpretiert, dass die Jugendlichen nicht mehr richtig Deutsch sprechen können. Da kommt dann eine Vorstellung von sprachlicher Korrektheit ins Spiel und es wird gesagt: Das Deutsch geht kaputt,, die Sprachkompetenz in der Gesellschaft nimmt ab... Das ist ein Rattenschwanz an Argumenten. Aber Sprache verändert sich immer. Die Sprache wird ja von vielen Seiten beeinflusst, aber in diesen Argumentationen kommt dann die Hierarchie ins Spiel: Wird Deutsch vom Französischen beeinflusst, hat niemand damit ein ernsthaftes Problem. Aber mit einem Einfluss des Türkisch zum Beispiel schon, jedenfalls wäre das meine Hypothese. Das Problem ist nicht, dass die Sprache sich verändert, sondern dass manche MigrantInnengruppen als schlechter angesehen werden und ein Einfluss dieser Sprachen auf das Deutsche möglicherweise von Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft negativ beurteilt wird.

 

Vanessa Gaigg führte das Interview, sie studiert Philosophie an der Universität Wien.

AutorInnen: Vanessa Gaigg