„Flüchtlinge sind wie wir. Punkt.“

  • 01.06.2016, 23:17
Drei Filmemacher zeigen in „District Zero“ neben der Erinnerung an das schöne Syrien auch die Realität in einem der größten Flüchtlingscamps der Welt.

Drei Filmemacher zeigen in „District Zero“ neben der Erinnerung an das schöne Syrien auch die Realität in einem der größten Flüchtlingscamps der Welt.

Maamun lebt im jordanischen Zaatari Camp. Eines der größten Flüchtlingscamps weltweit. Laut Angaben der UN-Flüchtlingskommission (UNHCR) leben dort derzeit rund 79.000 SyrerInnen. Maamun ist einer jener Personen, die das Glück haben, ein eigenes kleines Geschäft zu besitzen. Er repariert und verkauft Smartphones. Die drei Filmemacher Jorge Fernández Mayoral, Pablo Tosco und Pablo Iraburu waren im März 2015 in Zaatari und haben Maamun begleitet. „District Zero“ gibt einen Einblick in das Zaatari Camp und zeigt dabei, was sich in Smartphones von Menschen auf der Flucht verbergen kann. Valentine Auer sprach für progress mit Jorge Fernández Mayoral über Erinnerungen, Identitäten und (fehlende) Hoffnungen.

progress: Wie seid ihr auf die Idee gekommen einen Film über eines der größten Flüchtlingscamps weltweit zu machen?
Jorge Fernández Mayoral
: Es hat so begonnen, dass die Hilfsorganisation Oxfam Geld von der Europäischen Kommission erhalten hat, um Flüchtlinge sichtbarer zu machen. Oxfam schrieb daraufhin einen Film-Wettbewerb aus. Wir haben ihn gewonnen. Unsere Idee war, uns auf das Smartphone zu konzentrieren. Wenn dein Haus zerbombt wird, wenn du deine Heimat verlassen musst, ist das Smartphone neben einer Decke eines der wenigen Sachen, die Menschen auf der Flucht mitnehmen. Daher wollten wir eine Geschichte über Identität durch das Smartphone erzählen. Wir wussten, dass es in Zaatari viele Geschäfte gibt. Auch Geschäfte, die Smartphones verkaufen und reparieren. Das war unser Ausgangspunkt für den Film. Einer der drei Regisseure, Pablo Tosco, war als Erster in Zaatari und lernte dort Maamun kennen, unseren Hauptprotagonisten.

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Der Dokumentarfilm zeigt einen Blick in das Flüchtlingscamp Zaatari. Wir sehen im Film auch eine Schule und medizinische Institutionen. Wie wird die Infrastruktur im Flüchtlingscamp organisiert, welche Rolle spielen hier jordanische Behörden?
Wenn ein Flüchtlingscamp errichtet wird, willst du dass es nicht sichtbar ist. Denn ein Flüchtlingscamp zu brauchen, bedeutet, dass es ein Problem gibt. Ein Problem, das gelöst werden muss. Die jordanischen Behörden bezeichnen Zaatari daher nicht als Stadt, auch weil eine Stadt mit Stabilität einhergehen sollte. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass Flüchtlingscamps erschaffen werden, um zu sterben. Aber eigentlich ist es nichts anderes als eine Stadt: Es gibt einen Bürgermeister, es gibt Bezirke – daher auch der Name „District Zero“. Gemanagt wird das Camp jedoch von UNHCR gemeinsam mit lokalen Behörden.

Am Ende des Films erscheint der Satz „der Großteil der Flüchtlinge hat nicht die Möglichkeiten wie Maamun, der jeden Tag sein Geschäft öffnen kann“. Wieso habt ihr euch trotzdem für Maamun als Hauptcharakter entschieden?
Dieser Satz ist für uns ein sehr wichtiger im Film. Maamun hat mehr Möglichkeiten, da er Geld aus Syrien mit ins Camp bringen konnte. Mit diesem Geld hat er einen kleinen Container und seine ersten Smartphones gekauft. Der Großteil der Menschen, die in dieses Flüchtlingscamp kommen, haben aber nichts. Auf den ersten Blick ist es für alle Flüchtlinge das gleiche Problem, auf der Flucht zu sein. Aber hast du ein bisschen mehr Möglichkeiten, dann kannst du leichter damit umgehen.

