Neonazismus

Die ,,Volksgemeinschaft‘‘ bröckelt

  • 05.12.2015, 18:25
Der Sammelband „Geschlechterreflektierte Pädagogik gegen Rechts“ versucht theoretische Überlegungen zum Zusammenspiel von Neonazismus, Pädagogik und Geschlecht mit pädagogischen Praxen in Beziehung zu setzen.

Der Sammelband „Geschlechterreflektierte Pädagogik gegen Rechts“ versucht theoretische Überlegungen zum Zusammenspiel von Neonazismus, Pädagogik und Geschlecht mit pädagogischen Praxen in Beziehung zu setzen. Mitherausgeber Andreas Hechler spricht mit Judith Goetz über rechte Wortergreifungen gegen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt und den fehlenden Blick auf Opferperspektiven und Alternativen.

progress: Ihr schreibt in eurem Buch, dass „Neonazismus nur mit ganz bestimmten Männlichkeiten und Weiblichkeiten“ funktioniert. Was ist damit gemeint?
Andreas Hechler: N(eon)azistische Männlichkeiten und Weiblichkeiten sind exklusiv; sie sind idealtypisch weiß, (seit vielen Generationen) deutsch, christlich oder verwurzelt in der germanisch- nordischen Mythologie, gesund, heterosexuell etc. Was also de facto hyperprivilegiert und nur auf eine kleine Minderheit überhaupt zutreffen kann, ist nach neonazistischer Lesart „normal“.

Darüber hinaus stehen diese Konstruktionen im Dienst einer größeren Sache. Hier greift unter anderem eine vergeschlechtlichte Arbeitsteilung, die Frauen und Männern innerhalb der „Volksgemeinschaft“ klar definierte Aufgaben und Orte zuteilt. Zu all dem gesellen sich autoritäre und diktatorische Züge, sowohl als strategisches Element zum Erreichen der politischen Ziele als auch ganz prinzipiell in der Vision, wie Gesellschaft organisiert sein soll. Das Zusammenspiel der genannten gesellschaftlichen Positionierungen, Verhaltensweisen und Einstellungsmuster produziert ganz bestimmte Männlichkeiten und Weiblichkeiten. Anders formuliert: Es werden all diejenigen ausgeschlossen, die davon abweichen.

Stärker denn je machen sich Rechte gegen vermeintliche „Frühsexualisierung“ stark. Warum ist sie bedrohlich für den Rechtsextremismus und was kann eine Sexualerziehung im frühen Kindesalter zu einer geschlechterreflektierten Pädagogik gegen Rechts beisteuern?
„Frühsexualisierung“ ist ein schillernder Kampfbegriff, der nicht näher definiert wird. Eine altersangemessene Sexualerziehung trägt ganz maßgeblich dazu bei, Kinder in ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung zu unterstützen und zu einer selbstbestimmten, verantwortlichen und gewaltfreien Sexualität zu befähigen. In dieser Hinsicht wirkt Sexualerziehung gegen Scham bzw. Beschämung, für Kinderrechte und für die freie Entscheidung, wen Menschen lieben wollen und mit wem und wie sie Sex haben möchten. Dagegen läuft das rechte Spektrum Sturm, mit den immer gleichen „Argumenten“ einer angeblich „natürlichen Scham“ und des „Elternrechts“. Zudem stören sie sich ganz maßgeblich daran, dass Kinder sich frei entwickeln können sollen, da das eben auch die Möglichkeit beinhaltet, schwul, lesbisch, bi-/pansexuell, queer, trans*geschlechtlich, nicht-binär, nicht-verheiratet, polyamourös oder was auch immer zu leben oder auch abzutreiben. Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit als Möglichkeiten gleichberechtigt neben viele andere zu stellen, ist ein fundamentaler Angriff auf ein Verständnis, das Sexualität als „natürlich“ fasst und es darüber hinaus auf Fortpflanzung (der „Volksgemeinschaft“) verengt. Der Wunsch nach Klarheit und Eindeutigkeit löst sich durch das Offenlassen von allen geschlechtlichen und sexuellen Möglichkeiten im Nichts auf – die „Volksgemeinschaft“ beginnt zu bröckeln. Ein Beitrag behandelt die Modernisierung homofeindlicher Argumentationen. Was hat sich in aktuellen rechten Debatten gegen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt geändert? Der angesprochene Artikel argumentiert, dass Homosexualität nicht mehr als Akt „wider die Natur“ diffamiert und die Existenz der anderen (homosexuellen usw.) Kulturen toleriert wird, solange keine „unethischen“ Vermischungen stattfinden – etwa in dem Sinne, dass Heterosexuelle mit Homosexualität „angesteckt“ werden könnten. Gesellschaftlich marginalisierten Gruppen wird so zwar offiziell eine Daseinsberechtigung zugesprochen, jedoch nur dann, wenn sie sich in die etablierte „Kultur“ integrieren, inklusive dem faktischen Verbot, ihre Interessen auch wirksam auszudrücken.

In Anlehnung an die analytischen Perspektiven eines „Postfeminismus“ können wir vielleicht für bestimmte Spektren von einer „Post-Homofeindlichkeit“ sprechen. Diese bejaht Gleichstellung, hält sie aber für erreicht und warnt vor einer angeblichen Umkehrung ins Gegenteil. Diese gesellschaftlichen Akteur_innen kämpfen gegen ihren Macht- und Privilegienverlust.

Ihr betont, dass sich insbesondere die Sozialpädagogik bis heute an einer verengten Vorstellung deklassierter (männlicher) Jugendlicher orientiert. Welche Probleme ergeben sich durch die Vernachlässigung der Erwachsenen in geschlechterreflektierten pädagogischen Auseinandersetzungen mit Neonazismus?
Die Verengung betrifft nicht nur die Sozialpädagogik, sondern auch mediale Diskurse, institutionelles Handeln etc. Große Teile der Gesellschaft bleiben durch die Projektion des Neonazis als „jungmännlichdeklassiertgewalttätigausm Osten“ unberücksichtigt. Dabei weisen gegenwärtig europaweit Menschen ab dem sechzigsten Lebensjahr – und nicht etwa Jugendliche – die höchsten Zustimmungswerte zu neonazistischen Einstellungsmustern auf. Somit wird die zurzeit zahlenmäßig größte problematische Gruppe von vornherein aus dem Aufmerksamkeitsfeld ausgeblendet.

Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass Kinder in aller Regel viel offener und weniger stereotypisierend als Erwachsene sind, wenn es um Geschlecht geht. Erwachsene geben Kindern und Jugendlichen – häufig unbewusst – ihre Vorstellungen von Geschlecht mit. Das trifft in besonderer Weise diejenigen, die sich nicht geschlechtskonform verhalten. Daher muss auch für Pädagog_innen eine selbstreflexive Auseinandersetzung mit der eigenen geschlechtlichen Sozialisation und daran gekoppelten Vorstellungen von Geschlecht gefördert werden.

Was ist eurer Meinung nach an täter_innenfokussierten Ansätzen in der Neonazismuspräventionsarbeit zu kritisieren?
In der Neonazismusprävention findet sich fast durchgehend ein Täter_innenfokus. Es ist zwar naheliegend, sich ,,den Neonazis“ – ihren Taten, Strukturen und Ideologien – zuzuwenden. Verloren gehen hingegen zwei andere Ebenen, die für eine Präventionsarbeit von großer Bedeutung sind: Einerseits fehlt der Blick auf Menschen, die von Neonazis real oder potenziell angegriffen werden, in täglicher Angst vor Bedrohungen leben und in ihrem Aktions- und Handlungsradius stark eingeschränkt sind. Wird ihre Perspektive nicht wahrgenommen, werden ihre Verletzungen unsichtbar gemacht mit der Folge, dass Diskriminierungen reproduziert und Gewöhnungseffekte in Kauf genommen werden. In einer solchen Neonazismusprävention ändert sich für die Diskriminierten überhaupt nichts. Ein erfolgreicher Kampf muss aber daran gemessen werden, ob sich real etwas für diskriminierte Gruppen verbessert hat. Andererseits fehlt der notwendige Blick auf Alternativen.

