Universität

Hört auf, so lange ihr noch könnt!

  • 25.03.2015, 17:46

Leistungsdruck, Versagensängste und prekäre Anstellungsverhältnisse: Zahlt es sich überhaupt noch aus, zu studieren? progress hat mit Studis gesprochen, die die Entscheidung für die Uni anzweifeln – aus guten Gründen.

Leistungsdruck, Versagensängste und prekäre Anstellungsverhältnisse: Zahlt es sich überhaupt noch aus, zu studieren? progress hat mit Studis gesprochen, die die Entscheidung für die Uni anzweifeln – aus guten Gründen.

Jung, erfolgreich und immer lächelnd. So werden Studierende auf den Webseiten von Universitäten, Fachhochschulen und Absolvent_innenvereinen gemeinhin dargestellt. Doch hinter den Kulissen spielen sich ganz andere Geschichten ab. Verbitterte Mienen und frustrierte Gesichter passen jedoch nicht in die Happy-Pepi-Welt der universitären PR-Abteilungen. „Hätte ich nicht studiert, hätte ich nicht drei Jahre meines Lebens weggeworfen“, resümiert Nina ihre akademische Laufbahn. Damit ist sie nicht alleine. Obwohl ihre Generation wohl die am besten ausgebildete, die internationalste und vielsprachigste ist, die jemals nach Hörsaal und Praktikum an die Pforten der Arbeitswelt geklopft hat, gibt es jene, die es bereuen, ein Studium begonnen oder auch absolviert zu haben. Unsere Gesprächspartner_innen, die von enttäuschten Erwartungen und Zukunftsängsten berichten, wollten anonym bleiben – für die Selbstdarstellung am Arbeitsmarkt sind ihre Geschichten wohl nicht förderlich. Wir haben im Folgenden daher alle Namen geändert.

WEGGEWORFENE ZEIT. Für Nina waren die drei Jahre, die sie studiert hat, schlichtweg weggeworfene Zeit. Ihre pädagogische Ausbildung musste sie kurz vor dem Abschluss aufgrund von Differenzen mit ihrem neuen Praxis-Betreuer abbrechen. „Er war der Meinung, es sei grob fahrlässig, mir einen Abschluss zu geben. Ich hätte die Praxis zwar wiederholen können, doch er versicherte mir, dass er mich nie durchlassen würde. Das Studieren ist für mich endgültig gestorben.“

Evas Lehramtsstudium war noch während der Studieneingangsphase zu Ende. Bereits am ersten Tag hatte sie ihre Entscheidung bereut. In kaum einer Vorlesung bekam sie einen Sitzplatz und wenn sie mal eine Vorlesung verpasste, hieß es von den Kolleg_innen nur: Pech gehabt! „Niemand wollte mir helfen, da jede_r froh war, wenn einmal die Hälfte fliegt und endlich jede_r einen Sitzplatz hat.“ Die Entscheidung, mit dem Studium aufzuhören, wurde ihr dann ohnehin abgenommen: Ein zweimaliges Durchfallen in der Pädagogik-Vorlesung mündete in einer lebenslänglichen Sperre für alle Lehramtsstudien. Auf Umwegen wurde Eva schlussendlich auf einem Kolleg für Sozialpädagogik glücklich.

Lucia bereut es, mit ihrem Studium an der Universität für Bodenkultur überhaupt begonnen zu haben. Der intellektuelle Anspruch gehe gegen Null: „Prüfungen bestehen in meinem Studium zu fünfzig Prozent aus stupidem Auswendiglernen des Skriptums, zu vierzig Prozent aus stupidem Reinsaugen eines Fragenkataloges und nur für die restlichen zehn Prozent muss mensch sich vielleicht wirklich ein paar eigene Gedanken machen. Das ist für mich allerdings keine Art, ein Studium zu absolvieren.“

Multiple-Choice-Tests, Knock-Out-Prüfungen, schlechte Betreuungsverhältnisse und eine unreflektierte Auseinandersetzung mit dem Stoff sind gängige Praxis. Viele Studienanfänger_innen bringen allerdings eine gänzlich andere Erwartungshaltung mit. Auch Eltern, ältere Geschwister, Bekannte und Lehrer_innen haben in vielen Fällen wenig Ahnung von der heutigen Studienarchitektur und den, mit Verlaub, oftmals beschissenen Studienbedingungen.

GEH AUF DIE UNI, HAM’S G’SAGT. Anna meint zurückblickend, sie hätte sehr glücklich werden können, wenn sie mit 16 eine Ausbildung zur Floristin gemacht hätte. Bezüglich ihrer abgebrochenen Ausbildung an einer Kunstuniversität berichtet sie von Zuständen, die einem Bootcamp ähneln, von Professor_innen, die Studis demütigen und Auseinandersetzungen, die oft in Tränen endeten. „Für mich und meine Familie war es jedoch undenkbar, etwas anderes als Matura zu machen und anschließend zu studieren.“

Annas Erzählung erinnert stark an eine Studie von Gabriele Theling aus den 80ern, die sich unter dem Titel „Vielleicht wär’ ich als Verkäuferin glücklicher geworden“ den schwierigen Bedingungen für Studentinnen aus Arbeiter_innenfamilien widmete. Die soziale Selektivität des österreichischen Bildungssystems ist bis heute von ungebrochener Aktualität, denn Bildung wird nach wie vor vererbt. Laut der aktuellen Statistik-Austria-Publikation „Bildung in Zahlen“ erreichen mehr als die Hälfte der 25- bis 44-Jährigen aus Haushalten, in denen ein Elternteil über einen akademischen Abschluss verfügt, ebenso einen solchen Abschluss. Unter Personen aus bildungsfernen Haushalten hingegen (mit Eltern, deren höchster Abschluss die Pflichtschule ist) erreichen nur etwa 6 Prozent einen akademischen Abschluss. Während es bei den einen um die Finanzierung des nächsten Urlaubes geht, geht es bei anderen um die Finanzierung des vollen Kühlschrankes.

Steht auf der einen Seite die Unmöglichkeit oder Unvorstellbarkeit zu studieren und in eine fremde Welt einzutauchen, so sprechen andere Geschichten die Kehrseite der Medaille an. Aus der Chance zu studieren wird die Erwartung zu studieren, beziehungsweise wird das Studium zur vermeintlich einzigen Option für eine erfolgreiche Lebensgestaltung. Die jetzige BOKU-Studentin Lucia erinnert sich an die Worte ihres Gymnasiallehrers zurück: Fachhochschulen seien für Menschen, die nicht selbst denken wollten, die es einfach haben wollten. Natürlich könne man diesen einfachen Weg gehen, wenn man sich einem „echten“ Studium nicht gewachsen fühle. 

Vor allem abseits der Ballungszentren mit vielen Wahlmöglichkeiten erscheinen die Bildungswege für viele Kinder aus Familien mit dem entsprechenden sozialen und finanziellen Hintergrund vorgefertigt. „Volksschule, Gymnasium und Matura. Was nun? Nach einem Abschluss am Gymnasium muss mensch ja studieren, um überhaupt Chancen am Arbeitsmarkt zu haben“, beschreibt Lucia ihre Entscheidung, an der Uni zu inskribieren.

Am vermeintlich vorbestimmten Weg kommt jedoch häufig eine gewisse Orientierungslosigkeit auf. Peter berichtet, nach einigen Jahren Berufstätigkeit eigentlich aus Langeweile sein Kunstgeschichte-Studium begonnen zu haben. Nach dem Bachelor entschied er sich, leider, wie er nun sagt, für den scheinbar einfachsten Weg und hing den Master dran. Auch weil ihm seine Eltern ständig im Ohr lagen und den Abschluss von ihm erwarteten – am besten mit Dissertation hinten nach.  

KRIEGST AN GUTEN JOB, HAM’S G’SAGT. Doch nicht nur schlechte Studienbedingungen oder die vermeintlich fehlende Alternative zum Studium bereiten Kopfzerbrechen. Amir machte sein Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft immer sehr gerne. Nebenbei schloss er auch noch in Politikwissenschaft ab. Von Anfang an wusste er genau, welche Inhalte er sich herausnehmen und was er damit machen will. Heute rät Amir jedoch dringend von geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern ab: „Wenn ich mir im Nachhinein ansehe, wie viel Aufwand ich für mein Studium betrieben habe und was ich jetzt davon habe – es rechnet sich einfach nicht.“ Während des Studiums lebte Amir unter schwierigen Bedingungen, kam gerade noch so über die Runden. Und nach dem Studium war er erst mal jahrelang auf Arbeitssuche. Mit jeder Absage nahm auch der seelische Druck zu. „Bin ich denn unbrauchbar? Was habe ich im Leben falsch gemacht? Je länger der ersehnte Erfolg ausbleibt, desto tiefer dreht sich die Spirale nach unten, desto belangloser wird das Leben.“ Sein Fazit: Im Nachhinein würde er sich in Jus, Medizin oder einem technischen Studium besser aufgehoben fühlen. Geistes- und Sozialwissenschaftler_innen würden in der Gesellschaft zu wenig honoriert und trotz ihrer Relevanz als „unbrauchbar“ abgestempelt.

Ein Problem, das auch Alina mit ihrem Medienwissenschafts- und Germanistikstudium nur zu gut kennt: „Es fällt mir zunehmend schwer, meinem Studium irgendeinen Wert zuzugestehen, wenn mir selbst von anderen Studierenden immer wieder gesagt wird, wie nutzlos es ist. Natürlich ist ein Studium nie umsonst und es hat mich bestimmt zu einem besseren Menschen gemacht, aber mit einer reflektierten Persönlichkeit kann man halt nicht die Miete zahlen.“ Daher rät sie ihren möglichen Nachfolger_innen: „Brecht euer Studium ab, bevor es zu spät ist! Wenn mensch noch nicht so lange wie ich drin ist, hat man noch die Möglichkeit, auszusteigen und doch noch eine Ausbildung anzufangen. Ich könnte mir vorstellen, dass eine Ausbildung zur Köchin oder Gärtnerin mir sehr viel mehr Freude bereitet hätte.“

NO FUTURE UND WIE WEITER? Aus Angst und Verzweiflung hat Denise bereits Tränen vergossen. Freitagabends sitzt sie mit ihrem Laptop am Bauch an ihrer Masterarbeit für ihr Soziologiestudium. „Das Arbeitsleben betreffend habe ich Angst, dass mich niemand will, dass mich die Arbeit nicht glücklich machen wird, dass ich mir selbst nicht genug sein werde. Aber leider will es sich nicht in mein Hirn einbrennen, das sich mein Wert nicht durch meinen Arbeitswert bestimmt. Leider hab ich Angst davor, dass sich das nicht ändert, so arg dass ich nicht schlafen kann.“ 

Franz Oberlehner, Leiter der Psychologischen Beratungsstelle für Studierende in Wien, spricht bei solchen Fällen von der Studienabschlussproblematik: „Für manche kann es sehr schwierig sein abzuschließen, weil oft nicht klar ist, was einen danach erwartet. Dies kommt aber nicht nur bei geistes- und sozialwissenschaftlichen Studierenden vor. Selbst bei Medizin oder technischen Studien gibt es häufig Ängste vor dieser Schwelle. Das hat natürlich damit zu tun, dass der allgemeine Druck ständig größer wird“. Laut aktueller Studierenden-Sozialerhebung leidet fast ein Drittel der Studierenden unter Leistungsdruck und Versagensängsten, ein Fünftel unter Existenzängsten und depressiven Stimmungen. „Der Mythos vom studentischen Lotterleben war schon immer da und schon immer falsch. Aber die Studierenden internalisieren ihn mehr als früher. Sie kommen sich so vor, als würden sie nichts leisten“, so Oberlehner.

Auswege aus den unzähligen individuellen Krisen sind kaum zu formulieren. Sie alle sind Produkt einer Gratwanderung zwischen relativer Selbstbestimmung und dem Zurechtkommen in einer Gesellschaft, die sich zunehmend entlang ökonomischer Verwertbarkeit ausrichtet. Unter diesen Umständen eine Portion Selbstironie und Sarkasmus zu bewahren, fällt schwer. Die studierte Historikerin Stefanie Schmidt scheint jedoch genau darin ein Rezept gefunden zu haben, um mit der vermeintlich ausweglosen Situation klar zu kommen. In der taz schreibt sie in ihrer pointierten Abhandlung zum arbeitslosen Akademiker_innen-Dasein: „Nach 400 Bewerbungen jedenfalls weiß ich nicht mehr, wer oder was ich eigentlich bin oder sein will. Gestern Unternehmensberaterin, heute Sozialarbeiterin, morgen Feuerwehrmann? […] Das Resultat dieser Tortur ist, dass sich neben dem Ego noch zwei weitere entwickeln, von denen eines denkt, warum bist du damals nicht zur Fremdenlegion gegangen?“

 

Klemens Herzog studiert Journalismus und Neue Medien an der FH der Wirtschaftskammer Wien.

Einstürzende Neubauten

  • 04.02.2015, 16:40

Von maroden Hörsälen bis zu herabfallenden Fassaden – Österreichs Unigebäude sind nicht gerade in Topform. Wer ist hier zuständig und wie viel kostet das Ganze eigentlich?

Von maroden Hörsälen bis zu herabfallenden Fassaden – Österreichs Unigebäude sind nicht gerade in Topform. Wer ist hier zuständig und wie viel kostet das Ganze eigentlich?

2. Jänner 2015: Vom „Learning Center“ der neuen WU fällt eine 80 Kilo schwere Betonplatte. Das Gleiche ist ein halbes Jahr zuvor – im Juli 2014 – schon einmal passiert. Der Campus der WU wurde erst im Herbst 2013 eingeweiht, nun sieht der Vorplatz der Bibliothek wieder wie eine Baustelle aus: Ein Gerüst soll vor weiteren herabstürzenden Fassadenelementen schützen, bis die Ursachen endgültig geklärt sind. Herabfallende Fassadenteile sind an Österreichs Universitäten nicht unbedingt eine Seltenheit: Im Herbst 2012 fiel etwa eine Fensterscheibe aus dem zweiten Stock des Türkenwirt-Gebäudes der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU). Auch hier steht seitdem ein Gerüst, das die Studierenden vor ihrer eigenen Universität schützen soll. Und auch hier kam durch die fallende Fensterscheibe glücklicherweise niemand zu Schaden.

