Die Poesie der Landschaft

  • 29.03.2022, 20:56

Eine Ausstellung in Eisenstadt, ein Land-Art Projekt im Burgenland und warum Baukultur in Österreich mehr Aufmerksamkeit verdient.

Die Sonne hat sich doch noch durchgekämpft an diesem Novembertag und eröffnet ein einzigartiges Zusammenspiel der kargen Landschaft mit Farben, Lichtern, schroffen Gesteinsformationen, Flora und Fauna. Wir stehen am Rande des Leithagebirges, das Niederösterreich vom Burgenland trennt. Hier beginnt die Eurasische Steppe, ein über weite Teile zusammenhängender Natur- und Kulturraum, der sich bis in die östlichsten Regionen Chinas, Russlands und der Mongolei erstreckt. Man blickt in die Weite der Pusztaebene und beginnt zu träumen. Region und Natur waren hier immer schon vom Menschen beeinflusst. Weinbau, Viehzucht und der Steinbruch prägen die Landschaft bis heute noch. In der kleinen burgenländischen Gemeinde Breitenbrunn wurde bis in die 1930er-Jahre der Kalksandstein des Leithagebirges abgebaut, der seine Verwendung bei Bauten wie dem Stephansdom, der Staatsoper oder dem Wiener Rathaus fand. Genau hier befindet sich auch ein Projekt der viel beachteten und schwierig zu definierenden Kunstströmung „Land Art“: „Die Grube“ von Peter Noever, dem ehemaligen Direktor des Museums für angewandte Kunst in Wien (MAK). Vor allem international wurde das Projekt breit rezipiert, zuhause in Österreich kennt es fast niemand. Eine Ausstellung in der Architekturgalerie RaumBurgenland in Eisenstadt versucht das jetzt zu ändern.

Zwischen Ost und West

Noever hat das Areal rund um den aufgelassenen Steinbruch in Breitenbrunn in den 1960er Jahren erworben. „Die Grube“ wurde also auf Privatgrund realisiert, was es mitunter schwierig macht, das Projekt selbst zu besichtigen und womöglich auch zum geringen Bekanntheitsgrad beiträgt – bei aller Offenheit, die der Gestalter Besucher_innen bei jeder Gelegenheit entgegenbringt. Andererseits konnte Peter Noever so seine eigenen Vorstellungen und Ideen ganz ohne Auftraggeber oder Bauherren verwirklichen. „Die Grube“ ist Noevers Auseinandersetzung mit der traditionellen burgenländischen Architektur, die an der Schnittstelle zwischen zwei Weltkulturen steht und seinen Versuch darstellt, die von Menschenhand (mit-)geformte Natur unmittelbar und sinnlich begreifbar zu machen. Die Natur wird hier aber nicht, wie in der Landschafts- oder Gartenkunst üblich, modelliert oder in Szene gesetzt. Die bloße Darstellung der beiden Pole Natur und (Bau-)Kultur sowie deren Dialog reichen aus, um Wirkung zu erzeugen. Ausgangspunkt der Landschaftsintervention ist ein 200 Jahre alter Weinkeller, wie sie häufig in der Region zu finden sind. Man steigt hinab in ein 30 Meter langes unterirdisches Gewölbe mit charakteristischem Raumklima, dessen nördliches Ende allerdings zu einem kreisrunden Erdtrichter, „der Grube“, hin freigelegt wurde. „Es gibt beim Prinzip Keller immer die Gewissheit von einem dead end. Man steigt aus dem Hellen kommend in den Keller und dann wird es immer dunkler. Alle Sicherheit ist dahin. Mein Keller ist das genaue Gegenteil dieses Prinzips“, so Noever. Durch die Freilegung und Verschiebung der Kellerabschlusswand nach innen befindet man sich nun in einem überwölbten, intimen Platz mit speziellem Mikroklima, windgeschützt, mit Tischen und Bänken möbliert, und blickt auf den Graskegel unter freiem Himmel, der das Zentrum der Arbeit darstellt. „Wir hatten viele Räusche hier“, lässt Noever an anderer Stelle durchblicken. Man ist geneigt zu denken, dass es dafür wohl keinen geeigneteren und gemütlicheren Ort gibt.