Wie könnten und sollten derartige Alternativen aussehen?
Hierzu gehört insbesondere die Stärkung nicht-neonazistischer, antifaschistischer, nicht- und antirassistischer sowie queerer Lebenswelten und Jugendkulturen. Auch das Einüben nicht-diskriminierender Verhaltensweisen, demokratischer Interessenvertretungen und Konfliktlösungsstrategien zählen dazu. Ohne diese bringt auch die beste Präventionsarbeit nichts. Neonazismusprävention ist kein Selbstzweck, sondern Teil eines gesamtgesellschaftlichen Demokratisierungsprozesses.

Zu einer erfolgreichen Neonazismusprävention gehören drei Ebenen und eine Fokusverschiebung: An erster Stelle stehen der Schutz, die Unterstützung und das Empowerment derjenigen, die von Neonazis real oder potenziell bedroht werden. An zweiter Stelle stehen der Aufbau und die Unterstützung von Alternativen zum Neonazismus. An dritter Stelle steht die Beschäftigung und Auseinandersetzung mit Neonazis und rechts orientierten Kindern und Jugendlichen.

Für die Pädagogik gilt es, für diese drei Ebenen zielgruppenspezifische Angebote bereitzustellen. Da die Arbeit mit Täter_innen sowohl der Schutzverpflichtung gegenüber Opfern und Diskriminierten als auch einer Stärkung von Alternativen zuwiderläuft, sollten nicht die selben Personen und Institutionen alle drei Ebenen gleichzeitig bespielen.

Pädagog_innen stecken in dem Dilemma, einerseits Ansprüche pädagogischer Unterstützung in der Arbeit mit rechtsaffinen Jugendlichen zu verfolgen und andererseits wirkungsvolle Arbeit gegen rechtsextreme Orientierungen zu leisten. Wie könnte das gelöst werden?
Ich finde, dass Michaela Köttig in ihrem Buchbeitrag auf der Grundlage ihrer eigenen pädagogischen Arbeit in einer rechten Mädchenclique viele wertvolle Impulse liefert. Das Dilemma lässt sich meines Erachtens nicht auflösen, aber es können Rahmenbedingungen für einen guten Umgang geschaffen werden. Dazu gehören unter anderem ein guter Personalschlüssel, zeitlich fest eingeplante und bezahlte Reflexionsräume (Reflexion, Intervision, fachkundige Supervision), realistisch erfüllbare Anforderungen, finanzielle und räumliche Ressourcen, eine Ausbildung, in der die kritische Auseinandersetzung mit Geschlecht und Neonazismus Teil des Curriculums ist, regelmäßige Fort- und Weiterbildungen, die Möglichkeit, bei Bedarf Hilfe von außen zu holen und angemessene Erholungszeiten.

Eine geschlechterreflektierte Pädagogik gegen Rechts kann derzeit nicht gut gemacht werden, wenn Ressourcen dafür schlicht nicht vorhanden sind. Das hat nichts mit persönlichem Scheitern zu tun; die Haltung mag noch so toll, das Wissen um Geschlecht und Neonazismus noch so profund, die Methodik ausgefeilt sein – wenn man* drei Jugendclubs parallel als einzige_r Sozialarbeiter_in betreuen muss, wie es in mehreren Bundesländern der Fall ist, wird all das nicht viel helfen. Es braucht bessere Arbeitsbedingungen für eine erfolgreiche Arbeit.

Judith Goetz ist Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit und studiert Politikwissenschaften im Doktorat an der Uni Wien.

Die Mär vom rechten Heimchen

  • 20.06.2014, 11:55

Die meisten verbinden mit rechten Frauen Mutterschaft, Heimchen am Herd und die Unterordnung unter den Mann. Doch diese Klischees entsprechen nicht der Wahrheit. progress online hat mit der Politikwissenschaftlerin Judith Götz über Frauen in rechten und rechtsextremen Organisationen sowie über die gesellschaftliche Rolle von Frauen im Nationalsozialismus gesprochen.

Die meisten verbinden mit rechten Frauen Mutterschaft, Heimchen am Herd und die Unterordnung unter den Mann. Doch diese Klischees entsprechen nicht der Wahrheit. progress online hat mit der Politikwissenschaftlerin Judith Götz über Frauen in rechten und rechtsextremen Organisationen sowie über die gesellschaftliche Rolle von Frauen im Nationalsozialismus gesprochen. 

progress online: Mit der Rolle der Frau im Nationalsozialismus verbindet man vor allem Mutterschaft und den sogenannten „Dienst am deutschen Volk“. Welche Geschlechterordnung wurde in der NS-Ideologie propagiert?

Judith Götz: Im Nationalsozialismus wurde eine biologistische, klassisch dichotome Geschlechterordnung lanciert. Für Frauen wurde diese mit Attributen wie Opferbereitschaft, Treue, Selbstlosigkeit, Pflichterfüllung verknüpft und mit dem von den NationalsozialistInnen propagierten Mutterbild verbunden. Kurz nach der Machtergreifung wurde von diesen der Muttertag zu einem staatlichen Feiertag gemacht. Und mit der Einführung des Mutterkreuzes kurz nach Kriegsbeginn wurde auch eine eindeutige Politik forciert, um bestimmte Frauenbilder zu etablieren und zu pushen.

Diese Ideologie stand jedoch oftmals nicht in Bezug mit den gesellschaftlichen Realitäten. Denn durch den Arbeitskräftemangel, der durch die im Krieg eingezogenen Männer ausgelöst worden war, wurden viele Frauen in Arbeitsstrukturen eingebettet. Viele der sogenannten „arischen“ und nationalsozialistischen Frauen konnten damals aus der privaten Sphäre ausbrechen. Und sie haben dieses Ausbrechen als etwas Positives und Emanzipatorisches wahrgenommen. Die Frauen haben es auch als Gleichberechtigung empfunden, dass jeder Mann und jede Frau für das „größere Ziel“ gebraucht wurde. Das ist etwas, auf das sich bis heute rechte und rechtsextreme Frauen berufen.

Es kann also auch von einem rechten Feminismus gesprochen werden.

Es kann diesbezüglich ein rechter und rechtsextremer Feminismus konstatiert werden, in dem einerseits Themen aus der Frauenbewegung aufgenommen wurden und andererseits auch auf die Rolle von Frauen im Nationalsozialismus Bezug genommen wird. Diese Rezeption ist mit der Aufwertung der Frauenrolle, dem Ausbruch aus dem Privaten und der Aufopferung für das höhere Ziel verbunden. Bestimmte Argumentationen gehen bei einzelnen Gruppen sogar so weit zu behaupten,  dass das Judentum das Patriarchat installiert hätte und dass die von jenen propagierte „nordische Rasse“ eine lange Tradition der Gleichberechtigung gehabt hätte. So kann an dieser Stelle, wie auch Rechtsextremismusforscherin Renate Bitzan meint, es kann von „sexismuskritischen Nationalistinnen“ gesprochen werden.

Was unterscheidet diese von linken Feministinnen?

Der Unterschied liegt darin, dass Sexismus oder Unterdrückung von Frauen bei rechten Frauen immer auf das vermeintlich Andere – wie beispielsweise - auf „andere Kulturkreise“ ausgelagert wird. Eine Bedrohung von sexualisierten und sexistischen Übergriffen wird ausschließlich auf ausländische Männer projiziert. Und die Diskriminierung und Unterdrückung in den eigenen Reihen wird komplett ausgespart, ignoriert und negiert. Eine Analyse von anderen Unterdrückungsmechanismen - wie Herkunft, Klasse oder körperliche Beeinträchtigung - wird von den rechten Feministinnen nicht miteinbezogen .

Die zwei rechten Politikerinnen Marine Le Pen und Alessandra Mussolini stammen aus bekannten rechten Familien. Wäre ein Aufstieg von Politikerinnen ohne einen derartigen familiären Background in rechten Parteien überhaupt möglich?

