Kommunismus

Katzen, Weltraum, Kommunismus

  • 22.06.2017, 16:50
Das Internet ist nicht nur eine Fundgrube für Schminktutorials und Pornos, sondern auch für Memes. Im Jahr 2017 ist Kommunismus ein immer beliebter werdendes Thema.

Das Internet ist nicht nur eine Fundgrube für Schminktutorials und Pornos, sondern auch für Memes. Im Jahr 2017 ist Kommunismus ein immer beliebter werdendes Thema.
Angefangen bei Nyan Cat über Doge, „Charlie bit my finger“ oder Gangnam Style, das schwarzblaue oder goldweiße Kleid bis hin zum US-Neonazi Richard Spencer, der eins auf die Fresse kriegt, untermalt von „Wrecking Ball“-Memes. Sie sind allen bekannt, die das Internet für mehr als E-Mails nutzen. Spätestens wenn man zum ersten Mal „gerickrollt“ wurde, versteht man die Faszination und Anziehungskraft solcher Videos oder Bilder – es sind elaborierte Insidergags des kollektiven Internetgedächtnisses. Mal mehr oder weniger tagespolitisch, mit mehr oder weniger Gespür für Humor, nach den ersten fünf Minuten meistens extrem nervig, aber immer präsent: Das sind Memes und sie werden nicht verschwinden.

LENIN CAT. Nicht immer ist nachvollziehbar, woher ein Meme kommt und wohin es geht, wer es gemacht hat oder was das überhaupt soll. Es wird so oft wiederholt, angepasst, geremixt und aus dem Kontext gerissen, dass die Spezialist*innen von „Know Your Meme“ – eine Seite, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Memes zu katalogisieren, zu erklären und zu sammeln – es auch nicht immer schaffen, den Hintergrund oder die Urheber*innen ausfindig zu machen. Wenn man auf besagter Website nach „communism“ sucht, bekommt man nicht nur ein Ergebnis, sondern: Lenin Cat, Faux Cyrillic, Fully Automated Luxury Gay Space Communism und viele hunderte Subkategorien mehr.

Die Legende besagt, dass Kommunismusmemes durch die Präsidentschaftskandidatur von Bernie Sanders 2015 eine breite Öffentlichkeit bekommen haben und seitdem nicht mehr aufzuhalten sind. Dass es davor schon etliche marx- und leninthematische Memes gab, ist klar. Wie das bei Memes aber nun einmal ist, hat sich 2017 durch die General Election in Großbritannien der Name und das Gesicht von Jeremy Corbyn gegenüber den Klassikern des Kommunismus (und Bernie Sanders) durchgesetzt und war somit überall präsent. Eines seiner Highlights ist der YouTube-Hit „Join Labour“, das Bild und Ton von „Join the Navy“ hernimmt, in dem aber auf die Köpfe der Village People neben Corbyn und den oben genannten Marx und Lenin auch Stalin und Mao gephotoshoppt wurden.

ŽIŽEK UND FRUCHTSAFT. Der YouTube-Kanal, auf dem dieses Video geteilt wird, heißt /leftypol/, was für Kenner*innen unschwer in der 4chan- Ecke des Internets verortet werden kann. Über 4chan sollen hier nicht viele Worte fallen, nur so viel: Richard Spencer mag 4chan. Umso irritierender, dass /leftypol/ – steht für leftist politically incorrect – dort operiert und guten Content produziert. Eine Sache muss man sich bewusst machen: Die Memes werden von Linken und Rechten gleichermaßen erstellt, doch man erkennt den Unterschied nur schwer, meist überhaupt nicht. Bei einer kleinen Umfrage unter Freund*innen fanden alle das Labourvideo lustig und niemand hätte vermutet, dass dahinter die Alt-Right steht. Das beweist hauptsächlich eines: Linke haben eben Humor.

Linke und Rechte machen sich über den marxistischen Philosophen Slavoj Žižek lustig, und obwohl die Gründe unterschiedlich sein mögen, sitzen beide Seiten vor dem Bildschirm und lachen über Interviewschnipsel, in denen er zusammenhanglos und mit vielen Schimpfworten über Pornographie oder Fruchtsaft redet – oder wie er aus einem Gartenschlauch trinkt. Der Kern aller Gags bei den Kommunismusmemes ist aber deutlich politischer. Es geht um die großen Probleme der Welt, Kapitalismus, Armut, working poor und Klimawandel. Und die Lösung all dieser Probleme ist extrem einfach und naheliegend, nur niemand will es wahrhaben: KOMMUNISMUS! Rechte können darüber lachen, weil sie es absurd falsch finden. Linke lachen darüber, weil sie es für absurd richtig halten.

WELTRAUMKOMMUNISMUS. Am deutlichsten wird dieser verworrene Konnex zwischen politischem Interesse, Humor und Absurdität bei der Phrase „Fully Automated Luxury Gay Space Communism“. Nicht nur wollen wir™ nicht mehr arbeiten müssen (= fully automated) im gemeinschaftlichen Wohlstand (= luxury), sondern soll das Ganze auch mit Auflösung der Geschlechter (= gay) im Weltraum (= space) passieren. Dies ist eine schöne Weiterentwicklung des Antifaspruchs „Wir wollen nicht nur ein Stück vom Kuchen, wir wollen die ganze Bäckerei!“. Denn wenn wir ehrlich sind, ist die Forderung nach Kommunismus schon schwer genug zu erfüllen, ohne ihn gleich in den Weltraum zu verlagern.

Wahrscheinlich ist das der Grund für das Erstellen dieser Memes. Die politische Lage sieht für Kommunist*innen nicht rosig aus. Das Internet begleitet uns durch den (Arbeits)Tag und wenn man schon am PC hocken muss und lohnarbeitet, kann ein Bild mit einem süßen Hund, der auf seinem Halstuch Hammer und Sichel trägt, den Tag schöner machen. Ob Hundebilder dabei helfen werden, den Kommunismus herbeizubeschwören? Wohl kaum. Ist das Ganze nur ein Abwehrmechanismus der Psyche, um darüber hinwegzukommen, dass wir™ alle wohl nie in den Genuss kommen werden, im Kommunismus leben zu dürfen? Vielleicht.

Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Universität Wien.

Jüdische GenossInnen

  • 22.06.2017, 16:43
„Wir müssen Revolution machen, weil Gott es uns befiehlt. Gott will, daß wir Kommunisten sein sollen!“ *

„Wir müssen Revolution machen, weil Gott es uns befiehlt. Gott will, daß wir Kommunisten sein sollen!“ *
Viele der bedeutendsten VertreterInnen der ArbeiterInnenbewegung waren nicht jüdisch. Ebenso waren die meisten RevolutionärInnen, SozialistInnen oder KommunistInnen nicht jüdisch. Und dennoch trugen Juden und Jüdinnen gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil überproportional zur Entwicklung des Marxismus bei. Dies zeigt sich bereits an den Gründerfiguren dieser Bewegung: Karl Marx, Moses Hess, Ferdinand Lassalle, Rosa Luxemburg und Leo Trotzki wurden zu regelrechten Ikonen der internationalen ArbeiterInnenbewegung. Ihre jüdische Herkunft und die „Judenfrage“ beachteten die meisten von ihnen kaum. Antisemitismus war für sie Symptom der kapitalistischen Gesellschaft und würde in einer klassenlosen Gesellschaft nicht mehr existieren. Juden und Jüdinnen hätten sich im Lauf der Zeit assimiliert.

Als Leo Trotzki in seinem Wiener Exil die Oktoberrevolution plante, hätte er auch Vertreter des „Bunds“ oder der „Poale Zion“ treffen können. Beides jüdische Arbeitervereinigungen, die von Assimilation nichts wissen wollten. Sie kämpften explizit für die jüdischen ArbeiterInnen. Mit dem Ausbruch der Oktoberrevolution blickte die ganze Welt auf Russland, die Hoffnung auf eine gerechtere Welt weckte vielerorts große Erwartungen. Der bewusste Bruch der Sowjets mit dem Antisemitismus des Zarenreichs euphorisierte viele Juden und Jüdinnen, die begeistert im neuen Staat und an der Entwicklung eines neuen Menschen mitarbeiteten. Gleichzeitig litt vor allem die jüdische Bevölkerung in den Schtetln unter der neuen Wirtschaftspolitik und der religionsfeindlichen Haltung.

SOWJETISCHES ZION. In Wien verwies die jüdische, liberale Zeitung Dr. Blochs Wochenschrift am 14. Dezember 1917 stolz auf die jüdische Herkunft Trotzkis: „Trotzki hat seine Zugehörigkeit zum Judentum nie verleugnet, und als in einer politischen Diskussion ein Redner auf seine Abstammung die Anspielung machte, erwiderte er, er habe doch nie Ursache gehabt, seine Abstammung zu bedauern, der er ein geschärftes Verständnis für das Menschenelend der Vergangenheit und für die Aufgaben sozialer Gerechtigkeit in der Zukunft vielleicht zu danken habe.“ Kein Jahr später wurde in Wien die Kommunistische Partei Deutsch-Österreich gegründet. Von Beginn an nahmen einige jüdische GenossInnen bedeutende Positionen in der Bewegung ein, andere leisteten ihr Leben lang Parteiarbeit im Hintergrund. So Prive Friedjung, sie stammte aus einem Schtetl in Galizien, in den 20er-Jahren kam sie nach Wien und schloss sich der kommunistischen Partei an. Als es für sie nach dem Verbot der Partei 1933 und dem Februaraufstand 1934 immer schwieriger in Wien wurde, emigrierte sie in die Sowjetunion. In diesem Jahr kam es auch zu der offiziellen Gründung von Birobidschan, das als autonomes Siedlungsgebiet für jüdische SowjetbürgerInnen gedacht war. Das Projekt des sowjetischen Zion scheiterte an den schweren klimatischen Bedingungen und einer mangelnden logistischen Umsetzung, an der der verschwindende Wille an einer Forcierung einer jüdisch-sowjetischen Nation ablesbar war.