Zurückgeben statt abbauen

In einer weiteren Bauphase wurde von dem Erdtrichter weg, in einer Achse mit dem Weinkeller, ein 65 Meter langer Gang ausgehoben, der an beiden Seiten von zwei langgezogenen Mauern begrenzt ist und aus der eigentlichen Grube hinaus auf das Areal des ehemaligen Steinbruchs führt. Hier stößt man auf weitere bauliche Interventionen wie bspw. die Sitzgruben des Universalkünstlers Walter Pichler, in denen man die klimatischen Bedingungen Pannoniens auf Augenhöhe mit den Bodenlebewesen erfahren kann. Auch 36 Betonkuben findet man auf dem Grundstück – sie sind Ausdruck von Noevers Wunsch, dem Steinbruch auch etwas zurückzugeben und nicht nur abzubauen. Bauliches und Natur fließen hier gewissermaßen ineinander – aus einigen Betonwürfel wachsen Bäume. Als 37. Kubus wird die spartanische Wohneinheit, die mit dem Weinkeller verbunden ist, bezeichnet. Hat man das Gelände des Steinbruchs, in dem die Spuren der Abbautätigkeit noch deutlich sichtbar sind, durchschritten, so stellt dieser Kubus den Endpunkt des Rundgangs dar. Hier werden zugleich Elemente der vernakulären Architektur und traditioneller Bauweisen im Burgenland aufgegriffen. Der Kubus ist straßenseitig fensterlos, also nach außen hin abgeschirmt, ähnlich dem Typus der burgenländischen Streckhäuser. Nur das Betreten einer Treppe ohne Handlauf auf der inneren Seite des Wohnkubus erlaubt einen Blick auf den Neusiedlersee. Die Fassade ist, wie für die Region typisch, gekalkt. Ein Vorgang, der zwei- bis dreimal im Jahr wiederholt werden muss. Im Gegensatz zu Kunststofffassaden sind Kalkfassaden jedoch atmungsfähig. Sie haben zudem nicht nur die Eigenschaft, Sonnenstrahlen auf eine bestimmte Art und Weise zu reflektieren, sodass ein besonderes Schauspiel von Materialität und Licht entsteht, sondern auch den Vorteil, dass sie durch ihr hohes Rückstrahlungsvermögen der Erwärmung von Außenwänden an heißen Sommertagen entgegenwirken. Auch aus hygienischen Gründen ist eine weiß gekalkte Oberfläche günstig.

Anonyme Architektur

Es ist dieses Wissen um lokale Materialien und organische Strukturen, das in den letzten Jahren verloren ging und gerade jetzt im Angesicht der Klimakrise von Bedeutung ist. Es sind die Aspekte der „Anonymen Architektur“ oder auch der „Architektur ohne Architekten“, die speziell im Burgenland Analogien zur Mediterranen Architektur aufweist, in deren Tradition auch „die Grube“ steht. Der Begriff „Anonyme Architektur“, dem schon Bernard Rudofsky oder Roland Rainer nachgespürt haben, wird verstanden als Abgrenzung zu einer akademischen „top-down“ Architektur ohne Bezug zu lokalen Traditionen und Charakteristika. Während der Architekturdiskurs in den 1960er-Jahren durch diesen Begriff geprägt war und immer mehr Architekt_innen begannen, statt exzeptioneller Bauwerke unprätentiöse Gebäude zu planen, die den örtlichen Kontext und lokale Identitäten berücksichtigten, gab es in den folgenden Jahrzehnten eine gegensätzliche Entwicklung. Wie in so vielen Gegenden in Österreich lösten sich ab den 1970er-Jahren auch im Burgenland viele neu gebaute Häuser von alten Strukturen, Traditionen und Morphologien los. Die Folgen davon sehen wir bis heute: Stilistische Beliebigkeit, zerstörte Ortsstrukturen und zersiedelte Gemeinden resultierend in hohem Bodenverbrauch. Ein fatales Missverständnis, wenn „Anonyme Architektur“ mit austauschbarer Architektur verwechselt wird.

