„Es war wie eine Mischung aus der Schachnovelle und dem Prozess“

  • 11.07.2014, 17:20

Ein Lehrstück der Repression: Gregor S. schildert seine Festnahme bei #blockit, Haft und all jenes, was (auch friedliche) Demonstrant*innen in Wien zu erwarten haben

Ein Lehrstück der Repression: Gregor S. schildert seine Festnahme bei #blockit, Haft und all jenes, was (auch friedliche) Demonstrant*innen in Wien zu erwarten haben

Am 17. Mai marschierten etwa 100 internationale Mitglieder einer jungen rechten Bewegung durch Wien. Sie nennen sich „die Identitären“, sorgen sich um die ethno-kulturelle Reinheit ihrer Nationen und schwingen gelb-schwarze Fahnen. Mit Slogans wie: „More border, more nation, stop immigration!“ wollten sie die Wiener Mariahilferstraße hinunter ziehen.

Der Verein „Offensive gegen Rechts“ rief in Folge zu einer Gegendemonstration auf. progress online berichtete in der Fotostrecke Kampf um die Straßen Wiens.

200 der ungefähr 400 antifaschistischen Gegendemonstrant*innen haben nun Anklagen zu befürchten. Darunter auch Gregor S*.

Der junge Mann aus Wien war bei der Demonstration gegen die neuen Rechten dabei, weil er nicht mitansehen wollte, „wie im Jahre 2014 Faschisten ungehindert mit ihren Parolen durch Wien schreiten“. Er beobachtete die Festnahme einer Frau, die behauptete, schwanger zu sein und um die sich später auch das Gerücht verbreitete, sie hätte wegen Polizeigewalt eine Fehlgeburt gehabt. Gregor S. war auch dabei, als die insgesamt 230,- € Sachschaden durch die Gegendemonstration entstanden (Anmerkung: Der Sachschaden wurde später von der Polizei auf 170,- € revidiert). Er schildert progress gegenüber den Ablauf und beschreibt seine Festnahme und Haft im Rahmen der Gegendemonstrationen, die unter dem Namen und Hashtag #blockit bekannt wurden.

progress online: Herr S., sind Sie gewaltbereit?

Gregor S.: Ich verstehe die Frage nicht. Was bedeutet denn gewaltbereit überhaupt? Eine Person ist entweder gewalttätig oder eben nicht. Dieser absolut schwammige Begriff der „Gewaltbereitschaft“ ermöglicht nur Angstmacherei und Hetze.

Festgenommen wurden Sie jedenfalls, also hat die Polizei Sie als gefährlich eingestuft.

Ich bin ein durchschnittlicher Demonstrationsteilnehmer, der einfach gegen Faschisten auf die Straße gehen wollte.

Gehören Sie zu einer Szene? Anarchos, Punks? Bewegen Sie sich in einem dem Verfassungsschutz bekannten Milieu?

Nicht, dass ich wüsste.

Können Sie die Ereignisse rund um Ihre Festnahme schildern? Wie sind Sie überhaupt im Douglas-Geschäft, wo der Sachschaden entstanden ist, gelandet?

Gegen Ende der Demonstration hieß es, dass wir zum Rathausplatz gehen. Die Polizei hatte angefangen, einzelne Gruppen einzukesseln bzw. ihnen nachzulaufen – so landeten wir in der Josefstädterstraße. Hinter uns war ein ziemlich großer Polizeitrupp, der das Pfefferspray schon in der Hand bereit hielt, also rannten wir weiter.

Wurden irgendwelche Dinge nach der Polizei geworfen? Diese in irgendeiner Form angegriffen?

Nein, wir liefen nur davon. Jemand schmiss dabei hinter sich ein Absperrgitter um, um die Polizei-Gruppe zu verlangsamen. Das war’s dann aber auch.

Was passierte weiter in der Josefstädterstraße?

Aus der anderen Richtung kam uns ein weiterer Trupp entgegen, wir waren also umzingelt. Daraufhin liefen ungefähr 30 Leute in das Douglas-Geschäft in der Nähe. Die Polizei hat uns quasi hineingetrieben – wir hatten Angst vor dem Pfefferspray. Es gab unter den Demonstrant*innen in dieser Situation Panik. Dabei ist ein Ständer mit Sonderangeboten oder Ähnlichem im Geschäft umgefallen bzw. umgeworfen worden. Das ist, denke ich, der Grund, warum es gegen uns alle Verdacht auf Sachbeschädigung gab. 

Das waren also die 230€ Sachschaden? Ein Ständer in einer Drogerie?

Ja. Für eine Parfumerie ist das gar nicht mal so viel, ein paar Flaschen am Boden. Das war jedenfalls die Szene, die in den Medien als „Verwüstung eines Lokals in der Josefstädterstraße“ herumgereicht wurde.

Wie hat die Polizei die Lage unter Kontrolle gebracht?

Größtenteils durch Einschüchterung. Sie zerrten uns heraus und legten oder setzten uns auf den Gehsteig. Einem Demonstranten wurden sogar kurz Handschellen angelegt.

Wart ihr vermummt, geschützt?