Prinzipiell ist geschlechtsunabhängig zu sagen, dass die familiäre Sozialisation ein Hauptgrund dafür ist, weshalb sich Menschen in rechten bzw. rechtsextremen Strukturen beteiligen. Die Erziehung und die Einordnung in Dominanzstrukturen werden bereits in der Kindheit eingeübt. Insofern finde ich es nicht verwunderlich, dass bekannte rechte bis rechtsextreme Frauen auch aus einschlägigen Familien kommen. Allerdings muss auch immer berücksichtigt werden, dass die Betonung des Einstiegs von Frauen in den Politbereich über Männer auch einer sexistischen Argumentationsweise zuspielt. Natürlich gibt es diese auch. Dennoch scheint es mir wichtig zu betonen, dass rechte Frauen aktive Trägerinnen menschenfeindlicher Gesinnungen sind. Ihr Engagement auf eine abgeleitete Position, die von Männern ausgeht, zu reduzieren, greift meiner Meinung nach zu kurz.

Ich wollte mit meiner Frage keinesfalls der sexistischen Argumentationsweise zuspielen, aber im Hinblick auf andere rechte bis rechtsextreme Parteien stellen Marine Le Pen und Alessandra Mussolini als Parteivorsitzende Ausnahmen dar.

Prinzipiell ist es schon so, dass mit der Höhe der Hierarchieebene der Frauenanteil bei rechten bis rechtsextremen Parteien abnimmt. Und es gibt natürlich weiterhin rechte bis rechtsextreme Frauen, die über Männer in politische Strukturen kommen. Es sind aber bei weitem nicht alle. Denn für Frauen gibt es auch unabhängig von Männern einen Gewinn sich in rechtsextremen Kreisen zu engagieren. Und das muss in der Diskussion auch anerkannt werden. Insofern denke ich, dass es auch für Frauen ohne einen familiären Background möglich ist, in rechten bis rechtsextremen Parteien einen Aufstieg zu machen, auch wenn es natürlich mit familiärer Unterstützung einfacher ist.

Worin liegt der erwähnte Gewinn für Frauen in rechten bis rechtsextremen politischen Organisationen?

Die Forschung hat bewiesen, dass Frauen sich in rechten bis rechtsextremen Spektren engagieren, da sie dadurch einen Machtgewinn durch Selbsterhöhung erzielen können. Diese Frauen betrachten sich als Teil einer rassistisch konstruierten Elite und können durch ihr Engagement ihre eigene Position in der Gesellschaft durch ihre Einbindung in Dominanzstrukturen aufwerten. Teilweise fungiert ihr Engagement auch als Ausgleich für die eigene Unterdrückung und die Absicherung von gesellschaftlichen Privilegien. Das bedeutet, dass eine Frau einerseits in der eigenen Gemeinschaft zwar unterdrückt, jedoch andererseits durch das rechte Engagement belohnt wird, indem diese Frauen eben andere unterdrücken können. Ein psychischer Gewinn ist für jene Frauen auch die Flucht vor Widersprüchlichkeiten, da rechtes bzw. rechtsextremes Gedankengut sehr oft einfache Erklärungen für komplexe gesellschaftliche Fragestellungen bietet. Und durch die klar hierarchischen Strukturen und Symboliken von rechten Organisationen können sie den widersprüchlichen Zumutungen der Gesellschaft entkommen.

NPD Aktivistin Maria Frank. Foto: apabiz Berlin

Haben rechte Frauen dieselben Vorurteile wie Männer?
Bei der Einstellungsebene sind Frauen genauso rassistisch, antisemitisch und nationalistisch wie Männer. Statistisch betrachtet waren jedoch Anfang der 1990er Jahre nur ein Drittel der rechten WählerInnen Frauen. Dieser Anteil ist seitdem beständig angestiegen. Heute liegen wir meistens bei knapp 50 Prozent rechten bis rechtsextremen Wählerinnen. Zuletzt bei der EU-Wahl stimmten jedoch wieder deutlich weniger Frauen für die FPÖ.  Aber auch auf allen anderen Hierarchieebenen ist ein Zuwachs von Frauen zu verzeichnen. Insofern würde ich den zuvor erwähnten Aufstieg von Frauen in rechten bis rechtsextremen Parteien – auch ohne den familiären Background einer Marine Le Pen oder Alessandra Mussolini – nicht ausschließen.

Womit hängt der Anstieg von Frauen in rechten bis rechtsextremen Organisationen zusammen?

Ich denke, dass dies durch das sich wandelnde gesellschaftliche Klima entstanden ist. Heute ist es kein Tabu mehr eine rechte bis rechtsextreme Partei zu wählen. Und ich denke auch, dass sich die Partizipationsfelder von Frauen in rechten und rechtsextremen Kreisen erweitert haben. Es ist nicht mehr so, dass es ausschließlich das „Heimchen am Herd“ ist, das in rechtsextremen Kreisen propagiert wird. Das wäre eine Homogenitätsunterstellung, die der Realität gar nicht mehr entspricht. Denn der Rechtsextremismus bietet den Frauen eine Vielfalt an Betätigungsfeldern. Vereinfacht gesagt: Rechte Frauen können sich heute dafür entscheiden eine Politkarriere anzustreben oder Hausfrau zu werden. Und das ist gerade eben auch in Zeiten von Wirtschaftskrise und zunehmender Ellbogenpolitik am Arbeitsmarkt für manche Frauen eine attraktive Alternative. Prinzipiell kann auch gesagt werden, dass je mehr Organisationen sich sozial oder karitativ betätigen, desto mehr Frauen lassen sich auch antreffen.

Welche Art von rechten „sozialen“ Organisationen gibt es?

Damit meine ich vor allem BürgerInneninitiativen, Elternschaftsvereine oder auch Vereine, die sich für sogenannte „Auslandsdeutsche“ – wie beispielsweise die Sudetendeutschen – einsetzen. Diese bieten für rechte Frauen, eine Möglichkeit, sich politisch zu engagieren.  

Das bedeutet, dass rechte Frauen sich eine Bandbreite an Betätigungsfeldern aussuchen können,  von Skinheadorganisationen, über Mädelschaften bis hin zu rechten Parteien?

Es gibt viele verschiedene Spektren des Neonazismus und Rechtsextremismus. Und in all diesen Spektren sind Frauen aktiv. Natürlich ist eine FPÖ-Parteikarriere etwas ganz Anderes als sich in einer BürgerInneninitative zu engagieren oder etwa rechtsextremes Gedankengut in Elternvereinen umzusetzen. In Bezug auf Burschen- und Mädelschaften muss erwähnt werden, dass in diesen Organisationen die Geschlechtersegregation und das biologistische Ordnungsprinzip sicher am Stärksten zu Tage tritt. Denn deutschnationale Burschenschaften sind nach wie vor exklusive Männerbünde, in denen Frauen nur an bestimmten Tagen bei Veranstaltungen auf die Bude kommen dürfen. In den Mädelschaften gilt selbiges nur anders rum. Interessant ist auch die Tatsache, dass man bei deutschnationalen Burschenschaften von sinkenden Mitgliederzahlen und mangelndem Nachwuchs spricht, während die Mädelschaften an Zulauf gewinnen. In Österreich haben sich in den letzten Jahren drei neue Mädelschaften gegründet: die „Pennale Mädelschaft Sigrid zu Wien“, die „Akademische Mädelschaft Iduna zu Linz“ und die „Mädelschaft Nike“ in Wien. 

Kommt es nicht zu Konflikten zwischen dem Frauenengagement und dem ebenso in der politisch Rechten verankerten Antifeminismus? 

Das Verhältnis der beiden Positionen zueinander kann als ambivalent bezeichnet werden. Auf der einen Seite existiert in der Rechten ein klar antifeministisches Engagement und auf der anderen Seite gibt es auch Adaptionen und Bezugnahmen auf feministische Themen. Und es existieren innerhalb des rechten Politspektrums unterschiedliche Auslegungen davon. Dennoch würde ich meinen, dass durch die Bank Gendermainstreaming, Quoten und sämtliche Bevorzugungen von Frauen komplett abgelehnt werden. In rechtsextremen Kreisen gilt in Bezug auf die Geschlechter noch immer „gleichwertig aber nicht gleichartig“.

Foto: apabiz Berlin

Beim laufenden Gerichtsprozess rund um den NSU (Nationalsozialistischen Untergrunds) steht die rechtsextreme Terroristin Beate Zschäpe im Mittelpunkt des medialen Interesses. Wie ist deine Meinung zu der Berichterstattung über Zschäpe?