PARADIES AUF ERDEN. Bereits in diesen Jahren fanden die ersten Schauprozesse statt, die sich vor allem gegen (vermeintliche) trotzkistische AbweichlerInnen richteten, unter ihnen auch etliche JüdInnen. Zu Kriegszeiten war hingegen das Jüdische Antifaschistische Komitee auf Tour, um für Unterstützung im Krieg gegen Nazi-Deutschland zu werben. 1948 wurde dieses Komitee aufgelöst. Es folgten die sogenannten „Schwarzen Jahre“, in denen zahlreiche jüdische wie nicht-jüdische Personen verurteilt, verschickt und ermordet wurden. Das stalinistische Terrorsystem erreichte in diesen Jahren seinen Höhepunkt. Prive Friedjung befand sich zu dieser Zeit bereits wieder in Wien und arbeitete für sowjet-nahe Betriebe. Zu Zeiten des Kalten Krieges erlebte sie die feindliche Stimmung gegenüber der KPÖ, einer Partei, die in Österreich immer mehr in der politischen Bedeutungslosigkeit versank. Enttäuscht durch den innerparteilichen Umgang mit Mitgliedern und einer fehlenden Auseinandersetzung mit den Ereignissen in Ungarn und Prag, trat sie 1969 aus der Partei aus. 14 Jahre später trat sie ihr wieder bei, in der Hoffnung, die Partei würde die richtigen „Formen finden, die richtigen Wege gehen, um ihre Funktionen zu erfüllen“. Zu dieser Zeit hatte in der Sowjetunion die Refusenik-Bewegung und in Folge die Emigration sowjetischer Juden und Jüdinnen eingesetzt. Die meisten wanderten über Wien aus, einige blieben. Prive Friedjungs Memoiren tragen den Titel „Wir wollten nur das Paradies auf Erden“ und erzählen vom Traum einer jungen Frau aus einem Schtetl von einer gerechteren Welt. Lebensgeschichten, die von diesem Traum und oftmals von dessen Scheitern erzählen, werden in der Ausstellung im Jüdischen Museum Wien die jüdische Geschichte des Kommunismus – auf sowjetischer und auf österreichischer Seite – veranschaulicht.

Ausstellungshinweis: Genosse. Jude. Wir wollten nur das Paradies auf Erden.
6. Dezember 2017 bis 29. April 2018, Jüdisches Museum, Dorotheergasse 11, 1010 Wien

Gabriele Kohlbauer-Fritz ist Kuratorin im Jüdischen Museum Wien und Sammlungsleiterin.
Sabine Bergler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Jüdischen Museum Wien.

Armut abschaffen, nicht anerkennen!

  • 22.06.2017, 16:25
Zur Schwierigkeit des Klassismus-Begriffs

Zur Schwierigkeit des Klassismus-Begriffs
Vermehrt liest man in linken Kontexten Aufforderungen, „klassistische Privilegien zu reflektieren“. Arm dürfen sich, so heißt es, nur jene nennen, die richtig arm sind; nicht jene, die bloß zu viel Geld ausgegeben haben. Nun soll nicht gesagt werden, dass es nicht immer noch ärmer lebende Menschen gibt: Das Nebeneinander der Facharbeiterin, die sich hin und wieder einen Saunabesuch leisten kann, und Menschen allerorts, die kaum genug Geld für Brot haben, ist ebenso banal wie übel. Aber: Anerkennung für diese Tatsache zu fordern, ist nicht bloß keine Kritik des Kapitalismus, sie fußt auf falschen Annahmen über Lohnabhängigkeit, Armut und Bedürfnisse.

HARTZ 4 VON LINKS. Die Hierarchisierung in Luxusbedürfnisse (nicht immer nur Nudeln mit Sauce, auch mal warme Schuhe und eine bequeme Hose) ergibt sich überhaupt erst, weil Menschen allerorts zu wenig Geld haben, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, und jene streichen müssen, die nicht absolut lebensnotwendig sind. Wer diese Notsituation für die Wahrheit über Bedürfnisse und Privilegien hält, bejaht so manche verkehrte Ideologie der kapitalistischen Ökonomie; aus der neuen Handtasche an sich ergibt sich die Kategorie „Luxusbedürfnis“ nicht.

Was „wirkliche Armut“ und Privilegien ausmacht, ist einer linken Veranstaltungseinladung zu entnehmen, die jüngst verlautbarte: „Klassismus = keine Reflektion zu eigenen Privilegien haben; davon reden, ‚arm‘ zu sein, weil das Konto wegen zu vieler Ausgaben alle ist“. Hier äußert sich ein interessantes Differenzierungsvermögen zwischen arm und arm. Schließlich besteht die ökonomische Lage von allen, die jeden Monat zurück auf Los und das bestenfalls mit spärlichen Reserven müssen, auch nur darin, dass sie sich ein Leben lang um die Beschaffung von Geld kümmern müssen – also von der Hand in den Mund leben. In den Augen der Klassismus-Kritiker_innen ist diese Lage allerdings ein Privileg. Anstatt das Elend anzukreiden, als Mensch eine konstante Variable des Kapitals zu sein und mit dem Ertrag davon sein Leben bestreiten zu müssen, bejahen sie die Lebenslüge, dass es sich bei Lohn um ein geeignetes Mittel zum Bestreiten des eigenen Lebens handelt, und richten sich nicht gegen den Kapitalismus, sondern die Privilegien anderer Lohnabhängiger.

Wer davon ausgeht, dass Geld-Ausgeben das Gegenteil von Armut bedeutet, macht aus Armut eine Art Wettkampf: Wer ist noch ärmer? Ist die Frisörin nicht doch privilegiert? So findet sich immer jemand, der noch ärmer ist – die Absicht dieser Kritik ist schließlich der Vergleich. In dieser Art wird über klassistische Privilegien gesprochen: Man dürfe sie zwar haben, bloß raushängen lassen oder sich fälschlicherweise als arm bezeichnen, das passe nicht! Dieser ehrenwerte Status gebührt bloß jenen, die es „verdienen“. Ein absurder Wettkampf, der die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen Massen von Leuten arm dran sind, affirmiert.

MANÖVRIERMASSE. Der Fehler, besser bezahlte Arbeiter_innen als privilegiert zu fassen, wird an der gemeinsamen Lage der mehr oder minder verarmten Lohnabhängigen nochmals deutlich: Es ist das üble Los aller Lohnabhängigen, immer wieder Bedingungen (über Ausbildung und andere Selbstoptimierung) an sich herzustellen – i n der Hoffnung, dass diese Zurichtung aufgeht und man sich zu den Glücklichen, die ihre Arbeitskraft verkaufen dürfen, zählen kann. Es ist eine Lage, in der man nicht mehr als die Manövriermasse des Kapitals ist: Student_in, Maler_in wie Arbeitslose sind davon abhängig, angestellt zu werden; ein abgeschlossenes Studium bewahrt nicht davor, seine Arbeitskraft verkaufen zu müssen. Rechnen sie sich in der Kalkulation ihrer Arbeit„geber“_innen nicht, war es das mit ihrem Lohn, den sie zum Leben brauchen. Seine Höhe ist wiederum davon abhängig, wie viele andere ähnlich prekäre Gestalten dasselbe können wie man selbst, und ob diese Fertigkeit sich verwerten lässt.

Linke Aufklärung über den Kapitalismus hätte nicht nach vermeintlichen Privilegien innerhalb dieser ohnmächtigen Lage zu suchen, sondern die Gemeinsamkeit der Abhängigkeit zu betonen und zur Grundlage von Praxis zu machen. Ein Fortschritt wäre es allemal, wenn sich der Kassier und die Facharbeiterin nicht gegenseitig verachten, sondern ihre gemeinsame Lage – die der Lohnabhängigkeit – erkennen würden.

DAS PROBLEM KAPITALISMUS. Damit soll nicht bestritten werden, dass es ein sehr bitteres Los ist, etwa von Mindestsicherung leben zu müssen. Der Klassismus-Diskurs aber ist eine falsche Kritik an den Verhältnissen, die dieses Elend erzeugen. Sie reduziert Kapitalismus auf eine Ideologie zur Abwertung von Armut und abstrahiert davon, dass Armut im Kapitalismus nützlich ist. So lassen sich mit dem Hinweis auf viele Arbeitslose als potentieller Ersatz Löhne hervorragend drücken: Irgendwer wird es notgedrungen schon billiger machen! Am Existenzminimum ist man nicht wegen des Dünkels oder der Arroganz boboisierter Parteigänger_innen kapitalistischer Leistungsideale. Ebenso wenig ist der Lohn aufgrund der vermeintlichen Privilegien der noch nicht vollends Verarmten so gering: Arm ist man aufgrund seiner ökonomischen Lage. Diese ist aber nicht damit erklärt, dass die tatsächlich existierende Differenz von Normalzustand (kann sich Heizen leisten) und Ausnahme (kann sich nichtmal das leisten) gegen die Erklärung derselben Differenz gerichtet wird. Die einen sind lohnabhängig und verdienen Lohn, die anderen sind lohnabhängig, verdienen hingegen keinen oder einen sehr geringen Lohn. Die Brutalität, sonst kein Lebensmittel zu haben, sondern vollständig von der Kalkulation des Kapitals abhängig zu sein, zeichnet beide aus. Wenn linke Kritik sich einen Begriff über Armut machen will, hat sie eben diese Lage zu ergründen und zu kritisieren.

Dragana Komunizam hat Politikwissenschaft an der Universität Wien studiert.