Diese doch recht dramatischen Beispiele illustrieren, womit Studierende alltäglich konfrontiert sind: Österreichs Universitätsgebäude sind nicht in bestem Zustand. Zwar stürzen nicht ständig Betonplatten von allen Universitäten zu Boden, aber die Liste der Beschwerden ist doch lang: Sie reicht von zu wenig Lern- und Gruppenräumen über inadäquate Toiletten bis hin zu groben baulichen Mängeln, beispielsweise im Fall von Türen, die ständig kaputt gehen, weil sie nicht für die hohe Frequenz an ein- und ausgehenden Studierenden ausgelegt sind. Hinzu kommt, dass viele Universitätsgebäude nicht barrierefrei sind. Der Klassiker ist die Klage über zu kleine Hörsäle, die an manchen Hochschulen schon wenige Jahre nach ihrer Entstehung ertönt.

MIETKARUSSELL. Was sind die Ursachen für bauliche Mängel? Warum kriegen es die österreichischen Universitäten nicht hin, ihren Studierenden genug Platz und annehmbare Konditionen zum Lernen und Studieren zu bieten? Viele von uns würden mit dem ewigen Mantra, das die österreichische Hochschullandschaft seit vielen Jahren begleitet, antworten:Es fehlt den Universitäten einfach an Geld, um ihre Gebäude zu erhalten oder neue zu errichten. Aberso einfach ist das mit „ihren Gebäuden“ nicht. Die wenigsten Universitäten besitzen die Gebäude, die sie benutzen, selbst. Als die Unis im Jänner 2004 in die sogenannte „Autonomie“ entlassen wurden, haben sie zwar die Hoheit über ihr Finanzgebahren erhalten, die Gebäude blieben jedoch im Besitz einer GmbH: die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG).

(c) Mafalda Rakoš

Die BIG, die in die drei Unternehmensbereiche Universitäten, Schulen und Spezialimmobilien gegliedert ist, ist Vermieterin von beinahe allen Universitätsgebäuden Österreichs. Sie steht zu 100 Prozent im Eigentum der Republik Österreich. Dabei kommt es zu einer paradoxen Situation: Der Bund vergibt in Form von Steuergeldern finanzielle Mittel an die Universitäten, die wiederum diese Gelder als Mieten an die Bundesimmobiliengesellschaft zahlen. Die Mieteinnahmen fließen in der Folge wieder dem Bund selbst zu. Das Geld wird also einmal im Kreis herumgereicht, mit der BIG als mittlere Instanz. Und wenn Geld von einem Konto auf das nächste wandert, wird es natürlich nicht mehr, sondern weniger. Es fallen schließlich Bankgebühren, Verwaltungs- und Transaktionskosten an.

355 MILLIONEN. Die BIG wurde im Jahr 1992 gegründet und löste damit die Bundesgebäudeverwaltung (beziehungsweise die Bundesbaudirektion Wien) ab. Die BIG verwaltet seither den überwiegenden Teil der Immobilien der Republik Österreich. Damals wurde argumentiert, eine staatliche Verwaltung sei zu ineffizient und führe zu langen Wartezeiten bei Bauprojekten, Schwierigkeiten bei der Verwertung nicht mehr benötigter Gebäude und mangelndem Kostenbewusstsein. Das Bewusstsein für die Kosten eines Gebäudes fehlte offenbar sowohl bei den Benutzer_innen der Gebäude als auch bei der Bundesgebäudeverwaltung. Bis 1992 war die Benutzung der Gebäude durch öffentliche Stellen – wie zum Beispiel Universitäten – nämlich kostenlos. Mit der Gründung der BIG änderte sich das: Sie handelte mit den einzelnen Mieter_innen Mieten zu marktüblichen Preisen aus. Bis zum Jahr 2000 verwaltete die BIG zunächst nur Schulen und Universitäten, dann wurde ihr zu einem Preis von 2,4 Milliarden Euro das Eigentumsrecht an fast allen Bundesgebäuden übertragen. Heute betreut die BIG mit ihren Tochtergesellschaften 2.800 Gebäude, die ungefähr einen Wert von neun Milliarden Euro ausmachen. Ungefähr 23 Prozent dieser Gebäude werden von Universitäten genutzt. Die Bundesimmobiliengesellschaft ist die erste Ansprechpartnerin für die Mieter_innen, sie wickelt Bauvorhaben ab, regelt Miet- und Vertragsverhältnisse und kümmert sich um die Instandhaltung ihrer Gebäude. Unter der schwarz-blauen Koalition wurden 2000 ein weiteres Mal die Rechte der BIG erweitert: Mit dem „Bundesimmobiliengesetz zur Verwertung nicht mehr benötigter Liegenschaften“ ist es der BIG nun auf höchster Ebene gestattet, Teilbereiche von universitären Gebäudekomplexen zu verkaufen – etwa an zahlungskräftige Privatinteressent_innen.

Ebenso wie die BIG Gebäude an Private verkaufen kann, können die Unis auch andere Vermieter_innen finden. Allerdings gehören 90 Prozent aller Unigebäude der BIG. Einige Unis besitzen selbst einzelne Grundstücke, so zum Beispiel die Veterinärmedizinische Universität (VetMed): „Das Lehr- und Forschungsgut im Bezirk Baden in Niederösterreich, bestehend aus vier landwirtschaftlichen Betrieben, gehört der VetMed selbst“, erklärt Doris Sallaberger vom Büro des Rektorats der VetMed.

(c) Mafalda Rakoš

Trotzdem muss die VetMed ungefähr 33 Prozent ihres Globalbudgets für Mieten aufbringen – der höchste Anteil aller Unis. Insgesamt mussten die Unis 2013 etwas mehr als 355 Millionen Euro an Miete zahlen. Wie viel Miete die einzelnen Universitäten zahlen, ist dabei sehr unterschiedlich. „Die Lage ist sehr entscheidend, denn jede Uni hat einen eigenen Mietvertrag mit der BIG“, legt Wolfgang Nedobity dar, der bei der Österreichischen Universitätenkonferenz (UNIKO) für Gebäude- und Infrastrukturfragen zuständig ist. Relativ gesehen kommen die BOKU und die TU Wien am zweitschlechtesten weg: Fast 22 Prozent ihres Globalbudgets müssen die technisch-naturwissenschaftlichen Unis für Mieten ausgeben.

HERUNTERKRACHENDE STUDIERENDE. An der BOKU wird derzeit von der BIG das Hauptgebäude renoviert. Damit trotzdem Lehrveranstaltungen abgehalten werden können, ist die „Universität des Lebens“ in die Augasse gezogen. Das klingt ein bisschen nach Hobbit-Romantik, dieser temporäre Standort ist aber in Wirklichkeit der Betonklotz der alten WU. Manche Hörsäle und Büroräumlichkeiten kann die BOKU ohne Mehrkosten nutzen, für das Audimax der alten WU muss sie jedoch extra Miete zahlen, da sie in ihrem Hauptgebäude keinen so großen Hörsaal besitzt. Wohlgemerkt würde dieser Hörsaal ansonsten einfach nur leer herumstehen, wie große Teile der alten WU es momentan tun. Immerhin müssen die BOKU-Erstsemestrigen nicht mehr in ein Großkino am anderen Ende der Stadt fahren, um ihre Vorlesungen zu hören. So richtig zufrieden sind die Studierenden mit ihrem „Ausweichquartier“ aber dennoch nicht: „Es ist bereits mehrmals während der Vorlesungen passiert, dass die Stühle einfach so zerbrachen; die Studierenden purzelten dann mit lautem Krachen runter“, erzählt Simon, der sich auch über fehlende Infrastruktur wie WLAN oder Uhren beklagt: „Ein Lehrender bringt immer selbst eine Wanduhr mit, damit alle die Zeit im Blick haben.“ Auch wenn manche BOKU-Studierende die gute Verkehrsanbindung oder den „post-apokalyptischen Charme“ der Augasse schätzen, so klagen doch beinahe alle über die Klimaanlage, die auch im Winter für arktische Temperaturen in den Hörsälen sorgt.

Pro Studierende_r zahlt die BOKU insgesamt circa 2.050 Euro im Jahr Miete. Damit liegt sie im oberen Mittelfeld, noch mehr zahlen vor allem die künstlerischen Unis, die mit niedrigen Studierendenzahlen und großem Flächenanspruch in dieser Wertung natürlich ziemlich schlecht abschneiden. Das günstigste Verhältnis von Studierenden zu Mieten hat die einzige „Universität“ Österreichs, die auch ihr eigenes Gesetz hat: die Universität für Weiterbildung in Krems zahlte 2013 pro Studi nur 120 Euro Miete, allerdings nicht an die BIG, sondern an das Land Niederösterreich, das die Gebäude für die Donau-Uni bereitstellt.

(c) Mafalda Rakoš

So unterschiedlich die Ansprüche der einzelnen Unis an ihre Gebäude sind, so unterschiedlich entwickeln sich auch ihre Mieten: Vom Jahr 2012 auf das Jahr 2013 war von Steigerungen von bis zu 19 Prozent (JKU Linz) und Minderungen von bis zu zehn Prozent (WU – trotz des Umzuges auf einen neuen Campus) alles dabei. Auch die Erfahrungen der Unis mit der BIG sind höchst unterschiedlich.

Die BIG ist nämlich föderal strukturiert. Die Zentrale in Wien hat jedoch für jedes Bundesland eigene Betreuer_innen, die mit den Universitäten vor Ort zusammenarbeiten; „mehr oder weniger“, wie Reinhold Strasser, Leiter der Abteilung Gebäude und Technik der Paris Lodron Universität Salzburg sagt. Die Zusammenarbeit der Zentrale mit den Salzburger Landesstellen sei problematisch. Kleinste Gebäudereparaturen müssten jedes Mal zuvor in Wien genehmigt werden. Auch die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den Universitäten und der BIG selbst sei ausbaufähig. Ein Beispiel, das absurd klingt, aber die Causa veranschaulicht wie kein zweites, sind Doppelfenster: Bei Reparaturen von Fenstern ist die BIG für die äußere Fensterscheibe, die Uni für die innere zuständig. Dabei handle es sich um eine normale Klausel des Mietgesetzes, wie progress von den Universitäten immer wieder versichert wurde. Wie sinnvoll diese im universitären Alltag ist oder ob sie gar zur angestrebten Kosteneffizienz führt, ist fraglich.

BUNDESLUXUSWOHNUNGEN. Einen ärgeren Konflikt tragen die Studierenden der Universität für Musik und darstellenden Kunst Wien (mdw) mit der BIG aus: Auf der Homepage der Hochschüler_innenschaft der mdw werden Bauspekulation und BIG in einem Satz erwähnt. Darunter sind jede Menge Fotos einer Brachfläche, die an einen Gebäudeflügel der Uni angrenzt. Augenscheinlich eine Baustelle: Rote, gelbe und blaue Container sind darauf zu sehen, umgrenzt von einem grauen Stahlzaun. Bevor die Container auftauchten, gab es uniinterne Bestrebungen, die ohnehin schon begrenzte Nutzfläche der Universität durch die Bebauung dieser anschließenden Brachfläche zu vergrößern: Immer wieder waren solche Pläne aber aus Gründen des Denkmalschutzes abgelehnt worden. Nun hat die BIG, der die Liegenschaft in der Beatrixgasse 11-17 gehört, diese an eine Firma namens „Beatrixgasse 11-17 GmbH“ verkauft – einer Tochter der ARE Development GmbH, die wiederum eine Tochter der BIG ist. 31 Luxuswohnungen mit Blick auf den Stephansdom sollen hier nun gebaut werden.

Die Universität für Musik und darstellende Kunst bietet diverse Instrumentalstudienrichtungen an. Elementarer Bestandteil ist das regelmäßige Üben. Laut Hochschüler_innenschaft laufen aktuell schon täglich Beschwerden von Anrainer_innen, die sich durch die lauten Proben der Studierenden gestört fühlen, bei der Universität ein. Kommt demnächst ein neuer Wohnbau in unmittelbare Nähe der Uni, könnten die ohnehin schon begrenzten Probezeiten ein weiteres Mal gekürzt werden.

(c) Mafalda Rakoš

WIDERSTAND. Studentischer Widerstand gegen BIG-Projekte ist aber nichts Neues: Mitte der 2000er-Jahre kämpfte das selbstverwaltete TüWi-Lokal gegen Pläne der BOKU, das Gebäude (und damit die Grundlage des Lokals und des angeschlossenen Hofladens) der BIG zu überlassen. Dies war nämlich in den Leistungsvereinbarungen festgehalten worden. Der Protest wirkte: Das TüWi, das offiziell auf Flächen der ÖH BOKU (die diese widerum von der BOKU zur Verfügung gestellt bekommt, die sie von der BIG anmietet) steht, blieb. Und wird auch nach dem geplanten Abriss und Neubau des Gebäudes wieder einziehen dürfen.

2013 forderte die UNIKO, dass die BIG sämtliche Unigebäude an die Universitäten zurückgeben sollte, damit diese von der Last der hohen Mieten befreit werden und es auch leichter haben, Kredite aufzunehmen. Heute will von dieser Forderung fast keine Uni mehr etwas wissen: „Die Probleme der Finanzierung der Gebäudeerhaltung bleiben gleich und das was die Universitäten jetzt für die Mieten vom Bund bekommen, würde dann eben nicht mehr gezahlt werden. Tatsache ist aber, dass die Konstruktion Eigentümerin BIG – Mieterinnen Universitäten auch nicht sinnvoll ist, da hier Geld gewissermaßen im Kreis geschickt wird und letztlich profitieren davon die Banken“, erklärt die Rektorin der Akademie der Bildenden Künste, Eva Blimlinger.

Die BIG war bis zu Redaktionsschluss nicht für eine Stellungnahme zu haben. Aber ob mit oder ohne sie: Probleme an Unigebäuden werden letzten Endes nur durch eine höhere Finanzierung gelöst werden können.

 

Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.

Anne Schinko studiert Politikwissenschaft und Geschichte an der Universität Wien.

Wer hat uns verraten? - Proteste gegen die Regierungsangelobung

  • 17.12.2013, 18:20

Gegen die Auflösung eines eigenen Wissenschaftsressorts durch die neue Regierung entsteht breiter Widerstand. Dieter Diskovic berichtet von der Demonstration gegen die Regierungsangelobigung und die Trauerkundgebung der ÖH vor dem Wissenschaftsministerium.