In Bezug auf Beate Zschäpe ist zu beobachten, dass sie seitens der Medien einerseits extrem verharmlost und andererseits sexualisiert wird. Die „Bild“ berichtete beispielsweise über die Kleidung von Beate Zschäpe während des Prozesses und titelte „Wo hat die Zschäpe ihre Klamotten her?“ Und auch in anderen deutschen Zeitungen – abseits des Boulevards - wurde sie nur auf reproduktive Tätigkeiten wie beispielsweise Hausarbeit reduziert. Ihr politisches Engagement wurde außen vor gelassen. Das ist ein Diskurs, der die Thematisierung von rechten bis rechtsextremen Frauen medial immer wieder begleitet hat. Es wird seitens der Medien versucht, sensationsorientierte Berichte zu formulieren, um vermeintliche Tabus zu brechen, obwohl die Berichterstattung überhaupt nicht mit den Realitäten im Rechtsextremismus übereinstimmt.

Diese Problematik kann man auch in Österreich in der Berichterstattung über Mädelschaften beobachten. Anfang der 2000er Jahre hatte es im „Kurier“ einen Artikel gegeben, bei dem die Rede davon war, dass die Frauen „statt Säbeln Designertaschen tragen würden“ und dass diese „Sekt statt Bier trinken würden“ und an anderen Stellen lassen sich spitze Formulierungen finden wie: „Die einzigen spitzen Gegenstände, die sie in die Hand nehmen sind Messer und Stricknadeln“ dazu. In diesen Formulierungen wird der verharmlosende, sexistische und belustigende Umgang mit diesen Frauen deutlich. Als Trägerinnen von menschenverachtendem Gedankengut werden sie jedoch nicht ernst genommen.

Birgt diese öffentliche Verharmlosung von rechten Frauen nicht eine Gefahr in sich?

Frauen werden von rechtsextremen Organisationen oftmals auch gezielt für bestimmte Tätigkeiten eingesetzt, weil diese genau wissen, dass rechte Frauen in der Öffentlichkeit nicht ernst genommen werden. Dies ist beispielsweise bei Anti-Antifa-Recherchen der Fall. Denn Frauen fallen in linken Kreisen nicht so auf. Oder bei informelleren Strukturen wie Elternvereinigungen und Kindertagesstätten, die in Deutschland bewusst von rechten Frauen unterwandert werden. Zuerst nehmen die Frauen über die Kinder Kontakt zu anderen Familien auf und dann werden die neuen Bekannten zu einem Dorffest eingeladen, dass sich dann beispielsweise als NPD-Fest herausstellt.

Bis heute wird von linken Feministinnen die Rolle von Frauen im NS verharmlost. In deren Perspektive stellen Frauen als gesamte Geschlechterkategorie Opfer des sogenannten „patriarchalen männlichen Systems NS“ dar. Ist das nicht eine sehr vereinfachende Sicht?

Es ist auf jeden Fall vereinfachend. Allerdings muss man sagen, dass es in der feministischen Diskussion auch drei Phasen gegeben hat. In den 1970ern herrschte das Bild vor, dass die Frauen als Ganzes ein Opfer des patriarchalen Systems Nationalsozialismus gewesen wären und Frauen in ihrer Gesamtheit vom NS-System unterdrückt worden sind. Ende der 1980er Jahre hat Christina Thürmer-Rohr den Begriff der Mittäterinnenschaft eingeführt, womit damals gemeint war, dass Frauen sich an dem industriellen Massenmord von Männern zumindest mitbeteiligt hätten. Bei dieser Sichtweise wurden Frauen jedoch nicht als Täterinnen betrachtet. Real waren Frauen jedoch in den unterschiedlichsten Bereichen des Nationalsozialismus beteiligt. Beispielsweise in der NS-Bürokratie, die einen wichtigen Beitrag zum industriell betriebenen Massen morden geliefert hat, jedoch oftmals von der verharmlosenden Sicht begleitet wird, dass Frauen nur als Stenographinnen und Sekretärinnen tätig waren und in Büros gesessen sind. Ab Ende der 1980er Jahre wurden Frauen sowohl in der Geschichtswissenschaft als auch in der Frauenforschung und damit verbunden in der feministischen Diskussion als Täterinnen anerkannt und entsprechende Schlüsse daraus gezogen.

Welche Rolle spielten Frauen als TäterInnen in der Shoah?

Die nationalsozialistischen Frauen waren auch an der Vernichtungsmaschinerie und dem Vernichtungsprozess beteiligt. Und sie haben natürlich auch ganz genau gewusst, was in den KZs passiert ist und waren wichtige Rädchen im Getriebe des Systems NS. Etwa 10 Prozent des KZ-Personals waren Frauen. Das reicht von Aufseherinnen – insbesondere auch in den Frauen-KZs – bis hin zu SS-Ehefrauen, die in den Lagern mit ihren Männern gewohnt haben und nicht selten KZ-Häftlinge als HaussklavInnen hatten. Nebenbei haben sich diese Frauen auch an dem geraubten Gut bereichert und sich eine gesellschaftliche Besserstellung durch den Aufstieg ihrer Männer erhofft. Aber auch in den Polizeiregimentern, im Sicherheitsdienst und in der Ghettoverwaltung waren Frauen aktiv. Selbst innerhalb der Waffen-SS hatte es eigene SS-Frauenkorps gegeben, diese Frauen waren überzeugte Anhängerinnen der NS-Ideologie.

SS-Helferinnen. Foto: Wikipedia

Wir erleben derzeit einen Aufstieg von rechten Parteien und Organisationen in Europa. Was kann präventiv in der Jugendarbeit mit jungen Frauen getan werden, um sie über rechtsextreme Organisationen aufzuklären?

Das grundlegende Problem an der Präventionsarbeit ist jenes, dass diese vorrangig auf männliche Jugendliche fokussiert ist. Ein Großteil der Präventionsarbeit passiert an öffentlichen Plätzen, wie Parks und Jugendtreffpunkten. Nach wie vor sind bei diesen Treffpunkten primär männliche Jugendliche präsent. Die zweite große Schnittstelle ist Gefängnisarbeit, da es viele Jugendliche gibt, die wegen NS-Wiederbetätigung und Straftaten im Gefängnis sitzen. Dabei wird kaum darüber reflektiert, dass an diesen Orten deutlich weniger junge Frauen anzutreffen sind. Es müssten also Konzepte entwickelt werden junge Frauen zu erreichen.

Da stellt sich in Österreich natürlich die Schwierigkeit, dass es hierzulande kaum Präventionsarbeit gibt. Anders als in Deutschland gibt es abseits des DÖWs keine Anlaufstellen, die beispielsweise in Schulen eingeladen werden können um Sensibilisierungs-Workshops durchzuführen. Die Präventionsarbeit beschränkt sich nicht selten auf den Besuch von KZ-Gedenkstätten. Und es findet oftmals nur eine historisierende Auseinandersetzung mit der Thematik statt. Meiner Meinung nach sollte nicht erst dort angesetzt werden, wo rechtsextreme Straftaten stattfinden, sondern dort wo menschenfeindliche Ideologien gesellschaftliches Zusammenleben beeinflussen. Es müsste vor allem in den Schulen sowie in der Jugendarbeit angesetzt werden. Zudem müsste beides – sowohl ein geschlechterreflektierter Blick, als auch eine verstärkte Sensibilität für rechtsextremes Gedankengut -  gleichermaßen in einen solchen Ansatz integriert werden. Gerade der Blick auf Männlichkeits- wie auch Weiblichkeitskonstruktionen im Rechtsextremismus sowie ihre Funktionsweisen könnte dabei ein wichtiges Instrument im Kampf dagegen sein.

 

Judith Goetz ist Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit und studiert Politikwissenschaft im Doktorat an der Uni Wien.

Identitäre: Connections zu Rechtsaußen

  • 17.05.2014, 19:04

Neue Rechte hin oder her, der politische und persönliche Hintergrund der österreichischen Identitären ist geprägt von Nazi-Kadern à la Gottfried Küssel. Eine politische Analyse von Joseph Maria Sedlacek* für progress online.