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In Österreich – aber auch in anderen Ländern – kommt immer wieder die Kritik auf, dass Flüchtlinge gar nicht so arm sein können, sie besitzen ja ein Smartphone …
Diese Aussage ärgert mich sehr. Wie kann man so was sagen? Mittlerweile gibt es nur noch wenige Menschen, die kein Smartphone haben. Und Syrien war vor dem Krieg kein armes Land, wieso sollen die Leute dort kein Smartphone besitzen? Wenn du flüchtest, kannst du sonst nichts mitnehmen. Du musst es ja tragen, du musst viel gehen. Sollen die Menschen ihre Sofas mitnehmen? Natürlich nehmen sie die Smartphones mit. Leute glauben, wenn du ein Flüchtling bist, darfst du gar nichts besitzen. Was soll das? Das ist furchtbar. Man sollte nicht vergessen, dass Flüchtlinge nicht anders sind als andere Menschen. Ja, es gibt MuslimInnen, es gibt ChristInnen. Es gibt diese und jene Traditionen. Aber auch innerhalb Österreichs gibt es unterschiedliche Traditionen, je nach Region. Im Endeffekt sind Flüchtlinge wie wir. Punkt.

Geht es aber um ein Smartphone, habe ich das Gefühl, dass es für Menschen, die sich auf der Flucht befinden, doch wertvoller ist als für mich, die ich in Sicherheit leben kann.
Ja. Ein Smartphone beinhaltet unsere Identität. Das sehen mittlerweile viele Leute so. In diesem Smartphone sind Fotos, Erinnerungen, Kontaktinformationen. Gerade für Flüchtlinge, die einen Teil ihrer Familie oder FreundInnen zurücklassen mussten, ist das Smartphone die einzige Möglichkeit, in Kontakt zu bleiben. Aber es ist noch mehr. Wir haben versucht mit dem Smartphone, mit den Erinnerungen und den Identitäten, die in diesem Smartphone sind, Fragen zu stellen: Wer bin ich? Wo will ich hin im Leben? Wo werde ich mein Leben verbringen? Für Flüchtlinge sind Antworten auf diese Fragen dramatisch: Ich bin kein Syrer, ich bin kein Jordanier. Ich bin ein Flüchtling. Das ist die neue Identität. Aber was heißt es, ein Flüchtling zu sein, kein zu Hause zu haben? Das ist ein weiterer Teil unseres Dokumentarfilms: Wir wollen über die unvorstellbare Normalität, ein Flüchtling zu sein, sprechen.

Maamun wird für einige in Zaatari lebende Menschen wichtig. Er repariert und verkauft Smartphones. Nach einiger Zeit besorgt er sich einen Photo-Drucker. Wie haben die Menschen in Zaatari auf seine Neuanschaffung reagiert?
In unserem Dokumentarfilm wollten wir Hoffnung zeigen. Aber es gab und gibt nicht wirklich Hoffnung in Zaatari. Ich sprach mit Maamun und fragte ihn, was er sich für die Zukunft seines Geschäftes wünscht. Er meinte, dass er mit einem Drucker vielleicht ein gutes Geschäft machen könne. Diesen Drucker haben wir verwendet, um die Hoffnung zu zeigen. Er ist ein Symbol für Hoffnung. Der Drucker zeigt eine Transformation – vom Digitalen zum Realen. Wenn Menschen hoffnungslos sind, ist ein Photo einer geliebten Person ein Stück weit Realität. Mittlerweile wird Maamuns Drucker zu einem großen Teil für ID-Karten verwendet. Aber zu Beginn haben die Menschen Erinnerungsfoto von der Familie, den Freunden gedruckt. Kurz: Von Erinnerungen, die ein schönes Syrien zeigen. Niemand wollte den Krieg drucken, obwohl die Smartphones der Geflüchteten voll mit Kriegsphotos sind. Aber das ist ja nicht überraschend, natürlich willst du dich an das Gute erinnern.

Valentine Auer arbeitet als freie Journalistin in Wien.

AutorInnen: Valentine Auer