Gegen die Auflösung eines eigenen Wissenschaftsressorts durch die neue Regierung entsteht breiter Widerstand. Die Regierungsangelobung der Koalition aus SPÖ und ÖVP in der Wiener Hofburg wurde von einem gellenden Pfeifkonzert begleitet. Anschließend wurde die freie Wissenschaft von Aktivist_innen vor dem  Wissenschaftsministerium symbolisch begraben. Weitere Proteste sind geplant.

„Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten! Wer war mit dabei? Die Volkspartei!“ und „Heinzi! Tuas ned!“ - das waren heute die zwei beliebtesten Slogans der Demonstrant_innen am Ballhausplatz. Seit dem schwarz-blauen Experiment gab es keinen so großen Widerstand gegen die Angelobung einer neuen Regierung. Die Hofburg selbst war vorsorglich weitläufig abgeriegelt worden. Die lautstarken Proteste dürften in den Gehörgängen der Politiker_innen zwar angekommen sein, das Ziel der Kundgebung wurde jedoch – wenig überraschend – nicht erreicht: begleitet von einer Blasmusikkapelle wurde die neue Regierung von Bundespräsident Heinz Fischer angelobt.  

Foto: Dieter Diskovic

Anschließend rief die ÖH zu einer Begräbniszeremonie auf. Vor dem (ehemaligen?) Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung wurde die freie Wissenschaft in einem Sarg symbolisch zu Grabe getragen. Neben Grabkerzen und Blumenschmuck konnten sich die Trauergäste in ein überdimensionales Kondolenzbuch eintragen. Auch einige Personen, die zu diesem Zeitpunkt gerade das Wissenschaftsministerium verließen, hinterließen der freien Wissenschaft spontan eine letzte Widmung.

Foto: Dieter Diskovic

Ein universitärer Schulterschluss?

Ein Ende der Proteste ist damit freilich noch lange nicht zu erwarten. Bemerkenswert ist vielmehr die ungewohnte Einigkeit zwischen der Österreichischen Hochschülerschaft und den Rektor_innen. Zahlreiche Universitäten erklärten den 17. Dezember zum vorlesungsfreien Tag, um den Studierenden die Teilnahme an den geplanten Großdemonstrationen zu ermöglichen, die Universitätenkonferenz beschloss, als Zeichen des Protests für den Verlust des eigenständigen Wissenschaftsministeriums die Unis schwarz zu beflaggen. Der ehemalige Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle beklagte in einem Interview den brutalen Umgang der Politik mit der Wissenschaft, auch Christoph Badelt, der Rektor der Wirtschaftsuniversität, sparte nicht mit Kritik. Selbst die VP-nahe AktionsGemeinschaft (AG) forderte in einem offenen Brief an Wirtschafts- und Neo-Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner von der ÖVP die Wiedereinrichtung eines eigenen Wissenschaftsressorts. Auch außerhalb von Universitäten und Politik formiert sich breiter Widerstand: die Facebook-Gruppe „Österreich braucht ein Wissenschaftsministerium“ erreichte innerhalb weniger Tage über 50.000 „Gefällt mir“-Angaben – eine Zahl von der die Koalitionspartner nur träumen können.

Foto: Dieter Diskovic

Wissenschaftsministerium: gegründet 1970 von Bruno Kreisky, aufgelöst 2013 von Werner Faymann

Es ist schwer zu sagen, ob hinter der Auflösung des Wissenschaftsministeriums ein größerer Plan steht oder ob die Umstrukturierung hauptsächlich aus den für die große Koalition typischen Machtkämpfen um unzählige Partikularinteressen verschiedener Landesgruppen und Lobbys entstanden ist. Tatsache ist jedoch, dass neben der verheerenden Symbolik auch eine reale Gefahr von dieser Fusion ausgeht. Bereits in den letzten Jahren war eine Unterordnung der Universitäten und der Wissenschaft unter Wirtschaftsinteressen klar erkennbar: sei es durch eine Verschulung der Universitäten, dem finanziellen Aushungern von Sozial- und Geisteswissenschaften, das bis zur Auflösung des systemkritischen Bachelor-Lehrgangs „Internationale Entwicklung“ reicht, oder der Benennung der neuen WU-Räumlichkeiten nach ihren Sponsoren („Red Bull Auditorium“, „Siemens-Auditorium“ etc.).  Oder, wie es die ehemalige Studierendenvertreterin und Neoabgeordnete (Die Grünen) Sigrid Maurer auf ihrem Blog ausdrückt: „Die Aufgabe der Hochschulen und der Wissenschaft liegt aber nicht in der Sicherstellung ökonomischen Wachstums. [...] Es ist aber sehr wohl Aufgabe eines dem Anspruch nach demokratischen Staates, die Rahmenbedingungen für kritische Wissenschaft zu gewährleisten.“

Foto: Dieter Diskovic

Das Thema ist mitnichten ein Neues. Schon die im Jahr 2009 entstandene „Uni brennt!“-Bewegung kritisierte unter dem Motto „Bildung statt Ausbildung“ die Ökonomisierung der Universitäten. Die beherrschenden Themen waren der Bologna-Prozess, Studiengebühren und der freie Hochschulzugang. Auf die Solidarität der Rektor_innen konnte die Bewegung damals nicht zählen.  Bereits im Jänner 2010 waren alle besetzten Räumlichkeiten – auch auf Anweisung der Rektor_innen – von der Polizei geräumt. 

Foto: Dieter Diskovic

Diesmal steht der Protest auf breiteren Beinen. Es bleibt abzuwarten, ob die Regierung den Protest, der zu einem beträchtlichen Teil auch aus den eigenen Reihen kommt, ernst nimmt oder wieder auf die altbewährte Taktik des „Aussitzens“ setzt.

Foto: Dieter Diskovic

Dieter Diskovic (geb. 1979) studiert Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien und engagiert sich bei der Screaming Birds Aktionsgruppe.

Inseln der Seligen

  • 17.12.2013, 15:50

Pakistan zählt zu den gefährlichsten Ländern der Welt. An seinen Hochschulen leben Studierende jedoch ein Leben jenseits des Klischees vom Land des Terrors. Sind Pakistans Universitäten Inseln der Seligen?

Pakistan zählt zu den gefährlichsten Ländern der Welt. An seinen Hochschulen leben Studierende jedoch ein Leben jenseits des Klischees vom Land des Terrors. Sind Pakistans Universitäten Inseln der Seligen?

„Leg dich auf den Boden und bleib liegen bis ich sage, dass du wieder aufstehen darfst!“, befiehlt die 20-jährige Ammasa dem zwei Jahre jüngeren Taha. Widerwillig legt der Architekturstudent sein Lineal und seine Mappe auf den heißen, staubigen Beton, bevor er seufzend dem Befehl Folge leistet. „Erstsemestrige müssen hier alles machen, was ihnen von den höheren Semestern befohlen wird. Das ist so etwas wie Tradition“, erklärt die junge Kunststudentin am National College of Arts in der pakistanischen Großstadt Lahore. Es ist ihr anzusehen, dass sie diese Machtposition genießt, kommt es doch im patriarchal geprägten Pakistan selten vor, dass eine Frau über das Schaffen der Männer bestimmt. Ammasa grinst zufrieden, macht eine Kehrtwende und lässt Taha im Schmutz liegen. Als sie außer Sichtweite ist, springt er auf, klopft sich den Hosenboden seiner dreckigen Jeans wieder sauber und quert den Arkadenhof mit schnellen Schritten, um weiteren Schikanen zu entkommen.

Insgesamt zwölf Studenten sind in einem Raum untergebracht. Geschlafen wird am Boden. Foto: Dwin Mardigian

An pakistanischen Universitäten lässt sich eine andere Seite dieses Landes beobachten, das sonst allzu oft mit Terrorismus, radikalem Islamismus und Gewalt gegen Frauen assoziiert wird: eine liberale, offene Gesellschaft, die westlicher Einflüsse zum Trotz versucht, ihren Wurzeln treu zu bleiben. Die Liebe zum eigenen Land ist bei den Jungen stark. Wer wohlhabend ist, studiert dennoch oft im Ausland, vornehmlich in Großbritannien, Australien oder den USA. Und viele kehren nach dem Studium nicht in ihre Heimat zurück, weshalb der sogenannte Brain-Drain ein großes Problem für die islamische Republik darstellt. Mehr als 60 Prozent der Bevölkerung müssen mit weniger als 1,50 Euro pro Tag auskommen. Junge Pakistani, die im Ausland studieren und arbeiten, schicken zwar oft Geld nach Hause, fehlen dort aber als Fachkräfte. Vom Ausbau des akademischen Bildungssystems erhofft sich der pakistanische Staat neuen Auftrieb. Die Weltbank unterstützt das Land dabei seit 2011 mit Krediten, bis 2015 soll so der Anteil der 17- bis 23-Jährigen, die eine inländische Universität besuchen, auf zehn Prozent anwachsen.

Eine andere Welt. „In westlichen Medien wird Pakistan sehr einseitig dargestellt. Es gibt hier nicht nur religiöse FanatikerInnen. Ich fühle mich in meiner Heimatstadt nirgendwo unsicher. Trotzdem ist der Campus eine andere Welt, isoliert vom Rest Pakistans“, sagt Ammasa. Das National College of Arts, wo sie seit zwei Jahren Bildende Kunst studiert, hat den Ruf, die liberalste Universität des Landes zu sein. In der Werkhalle aus Backstein schlägt sie mit einem schweren Hammer einen Spiegel in kleine Stücke, die sie später für eine Skulptur verwenden will. Am Tischbein der hölzernen Werkbank lehnt ein Gemälde eines Pissoirs, das geschmückt mit Bart und Turban verblüffende Ähnlichkeit mit Osama Bin Laden hat. Der Gebetsbereich, der durch ein Fenster in der Werkhalle sichtbar ist, besteht aus einem schlampig hingeworfenen Teppich auf einem Plateau. Studierende erzählen gerne von Feiern am Campus, bei denen Alkohol in rauen Mengen fließt, obwohl das gesetzlich verboten ist. „Ich glaube an Gott, aber ich muss nicht fünf Mal täglich beten, um das jedem zu beweisen“, so Ammasa.

Muhammad, Jahrgangsbester an der Jamia Naeemia-Universität. Foto: Dwin Mardigian

Studiengebühren in Pakistan fallen sehr unterschiedlich aus, viele staatliche Universitäten sind jedoch mit 30.000 bis 80.000 Pakistanischen Rupien (200–500 Euro) im Jahr auch für die Mittelschicht leistbar. Dennoch waren im Jahr 2011 lediglich fünf Prozent der 17- bis 23-Jährigen an Universitäten eingeschrieben. Das liegt auch an der mangelnden Verfügbarkeit von Studienplätzen. An Universitäten mit erschwinglichen Studiengebühren sind die Plätze heiß umkämpft. Zur Vergabe der Studienplätze werden Auswahlverfahren nach Leistung durchgeführt. Dabei werden unterschiedliche Einstufungstests nach dem Schulabschluss herangezogen. Eine der prestigeträchtigsten Hochschulen des Landes ist die Government College University Lahore (GCU), die Alma Mater des bisher einzigen pakistanischen Nobelpreisträgers, Abdus Salam. Dementsprechend umkämpft sind die Studienplätze: Nur die besten 1.500 der 30.000 BewerberInnen werden jährlich aufgenommen.

Der Campus der Government College University erinnert an ein subtropisches Hogwarts. Die Gänge mit ihren Schaukästen, die Gartenanlagen und die Studierenden in Schuluniform verstärken den elitären Eindruck. Hassan ist 17 Jahre alt und studiert englische Literatur. Er trägt eine Brille von Armani, sein weißes Hemd ist ihm ein wenig zu groß. Im Debattierclub diskutiert Hassan weltbewegende Fragen: Er ist derartig eloquent, dass es schon fast gezwungen wirkt. Er will, wie einige andere im Debattierclub, später Politiker werden und sein Land in bessere Zeiten führen. „In Österreich sprecht ihr Französisch, nicht wahr?”, fragt er. Hassan gesteht beschämt, er wisse nicht viel über Österreich, aber über den berühmten Wiener Kongress, darüber habe er einmal referiert.

„Seit einigen Jahren haben auch sehbehinderte Menschen wie Moaz die Chance zu studieren.“ Foto: Dwin Mardigian

Studieren ohne Armani. Viele Studierende der staatlichen Eliteuniversität kommen wie Hassan aus wohlhabenden Familien, aber auch einige wenige junge Menschen aus armen Verhältnissen haben eine Chance, die sozialen Barrieren zu durchbrechen. Quoten stellen sicher, dass auch Studierende aus den ärmsten Regionen Pakistans, wie dem von den Taliban kontrollierten Swat-Tal, zugelassen werden. Vollwaisen sind von Studiengebühren befreit und insgesamt 20 Millionen Pakistanische Rupien (140.000 Euro) stehen jährlich in Form von Stipendien zur Verfügung. Ein Allheilmittel gegen die Probleme im Land ist ein Ausbau des universitären Systems jedoch nicht. Immer noch fehlt es vor allem an grundlegender Bildung bei der breiten Bevölkerung. Fast die Hälfte der Pakistanis kann weder Lesen noch Schreiben.

Nichtsdestotrotz hat die verstärkte Investition in höhere Bildung mehr als lediglich ökonomischen Aufschwung zur Folge, sondern beispielsweise auch positive Effekte auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft: Mehr als die Hälfte der Chemiestudierenden der GCU sind weiblich. „Es stimmt nicht, dass Frauen in Pakistan nicht gebildet sind. Zweifellos gibt es Regionen, in denen es anders ist, aber uns stehen hier alle Wege offen“, sagt die 22-jährige Chemiestudentin Amna, die selbst aus dem ländlichen Grenzgebiet zu Afghanistan stammt, aus dem auch die junge Menschenrechtsaktivistin Malala Yousafzai kommt, die sich für Mädchenschulen engagiert und ein Attentat der Taliban im Oktober 2012 nur knapp überlebte. Eine gesellschaftliche Weiterentwicklung ist auch die Schaffung von Studienplätzen für Studierende mit besonderen Bedürfnissen, einer von ihnen ist Moaz. Der 24-Jährige ist von Geburt an blind. Blinde Menschen erhalten vom Staat sehr wenig Unterstützung. Es ist ihnen nicht einmal erlaubt, ein eigenes Bankkonto zu führen. An der GCU stehen Moaz und seinen drei ebenfalls blinden Brüdern aber spezielle Computer mit Braille- Tastatur zur Verfügung. „Es war ein harter Weg bis hierher, doch das Wichtigste ist, dass man sich nicht mit seiner Situation zufrieden gibt. Man darf nicht aufhören zu kämpfen“, sagt Moaz. Er steht kurz vor dem Abschluss seines Politikwissenschafts- und Englischstudiums. Sein Traum ist es, Lehrer zu werden – „einer der ehrvollsten Berufe, den es auf der Welt gibt“, wie Moaz meint.