Antifa meets Communism: (Not) A Lovestory

  • 22.06.2017, 15:07
Die Debatte um das Verhältnis von Kommunismus und Antifaschismus erhitzt verlässlich die Gemüter. Eine Beziehungsanalyse.

Die Debatte um das Verhältnis von Kommunismus und Antifaschismus erhitzt verlässlich die Gemüter. Eine Beziehungsanalyse.
Ist der große Zeitaufwand, den Antifaschist_ innen betreiben, um rechte Strukturen und Ideologien in Schach zu halten, dem Einsatz für die Überwindung des Bestehenden hinderlich? Oder ist ein Vorgehen gegen reaktionäre Zuspitzungen des Status Quo für die Perspektive auf eine Revolution sogar notwendig? Ist die Verteidigung der „bürgerlichen, kapitalistischen Gesellschaft vor ihren eigenen Kreaturen“ aus kommunistischer Sicht überhaupt vertretbar? Die hier skizzierten Fragen führen regelmäßig zu Unstimmigkeiten, werden als Kritik an antifaschistischem Aktivismus kurz hitzig andiskutiert und erlöschen dann ebenso schnell wieder. Bis zum nächsten Anlass.

KONKURRENZ, DIE KEINE IST. Hier wird eine Situation imaginiert, in der Antifaschismus und Kommunismus einander ausschließen. Das mag vom Zeitaspekt und der Notwendigkeit einer Gewichtung in der alltäglichen Arbeit her seine Berechtigung haben, ganz so einfach ist es jedoch nicht. Der früher recht verbreitete Ansatz, dass antifaschistische Arbeit an sich revolutionäre Potentiale hat, ist heute mehrheitlich überwunden. Praktisch ist antifaschistischer Abwehrkampf jedoch oft Voraussetzung für die Arbeit am Projekt der befreiten Gesellschaft. In einer sich autoritär formierenden Gesellschaft, in der Rassist_innen auf dem Vormarsch sind, die Polizei sich militarisiert und der Druck auf Aktivist_innen durch Überwachung und zunehmende Repression wächst, wird es eng bezüglich der notwendigen Freiräume für die Arbeit an unserer Zukunft. Diesen Entwicklungen nach Kräften entgegenzutreten, um zumindest die weitere negative Zuspitzung des ohnehin prekären und unwirtlichen Status Quo mit all seinen tagtäglichen Zumutungen zu verhindern, ist die Aufgabe des Antifaschismus. Er steht dabei immer unter dem Anspruch der Adäquanz und darf nie zum Selbstzweck werden. Denn wo man beginnt, jeder kleinen Aktion unbedeutender rechtsextremer Grüppchen hinterherzulaufen, wird der Fokus dann wirklich kontraproduktiv und bindet Ressourcen, die anderswo gebraucht werden. Doch einflussreichen rechtsextremen Akteur_innen das Leben schwer zu machen, den Versuchen von Diskursverschiebung nach rechts und Eroberung immer neuer gesellschaftlicher Räume entgegenzutreten, ist eine wichtige Aufgabe des Antifaschismus.

HAND IN HAND. Die Perspektive auf eine befreite Gesellschaft ist auch ein Blick auf eine Welt, in der reaktionäre Kräfte und ihre Ideologien ein für alle Mal auf den Müllhaufen der Geschichte verbannt worden sind. So ist es unerlässlich, diese Kräfte im Hier und Jetzt zu bekämpfen, ihnen das Leben so schwer wie möglich zu machen. Denn je stärker sie werden, desto weiter rückt das Ziel der Überwindung der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft hin zum Kommunismus in die Ferne. Trotz dieses Ineinandergreifens der beiden Arbeitsfelder sehen sich Antifaschist_innen des Öfteren mit dem Vorwurf konfrontiert, keine „wirklichen“ Kommunist_innen – alternativ auch Anarchist_innen – zu sein. So beispielsweise, als das NOWKR-Bündnis – das sich durchaus und ausdrücklich als kommunistisch verstand – in seinem Aufruf zu den Protesten gegen den Akademikerball 2015 schrieb, dass sie als Antifaschist_ innen „die bürgerliche Gesellschaft stets gegen ihre eigenen Geschöpfe verteidigen“. Für das hier gebrachte Verständnis von Antifaschismus als Verteidigung jener Zustände, die man als Kommunist_in doch eigentlich überwinden möchte, hagelte es Kritik.

Die Formulierung ist durchaus provokant, vielleicht auch nicht sonderlich glücklich gewählt. Inhaltlich ist sie dennoch richtig: Antifaschistische Abwehrkämpfe sind im Bestehenden ein notwendiges Übel, um sich als Kommunist_innen die Handlungsfähigkeit zu bewahren.

Die „Verteidigung der bestehenden Verhältnisse“ ist auch unter einem anderen Gesichtspunkt eine irreführende Formulierung. Denn gerade linksradikale Gruppen analysieren Phänomene des Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und anderer zu überwindender reaktionärer Ideologien nicht bloß für sich, sondern aus den Verhältnissen heraus. Sprich: Rassismus ist kein Problem der extremen Rechten, irgendwelcher Randgruppen oder fanatisierter Sekten, sondern der Gesellschaft als Ganze. Das gilt im doppelten Wortsinn. Zum einen formieren sich diese Ideologien unter den Bedingungen der derzeitigen gesellschaftlichen Verfasstheit, sind in Auftreten und Spielform eng damit verflochten. Zum anderen sitzen sie auch in der Mitte der Gesellschaft, an den Universitäten und in Parlamenten, den Stammtischen und Arbeitsplätzen. Genau dort gilt es ihnen auch entgegenzutreten. Eine Gesellschaft ohne diese reaktionären Ideologien ist nur jenseits ihrer bürgerlich-kapitalistischen Grundfesten zu denken.

Mit Antifaschismus alleine kommt man dem Kommunismus kein bisschen näher, ohne ihn aber erst recht nicht. Solange die Verhältnisse nicht fallen, bleibt Antifaschismus notwendig, um als Linke auf Dauer handlungsfähig zu bleiben. Das NOWKR-Bündnis brachte diesen Schluss in einem Interview auf den Punkt: „Als Antifaschist_innen rufen wir dazu auf, Nazis und reaktionären Ideologien auf allen Ebenen und mit allen Mitteln entgegenzutreten. Unser Ziel als Kommunist_innen ist, diesen Kampf überflüssig zu machen.“

Miriam Raskova studiert Politikwissenschaft an der Universität Wien.

ABC des Kommunismus

  • 21.06.2017, 18:21
Nach 150 Jahren ist Das Kapital von Karl Marx in aller Munde, seine Theorie und kommunistische Kritik sind aber weitgehend vergessen. Was die zu bieten haben, soll dieses ABC skizzieren.

Nach 150 Jahren ist Das Kapital von Karl Marx in aller Munde, seine Theorie und kommunistische Kritik sind aber weitgehend vergessen. Was die zu bieten haben, soll dieses ABC skizzieren.

Abstrakte Arbeit
ist nicht zu verwechseln mit einer bestimmten Tätigkeit, die einen bestimmten Nutzen erzeugt, sondern bezeichnet die Eigenschaft der Arbeit, den Wert der Waren zu produzieren – in einem proportionalen Verhältnis zur Arbeitsdauer. Dieser Begriff stellt klar, dass das Lob der Arbeit sich mit Marxismus nicht verträgt. Arbeit ist als Lebensnotwendigkeit jenseits von Lob oder Verdammung, immer mehr Arbeit für immer mehr Wert ist der Zweck der kapitalistischen Produktionsweise. Marx hat es behauptet, die VWL hat es bezweifelt – aber KapitalistInnen praktizieren das Wertgesetz, wenn sie in ihren Maßnahmen ihr Kapital zu seiner Vermehrung einsetzen, also darum konkurrieren, möglichst viel abstrakte Arbeit bei sich zu versammeln und gleichzeitig das Maß dieser Konkurrenz immer höher zu schrauben, also Arbeit bei sich zu reduzieren, die die Konkurrenz noch aufbringen muss (vgl. ➡️ Arbeitswertlehre ➡️ Produktivkräfte).

Arbeitskraft
Während die Arbeitskraft allgemein in der physischen Fähigkeit des Individuums besteht, die Natur zu seinem Zweck zu verändern, besteht die kapitalistische Variante dieses Umstands darin, dass die Arbeitskraft Ware sein darf. Als solche wird sie veräußert, auf dass ihre KäuferInnen sie für diese Periode – die Arbeitszeit – frei zu ihrem Zweck einsetzen können. Insofern ist der Satz unwahr, dass Arbeit bezahlt wird. Bezahlt wird dder Wert der Ware Arbeitskraft, nicht der der Arbeit, denn ihr Produkt gehört dem Kapital. Weil ArbeiterInnen nicht versklavt sind, gewinnen sie jeden Abend die Verfügung über ihre Arbeitskraft zurück, um sich erholen zu können (für den nächsten Tag).

Arbeitswertlehre
Keine „Lehre“, sondern die Kritik der politischen Ökonomie, die sich nicht mit der Banalität erledigt, dass sich der Preis der Waren nicht durch die Arbeit „berechnen“ lässt. 1. weil Marx im Kapital erklärt, dass der Wert der Ware keinen Rechtsanspruch der ProduzentInnen bezeichnet, sondern das Ergebnis eines Konkurrenzkampfes, der sich hinter dem Rücken der ProduzentInnen abspielt. 2. weil man schon kapieren muss, warum Arbeit Wert schafft, aber Maschinen – selbst Arbeitsprodukte – ihn nur übertragen, man die Wissenschaft von der Ökonomie auf die vulgärökonomische Flachheit reduziert, das Phänomen, dass jeder für seine Ware verlangt, was er kriegen kann, für den Begriff der Sache zu halten. 3. Näheres bei Marx!