Neue Rechte hin oder her, der politische und persönliche Hintergrund der österreichischen Identitären ist geprägt von Nazi-Kadern à la Gottfried Küssel. Eine politische Analyse von Joseph Maria Sedlacek* für progress online.

Spätestens mit ihrer „Gegenbesetzung“ der Votivkirche im Februar 2013 haben die Identitären in Wien, zumindest in linken Kreisen, auf sich aufmerksam gemacht. Die Aktion sollte dazu dienen den wochenlangen Protest und Hungerstreik von Refugees, der sich vom Sigmund-Freud-Park in die Votivkirche verlagert hatte, möglichst medienwirksam zu stören und zu delegitimieren. „Das wäre doch gar nicht nötig gewesen.“, werden sich an dieser Stelle einige denken, sind doch die Anliegen von Geflüchteten der xenophoben Mehrheitsgesellschaft in Österreich sowieso wurscht - es ist ja nicht so als wären Krone, Österreich und Heute den Identitären nicht schon zuvorgekommen. Ein wichtiger erster Schritt in Richtung „konservativer Revolution“ wurde gesetzt.

Die nächsten Schritte folgten: Der 25-Jährige Martin S., der sich bis dahin um Zurückhaltung bemühte, trat mehr und mehr in Erscheinung. Er hielt sich im Hintergrund bis der erste mediale Gegenwind verflogen war und die identitäre Bewegung in den rechten und konservativen Kreisen Österreichs Eingang gefunden hatte. Doch wieso diese anfängliche Zurückhaltung von einer Person die seit circa einem Jahr die identitäre Bewegung im Wesentlichen nach außen repräsentiert und bei dem Versuch, die vertretenen Inhalte zu theoretisieren, federführend ist?

Neonazi-Vergangenheit verwischen

Der ausschlaggebende Grund wird sein, dass sich Martin S. über mehrere Jahre hinweg sehr aktiv in der österreichischen Neonazi-Szene betätigt hat. Er selbst gibt an, im „nationalen Lager“ politisiert worden zu sein. Aus dieser Zeit stammen unter anderem Anzeigen wegen Sachbeschädigung, Verstoß gegen das Waffengesetz und gegen das NS-Verbotsgesetz. Auch die bekannten „Kampfsportkurse“, veranstaltet aus dem Umfeld von Gottfried Küssel, dürfen in seiner Laufbahn als anständiger Neonazi natürlich nicht fehlen.

Es folgen Teilnahmen an Gedenkveranstaltungen und Demonstrationen, wie zum Beispiel 2009 für den Nazihelden Walter Nowotny oder 2010 am Naziaufmarsch in Dresden. In beiden Fällen gemeinsam mit bekannten Gestalten der österreichischen Szene, wie beispielsweise Wolfgang L., der in Internet-Foren gerne mal über den Bau von Autobomben philosophiert oder Benjamin F., Sohn eines ehemaligen BVT-Ermittlers, der dadurch auffiel, dass er auf einem Truppenübungsplatz des Bundesheeres in der Steiermark mehrfach die Hand zum Hitlergruß gehoben hatte und Lieder der Wehrmacht anstimmte. Ein Verfahren gegen ihn wurde nicht eingeleitet. Auch Küssel selbst zählt zu seinen Kameraden und die Liste von Martin S. Weggefährten aus der österreichischen Neonazi-“Prominenz“ lässt sich noch lange weiterführen.

alpen-donau.info, Siegfriedskopf und Funke

Ermittlungen zu den Verantwortlichen der Neonazi-Seite alpen-donau.info, zu denen auch S. zählen soll, zogen im Jahr 2011 einige Repressionschläge gegen die rechte Szene nach sich. Mehrere Hausdurchsuchungen und Verhaftungen in ganz Österreich folgten, und es wurde ein wenig still um den damals 22-Jährigen. In der Folgezeit versuchte er mit der Gruppe Siegfriedskopf und der rechten Homepage derfunke.info mit dem stumpfen Neonazi-Image zu brechen und sich einen „intellektuellen“ Anstrich zu verpassen. Eine breite Rezeption erfuhren Martin S. „Zwischenprojekte“ allerdings nicht, etwas Neues musste her. Auf der Homepage der Identitären schreibt der Jus- und Philosopiestudent über seine Gedanken zu deren Entstehung, dass „an ein praktisches Weitermachen nach Schema F nicht zu denken war“, weil „die klassische NS-Propaganda aus der NW[Anm.: Nationaler Widerstand]-Szene am Bewusstsein des Volkes folgenlos abprallte“.

Vorbild für den vermeintlich neuen und innovativen Kurs ist der französische bloc identitaire. Selbst eine Nachfolgeorganisation der neonazistischen unité radicale, welche 2002 verboten wurde, nachdem eins ihrer Mitglieder, der damals 25-Jährige Maxime Brunerie, aus einem Karabinergewehr auf den früheren Staatspräsidenten Jacques Chirac geschossen hatte. Die Identitären in Frankreich, Deutschland und Österreich waren von Beginn an um Abgrenzung zum organisierten Neonazi-Spektrum bemüht.

Die Identitäre Bewegung ist international vernetzt. Ihr Logo ist der griechische Buchstabe Lambda, ihre Farben sind Schwarz und Gelb. Foto: Christopher Glanzl

Kalkulierte Zurückhaltung

Ohne Martin S. Dasein als Neonazi, und seine guten Kontakte in die Szene, von Anfang an als Zielscheibe zu präsentieren, versuchen die Identitären eine Schnittstelle zu finden. Eine Schnittstelle zwischen einer Mehrheit von Österreicherinnen und Österreichern, die ihre Stimmen für ÖVP und FPÖ abgeben und dem widerlichen Sumpf an Neonazis und Burschenschaftern. Dass S. sich anfänglich so zurückhielt, war also weniger dem Zufall geschuldet als ein berechneter Zug. Denn hätte er von Anfang an die führende Rolle eingenommen, die er jetzt inne hat, hätten sich die Identitären hierzulande vermutlich sang- und klanglos in die Riege der üblichen Neonazi-Kader eingereiht. Doch auch andere Mitglieder der Identitären haben entsprechende Kontakte.

Alexander M. beispielsweise, Obmann der Wiener Identitären, ist aktives Mitglied der schlagenden, deutschnationalen Burschenschaft Olympia und unter anderem regelmäßig am sogenannten „Burschibummel“ beteiligt, der jeden Mittwoch vor der Universität Wien stattfindet. Patrick L. aus Graz ist ebenfalls Burschenschafter und Obmann der Identitären in der Steiermark. Thomas S., Martins jüngerer Bruder, und Fabian R. haben einen Weg gefunden ihren „gesunden“ Patriotismus auf institutioneller Ebene auszuleben – mit der Waffe in der Hand beim Bundesheer.

Hipper Scheiss: Internet und Theorie

Im Kampf gegen das Nazi-Image scheuen die Identitären keine Mühen, um sich im Stil einer hippen Jugendbewegung, die als „weder links – noch rechts“ verstanden werden will, zu etablieren. Mittels Facebook-Accounts werden Termine zu Veranstaltungen und Treffen bekannt gegeben; auf der von L. eingesetzten Homepage www.identitaere-generation.info, versucht Martin S., zunächst unter dem Pseudonym „Julian Fosfer“, Anstöße zur Auseinandersetzung mit Theorien der neuen Rechten zu geben.

Am meisten Präsenz zeigen die  Identitären also im Internet. Direkte Aktionen gab es bis jetzt kaum und wenn, dann ohne breite Mobilisierung. Die oben erwähnte „Gegenbesetzung“ und eine schlecht besuchte Kundgebung am Wiener Ballhausplatz stehen im Kontrast zur ständigen Selbstüberhöhung der „Bewegung“. Einzig regelmäßig stattfindende „Stammtische“ und Flyeraktionen vor Schulen sollen zu breiterer Popularität verhelfen und das „Bewusstsein des Volkes“ wecken.