Chemiestudentin Amna: Es stimmt nicht, dass Frauen in Pakistan nicht gebildet sind. Foto: Dwin Mardigian

Religion vs. moderne Bildung? Im krassen Gegensatz zu den elitären Universitäten, die zu einem großen Teil noch aus der britischen Kolonialzeit stammen, stehen alternative Formen der akademischen Bildung, wie an der Jamia Naeemia-Universität. Ursprünglich eine Moschee und Koranschule, in der vor allem Kinder die heilige islamische Schrift auswendig lernen, hat die Jamia Naeemia seit einigen Jahren versuchsweise zusätzlich einen akademischen Bildungszweig eingerichtet. In einem Zeitraum von acht Jahren kann dort ein Masterabschluss in Theologie erlangt werden. Neben dem ausgiebigen Studium des Korans beinhaltet das Studienprogramm auch Englisch-, Geschichte- und Computerkurse. Muhammad ist der beste Student seines Jahrgangs. Sein Tag beginnt um 4.30 Uhr und endet selten vor 21.00 Uhr. Er wohnt mit zwölf Mitstudenten in einem 40 Quadratmeter großen Zimmer. Jeder Student hat eine Kiste für seine persönlichen Dinge, geschlafen wird am Boden. „Die Sonntage haben wir frei, da wasche ich meine Wäsche. Manchmal gehe ich auch mit Freunden in den Park“, erzählt Muhammad. Seine Familie wohnt in Peshawar, nahe der afghanischen Grenze. Via Skype hält er Kontakt, alle paar Monate hat er auch Zeit, nach Hause zu fahren. Er sagt, er liebe den Islam, man dürfe seine Traditionen nicht vergessen, aber Bildung sei ebenso wichtig.

„Wir wollen eine Brücke zwischen Religion und moderner Bildung schlagen“, sagt der Leiter der Jamia Naeemia-Moschee und -Universität, Raghib Hussain Naeemi. Den radikalen Taliban ist dieser Zugang zu profan und deshalb ein Dorn im Auge. Naeemis Vater, der die Moschee früher leitete, kritisierte die Taliban öffentlich als unmuslimisch und bezahlte das mit seinem Leben: 2009 stürmte ein Selbstmordattentäter sein Büro und tötete ihn und vier seiner Angestellten. Auch Raghib Naeemi, der das Werk seines Vaters fortführt, bekommt regelmäßig Drohungen. Der Eingang der Moschee wird deshalb von drei bewaffneten Soldaten bewacht.

An vielen Universitäten gibt es ähnliche Vorkehrungen: Wachpersonal mit Maschinengewehren, Bombenkontrollen und Metalldetektoren. Universitätsfremde Personen haben meist gar keinen Zutritt. Das ist die Schattenseite der liberalen Entwicklungen in Pakistan: Sie passieren hinter verschlossenen Türen. Konservative KritikerInnen sehen in den Universitäten ein Einfallstor westlicher Einflüsse. Dabei findet gerade hinter den schützenden Mauern der Hochschulen ein stetiges Verhandeln zwischen moderner Bildung, freiem Denken und der Wahrung von Traditionen statt.

Hassan ist 17 Jahre alt, er will als Politiker seinem Land helfen. Foto: Dwin Mardigian

Der Autor studiert Politikwissenschaften, Lukas Klingan Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien. Die Recherche zu diesem Artikel wurde durch die Mittel des Egon-Erwin Kisch-Recherchestipendiums des Presseclubs Concordia ermöglicht.

Sprung ins kalte Wasser

  • 31.10.2013, 18:20

Seit 2010 wird für das Psychologiestudium in Wien ein Aufnahmeverfahren durchgeführt. Rund 2.000 BewerberInnen kämpften heuer um 500 Studienplätze. Verena Ehrnberger hat sich vor Ort umgesehen und die TeilnehmerInnen nach ihrer Meinung und ihren Erfahrungen mit der Prüfung befragt.

Seit 2010 wird für das Psychologiestudium in Wien ein Aufnahmeverfahren  durchgeführt. Rund 2.000 BewerberInnen kämpften heuer um 500 Studienplätze. Verena Ehrnberger hat sich vor Ort umgesehen und die TeilnehmerInnen nach ihrer  Meinung und ihren Erfahrungen mit der Prüfung befragt.

Anspannung. Stille. Nur manchmal hört man das Knarren eines Stuhls, das leise Rascheln eines der  vielen durchsichtigen Plastiksäckchen, in denen  die zukünftigen Studierenden ihre Habseligkeiten verstauen mussten. In der großen grauen Halle A der Messe Wien ist es kalt. Beim Hereinkommen wird man einem von 30 Sektoren zugewiesen und sucht im jeweiligen Sektor nach jenem Platz, der mit dem eigenen Namen beschriftet ist. Es ist der 3. September 2013 – der Tag der Psychologie-Aufnahmeprüfung.  Mit rund 4.000 anderen TeilnehmerInnen soll man nun um einen der begehrten 500 Studienplätze kämpfen.

Am Prüfungstag erscheint dann aber nur knapp die Hälfte der angemeldeten Personen. Der Saal ist bei weitem nicht voll. Ganze Tischreihen bleiben leer.  Der Dekan der psychologischen Fakultät, Germain  Weber, informiert die Anwesenden per Mikrophondurchsage,  dass nur knapp 2.000 TeilnehmerInnen erschienen sind. Großes Aufatmen im Saal – die eigene Chance, einen Studienplatz zu ergattern, hat sich damit plötzlich verdoppelt. „Bekommt man einen  Bachelor-Platz in Wien”, sagt der Dekan weiter, „dann hat man in Wien auch einen gesicherten Master-Platz.“ Die nächste gute Nachricht für die zukünftigen Psychologie-Studierenden.

Gemischte Reaktionen. Dann werden die Prüfungsmodalitäten erklärt. Die Aufnahmeprüfung besteht aus drei Teilen: Wissen, Methodik und Englisch. Für den Wissens-Teil waren bestimmte Kapitel eines Psychologie-Lehrbuchs zu lernen – dieser Teil ist 70 Punkte wert. Bei Methodik und Englisch kann man jeweils auf 40 Punkte kommen. Für 150 mögliche Punkte hat man 150 Minuten Zeit. Die Prüfungsbögen werden gleichzeitig umgedreht – ein lautes  Rascheln geht durch den Saal. Zur Beantwortung der jeweiligen Wissensfragen brauchen die Anwesenden nur wenige Sekunden. Die dadurch gewonnene Zeit wird für den Englisch- und den Methodik-Teil genützt,  auf die man sich nur schwer vorbereiten kann.

Als die 150 Minuten schließlich vorbei sind, fallen die Reaktionen der TeilnehmerInnen gemischt aus. Einige scheitern am Englisch, andere an den Fragen  zur Methodik. „Auf den Wissens-Teil konnte man sich sehr gut vorbereiten“, meint Hannah, 18, aus Niederösterreich:  „Der Methodik-Teil war nicht berechenbar. Aber wenn man solide Mathematikkenntnisse hat, ist er zu bewältigen. Englisch war auf Maturaniveau und relativ leicht.“ Auch Jonas, 25, aus Tübingen fand den Methodik-Teil anspruchsvoll: „Es war tückisch. Es  gab viel Text, der überflüssig war und zur Ablenkung diente“, sagt er.

Sinnhaftigkeit der Aufnahmeprüfung. Doch wie sinnvoll ist so eine Aufnahmeprüfung  überhaupt? Jonas findet das Aufnahmeverfahren eine gute Idee. „Da muss man zumindest etwas lernen.  Die Leute, die das wirklich wollen, haben einen gerechtfertigten Vorteil gegenüber Leuten, die sich  vielleicht nur so zum Spaß anmelden“, so Jonas. Elke, 35, sieht das genauso. Die Salzburgerin lebt gerade in Bayern. „In Deutschland haben sie den Numerus Clausus und glauben, dass ein Mensch, der an wenigen bestimmten Tagen seines Lebens nicht ganz so  gut abgeschnitten hat, nicht auch ein guter Psychologe oder Mediziner werden kann“, meint sie: „Ich finde das unsinnig und das österreichische System viel besser.“  Die Aufnahmeprüfung soll, laut Homepage des StudienServiceCenters der Psychologie, „studienrelevante Fähigkeiten“ überprüfen: Neben Textverständnis und  Prüfungswissen wird auch die „Fähigkeit zum formalanalytischen Denken“ der zukünftigen Studierenden  geprüft. Dies wird vor allem durch den Methodik-Teil erreicht. Der ist bei den TeilnehmerInnen aber nicht unumstritten. „Englisch und Methodik waren für  mich ein Sprung ins kalte Wasser. Ich hab mich nicht gezielt vorbereiten können“, sagt Hannah und fügt hinzu: „Mein Schulwissen hat mir aber geholfen.“ Die Schwierigkeit des Methodik-Teils variiert von Jahr zu Jahr. „Ich dachte mir, dass sie die Fragen schon so stellen, dass man sich kaum darauf vorbereiten kann – ähnlich wie bei einem IQ-Test“, sagt Jonas.

Letztlich scheint der Methodik-Teil aber nicht nur die  „Fähigkeit zum analytischen Denken“ abzuprüfen,  sondern vor allem Mathematikkenntnisse. Ein erlerntes Wissen also, das man sich je nach Schulbildung entweder aneignen konnte – oder eben nicht. Elke hat die Aufnahmeprüfung dieses Jahr nicht geschafft.  „Ich bin etwas älter als der Schnitt. Meine Matura ist demnach ewig her“, sagt sie: „Ich hab mich seit Jahrzehnten nicht mehr mit Wahrscheinlichkeitsrechnungen und Co beschäftigt. Das waren also nicht unbedingt die besten Voraussetzungen, um diese  Prüfung zu bestehen.“ Enttäuscht ist sie trotzdem, vor  allem weil ihr das Lernen des Psychologiestoffs viel  Spaß gemacht hat. „Ich konnte den Zimbardo (Autor  des Psychologie-Lehrbuches, Anm. der Red.) wirklich gut und ich fand die Materie auch super interessant.“

Teure Vorbereitung. Intensives Lernen ist  offenbar nicht immer ein Garant dafür, die Prüfung  auch zu bestehen. Eine Umfrage in der Facebook-  Gruppe zum diesjährigen Aufnahmeverfahren ergab,  dass fast ein Viertel der TeilnehmerInnen einen Vorbereitungskurs besucht hat. Um sich gegen die große Konkurrenz durchzusetzen, sind manche bereit viel Geld zu zahlen. Für etwa 300 Euro kann man sich eine Woche lang von verschiedensten Instituten  gründlich auf die Aufnahmeprüfung vorbereiten  lassen.

Jonas hat die Prüfung auch ohne Kurs bestanden.  „Ich hab keinen wirklichen Nutzen darin gesehen“, sagt Jonas. „Auf den Methodik- und den Englisch-Teil kann man sich nicht vorbereiten und beim Lernen des Zimbardo hilft halt auch kein Kurs“, meint er. Auch Hannah hat es ohne Kurs geschafft. „Es spricht gegen meine Prinzipien, dass man Geld in Kurse investiert, während andere Menschen nicht die erforderlichen Mittel haben“, sagt sie: „Jeder Mensch sollte die gleichen Chancen haben.“

Fehlende Transparenz. An der Aufnahmeprüfung wird stark kritisiert, dass weder das erreichte Testergebnis noch der Rang, den man in der Reihung der TeilnehmerInnen erzielt hat, nach der Prüfung für die zukünftigen Studierenden einsehbar sind. „Für diejenigen, die überlegen, es erneut zu versuchen, wäre das sicherlich eine gute  Entscheidungsbasis“, meint Jonas: „Allerdings ist es auf der anderen Seite ärgerlich für alle, die herausfinden müssen, dass sie ganz knapp gescheitert sind.“ Hannah sieht in der mangelnden Transparenz des Aufnahmeverfahrens das größte Problem. „Dieses Vorgehen lässt möglicherweise bei einigen der TeilnehmerInnen Zweifel an der Korrektheit  des Testergebnisses aufkommen“, sagt sie, und fügt  hinzu: „So kann man die persönliche Leistung nur schwer einschätzen. Hat man die Prüfung nicht geschafft, kann man nicht beurteilen, welche Teile des Tests bei einem Neuantritt intensiver zu lernen wären.“

Seitens der Universität Wien beruft man sich hinsichtlich der fehlenden Transparenz der Aufnahmeprüfung auf die Universität Salzburg. „Das Verfahren in der Psychologie wird gemeinsam mit der Universität Salzburg durchgeführt. Die Federführung in Bezug auf die Gestaltung der Abläufe hat die Salzburger Universität“, erklärt Cornelia Blum, Pressesprecherin des Rektorats der Universität Wien: „Die  Universität Wien hat sich als Kooperationspartner der  Vorgangsweise angeschlossen.“ Obwohl der Wiener Universität ein transparentes Verfahren ein Anliegen sei, widerspräche eine allgemeine Veröffentlichung der Ergebnisse „datenschutzrechtlichen Bestimmungen“, heißt es weiter.