Ausbeutung
hat mit einem moralischen Vorwurf nichts zu tun. Ausbeutung wird durch ➡️ KapitalistInnen dadurch erreicht, dass sie ➡️ LohnarbeiterInnen unbezahlte Mehrarbeit verrichten lassen, indem deren Arbeit ein wertvolleres Produkt produziert, als ihre Bezahlung kostet. Ausbeutung bezeichnet die trostlose Rolle der produktiven ArbeiterInnen, für diesen Zweck in Haftung genommen zu werden und ist insofern kritisch gemeint. Die Forderung eines gerechten Lohns, der den ArbeiterInnen die Arbeit wirklich entgilt, ist mit der Kritik der Ausbeutung nicht verbunden. Diese Forderung übersieht nicht nur, dass nicht die Arbeit, sondern Ware ➡️ Arbeitskraft bezahlt wird – sie geht auch von der Trennung aus, die das ➡️ Privateigentum zwischen Reichtum und ArbeiterInnen zieht.

Dialektik
Eine Wunderwaffe, mit der man Widersprüche rechtfertigt, ohne sie zu erklären, weshalb sie sich besonders in Uni-Seminaren bestens bewährt.

Gebrauchswert & Tauschwert
Was an Arbeitsmitteln und an Genussmitteln, also sachlichem Reichtum, zur Verfügung steht, macht zunächst den Reichtum jeder Gesellschaft aus. Im Kapitalismus gewinnt dieser Gebrauchswert-Reichtum zusätzlich die Qualität des Tauschwerts: Die nützlichen Dinge haben Wert, weil sie tauschbar sind. Diese zweite Qualität der Ware drückt sich in ➡️ Geld aus.

Geld
ist materialisierte, quantifizierte und ausschließende Kommandomacht über Produkte und Arbeit. Die irrationale Gestalt des ➡️ Privateigentums als Ding, auf dem die politische Ökonomie des Kapitalismus beruht.

LohnarbeiterInnen, doppelt freie
Die/Der LohnarbeiterIn bezeichnet eine recht kümmerliche Gestalt, die über die Mittel ihres eigenen Lebens nicht verfügt, aber dabei tun und lassen kann, was sie will. Durch den ➡️ privateigentümlichen Ausschluss von den ➡️ Produktionsmitteln sind die LohnarbeiterInnen auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesen, was ihre Freiheit recht bescheiden ausfallen lässt.

Entfremdung
Entgegen modernen Gerüchten bezeichnete Marx mit der Entfremdung nicht Kapitalismuskritik als Sinnfrage, sondern den Umschlag des Eigentumsgesetzes (MEW 23, S. 609–611), wonach nicht mehr eigene Arbeit das ➡️ Eigentum am Produkt begründet, sondern die ➡️ kapitalistische Meisterleistung, alle Elemente des Produktionsprozesses zu bezahlen. Für die ArbeiterInnen bedeutet dies auch, dass ihre Arbeit in der Unterordnung unter den vom Kapital organisierten Produktionsprozess besteht. Die – reale – Absurdität besteht darin, dass die Arbeit nicht das Mittel derer ist, die arbeiten.

Freiheit & Gleichheit
Keine Werte, die im Kapitalismus vor die Hunde gehen, sondern die realen, juristischen Bedingungen, unter denen ➡️ Lohnarbeit und ➡️ Kapital sich begegnen. Diese Bedingungen bestehen in der realen Abstraktion davon, was die gegensätzlichen Interessen ausmacht und worüber sie verfügen. Kapital und Arbeit begegnen sich als Personen auf dem Markt, wo sie einen höchst ungleichen Tausch machen, der die Verfügung über die Ware Arbeitskraft gegen Lohn entgilt. Dass Freiheit und Gleichheit eine ungemütliche Sache sind, lässt sich auch daran studieren, dass die ArbeiterInnen anders in den Produktionsprozess eintreten (MEW 23, S. 189–191), als sie aus ihm herausgehen (MEW 23, S. 319f.).

Krisen
kommen und gehen, machen jedenfalls dem Kapitalismus leider nicht den Garaus.

Hegel
muss man nicht gelesen haben, um Marx zu verstehen (dafür müsste man Marx lesen).

historisch erkämpft
ist die Gleichberechtigung der ProletarierInnen mit ihren ArbeitgeberInnen, ebenso wie alles Soziale an der Marktwirtschaft, was für keinen der beiden Erfolge spricht. Während zu ersterem mit ➡️ Freiheit und Gleichheit das Nötige gesagt ist, besteht die Errungenschaft des Sozialstaats einfach darin, von den Schädigungen der ➡️ Lohnarbeit auszugehen, um diese zu kompensieren und die Lebenslüge des Lohns wahrzumachen, von ihm „leben“ zu können. Der Sozialstaat erhält die Gesellschaft, die ihn nötig macht, weil er sie affirmiert. Und ProletInnen leben als „einfache Leute“ vor sich hin, weil und solange sie sich ein Leben außerhalb der Organisationsformen moderner Armut nicht vorstellen mögen.

Industrielle Reservearmee
Arbeitslose; ein Produkt des kapitalistischen Einsatzes der ➡️ Produktivkräfte, wobei die Industrielle Reservearmee nicht entsteht, weil die ArbeitgeberInnen keine Arbeit „geben“, sondern weil das Kapital die Lohnarbeit so anwendet, wie es für seine Verwertung zuträglich ist. Mit ihrer Konkurrenz entfalten die Arbeitslosen segensreiche Wirkungen auf den Arbeitsmarkt, wo das Kapital durch Lohndrückerei seinen ➡️ Profit steigern kann.

KapitalistIn
Der Eigentümer von Kapital, der die ➡️ doppelt freien Lohnarbeiter für seinen Profit ➡️ ausbeutet. Als solcher hat er keinen schlechten Charakter, sondern betätigt sich als Charaktermaske, womit gemeint ist, dass er als bloße Personifikation einer ökonomischen Kategorie handelt. Gibt es nicht nur in männlich, wie schon früh eine „Dame mit dem gemütlichen Namen Elise“ bewies (MEW 23, S. 269).

Kommunismus
Kein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben wird, sondern die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt.

MEW
Marx-Engels-Werke. MEW Band 23 = Das Kapital Bd. 1. Lesen!

Müllhaufen der Geschichte
Bestimmungsort aller theoretischen Schriften der Agenda Austria.

Privateigentum
Im Unterschied zum Besitz einer Sache bezeichnet Privateigentum nicht den schlichten Umstand, über eine Sache (zwecks ihrer Konsumtion) zu verfügen, sondern die Willkür, sie anderen vorzuenthalten. Seine bestechende Durchschlagskraft erhält dieses Recht, wo es das Produktionsverhältnis des Kapitals kodifiziert, also dem Kapital sein Monopol auf den Reichtum der Gesellschaft sichert, während es den LohnarbeiterInnen die Unsicherheit ihrer Existenz garantiert. Deswegen muss es beseitigt werden.

Produktionsmittel
(auch: Rohstoffe, Maschinen, Gebäude) gehören dem Kapital, was dieses zur herrschenden Klasse qualifiziert. An den Produktionsmitteln hantieren diejenigen, die sie nicht haben, zum Wohle derjenigen, die damit „Arbeitsplätze schaffen“. Dieser verantwortungsvolle Beruf besteht in der eigentümlich eigennützigen Handlung, andere für sich arbeiten zu lassen – auf der schlichten Grundlage des ➡️ Privateigentums an den Produktionsmitteln.

Produktivkräfte
werden gesteigert, damit am Preis der Arbeit gedreht wird. Das Kapital verändert das Verhältnis von Vor- und Überschuss, indem es den Wirkungsgrad der Arbeit erhöht, mittels neuer Technologie und Arbeitsmethoden, was keine Wohltat für die arbeitende Menschheit ist, weil sie gleich doppelt auf ihre Kosten geht: 1. wird ihre Arbeit nicht weniger, sondern überflüssig, was zur Bildung einer ➡️ Industriellen Reservearmee führt. 2. wird die bezahlte Arbeit der nicht entlassenen Mannschaft reduziert, was schlecht ist für Leute, die ausgerechnet davon leben, möglichst viel von ihrer Arbeit zu verkaufen. Die Verringerung der bezahlten Arbeit ist die Senkung der Lohnstückkosten, wodurch das Kapital den Ausschluss der ArbeiterInnen von ihrem Produkt steigert, also seinen ➡️ Profit.

Profit (auch Gewinn)
besteht im Geld-Überschuss, den KapitalistInnen realisieren, wenn Waren verkauft werden und dabei mehr einstreichen, als sie in ihrem Vorschuss (Arbeitskräfte, Produktionsmittel usw.) investiert haben. Da der Profit für mehr Profit reinvestiert wird, also maßlos ist, steht er im Ruch, dem Gemeinwohl zu widersprechen, was nicht gerecht ist, weil er als Bedingung allen andern Einkommens (Zinsen, Renten, Gehälter) genau das Gemeinwohl stiftet, das der Kapitalismus zustande bringt: Wirtschaftswachstum!

Utopien
gehen nicht, weshalb realitätsbewusste ZeitgenossInnen gerne den ➡️ Kommunismus als eine solche bezeichnen. „Phantastische Gemütsschwärmerei“ (MEW 4, S. 3) war allerdings Marx und Engels eher peinlich, weshalb sie neben ihrem Programm der „Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“ auch polemisch Stellung bezogen haben. GegnerInnenschaft gegen die kapitalistische Produktionsweise verlangt nämlich Kenntnisse und nicht bloß Absichten.

verkürzte Kritik
ist ein antikritisches Modewort, das falsche Einwände gegen den Kapitalismus als guten Ansatz, der leider nicht weit genug getrieben wurde, würdigt. Gehört auf den ➡️ Müllhaufen der Geschichte.

