Homophobie

Konserven-Protest

  • 21.06.2017, 17:54
Aufgeklärter Sexualunterricht an Schulen, das Recht auf Abtreibung, Frauenhäuser als Schutzeinrichtungen oder auch einfach die Forderung nach gleichen Möglichkeiten für alle Geschlechter – klingt eigentlich nicht schlecht.

Aufgeklärter Sexualunterricht an Schulen, das Recht auf Abtreibung, Frauenhäuser als Schutzeinrichtungen oder auch einfach die Forderung nach gleichen Möglichkeiten für alle Geschlechter – klingt eigentlich nicht schlecht. Manche Leute bringt das trotzdem auf die Palme. Dies zeigt sich zunehmend in Protesten gegen diese und andere Errungenschaften von Gleichstellungspolitik. Ob es erregte Eltern sind, die gegen Aufklärungsunterricht demonstrieren, oder Papst Benedikt XVI, der vor einer „Genderdiktatur“ warnt. In ganz Europa werden Protestformen stark, die sich gegen die Idee einer gleichberechtigten Gesellschaft wenden.

Mit den unterschiedlichen Auswüchsen dieses Phänomens setzen sich Sabine Hark, Paula-Irene Villa und 16 weitere Autor_innen im Sammelband „Anti-Genderismus“ auseinander. Das Buch vereint verschiedene sozial- und kulturwissenschaftliche Analysen und tastet sich so an die vielfältigen Dimensionen und Funktionen der Abwehrhaltung gegenüber Gleichstellung heran. Warum wird der Genderbegriff derart kontrovers diskutiert? Welche politischen Agenden stehen dahinter und welche argumentativen Strategien werden im Anti-Gender-Diskurs angewendet? Diesen Fragen wird in 14 Beiträgen nachgegangen. Die Auseinandersetzung reicht von der Rolle der evangelischen und katholischen Kirche über hatespeech im Internet hin zur argumentativen Instrumentalisierung des „Kindeswohls“. Gut hat mir gefallen, dass der Sammelband Anti- Genderismus als konservative Protestform analysiert, als Reaktion auf die Prekarisierung, der die Menschen mit dem neoliberalen Umbau der Gesellschaft zunehmend ausgesetzt sind. Er spannt damit einen Bogen zu weiteren gesellschaftlichen Zusammenhängen und stellt klar, dass das Geschlechterverhältnis einen wesentlichen Teilbereich kritischer Gesellschaftsanalyse darstellt. Auch wird deutlich, wie angreifbar und wackelig politische Errungenschaften bleiben, obwohl sie scheinbar zum common sense geworden sind.

Ein Sammelband, der dir das Gefühl gibt, im Recht zu sein, und den aktuellen Diskurs um Gender in Perspektive rückt.

Sabine Hark/Paula-Irene Villa (Hg.): Anti-Genderismus. Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen.
Transkript 2015, 264 Seiten, 26,99 Euro.

Carina Brestian studiert Soziologie an der Universität Wien.

Geschichtsrevisionismus auf Jugoslawisch

  • 21.06.2016, 21:17
Die Rechte wird nicht nur in Österreich offensiver, auch in Serbien und Kroatien kommt es zu einer stärkeren Mobilisierung. Dies zeigt sich mitunter an vermehrten Übergriffen gegen Linke und Homosexuelle. Eine Analyse nationalistisch-religiöser Hegemonie in zwei Ländern des ehemaligen Jugoslawiens.

Die Rechte wird nicht nur in Österreich offensiver, auch in Serbien und Kroatien kommt es zu einer stärkeren Mobilisierung. Dies zeigt sich mitunter an vermehrten Übergriffen gegen Linke und Homosexuelle. Eine Analyse nationalistisch-religiöser Hegemonie in zwei Ländern des ehemaligen Jugoslawiens.

Am 31. März 2016 drangen sieben bewaffnete Männer in die Zadruga Oktobar, ein linkes Kulturzentrum in Belgrad, ein, verwüsteten das Lokal und verletzten Antifaschist*innen. Immer wieder liest man von gewaltvollen Übergriffen durch Rechtsextreme in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens: Ein weiteres, Beispiel hierfür ist die erste Pride Parade in Split, die 2011 abgebrochen werden musste, als rund 10.000 Menschen – mitunter bewaffnet – auf etwa 300 Teilnehmer*innen losgingen. Doch davon hört und liest man in Österreich kaum – und das, obwohl auch in Wien immer wieder rechtsextreme Botschaften aus dem Raum des ehemaligen Jugoslawiens im öffentlichen Raum sichtbar sind. Ustascha-Symbole beispielsweise, also Verweise auf jene faschistischen Brigaden, die im Zweiten Weltkrieg mit dem NS-Regime kooperiert hatten, sind in österreichischen Städten keine Seltenheit.