Flucht vor dem Numerus Clausus. Auffallend ist beim Aufnahmeverfahren für Psychologie auch die große Anzahl deutscher TeilnehmerInnen. Das gibt einigen österreichischen Studierenden zu denken: „Ich finde wirklich, dass eine Quotenregelung hergehört. Es ist schon etwas komisch, dass so viele Deutsche an der österreichischen Psychologie  sitzen“, sagt Elke, die zwar gerade in Bayern wohnt,  aber ursprünglich aus Salzburg kommt: „Klar kann ich es bei deren Numerus Clausus nachvollziehen, aber Österreich kann doch nicht wirklich unzählige Millionen für Studierende ausgeben, die dann wieder in ihre Heimat zurückgehen“, meint sie weiter: „Es ist eine Regelung notwendig. Und das ganz dringend.“ Das sieht Hannah genauso: „Grundsätzlich sollte man die Möglichkeit haben, sich im Ausland fortzubilden. Aber unterschiedliche Regelungen in Europa führen zu unausgewogenen Verhältnissen. Hier kann nur  eine europaweite Regelung der Studienzulassung  helfen“, sagt sie. Jonas ist nun einer der deutschen  Psychologie-Studierenden in Wien. Er ist gegen eine Quotenregelung: „Es gibt auch viele ÖsterreicherInnen auf deutschen Unis. Da gibt es auch keine Quote“, sagt er: „Ich fände das auch irgendwie diskriminierend.“

Aus Sicht der Universität Wien hat eine mögliche Quotenregelung zugunsten österreichischer Studierender momentan keine hohe Dringlichkeit. Außerdem fühlt sich die Universität dafür auch nicht zuständig. „Diese Frage zu entscheiden liegt nicht in der Autonomie der Universität“, sagt Cornelia Blum.  „Es gibt derzeit eine Regelung in der Medizin, die in Abstimmung zwischen österreichischem und europäischem Gesetzgeber festgelegt ist. Eine Initiative  müsste daher vom österreichischen Gesetzgeber ausgehen und wäre in Abstimmung mit der EU festzulegen“,  erklärt sie weiter.  Beim Psychologie-Aufnahmeverfahren besteht sicher ein Bedarf an Verbesserungen. Sowohl der von Jahr  zu Jahr stark variierende Methodik-Teil als auch die fehlende Transparenz der Prüfung werfen kein gutes Licht auf das Aufnahmeverfahren. Auch im Hinblick auf eine mögliche ÖsterreicherInnen-Quote könnte  sich in den nächsten Jahren wohl noch einiges ändern. Derzeit scheinen allerdings keine entsprechenden  Maßnahmen geplant zu sein. Wer es dieses Jahr geschafft hat, muss sich damit jedenfalls nicht mehr auseinandersetzen. Während Jonas und Hannah sich schon auf ihr Studium an der Universität Wien  freuen, wird Elke es wieder versuchen. „Ich werde vermutlich nächstes Jahr noch einmal in der Prüfung sitzen – hoffentlich mit größerem Erfolg“, sagt sie  zuversichtlich.

Verena Ehrnberger ist Juristin und studiert Vergleichende Literatur an der Universität Wien.

 

 

 

        

 

„Rassismus ist gut integriert“

  • 24.06.2014, 19:22

Die Sozialwissenschafterin und Aktivistin Araba Evelyn Johnston-Arthur forscht über institutionellen Rassismus und Widerstand in Österreich. Im Interview erklärt sie, warum Hochschulen und Bildung dabei eine wichtige Rolle spielen.

Die Sozialwissenschafterin und Aktivistin Araba Evelyn Johnston-Arthur forscht über institutionellen Rassismus und Widerstand in Österreich. Im Interview erklärt sie, warum Hochschulen und Bildung dabei eine wichtige Rolle spielen.

Als die Aktivisten Kwame Toure (vormals Stokely Carmichael) und Charles Hamilton in den 1960ern in den USA das Konzept des institutionellen Rassismus prägten, benannten sie jene Dimensionen von Rassismus, die Kameras nicht einfangen können. Sie zeigten auf, dass sich Rassismus nicht in isolierten Gewalttaten des Ku-Klux-Klans erschöpfte, sondern rassistische Strukturen fest in der Mitte der Gesellschaft verankert sind. Araba Johnston-Arthur zeigt, dass das Konzept bis heute nicht an Aktualität eingebüßt hat.  

progress: Im Jahr 2000 hast du geschrieben, dass ein Bewusstsein für die Realität von Rassismus in Österreich erst am Anfang steht. Hat diese Aussage noch immer Gültigkeit?

Araba Johnston-Arthur: Gerade im österreichischen Kontext wird nach wie vor oft hartnäckig verleugnet, dass es Rassismus überhaupt gibt. Wenn man dann doch von Rassismus spricht, dann herrscht meist eine individualisierte Auffassung davon vor: Rassismus wird auf einzelne Ereignisse und individualisierte Gewaltakte reduziert. Dabei wird auch häufig klassistisch argumentiert: Rassismus sei ein Problem der ModernisierungsverliererInnen und der ungebildeten ArbeiterInnen. Er wird damit auf die „Anderen“ projiziert und nicht als gut in der Mitte der Gesellschaft verankerte, alle Institutionen – Justiz, Polizei, Schule etc. – durchwirkende Realität verstanden.

Gleichzeitig müssen sich Schwarze Menschen und People of Color täglich angesichts der vielschichtigen Realität von Rassismus behaupten. Hier gibt es sehr wohl diesbezügliches Wissen. Die Frage ist also, von wessen Bewusstsein wir sprechen, es gibt hier nämlich einen krassen Kontrast. Vor diesem Hintergrund ist das Benennen von institutionellem Rassismus an sich schon ein zentraler Akt des Widerstands, weil damit ein sehr mächtiges Schweigen gebrochen wird. Audre Lorde (Anm. d. R.: Schwarze US-amerikanische Literaturwissenschafterin und Schriftstellerin) betonte, dass wir unsere Unterdrückung nicht bekämpfen können, solange wir sie nicht benennen.  

Welche Dimensionen hat institutioneller Rassismus an österreichischen Hochschulen?

Zunächst stellt sich die Frage, wer überhaupt Zugang zu den österreichischen Hochschulen hat. Wenn wir an die frühe Trennung in Gymnasium und Hauptschule denken, oder daran, wer in die Sonderschule geschickt wird, werden eine Reihe historisch gewachsener klassistischer und rassistischer Ausschlussmechanismen sichtbar. Darüber hinaus kommt den Universitäten als umkämpftes Repräsentationssystem eine wichtige Rolle zu. Welche Art von Wissen wird an den Universitäten vermittelt und institutionalisiert? In Frankreich beispielsweise wollte man 2005 gesetzlich festschreiben, dass Universitäten und Schulen die positive Rolle des französischen Kolonialismus zu vermitteln haben. Dagegen gab es heftige Proteste.

Es geht nicht nur um Fragen des Zugangs, sondern auch um interne Hierarchien.

Generell sind wir rassifizierten „Anderen“ nach wie vor häufig nur als Forschungsobjekte sichtbar, als politische Subjekte und Forschende hingegen viel zu unsichtbar. Es gibt in dieser Hinsicht Veränderungen, aber das sind noch zarte Pflänzlein. May Ayim (Anm. d. Red.: afro-deutsche Schriftstellerin) hatte 1986 große Schwierigkeiten, eineN ProfessorIn für die Betreuung einer Magisterarbeit in Pädagogik über Rassismus in Deutschland zu finden. Dahingehend hat sich bis heute nicht viel verändert, auch im österreichischen Kontext nicht. Wichtig finde ich in diesem Zusammenhang auch die Kritik der Historikerin Fatima El-Tayeb bezüglich der dominanten Rezeption von postkolonialer Theorie: Auch im deutschsprachigen Raum wird mittlerweile einiges aus dieser Perspektive dekonstruiert, aber die unbequemen, vor der eigenen Nase liegenden Machtverhältnisse, die auch in unseren Universitäten herrschen, werden selten thematisiert.

An den Universitäten scheint institutioneller Rassismus in der eigenen Institution kaum Thema zu sein. Woran liegt das?

Natürlich wacht die Universität nicht eines Tages auf und beschließt sich mit ihrem eigenen strukturellen Rassismus zu beschäftigen. Die Frage ist, aus welcher Perspektive wir das betrachten. Rassismus ist in den Hörsälen durchaus ein Thema für all jene, die sich angesichts des rassistischen Status quo behaupten müssen. In der Wahrnehmung der Mehrheit existiert dieser Status quo aber einfach nicht. Es gab und gibt aber durchaus oft diesbezügliche individuelle und kollektive Interventionen. Beispielsweise haben sich Studierende of Color organisiert, um gegen Ausschlüsse auf struktureller Ebene und für politische Mitbestimmung an österreichischen Universitäten zu kämpfen.

Du selbst hast dein Studium in Ghana, England und Österreich absolviert, jetzt forschst du in den USA. Inwiefern unterscheiden sich die Situationen an den unterschiedlichen Hochschulen?

Gleich nach der Matura war ich ein Jahr an der Universität in Legon in Ghana. Das war für mich sehr wichtig. Dort habe ich unter anderem gelernt, dass auch die Frage der Ressourcen und Infrastruktur eine strukturelle ist und mit neokolonialen Verhältnissen in Zusammenhang steht. Wir mussten dort zum Beispiel Bücher von ghanesischen Autor Innen aus London bestellen. An der Uni in London habe ich gelernt, wie aktuell die Glorifizierung des eigenen britischen Kolonialismus und die Tabuierung von Rassismus in diesem Zusammenhang noch immer sind. Mein Entschluss, meine Dissertation nicht in Wien, sondern an der Howard University, einer historisch Schwarzen Universität in Washington DC, zu schreiben, hat wiederum viel damit zu tun, dass ich in Howard nicht immer wieder argumentieren muss, dass Rassismus überhaupt existiert, sondern mich auf die Analyse seiner Mechanismen und die damit zusammenhängenden Schwarzen Widerstände konzentrieren kann.

Welche konkreten Maßnahmen wären aus deiner Sicht im Kampf gegen institutionellen Rassismus an den Hochschulen zu setzen?

Zentral ist hier zunächst das Wissen über den Status quo von Rassismus an den Hochschulen selbst. KollegInnen und ich haben in Zusammenarbeit mit den Gleichstellungsarbeitskreisen eine Zeit lang Workshops zu institutionellem Rassismus an verschiedenen Unis gemacht. Leider werden die verschiedenen Diskriminierungsmechanismen aber oft in Konkurrenz zueinander gesehen: also (Hetero-)Sexismus vs. Rassismus vs. Klassismus. Tatsächlich verstärken sie sich jedoch gegenseitig. Wir müssen verschiedene Diskriminierungssysteme in ihrer Gleichzeitigkeit verstehen, weil man sonst die Lebensrealität der Menschen, die in den Hochschulen arbeiten und studieren, verkennt. Wie Audre Lorde sagt: „There is no such thing as a single-issue struggle because we do not live single-issue lives.”

An der Akademie der bildenden Künste in Wien versucht man derzeit eine antidiskriminatorische Betriebsvereinbarung umzusetzen. Dabei geht es auch darum, Diskriminierung als strukturelles Problem zu bekämpfen und Mehrfachdiskriminierung sichtbar zu machen. Gleichzeitig frage ich mich, inwieweit der Kampf gegen institutionellen Rassismus nicht einer ist, der die Ebene von Maßnahmen sprengt.

Rassismus wird wie Migration in Österreich oft als neues Phänomen gesehen. Du zeigst auf, dass Rassismus in Österreich aber eine lange Geschichte hat.

Nehmen wir zum Beispiel den Mainstream-Diskurs über Migration und Flüchtlinge. Als immer mehr Flüchtlinge aus dem Osten kamen, gab es zunächst Sympathie. Das änderte sich, als zunehmend rumänische Flüchtlinge kamen und viele davon Roma waren. Nun wurden uralte Rassismen bemüht, die weit zurückgehen. So war zum Beispiel Maria Theresia in Europa federführend in Sachen repressiver Gesetzgebung gegen Roma und Sinti. Diese Geschichte wird aber unsichtbar gemacht. Das Gleiche gilt für das gegenderte rassistische Wissen, das über Schwarze Menschen vorherrscht: die angebliche Aggressivität Schwarzer Männer, die pathologisierte Sexualität Schwarzer Frauen – damit wird etwas aufgewärmt, was eine lange Geschichte hat. In Österreich tut man so, als wäre das alles ganz neu, weil man keine Kolonien in Afrika hatte. Österreich ist aber Teil eines gesamteuropäischen kolonialen Denksystems und diese Bilder sind tief im populären Bewusstsein verankert. Wir finden sie in der Oper, in der Literatur, in den Mehlspeisen, in unseren Redewendungen und so weiter. Und das bleibt nicht auf der Ebene der Sprache, sondern ist Teil einer sozialen Praxis. Diese Stereotype spiegeln sich in vielen Amtshandlungen der Polizei wider: Schwarzes Objekt, besonders gefährlich, mehr Polizei verlangt. Rassistische Gewalt wird so gerechtfertigt. Und das ist nicht auf Österreich beschränkt. Diese zum Teil tödlichen Mechanismen sind global wirksam.

Wie siehst du die aktuellen Auseinandersetzungen in Österreich rund um die Verwendung des N-Wortes?

Man sieht hier wieder einmal, dass Rassismus meist als etwas verstanden wird, was hauptberufliche RassistInnen aus dem rechten Eck betreiben. Damit wird verwischt, wie tief Rassismus in der Gesellschaft verankert ist.

Faszinierend ist, dass Rassismus und die Kritik daran, zu solchen Anlässen columbusartig immer wieder neu entdeckt werden. Kritik an Rassismus wird von verschiedenen MigrantInnencommunities, Schwarzen Menschen und People of Color aber schon seit Jahrzehnten formuliert und gelebt. Meist wird das aber schlicht ignoriert. Wenn Kritik dann doch Gehör findet, ist interessant, wie reagiert wird. In Österreich ist dann immer sofort von einer Political-Correctness-Hysterie die Rede. Damit werden Rassismus und die Kritik daran auf eine sprachliche Ebene reduziert. Es geht aber um einen strukturellen Gesamtzusammenhang. Aktuell hat Pamoja, die Bewegung der jungen afrikanischen Diaspora in Österreich, die Verwendung des N-Worts und die Praxis des Blackfacing bei den Wiener Festwochen kritisiert. In dem Statement von Pamoja geht es überhaupt nicht um Political-Correctness. Vielmehr wird die Kritik im Kontext einer größeren Realität von strukturellem Rassismus gegenüber Schwarzen Menschen geübt. Bei dieser Auseinandersetzung geht es auch um Definitionsmacht: Wer darf definieren, was rassistisch ist und was nicht? Und wer ist überhaupt in der Position zu sprechen?

Außerdem ist es in einem Land wie Österreich, wo so viel Antisemitisches und Rassistisches sagbar ist, absurd von einer Political Correctness-Hysterie zu sprechen. Rassismus ist in Österreich gut integriert.

