„Ja“ oder nur kein „Nein“ – die österreichische Lösung

  • 01.03.2020, 00:47
Warum erst jetzt über die Fragilität junger Sexualität diskutiert wird und warum man den Begriff „sexual consent“ vor der Quarterlife Crisis kennen sollte.

Die Erlebnisse der Schulzeit prägen einen Menschen das ganze Leben lang. Auch im Sexualkundeunterricht vermittelte Werte und Praktiken bleiben in den Köpfen der Schüler_innen verankert. Wieso kümmert es also erst seit den Teenstar-Leaks jemanden, mit welchen Folgen Jugendliche nach unzureichender Aufklärung zu kämpfen haben? Im November 2018 veröffentlichte die Wochenzeitung der Falter die Teenstar-Leaks. Der fundamentalchristliche Sexualpädagogik-Verein deklarierte unter anderem Homosexualität als heilbar und Masturbation zur Sünde. Nach großem medialem Aufschrei verbannte Bildungsminister Faßmann unter Kurz I Teenstar aus den Schulen Österreichs. Kurz II verkündet im Regierungsprogramm nun, einen Fokus auf „geschlechtersensible Mädchen- und Burschenarbeit“ zu legen. Mit dem Ziel „Kinder und Jugendliche aus patriarchalen Milieus zu stärken und ihre Selbstbestimmung zu fördern“. Soweit, so gut. Einen konkreten Plan, wie mittels Akkreditierungsverfahren „weltanschaulich neutraler und wissenschaftsbasierter“ Unterricht gewährleistet werden kann, gibt es nicht.

Ehe für alle? „Gute Sexualerziehung sollte jungen Menschen helfen, den Wunsch nach Liebe, Ehe und Familie im eigenen Leben umzusetzen“, lautet die Vision der Website sexualerziehung.at, welche Lernmaterialien bereitstellt und ein Partner von Teenstar zu sein scheint. Die dreiste Vermittlung dessen, dass die heterosexuelle Ehe das Hauptziel einer jeden Person sein muss, drängt gleichgeschlechtliche Paare aus der gesellschaftlichen Norm. Dies wiederum vermittelt Kindern erstmals, alles außer Heterosexualität sei abnormal. „Die Ansicht, dass Homosexualität eine Identitätsstörung ist, die geheilt werden kann, war schon in den 1990er-Jahren veraltet“, sagt Paul Haller, Geschäftsführer der Hosi (Homosexuelle Initiative) Salzburg. Wie realitätsnah kann ein cis Mann über hormonelle Veränderung und Gefühlslage während einer Geburt berichten? Und wie authentisch kann eine streng konservative und religiöse Person in einer heterosexuell-monogamen Beziehung über LGBTQIA+ erzählen? Richtig: Gar nicht. Dementsprechend sinnvoll wäre es, LGBTQIA+ Personen selbst über verschiedene Sexualitäten sprechen zu lassen, um queeren Schüler_innen Wissen und ein Gefühl der Akzeptanz zu vermitteln.

„Ja“ oder nur kein „Nein“ – die österreichische Lösung Was ich im Sexualkundeunterricht – den ich im Übrigen nie hatte – gerne vermittelt bekommen hätte? Was sexueller Konsens ist und wie man Konsens früher umsetzt, als mit Anfang 20 inmitten der ersten depressiven Lebenskrise, und wie ich das eingetrichterte höflich und brav sein im Alltag von meinem Sexleben trennen kann. Digitale Abhilfe in diesen Fragen bringt die Instagram-Blase von Stanić, Berger und Kompanie. Die Vice-Chefreporterin Alexandra Stanić veröffentlichte in der ersten Jännerwoche einen Artikel mit dem Titel „Heimlich das Kondom abgezogen: Betroffene erzählen von Stealthing“. Christian Berger, Sprecher vom Frauenvolksbegehren, schaffte basierend auf ebendiesem Sammelwerk an Erlebnissen eine vorübergehende Plattform für Betroffene und veröffentlichte weitere Geschichten seiner Follower_innen. Mit diesen Arbeiten schaffen Journalist_innen ein Stück weit Bewusstsein, doch ein Gesetz, das sexuelles Einverständnis beinhaltet, bleibt vorerst trotzdem aus. In Österreich, Deutschland und der Schweiz gibt es im Strafgesetzbuch keinen Paragrafen, der einen Tatbestand nach ursprünglich einvernehmlichem Sex behandelt. Allerdings gibt es bereits rechtskräftige Fälle, in denen die Täter_innen der Schändung bezichtigt wurden. Über Umwege und mit viel Beharrlichkeit und Mut besteht für Betroffene die Chance, einen Prozess zu gewinnen. Diese Umwege gehören schleunigst gekürzt. Die Devise in Schweden lautet bereits: „Nur Ja heißt Ja!“.

„Niemand kann eine Vulva beschreiben“ „Es herrscht Vulvenaufklärungsbedarf“, titelt der Falter das Interview mit Schauspielerin und Autorin Grischka Voss. Diese erläutert weiters: „Jedes Kind weiß, wie ein Penis aussieht, aber niemand kann eine Vulva genau beschreiben“, und damit hat sie erschreckenderweise mehr als Recht. Auch Parlamentsabgeordnete Stephanie Cox sah es als ihre Pflicht ihren Mitabgeordneten den Teil der Klitoris zu erläutern, welcher von außen nicht sichtbar ist, allerdings 95% des Organs ausmacht und sich in der Vagina befindet. Die Reaktion der männlichen Abgeordneten bestätigte Unwissen und Scham. Eine umfassende Aufklärung der Männer über die weibliche Anatomie würde Situationen wie zum Beispiel die gemeinsame Entscheidung über die Einnahme der Pille (danach) oder die Verwendung eines Präservativs vereinfachen. Dieses Unwissen rührt aus Situationen wie sie zum Beispiel die Studentin Theresa in der Schule erlebt hat: „Bei uns wurden die Burschen zum Fußball spielen rausgeschickt und die Mädchen im kleinen Kreis aufgeklärt, das hatte dann eher den Charakter einer Bestrafung“. Denn genauso wenig wie alle cis Männer wissen, wo und wie sie die Klitoris stimulieren können, wissen alle, was der Eisprung ist, geschweige denn bewirkt. Für unser aller Wohl sollten wir beide Fragen dringend klären.

Die Aufklärung ganzer Schulklassen von der Expertise einer einzigen Lehrkraft und Lerneinheit abhängig zu machen ist zu alledem äußerst risikoreich, also warum nicht ein weiteres Thema aus der Tabu-Kiste locken und öfter über unsere Sexualität sprechen?

AutorInnen: Iris Strasser