Nein.

Wie viele Männer und wie viele Frauen waren unter den Festgenommenen aus der Parfumerie?

Ich habe nicht nachgezählt und kann mich daher nicht genau erinnern – es waren aber auf jeden Fall mehr Frauen als Männer. Die Polizei war übrigens ausschließlich männlich. Die Frau, von der es nachher hieß, sie hätte eine Fehlgeburt gehabt, war ebenfalls dabei. Ich beobachtete, wie es zum Konflikt zwischen dieser Frau und den Polizisten kam, als sie abgeführt werden sollte. Sie stand fünf Beamten gegenüber, die sie anbrüllten. Von der Seite kamen mehr Polizisten dazu, einer packte sie an der Schulter und riss sie um. Sie fiel bäuchlings auf den Boden und der Polizist landete auf ihr. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Frau und mehrere andere Demonstrant*innen versucht, der Polizei klarzumachen, dass sie schwanger sei.

Wie hat die Polizei auf diese Information reagiert?

Zunächst gar nicht. Nach einer Weile, als auch zwei andere Demonstrant*innen eine Panikattacke hatten – eine davon war 14 Jahre alt – rief die Polizei dann die Rettung.

Wie traten die Polizist*innen Ihnen und den anderen Teilnehmer*innen gegenüber auf?

Die Polizei war grundlos sehr aggressiv. Beschwerden oder eben Panikattacken belächelte sie. Die Demonstrant*innen wurden unnötig rau behandelt, die Polizisten wurden persönlich beleidigend. Sie brüllten uns ununterbrochen an. Chaoten, Zecken und Vandalen schimpfte uns etwa ein Polizist. Es schien mir, als würde er völlig durchdrehen und nur darauf warten, uns zusammenzuschlagen. Nachdem ich ihn bat, sich etwas zu beruhigen, wurde ich auf den Boden geworfen und weiter beleidigt: „Bleib unten, G’schissener!“

Was ist weiter passiert? Wie ging die Festnahme vor sich?

Männer und Frauen wurden zunächst getrennt. Personaldaten wurden aufgenommen, wir wurden durchsucht und man nahm uns alle persönlichen Gegenstände ab. Dann führten Polizisten die Menschen in kleinen Gruppen ab. Ich weiß nicht genau, wie viele Menschen in so ein Polizeiauto passen – jedenfalls gibt es in so einem Bus mehrere getrennte Abteile, in die die Demonstrant*innen einzeln eingesperrt werden.

Wie sieht es in diesen Zellen im Polizeiauto aus?

Sie sind ganz weiß und es gibt eine Überwachungskamera. Es gibt keine Gurte – eine Vollbremsung wäre sehr gefährlich. Es gibt auch keine Möglichkeit, sich festzuhalten, es ist ein ganz steriler kleiner Raum mit einer kleinen Bank. Genau so, wie es immer in den Filmen in aussieht, wenn vermeintlich Verrückte in eine Zelle kommen.

Wohin ging es mit dem Auto?

Man fuhr uns ins Anhaltezentrum Roßauer Lände. Dort wurden wieder alle einzeln herausgeführt. Ich wurde am längsten im Auto sitzen gelassen – vielleicht, weil ich darin herumgetrommelt und Lärm gemacht habe.

Was ist dann der konkrete Vorgang im Anhaltezentrum?

Zuerst gibt es eine Leibesvisitation in einer größeren Eingangshalle. Ich musste Hemd, Gürtel und Schuhe ausziehen, wurde genau abgetastet – das passierte immer durch einen Beamten in kleineren Kabinen. Dann wurde eine Liste meiner Besitztümer angefertigt, die ich unterschreiben musste. Interessanterweise wurde genau der Gegenstand, den sie mir als Waffe hätten auslegen können – eine recht große Glasflasche – nicht aufgeschrieben. Ich denke, sie haben einfach darauf vergessen. Danach wurde ich von zwei Beamten in den Zellentrakt gebracht und eingeschlossen.

Beschreiben Sie bitte Ihre Zelle.

Der kleine Raum war sehr hoch, gelb gestrichen und hell beleuchtet. Es gab ein Bett, ein vergittertes Fenster, einen Holztisch, ein Waschbecken und einen zerbrochenen Spiegel. Ein WC, das zuletzt vor ungefähr hundert Jahren geputzt wurde; das Wasser, das aus dem Hahn kam, war die ersten zehn Sekunden lang knallgelb. Die Tür war sehr massiv und aus Metall und hatte einen Schlitz, der nur von außen geöffnet werden konnte. Es gab auch eine Gegensprechanlage, die ich von innen nutzen konnte.

Wurde Ihnen irgendwann erklärt, warum Sie festgenommen und in eine Einzelzelle gebracht werden?

Nein. Ich schätze, dass sie zuerst die Einzelzellen füllten, bis keine mehr übrig waren und dann dazu übergingen, andere Zellen mit Demonstrant*innen zu belegen. Meine Rechtsbelehrung an dem Tag: „Sie wissen, dass sie das Recht haben, nicht auszusagen. Sie müssen nix sagen, aber Sie wissen eh, dass das schlecht wäre für Sie.“ Ich fragte mehrere Male, wieso ich festgenommen werde, bekam aber meistens keine Antwort. Erst am Weg zur Zelle sagte mir ein Beamter, dass es Verdacht auf Sachbeschädigung gäbe.