Für den 17. Mai ist in Wien die erste Demo angekündigt. Die neonazistische Seite freies-oesterreich.net teilt den Aufruf mit folgenden Worten: „Eine Möglichkeit für Identitäre und den Nationalen Widerstand öffentlich klar zu stellen: Der Widerstand lebt! Wir wollen in der Stadt Wien, der Bastion Europas, ein starkes Zeichen setzen und auf die Straße gehen.“

Die Abgrenzungsversuche der sich als harmlose „neurechte Bewegung“ inszenierenden Identitären laufen ins Leere, wenn gleichzeitig Neonazis zu ihren Demos aufrufen, die auffälligste Person der „Bewegung“ selbst ein, zumindest ehemaliger, Neonazi ist und ihre Antwort auf die Verschlechterung der Lebensrealitäten vieler Menschen in Europa eine nationale Abschottung ist. Auch wenn ihre Konsolidierungsbemühungen bis jetzt an Grenzen stoßen, ist es weiterhin wichtig diese Bemühungen ernst zu nehmen, weil sie Denkweisen und Stimmungen aufgreifen, die im Großteil der Gesellschaft oft etabliert sind. Als Gegenstrategie könnte es sinnvoll sein, sich aus linksradikaler Perspektive an gesellschaftlichen Debatten zu beteiligen, um politische Alternativen jenseits reaktionärer Krisenlösungen aufzuzeigen und sich mit dem Gedankengut auseinanderzusetzen, das sich als „neurechts“, hipp und unverbraucht zur Schau stellt.

Dieser Artikel erscheint ebenfalls in der aktuellen Malmoe Ausgabe 67

Die Nachnamen wurden in dem Artikel aus medienrechtlichen Gründen abgekürzt.

*Der Name des Autors ist der Redaktion bekannt.

 

Siehe auch: Hintergrundgespräch: Wer sind die Identitären?" mit Andreas Peham (DÖW)

 

Neonazistische Umtriebe in Salzburg

  • 28.11.2013, 12:32

In den letzten Monaten kam es in Salzburg zu gewalttätigen Übergriffen und Sachbeschädigungen gegen antifaschistische Mahnmale und linke Lokale. Am 9. November, den Jahrestag des Novemberpogroms, beschädigten Neonazis die städtische Synagoge. Lina Čenić berichtet für progress online über Salzburgs rechte Szene.

In den letzten Monaten kam es in Salzburg zu gewalttätigen Übergriffen und Sachbeschädigungen gegen antifaschistische Mahnmale und linke Lokale. In der Nacht auf den 9. November, den Jahrestag des Novemberpogroms, beschädigten Neonazis die städtische Synagoge. Lina Čenić berichtet für progress online über Salzburgs rechte Szene.

In der Stadt Salzburg fallen bereits seit dem späten Sommer Naziparolen an Wänden, Schulen und linken Lokalen auf. Doch bereits zuvor existierte in der Stadt eine aktive rechte Szene, in der von manchen konsequent der Anschluss Südtirols an Österreich propagiert wird. Die Rechten schrecken dabei auch vor Gewalt nicht zurück und haben die beiden autonomen Läden – Sub und Infoladen -  der Stadt mehrmals angegriffen. Zudem kam es zu gewalttätigen Attacken gegen Bettelnde und Roma sowie zu rassistischen Übergriffen. Bei einem wurde eine Frau pakistanischer Herkunft in einem Bus niedergeschlagen. Sie erlitt dabei einen doppelten Kieferbruch. 2012 wurde das Lokal „Odins Bar“ geschlossen, weil eine Hakenkreuzfahne an der Bar hing, die von den Ermittelnden zwar nicht mehr gefunden wurde, stattdessen fanden sie aber rund 200 verbotene Lieder. Da Salzburg auch eine Universitätsstadt ist, sind auch die deutschnationalen Burschenschaften, wie zum Beispiel Germania und Gothia, präsent.

Anfang November diesen Jahres wurden die Türschlösser von zahlreichen zivilgesellschaftlichen und politischen Organisationen sowie von der einzigen in Salzburg noch existierenden Synagoge verklebt. Gerade in der Nacht von 8. auf 9. November, den 75. Jahrestag zur Erinnerung an das Novemberpogrom der Nazis, kam es zum wiederholten Mal zu Beschädigungen an der Synagoge. Auch zahlreiche Stolpersteine, die an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern, wurden geschändet. Während der ersten Schändungswelle, die bis zum 24. Oktober 2013 andauerte, wurden vorerst nur jene Stolpersteine beschmiert, die an jüdische Opfer der NS-Vernichtungspolitik erinnern. Viele der Schmierereien waren explizit antisemitisch und nationalsozialistisch codiert. Erst bei einer zweiten Schändungswelle waren auch Stolpersteine anderer Opfergruppen betroffen. Am vergangenen Wochenende kam es erneut zu mehreren Stolpersteinbeschmierungen.

 

Eine einzige Anzeige bei fünf Verdächtigen

Nach den Schändungen erstattete das Personenkomitee Stolpersteine eine Anzeige wegen Wiederbetätigung im nationalsozialistischen Sinne. Auch der Verfassungsschutz wurde eingeschaltet. Für die Schmieraktionen von 31 Stolpersteinen und mehreren NS-verherrlichenden Beschmierungen an anderen Objekten gibt es nun einen geständigen zwanzigjährigen Tatverdächtigen, der bereits - unter anderem auch einschlägig - vorverurteilt ist. Doch nach einem Bericht des ORF Salzburg vom 25. Oktober 2013 waren mindestens noch vier weitere Personen an den Taten beteiligt und haben Schmiere gestanden. Hier hat sich möglicherweise eine rechtsradikale Gruppe zusammengefunden, um gemeinsam strafrechtlich relevante Hassdelikte zu begehen. Momentan ist der Verdächtige noch in Untersuchungshaft, die nächste Haftprüfungsverhandlung wird Anfang Dezember stattfinden.

Foto: Lina Cenic

Stolpersteine erneut beschädigt

Fest steht jedenfalls, dass der Verdächtige seit seiner Inhaftierung Ende Oktober nicht mehr für die neuen Schmierereien und Beschädigungen verantwortlich sein kann und dass es mehrere Täter_innen  geben muss. Dem Verdächtigen wird die öffentliche Betätigung für die Ziele der NSDAP sowie die Verherrlichung ihrer Maßnahmen und Einrichtungen zur Last gelegt. Weitere Personen, wie etwa die zwei Frauen und die beiden Männer, die Schmiere gestanden haben sollen, wurden nicht angezeigt. „Wir haben Ende Oktober den Beschuldigten ausgeforscht, er ist geständig zu einem Großteil der Taten. Seit Inhaftierung des Verdächtigen kam es wiederum zu neuen Beschädigungen an Stolpersteinen – diesmal wurde eine andere Farbe benützt. Der verdächtige Ersttäter kann ausgeschlossen werden. Jetzt wird im engsten Umfeld des Täters ermittelt. Es ist unklar, ob es parallel zu den Schmierereien, die früher begonnen haben, tatsächlich neue gibt, denn nach einigen Tagen bereits kann nicht mehr eindeutig bestimmt werden, wie lange die Farbe drauf war“, erklärt Hermann Rechberger, Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz in einem Telefoninterview am 14.11.13 und führt aus: „Sämtliche Beschmierungen zeigen eine Handschrift. Dennoch kann man nie ausschließen, dass andere mitbeteiligt waren. Entweder er hat tatsächlich alle Taten begangen, oder nach der Inhaftierung die Verantwortung für alle Taten übernommen, um andere zu schützen. Ob es eine Gruppe war, ist noch zu prüfen.“ 

 