Fragen & Einwände aufschreiben und an abcdesmarxismus@hotmail.com schicken!
Dragana Komunizam hat Politikwissenschaft an der Universität Wien studiert.

„Wer Arbeit kennt und sich nicht drückt, der ist verrückt“

  • 20.06.2017, 22:30
Wo man auch hinsieht, war Arbeit nichts anderes als Zwang. Auch heute leben die Menschen in der Regel für die Freizeit.

Wo man auch hinsieht, war Arbeit nichts anderes als Zwang. Auch heute leben die Menschen in der Regel für die Freizeit.

Wer selbst einmal gearbeitet hat, der weiß, dass Arbeit trotz aller anderslautenden Versprechen oft nicht sonderlich glücklich macht. In der Regel empfinden die Menschen Arbeit als Last, als mühsame Notwendigkeit, die man hinter sich bringen muss, um endlich wieder Freizeit zu haben. Wer arbeitet, der weiß, dass man sich gerade nach den Pausen, den Feierabenden und vor allem nach den Wochenenden sehnt, nicht aber nach den acht Stunden, die man im Büro, beim Kellnern oder in der Ideologieproduktionsstätte der Universität verbringt.

VERKEHRTES VERHÄLTNIS. Der Zwang, den die Menschen erfahren, ist kein eingebildeter, sondern entspricht dem wirklichen Zwangscharakter der gegenwärtigen Gesellschaft, in der die individuelle Selbsterhaltung an die Verwertung von Kapital unter privater Regie gekoppelt ist. Ernährung, Bekleidung und Bespaßung des Individuums sind in diesem System kein Selbstzweck, sondern erscheinen als funktionale Bedingung dafür, dass Menschen arbeitsfähig bleiben und damit das System erhalten. Die Gesellschaft, namentlich ihr verkehrtes Erscheinen als Kapitalverhältnis, setzt die Lebendigkeit und die Erhaltung der Einzelnen in eins mit der Erhaltung des Leibes als Arbeitskraft. Wo ein Zustand herrscht, in dem nicht Bedürfnisse das Maß der Produktion sind und die Arbeit nicht bloß Mittel, es zu befriedigen, herrscht das groteske Gegenteil der Zweck-Mittel- Relation. Statt die Diktatur der Bedürfnisse über die Produktion zu organisieren, also statt dem Profitinteresse des Kapitals einzig und allein die Menschen entscheiden zu lassen, was sie zum guten Leben brauchen, sind die Einzelnen heute bloß Anhängsel der Produktion und das Bedürfnis bloß Anreiz zur Produktion: Verwertung des Werts, Herausschlagen von Profit, der privat angeeignet wird. Der dieser Gesellschaft angemessene Leitspruch lautet daher nicht: Wo ein Bedürfnis ist, da wird es gestillt. Sondern: Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen.

SÜNDENFALL … Nun könnte man sich fragen: War denn die Arbeit jemals etwas anderes als Zwang? Wenn wir den konkret-geschichtlichen Erscheinungen der Arbeit kein metaphysisches, im Zwang als ihr reines Gegenteil erscheinendes Wesen unterstellen wollen, so war die Arbeit ab dem Austreten der Menschen aus der Natur stets von fremden Zwecken bestimmt, also Zwecken, die von der Bedürfnisbefriedigung der Arbeitenden getrennt sind. Kaum der Natur entronnen, war Arbeit für jeden Menschen Bedingung des nackten Überlebens. Die Lebenszeit der einzelnen Menschen war also voll und ganz von der Bearbeitung der Natur zum Zwecke der Reproduktion der eigenen Existenz aufgesogen. Erst der gemeinschaftlich zustande gebrachte Überschuss, der nicht gleich konsumiert wurde und daher konserviert und angeeignet werden konnte, setzte ein soziales Verhältnis in Gang, in dem die einen gut leben konnten und die anderen ausgebeutet wurden. Herrschaft und Ausbeutung, so stellt es sich paradoxerweise historisch dar, sind erst dann in die Welt getreten, als die Menschen sich durch die Entwicklung ihrer Produktivkräfte aus dem bloßen Zwang der Natur befreit hatten. Dort, wo die Bearbeitung der Natur rational war, also ganz den Bedürfnissen der Menschen verpflichtet, wies sie noch nicht über den bloßen Kreislauf der Natur hinaus. Vom Naturzwang emanzipierte sie sich erst im Überschuss, welcher die Menschen vom bloßen Gattungsexemplar zu sozialen Wesen, und ihr Zusammenleben zur Produktionsgemeinschaft erhob. Es ist ein historisches Verhängnis, welches nicht weiter ableitbar ist, dass das in der Wiege der Menschheit entstehende Mehrprodukt nicht vernünftig aufgeteilt, sondern herrschaftlich angeeignet wurde.

… UND ERBSÜNDE. Durch diesen „Sündenfall“ wurde Herrschaft in Gang gesetzt. Im Laufe der Jahrhunderte nimmt sie allerdings höchst unterschiedliche Formen an. In der Antike waren bekanntlich nur Bürger frei, alle anderen – Frauen und Fremde – wurden von der Freiheit ausgeschlossen. SklavInnen schließlich, welche den arbeitenden Teil der Bevölkerung bildeten und somit eine unumstößliche Bedingung der Reproduktion der antiken griechischen Stadtstaaten darstellten, waren für die Herrschenden kaum mehr als sprechende Werkzeuge – obwohl ihre Arbeit doch die eigene Lebensgrundlage darstellte. Die Humanität der griechischen und römischen Antike, die sich nicht zuletzt in der Philosophie ausdrückte, war untrennbar an Reproduktion der Gesellschaft durch Sklavenarbeit gekoppelt. Die schrankenlose Herrschaft des einen Menschen über den anderen ist also historisch eine Bedingung für den Beginn der europäischen Zivilisation.

Im Feudalismus stand die Reproduktion der Gattung ganz unter der Regie persönlicher Herrschaft des Feudaladels über die Leibeigenen. Die Bauern und Bäuerinnen waren zwar keine SklavInnen mehr, kannten aber trotzdem so gut wie keine Rechte gegenüber ihren Herren, denen sie als Knechte mehr oder weniger auf Gedeih und Verderben ausgeliefert waren. Die Subsistenzökonomie war derart organisiert, dass die Leibeigenen durch Arbeit nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Herren ernährten. Vor der bürgerlichen Gesellschaft haben wir es also mit Gemeinwesen zu tun, die sich durch persönliche, direkte Herrschaft und Ausbeutung auszeichnen.

BLUT UND FEUER. Erst im Zuge der sogenannten ursprünglichen Akkumulation veränderte sich das Verhältnis des Menschen zu seiner Arbeit zu jener Form, wie wir sie heute kennen. Durch die gewaltsame Trennung der Produzierenden von ihren Produktionsmitteln, also der massenhaften Vertreibung von Bauern und Bäuerinnen von ihrem Grundbesitz, wurde die Landbevölkerung zu freien LandarbeiterInnen und zu vogelfreiem, in die Städte strömendem Proletariat umgewandelt. Die nun doppelt freien LohnarbeiterInnen, die frei von persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen, aber auch frei von jeglichem Eigentum waren, mussten erst durch Gewalt erschaffen und in das moderne System der Lohnarbeit hineingepeitscht werden. Schlussendlich blieb ihnen nichts mehr anderes übrig, als das einzige, was ihnen blieb – ihre Arbeitskraft als Ware – zu verkaufen. Anders als in den Vertragstheorien der bürgerlichen Staatsphilosophie dargestellt, entstanden die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und die ihnen entsprechende Organisation der Arbeit nicht als vertragliche Einigung zwischen Individuen. Vielmehr musste ein grundlegendes Prinzip der warenproduzierenden Gesellschaft in der gewaltsamen und unmittelbaren Aneignung des Eigentums der Landbevölkerung gebrochen werden: jenes Prinzip, wonach Aneignung von fremdem Eigentum – seien es nun Waren oder die Arbeitskraft – nur durch Vertrag und als Tausch von Äquivalenten stattfinden darf.

LOHNSKLAVEREI. Die Tatsachen, die geschaffen wurden, als das bürgerliche Recht noch schlummerte, wirken heute noch nach. Sie sind der Grund, warum es das bürgerliche Recht überhaupt geben muss: Wo die Menschen als WarenbesitzerInnen und MarktteilnehmerInnen in der allgemeinen Konkurrenz Interessen haben, die einander diametral entgegengesetzt sind (alle haben das Interesse, dass die anderen in der Konkurrenz auf der Strecke bleiben), kann nur das allgemeine Recht Vermittlung schaffen. Damit das Eigentum der einen Person geschützt werden kann, muss diese Person auch alle anderen Personen als WareneigentümerInnen anerkennen. Wo diese wechselseitige Anerkennung verletzt wird, setzt der Staat das Recht – wenn nötig gewaltsam – gegen die Konfliktparteien durch.

Seit der gewaltsamen Herstellung der eigentumslosen Klasse des Proletariats soll also die Aneignung von Waren nur noch auf rechtlichem Wege, also durch Vertrag geschehen. Damit ist aber weder Herrschaft noch Ausbeutung beseitigt. Die Ausbeutung in der warenproduzierenden Gesellschaft vollzieht sich nicht – wie frühsozialistische Vorstellungen unterstellen – gegen das Rechtsideal der bürgerlichen Gesellschaft, sondern sie geschieht durch das Recht. Wo der große Teil der Bevölkerung frei von Eigentum ist, bleibt als Mittel zur Selbsterhaltung nur noch der Verkauf der Arbeitskraft übrig, welche den KapitalistInnen ganz legal und „gerecht“ als angeeignete Ware zukommt. Diesen dürfen sie benützen wie jede andere angeeignete Ware im Produktionsprozess auch. Weil die menschliche Arbeitskraft es an sich hat, Wert schaffen zu können, und damit auch mehr Wert, als für ihre eigene Reproduktion notwendig ist, können sich die KapitalistInnen vollkommen rechtmäßig das Produkt fremder Arbeit aneignen.