Was machten Sie in der Zelle?

Mir war sehr langweilig, weil es in der Zelle gar nichts zu tun gab und mir alles abgenommen wurde. Ich verschob dann das Bett, um draufzusteigen und aus dem Fenster heraus sehen zu können. Kurz darauf erschien zufällig ein Beamter mit einem medizinischen Fragebogen – es gab in der Zelle keine Kamera. Er fragte mich, was ich da mit ihrem Bundeseigentum aufführte und meinte, dass ich gefälligst runterkommen soll. Ich wurde noch zwei Mal kurz herausgeführt: Ein Arzt maß mir den Blutdruck und es wurden Fotos und Fingerabdrücke gemacht. Mittlerweile weiß ich, dass das mit den Fingerabdrücken wohl nicht einmal erlaubt gewesen wäre.

Woran dachten Sie zu dieser Zeit?

Ich habe nur versucht, nicht wahnsinnig zu werden. Ich grübelte darüber, was wohl passieren würde und ob ich noch am selben Tag heimgehen dürfte. Ich hatte noch nie Erfahrungen mit der Polizei gemacht und war auch sehr schockiert darüber, wie sie bei der Demonstration vorgegangen ist. Ich hatte das nicht erwartet. Ich dachte früher immer, dass Polizist*innen auch nur einfache Menschen seien, die ihren Beruf ausübten. Ich konnte den ganzen Polizeihass davor nicht nachvollziehen. Aber an diesem Tag realisierte ich einiges. Die Polizist*innen agierten willkürlich und wussten genau, dass sie sich alles leisten können. Ich hatte Angst. Ich bin die ganze Zeit nur auf und ab gegangen. Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war…

Hätten Sie nachfragen können?

Wahrscheinlich schon, aber die Polizisten auf der anderen Seite der Gegensprechanlage waren sehr unfreundlich. Ich fragte drei Mal, ob ich nun endlich meine gesetzlich für mich vorgesehenen Telefonate durchführen durfte: „Na, jetzt geht’s ned!“ Sie vertrösteten mich jedes Mal auf die Vernehmung, sagten mir aber nicht, wann diese stattfinden würde. Bei weiterem Nachfragen drohten sie mir damit, noch länger warten zu müssen.

Haben Sie dann im Endeffekt mit jemandem telefoniert? Ihren Eltern, Freund*innen, einem Anwalt?

Nach insgesamt 10 Stunden – das habe ich erst im Nachhinein errechnen können – wurde ich endlich vernommen. Das war kurz nach Mitternacht. Und bei der Vernahme wurde mir abermals deutlich klargemacht, dass einen Anwalt anzurufen die Prozedur verlängern würde: „Sie können jetzt schon telefonieren, aber wir müssen Sie dann wahrscheinlich etwas länger hier behalten…“

Also wurden Ihnen die Telefonate faktisch verweigert. Wie gestaltete sich die Vernahme sonst?

Ungefähr zu Mitternacht wurde ich aus der Zelle geführt. Ich war sehr müde, dehydriert und eingeschüchtert. Ich wurde geistig nicht fertig mit der Situation, ich war irgendwie nicht mehr richtig zurechnungsfähig. Ich kann mich gar nicht mehr wirklich an alles erinnern, ständig wollten irgendwelche Beamten und Formulare etwas von mir. Es war wie eine Mischung aus dem Prozess und der Schachnovelle. Ich habe dann bereitwillig Informationen herausgegeben, die ich wahrscheinlich nicht hätte teilen müssen. Aber ich wollte einfach, dass es endlich vorbei ist, ich war nicht in der Verfassung zu diskutieren. Ich habe der Polizei über die Demonstration dann ungefähr das erzählt, was ich jetzt Ihnen erzählt habe. Der Beamte hat das dann sehr langsam und mit vielen Rechtschreibfehlern für mich am Computer zusammengefasst. Ich wurde gefragt, ob ich „mir vor der Demo etwas eingeworfen“ hätte, weil ich derart gezittert habe. Ich hatte zu dem Zeitpunkt seit sicher mehr als 24 Stunden nichts gegessen. Um 00:45 konnte ich gehen, nachdem ich mir meine Sachen abgeholt hatte, auch die Glasflasche.

 

Gregor S. erhielt eine Anzeige wegen Sachbeschädigung, nach $125 StGB. Er wartet, wie viele am 4. Juni Festgenommenen, sehr lange auf eine Verständigung der Staatsanwaltschaft, ob es zu einem Verfahren kommen würde oder nicht. Nach fünf Monaten dann endlich die Nachricht: Die Ermittlungen gegen Gregor wurden wegen mangelnder Beweislage eingestellt.

 

Olja Alvir studiert Germanistik und Physik an der Universität Wien, twittert unter dem Namen @OljaAlvir und hat eine Facebookseite.

AutorInnen: Olja Alvir