 

Manifest gegen die Krise der Ökonomie

  • 05.05.2014, 12:30

Am Montag, den 5. Mai 2014 wurde von der „International Initiative for Pluralism in Economics“, dem Dachverband von Volkswirtschafts-Studierenden aus 18 Ländern, ein Aufruf gestartet zu einer offenen, vielfältigen und pluralen Volkswirtschaftslehre. Die Studierenden verfassten ein internationales Manifest mit der Forderung nach einer breiten Ausrichtung der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung und Lehre. Auch eine Gruppe von Volkswirtschafts-Studierenden der Wirtschaftsuniversität Wien - die Gesellschaft für Plurale Ökonomik Wien – war am Verfassen des Aufrufs beteiligt.

Am Montag, den 5. Mai 2014 wurde von der „International Initiative for Pluralism in Economics“, dem Dachverband von Volkswirtschafts-Studierenden aus 18 Ländern, ein Aufruf gestartet zu einer offenen, vielfältigen und pluralen Volkswirtschaftslehre. Die Studierenden verfassten ein internationales Manifest mit der Forderung nach einer breiten Ausrichtung der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung und Lehre. Auch eine Gruppe von Volkswirtschafts-Studierenden der Wirtschaftsuniversität Wien - die Gesellschaft für Plurale Ökonomik Wien – war am Verfassen des Aufrufs beteiligt.

Über 230 ProfessorInnen, Hochschullehrenden und ForscherInnen aus diversen Wirtschafts- und Forschungsinstituten rund um den Globus schließen sich dem Aufruf an. Auf der ErstunterzeichnerInnenliste sind prominente Namen wie Thomas Piketty, Robert Pollin, Paul Davidson und u.a. Markus Marterbauer und Elisabeth Springler aus Österreich zu finden. Interessierte können den Aufruf unterstützen und das Manifest unterzeichnen unter: www.isipe.net

Das Manifest übt scharfe Kritik am aktuellen Zustand der Wirtschaftswissenschaften aus, gefordert wird ein grundlegender Wandel in den  Wirtschaftstheorie und deren Lehre. Der Mainstream in der Wirtschaftswissenschaft konnte die Krise weder vorhersagen noch liefert sie grundlegende Verbesserungsvorschläge. Das wirft die Frage auf ob sie die Funktion einer Wirtschaftstheorie erfüllt. „An den Universitäten werden bereits längst veraltete und widerlegte Theorien unterrichtet und die Kritik daran ausgeblendet“, so eine Sprecherin der Gesellschaft für Plurale Ökonomik Wien, die Ökonomie sei „auf einem Auge blind. Wir wollen die Realität in die Hörsäle zurückholen und nicht länger hinnehmen, dass eine Vielzahl relevanter Theorien nicht im Studienplan vorkommt“. Die Studierenden wollen eine Veränderung bewirken und im Kleinen passiert das auch: „wir organisieren unsere eigenen Lehrveranstaltungen und Lesekreise, unterrichten uns gegenseitig, bauen Netzwerke auf und organisieren gerade eine Konferenz“, so die Gesellschaft für Plurale Ökonomik Wien.

 

Manifest:

Internationaler studentischer Aufruf für eine Plurale Ökonomik Die Weltwirtschaft befindet sich in einer Krise. In der Krise steckt aber auch die Art, wie Ökonomie an den Hochschulen gelehrt wird, und die Auswirkungen gehen weit über den universitären Bereich hinaus. Die Lehrinhalte formen das Denken der nächsten Generation von Entscheidungsträgern und damit die Gesellschaft, in der wir leben. Wir, 40 Vereinigungen von Studierenden der Ökonomie aus 19 verschiedenen Ländern, sind der Überzeugung, dass es an der Zeit ist, die ökonomische Lehre zu verändern. Wir beobachten eine besorgniserregende Einseitigkeit der Lehre, die sich in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch verschärft hat. Diese fehlende intellektuelle Vielfalt beschränkt nicht nur Lehre und Forschung, sie behindert uns im Umgang mit den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – von Finanzmarktstabilität über Ernährungssicherheit bis hin zum Klimawandel. Wir benötigen einen realistischen Blick auf die Welt, kritische Debatten und einen Pluralismus der Theorien und Methoden. Durch die Erneuerung der Disziplin werden Räume geschaffen, in denen Lösungen für gesellschaftliche Probleme gefunden werden können.

Vereint über Grenzen hinweg rufen wir zu einem Kurswechsel auf. Wir maßen es uns nicht an, die endgültige Richtung zu kennen, sind uns aber sicher, dass es für Studierende der Ökonomie wichtig ist, sich mit unterschiedlichen Perspektiven und Ideen auseinanderzusetzen. Pluralismus führt nicht nur zur Bereicherung von Lehre und Forschung, sondern auch zu einer Neubelebung der Disziplin. Pluralismus hat den Anspruch, die Ökonomie wieder in den Dienst der Gesellschaft zu stellen. Im Zentrum sollten dabei drei Formen des Pluralismus stehen:

  • Theoretischer Pluralismus,
  • methodischer Pluralismus und
  • Interdisziplinarität.

Theoretischer Pluralismus verlangt, die Bandbreite an Denkschulen in der Lehre zu erweitern. Wir beziehen uns dabei nicht auf eine bestimmte ökonomische Tradition. Pluralismus heißt nicht, sich für eine Seite zu entscheiden, sondern eine lebendige, intellektuell reichhaltige Debatte anzuregen. Pluralismus heißt, Ideen kritisch und reflexiv miteinander zu vergleichen. Während in anderen Disziplinen Vielfalt selbstverständlich ist und sich widersprechende Theorien als gleichberechtigt gelehrt werden, wird die Volkswirtschaftslehre häufig dargestellt, als gäbe es nur eine theoretische Strömung mit eindeutigem Erkenntnisstand. Natürlich gibt es innerhalb dieser dominanten Tradition Varianten. Allerdings ist das nur eine von vielen Möglichkeiten, Ökonomik zu betreiben und die Welt zu betrachten. In anderen Wissenschaften wäre so etwas unerhört. Niemand würde einen Abschluss in Psychologie ernstnehmen, der sich nur mit Freudianismus beschäftigt, oder ein politikwissenschaftliches Studium, in dem nur der Leninismus auftaucht. Umfassende volkswirtschaftliche Bildung vermittelt die Vielfalt der theoretischen Perspektiven. Neben den für gewöhnlich gelehrten auf der Neoklassik basierenden Ansätzen ist es notwendig, andere Schulen einzubeziehen. Beispiele für diese Schulen sind die klassische, die post-keynesianische, die institutionelle, die ökologische, die feministische, die marxistische und die österreichische Tradition. Die meisten Studierenden der Volkswirtschaftslehre verlassen die Universität, ohne jemals von einer dieser Perspektiven auch nur gehört zu haben. Es ist essentiell, schon im Grundstudium reflektiertes Denken über die Ökonomik und ihre Methoden zu fördern, beispielsweise durch Veranstaltungen zu philosophischen Aspekten der Volkswirtschaftslehre sowie Erkenntnistheorie. Theorien können losgelöst aus ihrem historischen Kontext nicht nachvollzogen werden. Studierende sollten daher mit der Geschichte des ökonomischen Denkens, Wirtschaftsgeschichte und den Klassiker der Ökonomie konfrontiert werden. Momentan fehlen solche Kurse entweder vollständig oder wurden an den Rand des Lehrplans gedrängt.

Methodischer Pluralismus bezieht sich auf die Notwendigkeit unterschiedlicher Forschungsmethoden in der Volkswirtschaftslehre. Es ist selbstverständlich, dass Mathematik und Statistik wesentlich für unsere Disziplin sind. Aber viel zu häufig lernen Studierende nur, quantitative Methoden zu verwenden. Dabei wird zu selten darüber nachgedacht, ob und warum diese Methoden angewandt werden sollten, welche Annahmen zugrunde liegen und inwieweit die Ergebnisse verlässlich sind. Es gibt außerdem wichtige Aspekte der Ökonomie, die durch quantitative Methoden allein nicht verstanden werden können: Seriöse ökonomische Forschung verlangt, dass quantitative Methoden durch andere sozialwissenschaftliche Methoden ergänzt werden. Um beispielsweise Institutionen und Kultur verstehen zu können, müssen qualitative Methoden in den Lehrplänen volkswirtschaftlicher Studiengänge größere Beachtung erfahren. Dennoch besuchen die meisten Studierenden der Ökonomik nie eine Veranstaltung zu qualitativen Methoden.

Für ein umfassendes volkswirtschaftliches Verständnis sind interdisziplinäre Ansätze notwendig. Studierende müssen deshalb innerhalb ihres Studiums die Möglichkeit erhalten, sich mit anderen Sozialwissenschaften oder den Geisteswissenschaften zu beschäftigen. Volkswirtschaftslehre ist eine Sozialwissenschaft. Ökonomische Phänomene können nur unzureichend verstanden werden, wenn man sie aus ihrem soziologischen, politischen oder historischen Kontext reißt und in einem Vakuum darstellt. Um Wirtschaftspolitik intensiv diskutieren zu können, müssen Studierende die sozialen Auswirkungen und ethischen Implikationen ökonomischer Entscheidungen verstehen. Die Umsetzung dieser Formen von Pluralismus wird regional variieren. Sie sollten jedoch folgende Ideen einbeziehen:

  • Vermehrte Einstellung von Lehrenden und Forschenden, die theoretische und methodische Vielfalt in die Studiengänge der Ökonomik tragen;
  • Erstellen und Verbreiten von Materialien für plurale Kurse;
  • Intensive Kooperationen mit sozialwissenschaftlichen oder geisteswissenschaftlichen Fakultäten oder Aufbau spezieller Einrichtungen zur Verantwortung interdisziplinärer Programme.

Dieser Wandel mag zwar schwierig erscheinen. Doch er ist bereits in vollem Gange. Weltweit treiben Studierende diesen Wandel Schritt für Schritt voran. Mit Vorlesungen zu Themen, welche nicht im Lehrplan vorgesehen sind, können wir wöchentlich Hörsäle füllen. Wir haben Lesekreise, Workshops und Konferenzen organisiert, haben die gegenwärtigen Lehrpläne analysiert und alternative Programme entwickelt. Wir haben begonnen, uns selbst und andere in den Kursen zu unterrichten, die wir für notwendig erachten. Wir haben Initiativen an den Universitäten gegründet und nationale und internationale Netzwerke aufgebaut.

 

 

Kontakt: pluralismus@wu.ac.at

Gesellschaft für Plurale Ökonomik Wien

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„Die öffentliche Uni hat der Gesellschaft etwas zurückzugeben“

  • 07.03.2014, 11:13

Die österreichischen Hochschulen befinden sich seit 15 Jahren in einem massiven Wandlungsprozess, der nicht zuletzt unter dem Schlagwort „Bildungsökonomisierung“ diskutiert wird. Luise Gubitzer, Ökonomin und Professorin an der Wiener Wirtschaftsuniversität, erklärt im Gespräch mit progress, warum diese Tendenzen die Forschung verengen und die Gesellschaft viel mehr von der öffentlichen Universität fordern müsste.

Die österreichischen Hochschulen befinden sich seit 15 Jahren in einem massiven Wandlungsprozess, der nicht zuletzt unter dem Schlagwort „Bildungsökonomisierung“ diskutiert wird. Luise Gubitzer, Ökonomin und Professorin an der Wiener Wirtschaftsuniversität, erklärt im Gespräch mit progress, warum diese Tendenzen die Forschung verengen und die Gesellschaft viel mehr von der öffentlichen Universität fordern müsste.

progress: Welche Aufgabe haben die Universitäten heute aus ihrer Sicht?

Luise Gubitzer: Es ist immer noch die „alte“ Aufgabe: junge Menschen zum Denken anzuregen. Diese Rolle des Denkens diskutiert auch Horkheimer in seiner Antrittsrede 1952 an der Universität Frankfurt. Er sagt, die jungen Menschen müssen darin bestärkt werden und wir müssen ihnen Möglichkeiten und Werkzeuge geben, um zu einem eigenständigen Denken zu finden. Philosophen dieser Zeit sind durch die Nazi-Herrschaft darin geschult, dass eine Massengesellschaft Mitläufertum heißen kann. Ich halte es für unsere unmittelbarste Aufgabe, zum Reflektieren anzuregen und eine gewisse Distanz zu realen Prozessen aufzubauen. Aus entsprechenden Beobachtungen ergeben sich wiederum Forschungsaufgaben und Lehrgegenstände für die Universität. Die öffentliche Uni muss sich immer wieder mit den Aufgaben, die sie gegenüber der Gesellschaft wahrzunehmen hat, in Beziehung setzen.

Gerade im Fall der Wirtschaftsuniversität (WU) halte ich es für zentral, nicht nur Ausbildung zu bieten, sondern darüber zu reflektieren, welche Aufgabe bzw. Rolle ein Unternehmen in der Gesellschaft hat. Auch wir sind eine öffentliche Uni, die der Gesellschaft etwas zurückzugeben hat. Und das heißt nicht, sich ausschließlich darauf zu konzentrieren, der gewinnorientierten Wirtschaft qualifizierte ManagerInnen zu liefern. Es braucht ein breiteres Verständnis.

Was erwarten sich aber die Studierenden, wenn sie an die Uni kommen: im Reflektieren geschult zu werden oder eine Berufsausbildung?

Es gibt die Erwartung, die Persönlichkeit weiter zu entwickeln und sich mit der eigenen Aufgabe, dem eigenen Standing in der Gesellschaft zu befassen. Das ist vorhanden und daraus können wir etwas machen. Aber wir müssen das bewusster wahrnehmen. Denn mit der Studieneingangsphase machen wir an der WU das Gegenteil: Massenprüfungen, bei denen die Studierenden nicht mehr als eine Matrikelnummer sind. Und darüber melden die Studierenden tiefe Betroffenheit, sie wollen mehr sein als eine Nummer.

Die jungen Menschen brauchen eine „Ich-Stärkung“. Aber die richtet sich dann eben danach, was ihnen die Universität bietet. Wenn es ein Jahr lang Massenveranstaltungen gibt, dann sozialisieren sie sich im Kontext von Konkurrenz und Egoismus und letztlich entsteht bei denen, die durchkommen, ein elitäres Bild davon, wer man jetzt ist. Es gibt auch andere Fähigkeiten, die bei den Studierenden angelegt sind, etwa Reflexions- oder Kritikfähigkeit – aber die können sie nicht weiterentwickeln, wenn die Rahmenbedingungen es nicht zulassen.

Diese Rahmenbedingungen sind nicht zuletzt durch Tendenzen entstanden, die immer wieder als „Bildungsökonomisierung“ bezeichnet werden. Was verbinden Sie mit diesem Begriff?