BLUMEN AUF DIE KETTEN. Springen wir von diesen allgemeinen Ausführungen in die heutige Zeit, so merken wir, dass sich am grundlegenden Verhältnis nichts geändert hat. Gegen den Einwand, dass es ja den Sozialstaat gäbe, welcher die Verelendung der Arbeitenden verhindert habe, seien hier also noch ein paar Bemerkungen erlaubt. Der Sozialstaat hat zwar erfreulicherweise auch dem lohnabhängigen Teil der Bevölkerung ein Mindestmaß an Bedürfnisbefriedigung und sozialer Absicherung verschafft, dies aber auch nur auf einem Umweg. Betrachtet man die historische Genese etwa des 8-Stunden-Tages oder der Sozial- und Krankenversicherungen, so wird man schnell merken, dass diese Zugeständnisse sowohl von christlich-sozialer, liberaler als auch von sozialdemokratischer Seite kaum aus reiner Menschenfreundlichkeit unternommen wurden.

Der 8-Stunden-Tag etwa gehört zu jenen Maßnahmen, die verhindert haben, dass das Proletariat zugrunde geht, wo also der Staat das allgemeine Interesse des Kapitals (weil nur menschliche Arbeit Wert schaffen kann) gegen die einzelnen KapitalistInnen (welchen egal sein kann und muss, ob diese Arbeiterin oder jener Arbeiter an der Arbeit zugrunde geht) durchsetzte. Das gleiche gilt für die Sozial- und Krankenversicherungen. So erkannte etwa Otto von Bismarck, dass sich die Arbeiterbewegung am besten dadurch ausschalten ließe, die arbeitende Bevölkerung zu integrieren, ihr also Zugeständnisse zu machen, die gleichzeitig die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse nicht gefährden konnten: Das Zuckerbrot hat sich historisch als effektiver erwiesen als die Peitsche.

Lucilio Zwerk studiert an der Universität Wien.

Generacija ‘68: Die erste große Liebe

  • 10.05.2017, 20:37
„Was mich betrifft, gibt es keinen Grund ‘68 zu feiern. Ich bin nicht beeindruckt von euren Sit-ins in Kantinen, von euren gehaltenen Reden. Und ja, ‘68 war ein wichtiges Jahr, aber nur, weil es euer Jahr war und auch euer Jahr blieb. Sonst blieb nichts davon übrig.“

„Was mich betrifft, gibt es keinen Grund ‘68 zu feiern. Ich bin nicht beeindruckt von euren Sit-ins in Kantinen, von euren gehaltenen Reden. Und ja, ‘68 war ein wichtiges Jahr, aber nur, weil es euer Jahr war und auch euer Jahr blieb. Sonst blieb nichts davon übrig.“ Das sind die Worte von Mac. Mac ist der Schwiegersohn des kroatischen Filmemachers Nenad Puhovski. Die jüngeren Familienmitglieder sticheln den Filmemacher und seinen Glauben an die ‘68er Bewegung immer wieder. Zeit, seine Gefühle für die Bewegung der 1968er, filmisch zu verarbeiten, seine alten Freund*innen, die allesamt zum Kern der linken Studierendenproteste zählten, zu besuchen und sich gemeinsam zu erinnern. Puhovski im Gespräch über große Gefühle, die Rolle Titos in der Bewegung, über die Transformation vom Sozialismus zum Kapitalismus und über das Scheitern heutiger Proteste.



In Ihrem Film „Generacija ‘68“ („Generation ‘68“) sieht man bereits einen Teil der Entstehungsgeschichte des Films. Sie waren selber ein Teil der Studierendenproteste und stoßen heute teilweise auf Unverständnis vonseiten der jungen Generation. Wieso wollten sie ausgerechnet einen Film über diese Generation machen?
Ich vergleiche die Bewegung 1968 gerne mit der ersten große Liebe. Wenn du das erste Mal verliebt bist, glaubst du, dass es ewig so sein wird. 25 Jahre später triffst du diese große Liebe wieder und sie ist verheiratet mit jemanden, den du blöd findest, hat drei Kinder und erkennt dich fast nicht wieder. Du fragst dich, wie du in diese Person verliebt sein konnte. Dieses Gefühl hatte ich damals auch, es war für mich, für unsere Generation, die erste Liebe, die man nicht vergisst. Heute sind die Proteste der 68er, insbesondere im ehemaligen Jugoslawien, fast vergessen. Wenn ich mit meinen Kindern und Enkelkindern rede, wird mir klar, dass sie die Bewegung von damals nicht verstehen. Daher wollte ich meinen Kindern und dieser Generation erzählen, dass es für uns etwas sehr Wichtiges war. Es war eine Art von Erotik in Bezug auf die „Revolution“, in Bezug auf das Ändern der Welt. Denn es war nichts weniger als der Versuch, die Welt zu verändern, auch wenn wir nicht erfolgreich waren.

Sie adressieren die junge Generation direkt und fragen, was heute von 1968 übrig ist. Oft lautet die Antwort „Nichts“. Gleichzeitig vergleichen Sie die damalige Bewegung mit heutigen Protesten wie der „Occupy“-Bewegung. Welche Parallelen können gezogen werden, welche nicht?
Es gibt heute nur wenige Bewegungen, die so global orientiert sind wie die 68er – „Occupy“- ist eine davon. Wir haben daran geglaubt, dass wir nichts auf lokaler Ebene ändern können, wenn wir nicht das System verändern. Die Generation meiner Kinder glaubt an kleine Schritte, an die Veränderung einzelner Ebenen. Natürlich unterstütze ich Demonstrationen für die Rechte Homosexueller, aber ich glaube nicht, dass sich dadurch etwas substantiell ändern kann. Und wenn mich heute die Menschen fragen, was der 68er Bewegung passiert ist, gibt es für mich nur eine Antwort: Kapitalismus. Und diesen Fakt konnten wir nicht ignorieren. Wir konnten nicht sagen, dass gegen den Kapitalismus anzukämpfen ein zu großer Kampf ist. Das System im Großen zu verändern war es, an das wir glaubten. Das war es, was wir machen wollten und das war es, an dem wir scheiterten. Und dennoch, glauben wir immer noch, dass es möglich ist.

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Kapitalismus und Sozialismus werden in Ihrem Film auf verschiedene Arten thematisiert: Eine der Protagonist*innen sagt, dass sie solidarisch mit den Revolutionär*innen im Westen ist, aber eine Revolution in einem sozialen Regime keinen Sinn mache. Eine andere Person meinte, dass es eine linke Bewegung braucht, weil der Sozialismus nicht radikal genug war. Können Sie diese Beziehung zwischen der 68er-Bewegung und dem sozialistischen Regime kommentieren?
In unserer Meinung näherte sich der Sozialismus zu sehr an den Kapitalismus an. Unsere Botschaft war, wir wollen keinen Kapitalismus, wie wollen Sozialismus – aber „Sozialismus mit einem menschlichen Gesicht“, wie wir es nannten. Die ersten kapitalistischen Züge sahen wir an unseren Eltern, gegen die wir rebellierten. Unsere Eltern hatten noch all die Narben aus dem zweiten Weltkrieg und sagten sich danach „Fuck it! Wir wollen ein Leben haben, wir wollen ein Haus, ein Auto.“ Und dann kamen wir Kinder und erinnerten sie daran, gegen was sie kämpften und fragten, wieso sie jetzt all diese Konsumgüter haben müssen. Damals verstanden wir nicht, dass es manchmal einfach um das Vergessen ging. Für uns war es ein Zeichen, dass es in Richtung Kapitalismus ging. Es wurde wichtiger, ein Sommerhaus zu besitzen als das Geld umzuverteilen.

Trotz dieser Kritik am damaligen Sozialismus gab es eine Art „Unterstützung“ vonseiten des damaligen jugoslawischen Präsidenten Titos.
Tito war ein großartiger Politiker, weil er ein großartiger Manipulator war. Das einzige Ziel von Politik ist Machterhalt. Darin war er sehr gut und zwar nicht in erster Linie durch Unterdrückung, die es natürlich auch gab. Aber er wusste, wen er unterstützen musste, um im Gegenzug auch Unterstützung zu erhalten. Dazu kam, dass er Charme hatte. War er ein Demokrat? Nein. War er ein Diktator? Jein. Aber trotzdem, die Leute liebten ihn.

Diese Art Unterstützung gab es auch nach dem Einmarsch der russischen Truppen in die damalige Tschechoslowakei. Die linke Bewegung – so auch Sie – befand Sich zu dieser Zeit in der „Sommerschule“ der Philosophie auf der Insel Korčula, die von der marxistischen „Praxis-Gruppe“ veranstaltet wurde. Auch Intellektuelle wie Herbert Marcuse oder Ernst Bloch waren da. Wie haben sie diesen Moment – als sie vom Einmarsch erfuhren – erlebt?
Wir wussten sofort, dass es das Ende war. Wir hatten die damaligen wichtigsten Intellektuellen aus aller Welt hier. Wir verfassten innerhalb einer halben Stunde ein Statement um zu sagen, dass wir dagegen protestieren. Der Einmarsch war nicht nur gegen die Tschechoslowakei gerichtet, sondern eine Nachricht an uns alle. Sie wollten sagen, passt auf, was ihr macht. Und es gab eine Art „Semi-Unterstützung“ von Tito, weil er wusste, dass er unsere Unterstützung im Notfall braucht. Sollte die Rote Armee an die jugoslawische Grenze kommen, braucht er junge Leute, die sofort für Jugoslawien kämpfen würden. Die jugoslawische Armee alleine hätte das nicht geschafft. Ein weiterer Grund, wieso er die Studierendenproteste nicht zerschlug, war meiner Meinung nach, dass wir auch eine Art Erbe darstellten. Vielleicht kann ich nach dieser Aussage nicht wieder zurück nach Kroatien fahren (lacht), aber ich glaube Tito war damals schon bewusst, dass es eine große Wahrscheinlichkeit für den Zerfall Jugoslawiens nach seinem Tod gibt.