Verdächtiger steht zu rechter Gesinnung

Momentan wird kein/e Graphologe/Graphologin zur Einholung eines Schriftgutachtens wegen der Schmierereien beschäftigt. Allerdings plant die Polizei eingehende Tatortbefragungen durchzuführen. Der sich in Untersuchungshaft befindende Verdächtige steht jedenfalls zu seinen Taten und seiner rechtsradikalen Einstellung. Hermann Rechberger gibt an, dass der Verdächtige bei den Beschuldigteneinvernahmen nicht verhehlt, dass das seine Überzeugung ist und er nur das schreibt, was er tatsächlich glaubt. Andere Einzuvernehmende kommen in einschlägig erkennbarer Bekleidung zu den Einvernahmen. Viele davon haben teilweise keinen Schulabschluss und keine Ausbildung. Ihrer Ansicht nach sind die Ausländer die Sündenböcke und schuld daran, dass sie keine Arbeit bekommen. Und Rechberger ergänzt, „Es gibt in Salzburg keinen Küssel [Anm.: Neonazi-Führer Gottfried Küssel], die Ideologen sind in Haft oder im Ausland. Die hier denken, die Beschäftigungspolitik und der Bau der Autobahnen - das war schon gut von Hitler.“

Von einer kriminellen Organisation geht Rechberger nicht aus: „Der §278a ist meiner persönlichen Meinung nach nicht für diese Gruppe gedacht, da will man an andere Gruppen rankommen.“ Über die Szene in Salzburg meint Rechberger: „Das gesamte Umfeld wird genau angeschaut. Der Verdächtige gehörte in den Dunstkreis der wegen Wiederbetätigung geschlossenen Bar, war jedenfalls öfter dort Bargast. In diesem Milieu begegnen einem immer die gleichen Personen.“

Foto: Lina Cenic

 

Doch die Beschädigungen der letzten Wochen sind leider nichts Neues. Denn die Rechtsradikalen in Salzburg haben in den letzten Jahren Einrichtungen, die einen anderen Diskurs prägen wollen und antifaschistische Arbeit leisten, beschädigt. Bereits 2011 wurden drei Stolpersteine herausgerissen. Damals wurde/n der/die Täter_innen nicht gefasst. Die Steine wurden  nachverlegt. Die Polizei hat damals das Problem  nicht in vollem Ausmaß erfasst und sprach von Metalldiebstahl, nicht von Wiederbetätigung“, erklärt Thomas Randisek vom Personenkomitee Stolpersteine in einem Telefoninterview vom 14. November 2013.

 

Salzburgs rechte Szene

Rechte in Salzburg schrecken auch vor körperlicher Gewalt gegenüber Bettelnden, Roma und people of colour nicht zurück. Denn Antisemitismus, Xenophobie und Verharmlosung des Nationalsozialismus sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. So lobte beispielsweise Bernd Huber, der Büroleiter des stellvertretenden ÖVP Bürger_innenmeisters Harald Preuner, den NS-Kampfflieger und Rechtsradikalen Hajo Herrmann in der Zeitung des Salzburger Kameradschaftsbundes als tadellosen Soldaten. Huber ist auch nach wie vor in der Stadtregierung beschäftigt und bezieht seinen Lohn aus öffentlichen Geldern. Sein Chef Preuner ist einer der Vorreiter im Kampf um ein bettler_innenfreies Salzburg und für die Einführung von Verbotszonen, in denen er  auch die  Sexarbeiter_innen aus dem Stadtbild entfernen möchte.

Der neueste Streich der Stadtregierung war die Erhöhung des Strafrahmens für wildes Campieren von € 350,-- auf € 10 000--. Auch diese von der SPÖ Salzburg mitgetragene Maßnahme zielt auf die Vertreibung und Kriminalisierung von Armut ab. Wenn der Landtagsmandatar Karl Schnell in seiner Funktion als FPÖ-Spitzenkandidat für die Salzburger Landtagswahlen ungestraft Naziterminologie benützt, dann ist das weder ein Patzer noch ein Versehen. In einem Presseinterview vom 14. April 2013 erklärte Schnell, dass es in gewissen Bereichen eine „Umvolkung“ geben würde. Diese Ausgrenzungspolitik und die Verwendung von Nazi-Begriffen sind ein Nährboden für Fremdenhass und die Stigmatisierung von Sündenböcken. In ganz Europa hat die Gewaltbereitschaft der Rechtsextremen wieder zugenommen.

 

Handlungsbedarf

Vor dem Hintergrund dieser wachsenden rechten Bewegung ist das Beziehen einer klaren Gegenposition unerlässlich. Ein Teil der aktiven Erinnerungspolitik muss es sein, Bezüge zur Gegenwart herzustellen und gemeinsam auf die Menschenrechte zu achten.

Gegen die neonazististischen Umtriebe hat sich in Salzburg auf Initiative der ÖH die Plattform gegen Rechts gegründet, die ein überparteilicher Zusammenschluss gegen Antisemitismus und Rassismus ist.

Eine Demonstration ist für den 29.11.13 angesetzt. Treffpunkt ist um 17:30 beim antifaschistischen Mahnmal am Hauptbahhof.

 

„Wer vom Rassismus nicht reden will..."

  • 31.10.2013, 19:49

Die Politikwissenschaterin Judith Goetz hat das Buch "NSU Terror. Ermittlungen am rechten Abgrund" rezensiert.

Seit der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) und seine rassistisch motivierten Morde an mindestens zehn Menschen bekannt wurden, sind einige Bücher über das deutsche Neonazi-Trio erschienen. Im Vordergrund der teils sensationsorientierten Publikationen steht dabei vor allem, (biographische) Erklärungen für das rechtsextreme Engagement der Beteiligten zu liefern oder das Versagen des Verfassungsschutzes aufzuzeigen. Der kürzlich von Jasmin Siri und Imke Schmincke herausgegebene Sammelband nimmt hingegen das „Erstaunen“ der Öffentlichkeit über die Morde zum Anlass, den damit verbundenen politischen Diskurs zu analysieren. In der in vier Abschnitte unterteilten Publikation findet sich ein „Mosaik aus Zugängen und Perspektiven“, die einen facettenreichen Blick auf bislang wenig diskutierte Fragen ermöglichen. Zu den AutorInnen der teils wissenschaftlichen, teils journalistischen, aber auch lyrischen Beiträge und Interviews zählen neben ExpertInnen auch ein Mitglied des NSU-Ermittlungsausschusses und die Ehefrau eines vom NSU ermordeten Mannes.

Mehrere Beiträge richten den Blick auf gesellschaftlich- politische Kontexte, „die die Bedingungen für das Entstehen der Ereignisse bereitgestellt haben“. Manuela Bojadžijev beispielsweise zeigt auf, dass Alltagsrassismus und institutioneller Rassismus in staatlichen Apparaten wie der Polizei, in den Diskursen um die Morde verleugnet und ausgespart bleiben. In lediglich 30 der von ihr analysierten Texte aus deutschen Medien kam der Begriff Rassismus überhaupt vor. In weiteren medienanalytischen Texten werden verbreitete Bilder wie „Brauner Osten“, Geschlechterkonstruktionen oder das dominierende Extremismuskonzept umfassend in Frage gestellt. In Bezug auf letzteres wird aufgezeigt, dass es „sich in politischen und in medialen genauso wie in alltäglichen Debatten verselbstständigt“ und bereits großes „Unheil“ in den Diskussionen rund um Rechtsextremismus angerichtet hat, obwohl es erst seit wenigen Jahren diskutiert wird.

Insgesamt leistet der Sammelband einen profunden, vielseitigen Beitrag zur Auseinandersetzung mit den NSU-Morden, der weit über die bisher geführten Diskussionen hinausgeht und längst notwendige Denkanstöße liefert. Da jedoch der Prozess gegen Beate Zschäpe noch nicht annähernd abgeschlossen ist, müssen auch dieses Werk und seine Erkenntnisse vorerst als Zwischenbilanz gewertet werden.

 

Imke Schmincke und Jasmin Siri (Hrg. innen) (2013): NSU-Terror. Ermittlungen am rechten Abgrund. Ereignis. Kontexte, Diskurse, Transcript-Verlag.

 

Judith Goetz studiert Politikwissenschaft im Doktorat an der Uni Wien.

 

 

 

Iberien igelt sich ein

  • 02.01.2013, 17:27

Im von Massenarbeitslosigkeit geplagten Spanien verfestigt sich die Meinung, dass Migration ein verzichtbares Übel sei, warnt die Internationale Organisation für Migration (IOM).

Im von Massenarbeitslosigkeit geplagten Spanien verfestigt sich die Meinung, dass Migration ein verzichtbares Übel sei, warnt die Internationale Organisation für Migration (IOM).

