„Scheiß Akademikerkinder“

  • 14.02.2017, 20:25
Warum studentisches Klassenbewusstsein kein Grund für eine Distanzierung ist.

Warum studentisches Klassenbewusstsein kein Grund für eine Distanzierung ist.

„Die Bundesvertretung der Österreichischen HochschülerInnenschaft (ÖH) distanziert sich vom ‚Scheiß-Akademikerkinder‘-Ruf gegen die Jungen Liberalen Studierenden (JUNOS) bei einer Medienaktion am Dienstag Vormittag“, war am Dienstag Nachmittag in einer APA-Aussendung zu lesen. Als wäre diese Distanzierung alleine nicht schon abstrus genug, fühlte man sich auch noch bemüßigt, die mutmaßliche Urheberin politisch zu verorten. „Das Zitat sei von einer Vertreterin der HochschülerInnenschaft der Uni Wien, die gemeinsam mit der Bundes-ÖH an der Aktion teilnahm, gekommen“, paraphrasiert die APA die Aussage der nicht namentlich genannten Bundes-ÖH-Funktionärin.

ÖVP-Aktionsgemeinschaft und JUNOS veranstalteten parallel zur von ÖH Bundesvertretung und ÖH Uni Wien organisierten Medienaktion gegen Zugangsbeschränkungen ebenfalls kleine Kundgebungen. Erstere verteilten Flyer für Zugangsbeschränkungen, zweitere inszenierten sogar eine Party, um ebendiese abzufeiern. „Juhu, keine überfüllten Hörsäle mehr!“, war auf einem Schild der JUNOS zu lesen. Was zusätzliche strukturelle Hürden für das von Liberalen zumindest zum Schein hochgehaltene Ideal der Chancengleichheit bedeuten, dürfte beim Parteinachwuchs der NEOS nicht bedacht worden sein. So feierte man defacto den Umstand, dass die Hörsäle – geht es nach den Plänen der Regierung – nicht mehr mit rauszuprüfenden ProletInnen vollgestopft sind. Man trug Partyhüte und warf Konfetti, was eine „Vertreterin der ÖH Uni Wien“ eben mit besagter „Scheiß Akademikerkinder“-Anmerkung quittierte.

2007 erschien im Mandelbaumverlag ein Sammelband, dessen Beiträge sich wissenschaftlich mit sozialer Ungleichheit im Bildungssystem auseinandersetzen. Das Buch trägt den Titel „Keine Chance für Lisa Simpson?“ und will damit auf folgenden Umstand hinweisen: Selbst eine überdurchschnittlich intelligente junge Frau, hat in Österreich, aus einer bildungsfernen ArbeiterInnenfamilie kommend, viel schlechtere Chancen ein Hochschulstudium abzuschließen als Kinder von AkademikerInnen. Die Einführung von immer mehr strukturellen Hürden spitzen dieses Missverhältnis kontinuierlich zu.

In den letzten zehn Jahren wurden aus den Studieneingangslehrveranstaltungen vielerorts STEOPs, an deren Ende Knock-Out-Prüfungen stehen. Kommissionelle Prüfungen, in deren Folge Menschen aus ihrer Studienrichtung ausgeschlossen und zwangsweise abgemeldet werden, haben stark zugenommen. Das Ende der Zulassungsfristen liegt heute im Unterschied zu früher fast ein Monat vor dem eigentlichen Semesterbeginn, was dazu führt, dass Menschen, die mit Hochschulstrukturen schlecht vertraut sind, oftmals die Deadlines verpassen und erst gar nicht mit dem gewünschten Studium beginnen können. Und als wäre das alles nicht schon schlimm genug, werden nun für immer mehr Studien Aufnahmetests eingeführt. Prüfungen, für die von privaten Instituten mittlerweile hunderte Euro teure Vorbereitungskurse angeboten werden, die sich mehrheitlich wohl auch nur ein ganz bestimmtes Klientel leisten wird.

Menschen, die nicht als scheiß AkademikerInnenkinder gelten möchten, sollten diese Umstände in der Artikulation Ihrer politischen Forderungen zumindest reflektieren. Denn auch wenn man seine ererbten Privilegien nicht einfach so ablegen kann, geht damit - gerade deshalb - gesellschaftliche Verantwortung einher. Im konkreten Fall müsste dies heißen, für offene Hochschulen zu kämpfen, die allen Menschen – unabhängig vom Einkommen und formalem Bildungsstand der Eltern – ein erfolgreiches Studium ermöglichen.

Selbst in linken ÖH-Strukturen sind AktivistInnen, deren Eltern keine Matura machen konnten, eine kleine Minderheit. Das liegt nicht zuletzt daran, dass ÖH-Arbeit zumeist ehrenamtlich ist und maximal durch geringe Aufwandsentschädigungen abgegolten wird. Diese Prekarität verbunden mit der oftmals sehr hohen Arbeitsbelastung muss man sich erstmal leisten können. Mittel- und Langfristig kann sich ÖH-Arbeit - ähnlich einem erfolgreichem Hochschulstudium - sehr positiv auf den eigenen Lebenslauf auswirken, wodurch selbst linke ÖH-Strukturen die Reproduktion gesellschaftlicher Eliten eher befördern als ihr entgegenzuarbeiten. Auch deshalb ist die Distanzierung der Bundes-ÖH von der „Scheiß Akademikerkinder“ rufenden Aktivistin unangemessen und falsch.

 

Florian Wagner ist als Sohn einer gelernten Einzelhandelskauffrau aufgewachsen. Er studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien, wo er sich oft über scheiß AkademikerInnenkinder ärgern musste. Als progress-Redakteur ist er seit zwei Jahren Teil der ÖH-Bundesvertretung und ärgert sich noch immer.

AutorInnen: Florian Wagner