Ein Widerspruch

Gerade dieser Kontext macht Peter Noevers Projekt so relevant, weil es dadurch einen Standpunkt markiert. „Die Grube“ ist einerseits ein Ort, der nur durch seine ästhetische Qualität funktioniert, gleichzeitig aber mit Bedeutung aufgeladen ist, da er wie ein Gegenpol zur gedankenlosen Landschaftsverwertung wirkt. Das Projekt ist auch ein Plädoyer für mehr Fantasie in der Gestaltung, für Mut, Freude und experimentelle Hinwendung zur Radikalität. „Es reicht nicht, 1000 Bäume zu versprechen, man muss Gestaltung versprechen“, so die Landschaftsarchitektin Maria Auböck unlängst in einem Radiointerview. „Das Problem der Versäumnisse der letzten Jahre ist, dass wir durch den Klimawandel jetzt unter großen Druck gekommen sind, sodass viele Planungsentscheidungen plakativ wirken“, führt sie weiter aus und spielt damit auf Gesetze in der Stadtplanung an, die auf einen Mindestflächenanteil an Fassadenbegrünung abzielen. „Das geht aber nicht ohne eine Fassadengestaltung“, erklärt Auböck. Auch in dieser Hinsicht ist „die Grube“ ein Gegenentwurf. Noever, der es im Übrigen als unsinnig empfindet, Natur „zu bauen“ (z.B. Bäume mit großem Energieaufwand auf Dächer zu setzen), sieht viel Scheitern in der Architektur darin begründet, dass man in relativ kurzer Zeit eine Vielzahl von Entscheidungen treffen und Probleme lösen muss. Hat man jedoch den Luxus, einen Ort über Jahrzehnte hinweg zu gestalten, entsteht eine andere Dynamik. „Die Grube“ ist ein Ort der Beruhigung. Das macht den Kontrast zur der aktuellen Planungspraxis im öffentlichen Raum sichtbar. „Im öffentlichen Raum sind so viele Verordnungen und Gesetze einzuhalten, dass man das Gefühl hat, es handelt sich um eine Sicherheitsplanung und nicht um eine Fantasieplanung“, sagt Maria Auböck. In einer Zeit, in der Architektur nicht zwingend von Menschen, sondern auch von Algorithmen gemacht werden kann, gehen subtile Elemente und der Blick für den Bestand verloren, auf Kosten der lokalen Baukultur.

Ein Schritt zurück, um vorwärtszukommen

Müssen wir also baukulturell mehrere zeitliche Schritte zurückgehen, um den Problemen der Zukunft adäquat begegnen zu können? Dass dies nicht zwingend mit einer rückwärtsgewandten Denkweise verknüpft sein muss, zeigt das geografisch am anderen Ende von Österreich liegende Beispiel Bregenzerwald. Dort hat sich in den letzten Jahrzehnten eine Kultur entwickelt, die die lokalen und regionalen Aspekte des Holzbaus in der gebauten Umwelt wieder aufgegriffen haben. Dadurch konnte nicht nur was die Planungs- und Bauleistung betrifft internationale Vorbildwirkung erzielt werden, sondern auch ein starker Wirtschaftsfaktor in der Region geschaffen werden. Jedoch besteht hierzulande generell eine geringe Wertschätzung für baukulturelles Erbe, wie der kürzlich erschienene „Vierte Baukultur Report“ des Bundesministeriums für Kunst und Kultur feststellt. Die Autor_innen sehen in der Steigerung der gesellschaftlichen Bedeutung von Baukultur ein zentrales Instrument zur Erreichung ökologischer Ziele, insbesondere einen verbesserten Bodenschutz und eine Reduktion der CO2- Emissionen. Deshalb wird in dem Report die Einrichtung einer Agentur für Baukultur vorgeschlagen, bei der als Tätigkeitsfelder neben Forschungsförderung und Qualitätsentwicklung auch Beratung und Kooperationen mit Städten und Gemeinden sowie die inhaltliche und finanzielle Förderung von Projekten definiert werden. Dass Sensibilität für Bestehendes bereichernd sein kann, zeigt die Ausstellung in Eisenstadt, die auch Vorhaben im Zusammenhang mit dem Land-Art-Projekt präsentiert, die zwar geplant waren, aber noch ihrer Realisierung harren. Ein Ausflug, der sich lohnt.

Die Ausstellung "out ̅of the blue" – Art and Architecture Out There“ ist noch bis 20. Mai 2022 im ArchitekturRaumBurgenland zu sehen.

Sebastian Hafner studiert Raumforschung an der Universität Wien und arbeitet in einem Architekturbüro.

AutorInnen: Sebastian Hafner