Ich sehe verschiedene Ebenen der Bildungsökonomisierung. Es gab an den Universitäten eine Übernahme des Vokabulars, der Denkweise und der Organisationsform aus der gewinnorientierten Wirtschaft. Das drückt sich in quantitativen Auswertungen und im Statuswettbewerb aus – Wissensbilanzen und Rankings spielen hier eine Rolle. Obwohl die öffentliche Universität komplett andere Aufgaben hätte als ein gewinnorientiertes Unternehmen. Aber es herrscht eine industrielle Sichtweise von der Uni vor. Sie wird als Betrieb gesehen, der Waren produziert und seinen Output stets zu steigern hat: mehr Publikationen, mehr AbsolventInnen, etc.

Diese Übernahme der marktwirtschaftlichen Kategorien geht bis zur „Filetierung“, die ja auch ein Element neoliberaler Entwicklungen im Unternehmensbereich ist: also Unternehmen zu teilen und die einzelnen Teile bestmöglich zu vermarkten. An den Unis bedeutet das, dass Monografien als Habilitation nicht mehr gerne gesehen werden. Bereits Dissertationen sollen in drei Artikel filetiert werden und das setzt sich im Forschungsprozess fort. Da stellt sich dann die Frage, wo Grundlagenforschung und ein längerfristiger Denkprozess noch Platz haben.

Sie haben Rankings erwähnt – inwiefern führt dieser Wettbewerb unter den Universitäten zu einer Veränderung dessen, was innerhalb der einzelnen Unis passiert?

An der WU ist Vieles in diese Richtung umgestellt worden. Das äußert sich vor allem darin, dass ProfessorInnen berufen werden, die bereits in Ranking-Journals publiziert haben. Aber dadurch entstehen keine neuen Forschungsrichtungen, weil es für solche eben keine gerankten Journals gibt. Rankings begrenzen die Forschung und auch die Gehirne. Eine Möglichkeit dem entgegen zu wirken wäre, dass man im Rahmen des Hochschulbudgets einen Topf zur Verfügung stellt, der nur dazu da ist, völlig unorthodox zu forschen. Es muss Platz für freie Forschung geben.

Eine andere Entwicklung, die in Zusammenhang mit „Bildungsökonomisierung“ immer wieder genannt wird, sind Privatisierungen. Wie sehen Sie das?

Das kann man an der WU deutlich beobachten: Es gibt einen privaten Sicherheitsdienst, einen privaten Putzdienst – neuerdings werden sogar Prüfungserstellung und Prüfungsvorbereitung outgesourct. Gleichzeitig gibt es starke Bestrebungen die Drittmittelforschung auszubauen. Das halte ich für ein großes Problem. Es gibt Stiftungsprofessuren, die von Unternehmen gesponsert werden. Das heißt nicht nur, dass die Person die Inhalte beeinflusst, sondern sie kann auch ihre Sichtweise von der Institution Universität und deren Aufgaben in die Gremien hineintragen. Denn im Rahmen der Ökonomisierung sind die Universitäten ja auch stark hierarchisiert worden – Stichwort: Universitätsgesetz.

Ein aktuelles Thema ist in dem Zusammenhang auch das Sponsoring. Wenn Sie durch den WU-Campus gehen, sehen Sie die OMV Library, den Redbull Hörsaal und so weiter. Durch die ständige Präsenz der Unternehmen wird es schwieriger, diese kritisch zu hinterfragen. Aus Sicht der Unternehmen ist das eine sehr gute Werbemaßnahme. Es wäre interessant zu wissen, was in diesen Sponsoringverträgen steht.

Zynisch formuliert könnte man ja sagen, dass die Unis in Anbetracht der chronischen Unterfinanzierung froh sein können, wenn sie Geld von Privaten erhalten.

Das Problem daran ist, dass es zunehmend zu einer Selbstverständlichkeit wird, dass sich Universitäten so finanzieren. Auch die Ankündigung von Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner, die Drittmittelforschung noch weiter ausbauen zu wollen, zeigt, dass sich der Staat zunehmend auf eine Art Basisfinanzierung zurückzieht. Den Rest müssen sich die Unis dann anderswo herholen. Für mich ist die Aufgabe des Staates aber nach wie vor die volle Ausfinanzierung der öffentlichen Bildung – für alle, die studieren wollen und zwar ohne Studiengebühren. Öffentliche Bildung hat nämlich vielfache positive, multiplikative Effekte.

Aber entspricht das noch dem Selbstbild der Politik? Ist nicht der Sachzwang, dass es zu wenig Geld gibt und alle sparen müssen, hegemonial geworden, weshalb der Rückzug der Politik aus der Finanzierung legitim erscheint?

Mit der Ökonomisierung der Bildung ist auch eine Ökonomisierung der PoltikerInnen und der RektorInnen einhergegangen. Sie verstehen sich als ManagerInnen und zu managen bedeutet auch, weitere Drittmittel zu lukrieren. Grundsatzentscheidungen über die Ausrichtung der Universitäten  dürfen ihnen aber nicht alleine überlassen werden. Auch die Regierung soll nicht alleine bestimmen können. Für mich müsste diesbezüglich die Rolle des Parlaments, als zentrale Institution einer Demokratie, gestärkt werden. Auch die Studierenden und die wissenschaftlichen MitarbeiterInnen an den Unis müssten stärker eingebunden werden. Und nicht zuletzt muss sich auch die Öffentlichkeit für ihre Interessen stark machen.

Inwiefern?

Das öffentliche Bild der Universitäten hat sich in den letzten zehn Jahren massiv verschlechtert. Wir werden darauf reduziert, Studierende für den Arbeitsmarkt auszubilden. Dabei müsste sich die Gesellschaft viel stärker fragen, was sie von einer öffentlichen Universität erwartet und was sie von einer Forschung haben will, die aus Steuermitteln finanziert wird. Die Unternehmen wissen ganz genau, was sie von den Unis erwarten. Aber andere  gesellschaftliche Gruppen verlangen viel zu wenig von den Unis. Menschen, die in den Universitäten sind und noch etwas anderes wollen, als Studierende für den Arbeitsmarkt auszubilden, müssen gestärkt werden, um Lehre und Forschung voranzubringen. Das und eine Wiederaufwertung der internen Mitbestimmung sind erste, dringende Voraussetzungen, um die Unis wieder auf einen anderen Kurs zu bringen.

 

Interview: Theresa Aigner

 

 

 

Als wäre ein Professor mehr wert als ich

  • 07.12.2013, 17:52

Sexuelle Belästigung an der Uni hat viele Gesichter. In den meisten Fällen bleibt sie jedoch unbemerkt.

Ein Professor, der seine Studentin auf einen gemeinsamen Kurzurlaub einlädt; ein Lektor, der seine Seminarteilnehmerin plötzlich küssen möchte, und ein Arzt, der sich im OP-Saal über den Beziehungsstatus seiner Studentinnen informiert. Sexuelle Belästigung an der Uni hat viele Gesichter; in den meisten Fällen bleibt sie jedoch unbemerkt.

Er ist eigentlich sehr beliebt“, erzählt Sophie*. Die Studierenden mögen ihn, wegen seiner lockeren Art in den Lehrveranstaltungen, er ist lustig und jung – Mitte 30 – und unterrichtet an der Universität Wien. Nach dem Unterricht lädt er die Kursteilnehmerinnen ein, mit ihm etwas trinken zu gehen, und flirtet mit Studentinnen. „Die meisten finden das nett. Ich fand es komisch, dass ein Lehrender ständig danach fragt, ob man gemeinsam fortgeht“, erinnert sich die 24-Jährige an ein Seminar vor mittlerweile zwei Jahren. Als Studentin fühle man sich doch „irgendwie gezwungen“ mitzugehen.

Im Jahr 2012 veröffentlichte die Ruhr-Universität Bochum eine Studie, die 22.000 Studentinnen von 34 höheren Bildungseinrichtungen in Deutschland, Italien, Polen, Spanien und Großbritannien zu den Themen sexualisierte Gewalt, Belästigung und Stalking befragte. In dem EU-Projekt gaben 61 Prozent der Befragten an, während ihres Studiums mindestens einmal Opfer von sexueller Belästigung geworden zu sein. Rund ein Drittel der Frauen schilderte, dass ihnen nachgepfiffen wurde oder anzügliche Bemerkungen gemacht wurden. Knappe 15 Prozent gaben an, dass ihnen jemand auf unangenehme Weise zu nahe gekommen sei.

MEDIALER TABUBRUCH. Trotzdem ist sexuelle Belästigung ein an den Unis sowie in den Medien kaum besprochenes Thema. Diesbezügliche Aufregung gab es hierzulande 2009, als in einem profil-Artikel mit dem Titel „Altherrenschwitze“ etwa Heinrich Schmidinger, Rektor der Universität Salzburg, beschuldigt wurde, von 20 bis 30 Fällen von sexueller Belästigung gewusst und es unterlassen zu haben, diese zur Anzeige zu bringen. Die lokale Gleichbehandlungsbeauftragte Daniela Werndl vermutete eine hohe Dunkelziffer an Opfern. Schmidingers Kommentar dazu: „Ich fühle mich persönlich sehr schlecht.“ Genaue Angaben sind laut der Vorsitzenden des Arbeitskreises für Gleichbehandlungsfragen (AKG) an der Uni Salzburg, Siegrid Schmidt, bis heute aus „rechtlichen bzw. Gründen des Datenschutzes nicht möglich“.

Direkt an der Uni ist Sophie nie etwas passiert. Nachdem sie ihre Lehrveranstaltung abgeschlossen hatte, begegnete sie ihrem Lektor zufällig beim Fortgehen im Club – sie erinnert sich, dass er „ziemlich betrunken“ gewesen sei. Miteinander unterhalten haben sie sich nicht. Plötzlich stand er vor ihr und sprach sie mit ihrem Namen an. Er meinte, er würde sie gerne küssen. Sophie hat damals sofort den Club verlassen und hat sogar über den Lektor gelacht. Sie konnte sich gegen die Anmache „wehren“. Trotzdem war sie froh, dass ein Freund neben ihr stand und die Situation mitbekam. „Er war nicht aufdringlich oder aggressiv. Aber es war mir einfach trotzdem sehr unangenehm“, erzählt sie. Seither hat sie es vermieden, bei diesem Lehrenden Seminare zu besuchen. Sie fühlt sich „komisch“ in seiner Gegenwart. Außerdem fürchtet sie sich vor den Konsequenzen ihrer Ablehnung. „Ich hätte Angst, dass er mir die Abfuhr übel genommen hat und sich das dann auf meine Note auswirken könnte“, meint sie.

Zum Zeitpunkt des Vorfalls hatte die Studentin bereits einige Gerüchte über diesen Lehrenden gehört. Er würde mit jüngeren Studentinnen schlafen, sie beim Fortgehen treffen und dann nach Hause begleiten. „Man weiß ja aber nicht was stimmt, von dem, was erzählt wird“, sagt sie. Als Sophie überlegte, sich beim Institut zu beschweren, war es ein Lehrender, der ihr Unterstützung anbot. „Er meinte aber, dass man wenig machen kann, da ich das Seminar bei besagtem Lehrenden zum Zeitpunkt des Vorfalls schon abgeschlossen hatte.“ Dazu kam, dass dieser nicht im Unigebäude oder in Zusammenhang mit dem Unialltag passiert war und Sophie wollte den Vorfall nicht dramatisieren – viele Studienkolleg_innen verteidigten den Lehrenden eher und beschwichtigten, dass das ja alles „auf Gegenseitigkeit basiert“. Sophie ließ von einer Beschwerde ab. „Ich glaube, dass durch seine Jugendlichkeit niemand das trotzdem existierende Machtverhältnis sieht. Es ist nicht dieses klassische Bild von einem alten Professor, der junge Studentinnen angräbt“, sagt sie. „Aber es ist doch schräg, dass ein Lehrender systematisch 20-Jährige anbrät und sich seine Dates über Lehrveranstaltungen checkt.“

Foto: Joanna Pianka

MACHTMISSBRAUCH. Sexuelle Belästigung ist laut Sylwia Bukowska, Leiterin der Abteilung Frauenförderung und Gleichstellung an der Universität Wien, eine komplexe Angelegenheit. Dabei gehe es immer auch um Macht, weshalb das Thema immer noch stark von Tabuisierung betroffen ist. Eine beträchtliche Rolle spielt auch die nach wie vor gesellschaftlich und medial weit verbreitete Degradierung von Frauen zu Sexualobjekten. Von dem Machtgefälle an der Hochschule weiß auch Katharina Hawlik zu berichten. Sie ist studentisches Mitglied im Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen der Medizin-Uni Wien und stellt fest: „Die Krankenhaushierarchie schlägt sich auch im Alltag vieler Medizinstudentinnen nieder.“ Gerade bei Famulaturen oder im Operationssaal bekämen Studentinnen immer wieder sexistische Kommentare zu hören: „Ich habe es schon erlebt, dass männliche Ärzte ihre Studentinnen vor allen Kolleg_innen bezüglich ihres Beziehungsstatus ausfragten.“ Die Medizinische Universität trägt laut Hawlik aber nicht primär die Verantwortung für dieses „Dilemma“. Das Hauptproblem seien eben die „hierarchischen Krankenhaussysteme“. „Da Hochschule und Krankenhäuser eng miteinander verbunden sind, müsste die Universität hier aber mehr Sensibilisierungsarbeit leisten.“ Immer wieder kommt es auch zu unklaren Situationen, wenn Ärzte speziell Studentinnen fördern. „Es entsteht ein Graubereich, wo die Intention nicht mehr klar ist“, sagt Hawlik. Gleichzeitig trauen sich die meisten Studentinnen nicht, über das Problem zu sprechen, und melden sich daher nicht bei den Anlaufstellen. „Sei es aus Angst vor den Konsequenzen oder wegen der Unsicherheit, ob die eigene Wahrnehmung auch richtig ist“, erklärt Hawlik. Gerade bei einmonatigen Famulaturen scheint dabei für die meisten „Durchtauchen die einfachere Lösung zu sein“. Darüber hinaus wissen die Studierenden meist nichts von den Möglichkeiten, sich zu beschweren. Die Universitätsvertretung der ÖH an der Medizin Uni Wien führt daher seit diesem Wintersemester eine Kampagne, um Einrichtungen für Hilfe bei sexueller Belästigung bekannter zu machen.