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Stattdessen kam – wie Sie bereits damals geahnt haben – der Kapitalismus.
Ja, und es gibt heute noch viele Menschen, die sagen, dass wir zwar nicht so viel Freiheit im Sozialismus hatten, dafür Sicherheit, bessere Schulen, ein besseres Gesundheitssystem. Was der Preis wofür ist, ist eine andere Diskussion. Aber es stimmt, dass die Industrie der ehemaligen ex-jugoslawischen Staaten zerstört wurde, zu einem großen Teil auch das Bildungssystem, teilweise das Gesundheitssystem. Und es gibt sehr viel Korruption. In den 1990ern gab es in Kroatien ein großes Referendum, in welchem die Menschen gefragt wurden, ob sie ein unabhängiges Kroatien wollen. Die meisten sagten ja. Aber es gab keine zweite Frage. Nämlich die Frage, ob die Menschen Kapitalismus haben wollen. Es gab kein Referendum darüber, ob das sozialistische System geändert werden soll. Viele der Menschen wussten nicht, dass mit dieser Form der Unabhängigkeit auch die Transformation in ein kapitalistisches System einherging. Und ja, es gibt Demokratie, aber heute ist die Vorstellung davon, was Demokratie ist, sehr vereinfacht: Es gibt freie Wahlen und das ist es.

Wie würden Sie dann die Frage, was von den 68ern übrigblieb, selbst beantworten?
Es war ein Traum, den wir lebten. Ein Traum, den wir liebten. Ein Traum, aus dem wir aufwachten. Und wir sind immer noch Traumwandler und werden es bis zu unserem Tod sein. Dessen sind wir uns bewusst. Um zurück zur ersten große Liebe zu kommen: Oft ist es so, dass du dein eigenes Gefühl verliebt zu sein, mehr magst als die Person. Zyniker*innen würden sagen, dass du dein eigenes, dein verliebtes Ich, liebst. Aber das ist ein Teil der Liebe. Diese Liebe, diese Freude war es, die unsere Köpfe bewegte und die ich mit diesem Film weiterreichen will.


Zur Person: Nenad Puhovski studierte Soziologie, Psychologie sowie Filmregie. Als Regisseur arbeitete er an mehr als 250 Theater-, Film- und Fernsehproduktionen. Seine Dokumentarfilme fokussieren meist gesellschaftspolitische Themen. Zudem ist er Gründer sowie Direktor von „ZagrebDox“, dem größten Dokumentar-Filmfestival in der Region und leitet als Professor ein MA-Programm zu Regie und Produktion im Dokumentarfilm-Bereich.


Valentine Auer lebt als freie Journalistin in Wien.

Im Land der Barone

  • 29.09.2012, 01:24

Für ein Land wie Rumänien, das beinahe ein halbes Jahrhundert mit eiserner Hand von der Kommunistischen Partei geführt wurde, sind „die Reichen“ ein sehr junges Phänomen. Ihr Streben nach sozialer Abgrenzung hat sie für die Öffentlichkeit rasch sichtbar gemacht und eine Debatte über Reichtum ausgelöst, deren politische Relevanz nicht unterschätzt werden sollte.

Für ein Land wie Rumänien, das beinahe ein halbes Jahrhundert mit eiserner Hand von der Kommunistischen Partei geführt wurde, sind „die Reichen“ ein sehr junges Phänomen. Ihr Streben nach sozialer Abgrenzung hat sie für die Öffentlichkeit rasch sichtbar gemacht und eine Debatte über Reichtum ausgelöst, deren politische Relevanz nicht unterschätzt werden sollte.

Kommunistische „Gleichheit“? Noch vor 20 Jahren war Rumänien kein freundlicher Platz für Reiche. Fast alle arbeitsfähigen RumänInnen arbeiteten für einen gewaltigen Arbeitgeber, den kommunistischen Staat. Dieser sorgte dafür, dass die Einkommenskluft gering blieb. In den staatlichen Betrieben, in den Agrarproduktionskollektiven (APK, rumän. „CAP“, die rumänische Version von Kolchosen) oder in den Zunftgemeinschaften betrug der Einkommensunterschied zwischen ArbeiterInnen und einem Direktor in den 80ern nie mehr als ein Viertel. Weder die Reformgesetze der 70er-Jahre, wie beispielsweise das Redistributionsgesetz (1974), das auf die Effizienzsteigerung im industriellen Sektor abzielte, noch die Beschlüsse des Staatsrates in den 80er-Jahren die Motivation der ArbeiterInnen betreffend haben es geschafft, dieses auf Ideologie gestützte Verhältnis zu stören.
In der tiefen ökonomischen Krise, die in den 80er-Jahren ausbrach, bedeutete dies allerdings eher „eine Gleichheit in Armut“, wie die rumänische Dichterin Ana Blandiana treffend bemerkte.
Laut Alina Mungiu-Pippidi, einer rumänischen Politikwissenschafterin, hat diese vom Staat gelenkte Gleichheit im jungen rumänischen Kapitalismus dann zu einem verstärkten Drang nach Abgrenzung und Zurschaustellung von Wohlstand geführt. Die so genannte Rumänische Revolution im Dezember 1989 hat das Monopol der Gleichheit plötzlich gebrochen und so den Weg für zahlreiche Privatisierungsmaßnahmen freigemacht. Eine der Konsequenzen dieses Prozesses ist die Entstehung einer neuen sozialen Schicht: die der „Reichen“.

Lokale Barone. Ehemalige, unbedeutende FunktionärInnen in Lokalräten, IngenieurInnen aus staatlichen Betrieben, GewerkschaftsführerInnen, GeheimdienstagentInnen oder illegale HändlerInnen waren jene, die den auseinander fallenden postkommunistischen Staat in ein Riesengeschäft zu ihrem eigenen Nutzen umgewandelt haben. Sie sind diejenigen in Rumänien, die „es geschafft haben“ – die Oligarchen Rumäniens, die im Land als „lokale Barone“ (es gibt kaum eine Frau in dieser auserlesenen Gruppe) bekannt sind. Inoffiziell beherrschen sie ein Gebiet, manchmal eine Stadt, ein andermal eine ganze Region. Sie sind wahre Gatekeeper, die Ressourcen und sogar „Gerechtigkeit“ in ihrem Territorium verteilen. Ein Beispiel hierfür ist die Biographie von Dumitru Sechelariu, der bis 2004 Bürgermeister der ostrumänischen Stadt Bacău war. Vor 1989 war Sechelariu zunächst nur unter SpekulantInnen bekannt. In der ersten der Privatisierungsphasen nach dem Fall des Kommunismus knüpfte er aber ein beeindruckendes Netz von Kontakten, das ihn schließlich in die Politik brachte. In seiner achtjährigen Amtszeit als Bürgermeister baute er gemeinsam mit seinem Bruder, einem sozialdemokratischen Senator, ein regionales Imperium auf, das sich von Fußballvereinen über Hotels bis zu Baufirmen erstreckte. Seiner politischen Tätigkeit verdankt Sechelariu, dass er von der Staatsanwaltschaft in Ruhe gelassen wurde. Je nach politischer Situation wechselte er die Partei. Innerhalb von acht Jahren wurde er vom Liberalen, zum Sozialdemokrat und schlussendlich zum Nationalisten. Als im Jahr 2004 dann doch ein Gerichtsverfahren wegen Korruption, Amtsmissbrauch und Meineid gegen Sechelariu eingeleitet wurde, war seine politische Niederlage besiegelt. Derzeit verkauft Sechelariu sein gesamtes Eigentum mit der Absicht in die USA auszuwandern.

Kleine UnternehmerInnen. Die „Barone“ stellen aber nur die Spitze eines Eisbergs dar. Andere ökonomische Eliten erscheinen längerfristig betrachtet viel bedeutender. Es handelt sich um LokalunternehmerInnen, die GründerInnen der über 500.000 Klein- und Mittelbetriebe in Rumänien, von Bars, Boutiquen am Straßenrand, Pizzerias und Apotheken. Sie sind der Stolz der heimischen National-Liberalen Partei. Jedoch haben auch sie ein Imageproblem. Die meisten werden von den Medien als frühere KommunistInnen dargestellt, die das neue kapitalistische Kostüm bequem übergezogen haben. Häufig werden Parallelen zu den ManagerInnen der staatlichen Betriebe gezogen, denen korruptes Vorgehen im Rahmen des Privatisierungsprozesses unterstellt wird. Sie legen für sich selbst überdurchschnittlich hohe Einkommen fest, während die Firmen in den Konkurs schlittern. Durch diesen Prozess werden die mittlerweile massiven Einkommensunterschiede noch vergrößert. Heute verdienen ManagerInnen einer Bank in Rumänien zwischen EUR 7.000 und 10.000, gleichzeitig liegt das Durchschnittseinkommen für die Mehrheit der Bevölkerung relativ niedrig bei derzeit EUR 252.
Diese Umwälzung der sozialen Schichten Rumäniens schlägt sich vor allem in der Politik nieder. Im Rahmen der letzten nationalen Wahlen im Jahr 2004 wurden die lokalen Barone einer Enthüllungskampagne unterzogen. Traian Basescu, der aktuelle Präsident Rumäniens, zog als Kämpfer gegen die Korruption in den Wahlkampf. Sein Slogan: „Gerechtigkeit und Wahrheit“. Der Kampf gegen die illegale Bereicherung, heißt es, hat aber erst angefangen.

