„Das zentrale Element ist die Beziehung“

  • 20.06.2017, 20:50
Ohne Anschluss an gleichaltrige ÖsterreicherInnen haben es junge Flüchtlinge schwer. Patenschaften mit StudentInnen verhelfen zu einem gelungenen Neustart.

Ohne Anschluss an gleichaltrige ÖsterreicherInnen haben es junge Flüchtlinge schwer. Patenschaften mit StudentInnen verhelfen zu einem gelungenen Neustart.

Ich bin mit zwei jungen Männern verabredet, die mir von ihrer Freundschaft erzählen wollen. Als Treffpunkt haben wir das Gartenbaukino gewählt, weil sie bei ihrer ersten Verabredung auch im Kino waren und Kung Fu Panda gesehen haben. Yousef ist 23, hat einen melancholischen Blick und trägt einen dichten Bart. Manuel ist 22 und man sieht ihm seine Freundlichkeit auf den ersten Blick an. Ich sehe sie, bevor sie auf mich aufmerksam werden und kann die Vertrautheit zwischen den beiden schon von weitem erkennen.

Im Sommer 2014 hat Yousef seine Heimat Syrien verlassen. Das Regime von Baschar al-Assad hatte ihn mit 20 Jahren festgenommen und für ein Jahr und sechs Monate ins Gefängnis gesteckt. Danach hielt ihn nichts mehr in Damaskus. Als er das Land verlassen hatte, wurden auch seine Mutter und sein Bruder verhaftet. Den Grund seiner Festnahme kennt er bis heute nicht. Wahrscheinlich hat jemand gemerkt, was er von Assad hält.

Ein Jahr später, im Sommer 2015, ist Manuel das erste Mal auf die Situation von Flüchtlingen aufmerksam geworden. In St. Pölten, wo er mit seinen Eltern lebt, hat er davon nichts gemerkt, aber in Wien waren die vielen neu ankommenden Menschen nicht zu übersehen. Als er nach einer Möglichkeit suchte mitzuhelfen, die Situation der „Neuen Österreicher“, wie Manuel sie gerne nennt, zu verbessern, hat er von dem Projekt „Connecting People“ gehört.

CONNECTING PEOPLE. Dabei handelt es sich um eines der Patenschaftsprojekte für junge Flüchtlinge in Wien. Seit 2001 arbeitet ein kleines Team der NGO „Asylkoordination Österreich“ daran, Jugendliche, die neu in Österreich sind und sich eine Bezugsperson wünschen, an ÖsterreicherInnen zu vermitteln. Ähnliche Projekte gibt es auch von der Caritas, der Volkshilfe und dem Integrationshaus.

Was eine Patenschaft ist und wie sie sich gestaltet, ist offen. „Das zentrale Element ist die Beziehung“, sagt Klaus Hofstätter, der das Projekt leitet: „Für uns ist nicht diejenige Patenschaft die beste, wo man sich jeden Tag trifft, sondern die, in der beide Beteiligten das bekommen, was sie sich von einer Patenschaft erwarten.“ Das kann von Fall zu Fall unterschiedlich ausfallen. Manche brauchen Unterstützung beim Deutschlernen, andere einfach jemanden, der oder die ihnen Wien zeigen kann. Wieder andere suchen wirklich eine enge Bindung und eine Patenschaft kann dazu führen, dass eine enge Freundschaft entsteht.

GELUNGENER START. Bei Manuel und Yousef scheint der Begriff Patenschaft jedenfalls unpassend. Es ist längst eine Freundschaft entstanden. „Yousef ist ein sehr offener, zugänglicher Mensch. Das hat ihm auch selbst den Start in Wien leichter gemacht“, erklärt Manuel. Mittlerweile hat Yousef Asyl bekommen und einen Job als Mechaniker gefunden. Sein Chef kommt wie er aus Syrien. Jeden Vormittag geht er drei Stunden in den Deutschkurs. Sein Chef ermöglicht das, weil es ihm wichtig ist, dass Yousef mit Deutsch schnell vorankommt. Schließlich muss der Laden auch laufen, wenn der Chef nicht da ist.

Obwohl Yousef sich seinen Start in Wien mit viel Selbstständigkeit erkämpft hat und soweit alles ganz gut läuft, ist es für ihn in vielen Situationen eine große Unterstützung, eine Bezugsperson zu haben. Das fängt schon bei Kleinigkeiten wie der Post an. „Wenn ich etwas nicht verstehe, weiß ich nicht einmal, ob es wichtig ist oder nicht“, erklärt er. „Bei manchen Briefen vom Sozialamt tu ich mir selbst schwer, zu wissen, was man von ihm verlangt“, sagt Manuel. Auch zum Interview vor der Asylbehörde, wo Yousef zu seinen Fluchtgründen befragt wurde, hat Manuel ihn begleitet. „Wenn Manuel mitkommt, habe ich nicht so viel Angst“, erzählt Yousef. Nach einer Stunde war das Interview überstanden und drei Monate später kam der positive Bescheid per Post.

PATENENSCHAFT FUNKTIONIERT. Die meisten Patenschaften, die das Team von „Connecting People“ bisher vermittelt hat, betreffen unbegleitete minderjährige AsylwerberInnen. Jugendliche, die oft mehr brauchen als nur Obsorgeberechtigte vom Jugendamt und die Betreuung im Asylquartier. Sie wünschen sich oft tatsächlich eine Familie. Bei unter 18-Jährigen sind deshalb die Erwartungen Erwartungen an die PatInnen meist weit höher als bei jungen Erwachsenen. Seit 2012 vermittelt die „Asylkoordination Österreich“ in einem eigenen Projekt auch Patenschaften für junge Erwachsene.

Wer sich für eine Patenschaft interessiert, wird in sechs Seminartagen eingeschult. Es geht um Themen wie das Asylverfahren, die Unterbringung und den Alltag sowie psychische Belastungen von AsylwerberInnen. Klaus Hofstätter geht nach seinem Gefühl, wenn er aussucht, welche PatInnen er welche Jugendlichen vorstellt. Es kommt durchaus auch mal vor, dass eine Patenschaft nicht funktioniert, die Chemie nicht stimmt. Das ist aber in Ordnung. Für PatInnen sind Klaus Hofstätter und seine KollegInnen immer erreichbar und im ersten Jahr gibt es regelmäßige Treffen aller PatInnen, um sich auzutauschen und auch Rat zu bekommen, wenn es nötig sein sollte.

Über 700 Patenschaften hat „Connecting People“ seit dem Projektstart 2001 vermittelt. Die meisten davon im Jahr 2016. „Nachdem wir normalerweise 40 bis 70 Patenschaften im Jahr vermitteln, waren es 2016 stolze 170“, sagt Hofstätter und meint abschließend: „In letzter Zeit wären mehr Patenschaften aber durchaus wünschenswert.“

Johannes Pucher studiert den Master Journalismus & Neue Medien an der FH WKW in Wien.

AutorInnen: Johannes Pucher