Grundsätzlich ist an jeder öffentlichen Universität ein Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen eingerichtet. Neben der Mitwirkung und Kontrolle bei Habilitations- und Berufungskommissionen ist der Arbeitskreis auch für Fälle von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zuständig. Eine solche liegt laut Bundes-Gleichbehandlungsgesetz (B-GBlG) vor, wenn Studierende von einer Vertreterin oder einem Vertreter der Universität sexuell belästigt werden oder diese es unterlassen, bei einer ihnen bekannten Belästigung einzuschreiten. Dabei ist die Definition der sexuellen Belästigung sehr offen gehalten und bezieht sich auf „ein der sexuellen Sphäre zugehöriges Verhalten“, das die „Würde einer Person beeinträchtigt“ oder deren Beeinträchtigung „bezweckt“. Zusätzlich muss dieses Verhalten laut Gesetz für die betroffene Person „unerwünscht, unangebracht, entwürdigend, beleidigend oder anstößig“ sein und eine „einschüchternde, feindselige oder demütigende Studienumwelt“ für die betroffene Person schaffen oder dies bezwecken.

UNKLARE DEFINITION. Da die Definition des Begriffs „sexuelle Belästigung“ im B-GBlG schwammig ist, haben die Universitäten Wien, Salzburg und das Mozarteum eigene Leitfäden in Form von Broschüren herausgegeben, um klarere Verhältnisse zu schaffen. In der Broschüre „Grenzen. Erkennen. Benennen. Setzen.“ der Uni Salzburg und des Mozarteums wird zwischen verbaler und non-verbaler Gewalt unterschieden. Nicht nur unerwünschte körperliche Nähe bis hin zur Vergewaltigung wird als sexuelle Belästigung klassifiziert. Auch „Ausziehblicke“, herabwürdigende, sexuell konnotierte Gesten, das Verbreiten von pornographischen Bildern sowie unerwünschte Geschenke, abwertende Namensgebungen, lästige Fragen zum Sexualleben oder unerwünschte Einladungen werden als Formen von sexueller Belästigung angeführt.

Neben ihrer Broschüre versuchen Universität Salzburg und Mozarteum auch verstärkt auf die entsprechende Telefon-Helpline hinzuweisen. Eine Einschätzung der Gesamtsituation findet Schmidt aber noch immer „sehr schwierig“. Vor allem weil die „Bereitschaft der Opfer nicht besonders groß ist, die Beratungs- und Hilfsangebote anzunehmen“. Jedoch liegt dies wohl weniger an der mangelnden Bereitschaft der Betroffenen, das Schweigen zu brechen, sondern vielmehr daran, dass der Umgang der Institutionen mit der Problematik bis heute zu wünschen übriglässt. Sylwia Bukowska geht davon aus, dass Betroffene häufig im persönlichen Umfeld und außerhalb der Universität Hilfe suchen. Bukowska hat an der Uni Wien am Gesamtkonzept für Belästigung und Mobbing in Österreich mitgearbeitet. Eines der wichtigsten Anliegen war dabei von Anfang an die absolute Wahrung der Schweigepflicht und die Möglichkeit auf Anonymität: „Wir versuchen eine Balance zu finden zwischen der Tatsache, dass wir eine universitäre Institution sind, und dem Anspruch, hochwertige Beratung anbieten zu können, die sich auch außerhalb der universitären Strukturen bewegt.“ Nur ihre Kollegin, die die Beratungsgespräche führt, kennt die Namen der Betroffenen.

Foto: Joanna Pianka

PSYCHISCHE BELASTUNG. Veronika* wurde vor einem Jahr von ihrem Professor auf eine Konferenz eingeladen. Als dieser davor noch einen gemeinsamen Kurzurlaub plante, lehnte die 28-Jährige ab. Auf kleine Anspielungen folgten E-Mails und Einladungen zu Dienstreisen und Kongressen. Als sie auch die Einladung zu einer Dienstreise per E-Mail ablehnte, wurde er wütend. Die Zusammenarbeit mit dem Professor wurde für Veronika unmöglich. Seitdem kämpft sie jeden Tag mit Schikanen. Seit zwei Jahren sucht sie Hilfe gegen die sexuellen Belästigungen durch ihren Professor – vergeblich. Veronika versuchte gegen ihren Professor vorzugehen und wandte sich an die Frauenbeauftragte ihrer Universität und an eine Psychologin. Die Erfahrungen damit waren für Veronika durchwegs enttäuschend. Der Fall wurde nicht ernst genommen. Ihr Anwalt meinte, er könne ihr nicht helfen, da ihr Professor sie ja nicht außerhalb ihres Arbeitsplatzes „stalken“ würde.

Erst als Veronikas Professor aufgrund anderer Projekte zu beschäftigt war, ließ er von ihr ab. „Aber ich denke, dass wieder etwas passieren wird“, fürchtet sie. Er werde zwar nie übergriffig, aber es spiele sich alles auf der „mentalen Ebene“ ab. Der Professor setze sie unter Druck und versuche sie „fertig zu machen“. Dass er etwas falsch macht, sieht er nicht ein. Jeden Tag recherchiert Veronika am Institut für ihre Masterarbeit – er arbeitet im Nebenzimmer.

Nicht nur in der Uni sind Studierende sexueller Belästigung ausgesetzt. Zwei Drittel von ihnen müssen neben dem Studium arbeiten, um sich ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. So auch Frank*. Der 22-Jährige kam diesen Herbst nach Wien. Da er Geld brauchte, fing er in einem Lokal zu arbeiten an. Sein Chef begann bald, ihm persönliche SMS zu schreiben, einmal zwickte er ihn in den Hintern. Für Frank ist dadurch eine schwierige und belastende Situation entstanden: „Ich habe Angst, wenn ich nachts allein mit ihm das Lokal zusperre. Aber ich kann es mir nicht leisten zu kündigen.”

Allein im Dunkeln, womöglich mit dem/der potentiellen Täter_in in der Nähe – das ist auch auf der Uni furchteinflößend. Sexuelle Übergriffe zu bekämpfen heißt unter anderem auch, bauliche und logistische Maßnahmen zu setzen, damit sich Studierende sicher fühlen können. Aus diesem Grund hat die Medizin-Uni Wien zweijährliche Evaluierungen von Gefahrenquellen und Angsträumen in ihren Frauenförderungsplänen verankert. Auf dieser Basis sollen gezielte Konzepte zur Verbesserung der Sicherheit entwickelt werden. Denn dunkle Gänge in den Bibliotheken, am Campus oder in den Universitätsgebäuden sind Angstherde. Da die Universitäten nachts oft weitgehend menschenleer sind, ist es gerade nach Lehrveranstaltungen am Abend schwierig, im Fall eines Übergriffs Hilfe zu finden.

KLARES STATEMENT. Bis das Ziel einer Universität frei von sexueller Belästigung erreicht ist, ist es ein langer Weg, der aus vielen kleinen Schritten besteht. „Ein klares Statement gegen sexuelle Belästigung seitens der Universität ist notwendig, um einen Wandel des Blickwinkels innerhalb der Institution Universität zu erreichen. Deshalb fand dieses Thema explizit Eingang in den Verhaltenskodex der Universität Wien“, so Sylwia Bukowska. Siegrid Schmidt sagt über die Salzburger Uni: „Die Universität ist sehr interessiert daran, dass nichts im Verborgenen bleibt, dass jede Form der sexuellen Belästigung abgestellt wird.“

Für jene, die von sexueller Belästigung betroffen sind, bleibt die Tabuisierung jedoch ein reales Problem. Das weitgehende Fehlen eines Bewusstseins für sexuelle Belästigung an Hochschulen findet Veronika fatal. Für sie wurde mit der Zeit immer deutlicher, dass sie mit einem Problem kämpft, für das sich niemand zuständig fühlt. Auch nicht die Universität. „Mir kommt es vor, also ob die Universität in meinem Professor mehr Wert sehen würde als in mir – ich bin nur eine von tausend Studierenden.“

Namen wurden von der Redaktion geändert. Die Autorinnen Marlene Brüggemann und Oona Kroisleitner studieren Philosophie und Rechtswissenschaften an der Uni Wien.

 

Telefon-Helpline Uni Salzburg und Mozarteum:

Mi, 13–14 Uhr, 066/499 9 59 68 ÖH-Helpline (österreichweit): 01/585 33 33

http://www.oeh.ac.at/#/studierenleben/sozialesundgeld/ helpline/

 

Kollegialität als Konflikt

  • 24.02.2013, 09:59

Was passiert, wenn zwischen StudentInnen und Lehrenden eine Konfliktsituation entsteht?

Was passiert, wenn zwischen StudentInnen und Lehrenden eine Konfliktsituation entsteht?

Die Studentin möchte gerne anonym bleiben. Zuviel wurde bereits gestritten. Wir nennen sie daher Stefanie. Sie kommt gerade von der Mittagsschicht in einem italienischen Restaurant und wirkt gehetzt. Ihr Job nimmt nicht auf Prüfungszeiten Rücksicht. Stefanie studiert in einem sogenannten Massenstudiengang. Die STEOP bestimmt ihren Alltag. Durch diese neue Studieneingangsphase, so die 19Jährige, habe sich die Natur der Hürden im Studium verändert. Leider fehlt den DozentInnen oft das Verständnis für den Zeitdruck, unter dem viele StudentInnen stehen. Vor einigen Wochen mussten Präsentationen gestaltet werden, parallel zur obligatorischen Klausur. Vorab gab es schon Unstimmigkeiten zwischen der Veranstaltungsleitung und den Studierenden. Die Lehrende schien mit dem überfüllten Kurs überfordert zu sein, erzählt Stefanie. Ihre Projekt­arbeit musste sie dann dreimal aufs Neue einreichen.

Ein Prozess, der sich über sechs Wochen hinzog, bis in den Beginn der Prüfungszeit hinein. Jedes Mal, wenn sie angemerkte Verbesserungswünsche umsetzte, wurden andere Mängel als Ablehnungsgrund genannt. Schließlich holte sie sich Hilfe bei einer befreundeten Kommilitonin. Diese überarbeitete das Projekt im eigenen Stil. Letztlich erhielt die Studentin die Note Genügend – mit einem sarkastisch formulierten Begleitbrief, der ihr ein Scheitern im Studium prognostizierte.

Frust und Protest. Stefanies Erlebnis ist beispielhaft für ein universitäres Klima, das es sowohl Studierenden, als auch DozentInnen immer schwieriger macht, dem Lehrauftrag zufriedenstellend nachzukommen. Vom zunehmenden Zeitdruck bei gestiegener Produktivitäts- erwartung sind sowohl StudentInnen wie auch Lehrende betroffen. So verliehen jüngst 300 BWL-ProfessorInnen aus dem deutschsprachigen Raum ihrer Frustration über ein Ranking der Wirtschaftszeitung Handelsblatt in einem Protestbrief Ausdruck. Auch  SoziologInnen üben Kritik am Hochschulranking des Centrum für Hochschulentwick­lung, an dem sich jährlich tausende StudienanfängerInnen orientieren, dem aber gravierende methodische Mängel unterstellt werden. Das Hochschulsystem wandelt sich und seine Qualität wird zunehmend am relativen wissenschaftlichen Output gemessen, jedoch nicht an der Güte der Ergebnisse. Ausbildung statt Bildung. Determinierender Faktor auf Seiten der Studierenden dürfte in jüngster Zeit vor allem die seit 2011 obligatorische neue Studieneingangsphase STEOP sein. 80 Prozent der Befragten in der Umfrage „STEOP-Watch“ berichten von unverhältnismäßigem Druck in diesem Studienabschnitt. Ein Druck, der das Potential hat, das Klima zwischen Lehrkräften und StudentInnen zu verschärfen.

Wenn sich dieses Konfliktpotential in die Hörsäle und Seminarräume hinein verlagert, wird das von den allermeisten StudentInnen hingenommen. Relevanz gewinnen die Probleme meist erst, wenn sie eine breite Masse betreffen, also beispielsweise unfaire Bewertungen den ganzen Kurs betreffen. In diesen seltenen Fällen schreitet für gewöhnlich die Fakultätsleitung ein. Private Internetplattformen wie meinprof.de bieten darüber hinaus die Möglichkeit, Lehrkräfte zu bewerten, sind aber nicht repräsentativ. Im Einzelfall überlagern meist Emotionen die sachliche Entscheidungsfähigkeit – oft auf beiden Seiten. Eine lange Auseinandersetzungskette kann die Folge sein, wie im einführenden Beispiel.

Das Universitätsgesetz lässt den StudentInnen diesbezüglich leider nur wenig Spielraum, weil die Bewertung ausschließlich in der Kompetenz der Lehrenden liegt. Jedoch sollte ein sachliches Gespräch in jedem Fall als Lösung einer Konfliktsituation versucht werden. Scheitert dies, stehen den Betroffenen theoretisch die Instanzenwege bis zur Fakultätsleitung offen. Sexuelle Übergriffe. Der Übergang zwischen unfairer Bewertung und rechtlicher Grauzone ist fließend, wenn es um die Lehrkräfte der Universität geht. Ein häufiges Problem sind sexuelle Übergriffe auf Studentinnen. Die von der EU geförderte Studie Gender-Based Violence, Stalking and Fear of Crime konstatiert, dass in über sieben Prozent der Fälle sexueller Übergriffe ein Angestellter einer Universität der mutmaßliche Täter sei. Den Handlungsspielraum der Betroffenen schränken emotionale Faktoren sowie Hürden von Seiten der Universität ein.

Während die Betroffene oft aus Scham keine Beschwerde abgibt, wird der mutmaßliche Täter von Seiten der Universität oft gedeckt, um einen Ansehensverlust der Fakultät zu verhindern. Die Studentinnen, so die AutorInnen der Studie, entwickelten in Folge oft Vermeidungsstrategien und klammerten bestimmte Vorlesungen oder Seminare aus. Mit Folgen für die eigene Studienleistung. 

Offenes Fehlverhalten von Seiten der Universitätskräfte sollte jedoch nicht ohne weiteres akzeptiert werden. Für Studenten und Studentinnen, die von Übergriffen durch Lehrkräfte betroffen oder in Konflikte verwickelt sind, bieten sich neben dem Instanzenweg auch Beratungsstellen an. Die ÖH bietet sowohl an deiner Universität wie auch bundesweit in verschiedenen Referaten Hilfe bei jeglichen Fragen an.

Hier gehts zum Beratungsangebot der ÖH!

 

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