Die nicht enden wollende Wirtschaftskrise lässt die Ablehnung von MigrantInnen in Spanien deutlich steigen. Immer mehr SpanierInnen sind der Meinung, sie sollten das Land verlassen. „Das Klima gegenüber jenem Bevölkerungsteil hat sich besorgniserregend verschlechtert“, zu diesem Schluss kommt auch die Internationale Organisation für Migration (IOM) in ihrem jüngsten Länderbericht „Die Auswirkung der Krise auf Immigranten in Spanien“. 37 Prozent lehnen mittlerweile Einwanderung generell ab. Demgegenüber stehen 33 Prozent der SpanierInnen, die sich tolerant zeigen. Ein Drittel der Befragten gab sich gleichgültig in dieser Thematik, wenngleich die IOM diesen Bevölkerungsteil als „eher ablehnend“ einstuft. Vier von fünf SpanierInnen sind zudem überzeugt, dass Migration zu Lohndumping führt. Die Mehrheit der MigrantInnen verdient in Spanien weniger als den Mindestlohn. Wie der IOM-Bericht überdies darlegt, steigen Arbeitslosigkeit und extreme Armut unter EinwandererInnen (10,8 Prozent) weit rascher als unter SpanierInnen (6,7 Prozent).

Gefährliches Klima. „Der Nährboden istgesättigt. Wenn wir nicht gegensteuern, wird dies zu einer Situation der Fragmentierung der Gesellschaft und der Exklusion der Immigranten führen“, warnt Walter Actis, Co-Studienautor. Zwischen 1996 und 2010 stieg, angetrieben vom Bauboom und einer blühenden Tourismuswirtschaft, die Zahl der gemeldeten MigrantInnen in Spanien von knapp 500.000 auf mehr als 5,5 Millionen – inklusive der EU-BürgerInnen und Eingebürgerten. „Die Krise hat zwar den Migrationsdruck gebremst. Die Bedingungen, unter denen MigrantInnen leben, sind aber besorgniserregend“, so Actis.

2007 waren lediglich zwölf Prozent der SpanierInnen der Meinung, Menschen mit irregulärem Aufenthaltsstatus sollten abgeschoben werden. Mit 2010 stieg der Wert bereits auf ein Fünftel. 43 Prozent fordern die Ausweisung von ImmigrantInnen, die lange Zeit ohne Erwerb verbleiben. Die Arbeitslosigkeit unter MigrantInnen war zwischen 2008 und 2011 doppelt so hoch wie jene unter SpanierInnen, die zuletzt 25 Prozent überschritten hat. Sowohl die amtierende Rechtsregierung unter Premier Mariano Rajoy als auch dessen sozialistischer Vorgänger, José Luis Rodríguez Zapatero, haben MigrantInnen über weiterlaufende Arbeitslosenbezüge zur Rückkehr in ihre Herkunftsländer bewegt. Zugleich forcierte Spanien Abschiebungen. 2011 waren mehr als 13.000 MigrantInnen in den Auffanglagern C.I.E (in den Nordafrika-Exklaven CETI genannt) interniert. 60 Tage dürfen sie bleiben, und offiziellen Zahlen zu Folge wurden 48 Prozent in ihre Ursprungsländer abgeschoben. Laut Zahlen von NGOs hingegen waren es mehr als 11.000 Menschen, die im Vorjahr in ihre Heimatstaaten zurückgeschickt wurden. Mit Ende 2012 soll die 24.000-Personen-Schwelle überschritten werden.

Vor 20 Jahren, am 13. November 1992 erschütterte der rassistische Mord an der aus der Dominikanischen Republik stammenden Lucrecia Pérez das Land. Es war der erste dieser Art im demokratischen Spanien nach der Franco-Diktatur, die 1977 ihr Ende gefunden hatte. Eine Gruppe junger Neo-Faschisten hatte Pérez mit der Dienstwaffe eines Zivilgardebeamten, der an der Bluttat beteiligt war, erschossen. „Damals erkannte man ebenso wenig wie heute, dass es eine gefährliche Strömung gewaltbereiter Rassisten in Spanien gibt“, sagt Macel Camacho, Sprecher der Plattform gegen Xenophobie und Rassismus: „Es gilt, die Erinnerung an Lucrecia wachzuhalten, um einem aktuellen Widererstarken dieses Übels entgegenzuwirken.“

In den letzten zwei Dekaden hat Zuwanderung nach Spanien ein spektakuläres Wachstum erfahren, sagt Tomás Calvo Buezas, emeritierter Universitätsprofessor für Sozialanthropologie an der Madrider Universidad Complutense und Gründer des  Studienzentrums für Migration und Rassismus an der hiesigen politikwissenschaftlichen Fakultät. Dem Anstieg von einem auf zwölf Prozentpunkte gemessen an der spanischen Gesamtbevölkerung, exklusive der „Sin Papeles“ ohne legalen Aufenthaltsstatus, steht ein knapp fünfprozentiger Zuwachs an rassistischen Gewalttaten gegenüber. Bislang funktionierten, so Calvo Buezas, die Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung, die nun jedoch deutliche Bugdetkürzungen erfahren haben. Doch damit nicht genug, wie Calvo Buezas betont: „Die Krise schafft rascher ein immer gefährlicheres Klima. Denn die Neonazi-Fraktionen oder NeofaschistInnen, wie die Goldene Morgenröte in Griechenland, nähren sich an der Mittel- und Unterschicht, indem sie diesen einen Konkurrenzkampf um Jobs und Gehälter mit MigrantInnen vorgaukeln.“

Online-Bastionen. Auch im Internet wachsen spanische Neonazi-Communities. Gab es 1992 lediglich 200 einschlägige Websites, gibt es aktuell mehr als 2000. Gleichzeitig steigt die Zahl an Lokalen, Bars und Konzerten von Neonazi-Bands landesweit. „Die Krise ist der ideale Nährboden, auf dem Neonazi- Bewegungen wachsen und gedeihen“, warnt der Sozialanthropologe weiter. Nicht minder steigt die Zahl der rechtsextremen Parteien in Spanien abseits der üblichen, wie der einstigen Einheitspartei Francisco Francos, der Falange de las J.O.N.S., und ihrer unzähligen ideologischen Klone. In den vergangenen Jahren schafften deklariert xenophobe neue Fraktionen wie España 2000 in Alcalá de Henares – einer der Wiegen der spanischen Sprache – und anderen Orten der Region Valencia, Plataforma per Catalunya im katalanischen Vic oder Democracia Nacional auch den Einzug in Stadt- und Gemeinderäte, nicht jedoch in Regionalregierungen.

In den Einsparungen im Sozialwesen, dem Aus der Gesundheitsversorgung (progress berichtete) für Menschen ohne legalen  Aufenthaltsstatus, dem von Amnesty International mehrmals angeprangerten Kontrollwahn der spanischen Polizei gegenüber MigrantInnen und Massenabschiebungen sieht Calvo  Buezas „institutionellen Rassismus“.

Übergriffe auf Chinesinnen. Der steigende Rassismus gilt längst nicht mehr ausschließlich LateinamerikanerInnen, MaghrebbürgerInnen oder Menschen aus dem Subsahara-Afrika. Seit der Polizeiaktion Operación Emperador gegen die chinesischeMafia Mitte Oktober, die in Spanien bis zu 1,2 Milliarden Euro jährlich „gewaschen“ habe, sehen sich nun auch chinesische StaatsbürgerInnen in Spanien Übergriffen ausgesetzt. Anfang November streikte das Gros der von chinesischen ImmigrantInnen betriebenen Geschäfte. „SchülerInnen werden von KollegInnen und Eltern als Mafiosi beschimpft. GeschäftsinhaberInnen ergeht es gleich. ChinesInnen wurden sogar in der Metro Madrids verfolgt“, beklagt Jorge García, Sprecher der Spanisch-Chinesischen Handelskammer. Ende November wurden einige der Hauptangeklagten bereits wieder auf freien Fuß gesetzt. Die Ressentiments bleiben aber weiterhin bestehen.

Der Autor Jan Marot ist freier Journalist für Iberien und den Maghreb und lebt in Granada, Spanien.