Ovidiu Pop studiert Politikwissenschaft in Wien.

Die nächste Weltrevolution hat bereits begonnen

  • 20.09.2012, 01:20

Die nächsten Jahre und Jahrzehnte werden aller Voraussicht nach wenig mit dem zu tun haben, was die Generationen der heute 15- bis 45 Jährigen als alltägliche und politische Normalität zu akzeptieren gezwungen waren.

Das Ende der Geschichte ist zu Ende. Als Francis Fukuyama es 1992 ausrief, hatte er damit nichts anderes gemeint, als dass der liberale Kapitalismus alternativlos geworden sei – auf ewig. Es dauerte nicht ewig bis diese Erzählung als bürgerliche Ideologie herausgefordert wurde – 1994 von den Zapatistas in Chiapas, von den Globalisierungsbewegungen 1999 in Seattle, 2001 in Genua –, aber zugleich ließ sich nicht bestreiten, dass sie auch eine Realität beschrieb. Und gerade die Kritik bestätigte das. Zu keinem anderen Zeitpunkt hätte die Parole „Eine andere Welt ist möglich“ Menschen auf die Straße locken können. Während die bewegende Frage zu anderen Zeiten lautete, welche mögliche Welt am wünschenswertesten wäre, lautete die Frage nun, ob es überhaupt eine Alternative zur bestehenden gäbe. Das Ende der Geschichte stellt eine welthistorische Wirklichkeit dar, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eingetreten war und zehn Jahre später am 11.9.2001 nochmals bestätigt wurde. Sie veränderte die zentralen Motive, mit denen sich konkurrierenden Politiken zu legitimieren suchten: An die Stelle der Hoffnung auf eine bessere Zukunft trat die Angst vor der Verschlechterung der Gegenwart. Und diese Gegenwart, die selbst stetig das Leben der Mehrheit verschlechterte, dehnte sich schier ewig aus.

„Die“ und „wir“. Nun ist das Ende der Geschichte selbst Geschichte. Aus der bereits eingetretenen Zukunft betrachtet wird diese historische Epoche 1991 begonnen und genau 20 Jahre bis zum Arabischen Frühling im Jahr 2011 gedauert haben. Als wäre es darum gegangen, die wirkungsvollste Bühne für ein Comeback zu wählen, nahm die Rückkehr der Geschichte ihren Ausgang ausgerechnet in einer Weltregion, der vom Kolonialismus bis zur Neuen Weltordnung Geschichtslosigkeit oder bestenfalls Rückständigkeit zugeschrieben worden war. Fernsehreporterinnen aus dem Nord-Westen der Welt starrten auf die Bilder der kommunikationstechnologisch beschleunigten Revolutionen in Tunesien und Ägypten und erkannten in deren Akteurinnen sich selbst: „Die“ sahen ja aus wie „wir“. Wie in den großen Revolutionszyklen des 20. Jahrhunderts – 1917, 1968 und eingeschränkt auch 1989 – bewegten sich die Revolutionen von Stadt zu Stadt, von Region zu Region, über Staatsgrenzen hinweg. Und wie die vorherigen Zyklen begann auch dieser an der Peripherie der globalen Ordnung, um von dort mehr oder weniger erfolgreich bis ins Zentrum, das „Herz der Bestie“, vorzustoßen. Von Sidi Bouzid nach Kairo und weiter nach Bengazi, Daraa, al-Manama und Sanaa, über Athen, Madrid, Tel Aviv, London, Santiago de Chile und Wisconsin bis nach New York, Frankfurt und Oakland. Jeder der Aufstände war unvorhergesehen, mancher noch unvorhersehbarer als der nächste. Doch so verschieden die Bedingungen der Bewegungen, so unübersehbar auch ihre Bezugnahmen aufeinander. Digitale Mobilisierung, Besetzungen öffentlicher Plätze – Tahrir-Platz, Placa de Sol, Syntagma-Platz, Liberty Square - weitgehend gewaltfreie, antistaatliche und vor allem radikaldemokratische Organisierung, die zentralistische Institutionen wie Parteien ausschließt und zugleich die Forderung nach gesellschaftlicher, das heißt politischer wie ökonomischer Demokratisierung miteinschließt. Bildlich vor Augen stieg die Globalität der revolutionären Bewegung als auf ägyptischen Demonstrationen Plakate auftauchten, die sich mit den streikenden Arbeiterinnen Wisconsins solidarisierten.

Revolution und Reaktion. Die russischen Revolutionärinnen von 1917 waren davon überzeugt, dass sie nur Erfolg haben könnten, wenn sich die Revolution auf die ganze kapitalistische Welt ausdehnen würde, sie setzten alle Hoffnungen auf Deutschland – und wurden enttäuscht. Auch heute spielt Deutschland wieder eine besondere Rolle: jene des konterrevolutionären Zentrums, die ihm historisch so gut steht – Deutschland hat durch seine Deflations- und Niedriglohnpolitik, harte Währung, billigen Exporte die europäische Krise mitverursacht, deren Wirkungen es mit seinen Spardiktaten verschlimmert. Auch heute wird der Erfolg der Revolutionen nicht zuletzt davon abhängen, wie sehr sie sich gegenseitig zu dynamisieren und radikalisieren vermögen. Während die einen der Welt neue Formen des Protestes und der Organisierung lehren, können sie gerade daraus, dass die anderen sie übernehmen, lernen, dass weder der Sturz eines Diktators noch eines Militärrates bereits zu einer Demokratie führt, die diesen Namen verdient. Am deutlichsten wurde dies demonstriert, als der griechische Ministerpräsident Papandreou ein Referendum über die von EZB, EU-Kommission und IWF diktierten Sparpläne ankündigte – und es zwei Tage darauf wieder absagte, nachdem die Regierungschefs von Europas stärksten Wirtschaftsmächten, Merkel und Sarkozy, interveniert hatten. Demokratie, das war die Lehre dieser Machtdemonstration, bleibt unter kapitalistischen Bedingungen begrenzt; sie endet da, wo sie anfangen könnte, Probleme zu bereiten. Deswegen können an die Stelle gewählter Regierungen auch Expertinnen treten, deren Expertise darin besteht, die „ ökonomischen Sachzwänge“ am besten exekutieren zu können. Warum wählen, wenn es nichts zu wählen gibt?

Krise und Kapital. Daher beziehen die Revolutionsbewegungen, so harmlos sie zuweilen noch erscheinen mögen, ihre welthistorische Brisanz: die Weltwirtschaftskrise von 2008 ist die schärfste seit jener von 1929 und sie dehnt sich noch immer weiter aus. In ihr präsentiert der Kapitalismus seine vollendete Unsinnigkeit: In den USA und Spanien müssen Menschen in Zelten wohnen – weil zu viele Häuser gebaut wurden. In Italien wird die hohe Jugendarbeitslosigkeit beklagt – und das Renteneintrittsalter angehoben. In Deutschland steigt die Arbeitsproduktivität, das heißt, es lässt sich das gleiche in kürzerer Zeit herstellen – die Überstunden nehmen zu. Die Herrschenden aber können oder wollen keinen Ausweg finden – nicht zuletzt daran lassen sich bevorstehende Revolutionen erkennen. Während bürgerliche Intellektuelle in Europa, wie Frank Schirrmacher und Charles Moore, danach schreien, dass die Linke den Kapitalismus retten soll, fordert die US-Amerikanische Rechte, durch ihren Propagandakanal FOX News, dass die Schulden für die Bankenrettung nicht von Multimillionären, sondern von den „50 percent poor“ bezahlt werden sollen. Die se Armen, heißt es, seien gar nicht arm, schließlich besäßen sie ja Mikrowellen. Neu daran ist nicht der moralische Skandal, sondern die Unfähigkeit des Kapitals, seine partikularen Interessen zu überschreiten: So lässt sich weder das US-Imperium retten noch die kapitalistische Produktionsweise reproduzieren. Die Krise aber muss gelöst werden. Während die revolutionären Bewegungen wie sämtliche ihrer Vorgängerinnen durch ihre eigene, nicht zuletzt antisemitische, Korrumpierung bedroht sind, stehen weltweit faschistische, reaktionäre, islamistische Bewegungen bereit. Ihre Krisenlösungsstrategien lauten sexistische Segregation, rassistische Exklusion und – historisch am erfolgreichsten – Rüstungskeynesianismus, Ausschaltung von Konkurrenz, ‚produktive‘ Vernichtung von Kapital – das heißt Krieg. Die demokratischen Revolutionen müssen so zugleich das Schlimme beenden und das Schlimmste verhindern. Die ‚ewige‘ Gegenwart des Kapitals aber ist vorerst zu Ende. Noch einmal gibt der historische Augenblick der Zukunft die Chance, die Vergangenheit abzulösen.

Bini Adamczak ist Autorin des Buches „Kommunismus. Kleine Geschichte wie endlich alles anders wird.“, zuletzt erschien von ihr „Gestern Morgen. Über die Einsamkeit kommunistischer Gespenster und die Rekonstruktion der Zukunft“ – im Unrast-Verlag und der Edition Assemblage. Sie war Teil des Performance-Kollektivs „andcompany&co“, das mit der Aufführung „Little Red (Play): ‚Herstory‘“ bei den Wiener Festspielen und mit „time republic“ beim steirischen Herbst in Graz aufgetreten ist. Als Bildende Künstlerin hat sie im WUK und im open space in Wien ausgestellt. Adamczak lebt und publiziert in Berlin.