SERBIEN. Was aber alle Staaten des ehemaligen Jugoslawiens gemein haben ist, dass eine rechte Hegemonie zu beobachten ist." Rechte Kräfte haben es geschafft, „eine politische und ideologische Vormachstellung einzunehmen, die sich nicht zuletzt am bedeutenden Einfluss der Kirchen zeigt“, so Luka Matić, Doktorand am Institut für Philosophie der Universität Zagreb, der sich mit (neo-)faschistischen Bewegungen in Kroatien und Serbien auseinandersetzt. Die Situation in Serbien unterscheidet sich jedoch etwas von jener in Kroatien: Rechtsextreme Gruppierungen scheinen organisierter zu sein und offener mit staatlichen Behörden – vor allem der Polizei – zu kooperieren. „Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass der Angriff auf das Kulturzentrum Zadruga Oktobar von einer neofaschistischen und relativ neuen Gruppierung ausging, die sich aus Personen zusammensetzt, die in kämpferischen Konflikten zwischen Russland und der Ukraine aktiv waren“.

„Wir gehen davon aus, dass dieser Angriff eine Reaktion auf eine antifaschistische Gegendemonstration zu einem nationalistischen Marsch war – wobei wir uns hierbei nicht sicher sein können“, deuten Antifaschist*innen aus Belgrad, die aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden wollen, die Attacke. Parallel dazu hat die rechtsextreme Partei Dveri – übersetzt bedeutet das „Die Türen“, ein Verweis auf die christlich-orthodoxe Kirche – bei den kürzlich stattgefundenen Wahlen den Einzug ins Parlament geschafft. Bei Dveri handelt es sich nicht bloß um eine Partei, sondern um eine rechtsextreme Plattform, die seit knapp einem Jahrzehnt bestens mit anderen nationalistischen Kräften vernetzt ist. Der Rechtsruck in Serbien wird auch auf einer anderen Ebene deutlich: Es kommt vermehrt zur Rehabilitation von Kriegsverbrechern durch serbische Gerichte. So wurde beispielsweise Dragoljub „Draža“ Mihailović, dessen Truppen an Kriegsverbrechen gegen Muslim*innen beteiligt waren, rehabilitiert und auch Milan Nedić, ein Kollaborateur mit dem NS-Regime und serbischer Nationalist, soll rehabilitiert werden.

KROATIEN. Auch in Kroatien ist eine enge Verflechtung rechtsextremer Positionen mit der Vormachtstellung der Kirche zu beobachten. Während es in Serbien die orthodoxe Kirche ist, ist es in Kroatien die katholische Kirche, die gesellschaftspolitisch eine wichtige Rolle spielt. Was immer wieder in Angriffen gegen LGBTQI-Personen gipfelt, ist das Ergebnis einer religiösnationalistischen Hegemonie. Das zeigt sich unter anderem in der Popularität der Band Thompson, im Speziellen ihres Frontmanns Marko Perković. Perković selbst ist bekannt dafür, immer wieder öffentlich Ante Pavelić, den kroatischen faschistischen Diktator und Führer der Ustascha-Bewegung, zu huldigen; auch besang er des Öfteren – und zwar nicht gerade kritisch – die beiden kroatischen Konzentrationslager Jasenovac und Stara Gradiška, in denen zehntausende Menschen ermordet wurden.

Die kroatische rechtsextreme Szene setzt sich aus vielfältigen Subszenen zusammen. Zum einen sind Veteranenorganisationen, die eine geschichtsrevisionistische Ideologie vertreten und kroatische Kriegsverbrechen leugnen, dominierend, zum anderen gibt es lose Verbindungen zu Fangemeinden verschiedener Fußballclubs und den Jugendorganisationen verschiedener rechter Parteien. Seit einigen Jahren kommt es innerhalb dieser Szene zu Verschiebungen, deren Resultat Parallelen zur Identitären Bewegung Österreichs aufweisen: Die NGO Urbana Desnica – „Urbane Rechte“ – aus dem Raum Split, also jener Region, in der es 2011 zu massiven Gewaltakten während der Pride Parade kam, wird immer größer. Diese Gruppe ist auch auf Facebook sehr aktiv und versucht, dem Rechtsextremismus eine moderne Fassade zu verleihen: Mit Hashtags, Memes und jugendlichem Slang wird Hetze gegen Antifaschist*innen, Homosexuelle und all jene, die nicht in das Bild eines katholisch-nationalistischen Kroatiens passen, betrieben. Der Generationenkonflikt innerhalb verschiedener rechtsextremer Gruppierungen wurde im Rahmen der Mobilisierung von U ime obitelji („Im Namen der Familie“), die ein Referendum gegen gleichgeschlechtliche Ehen initiierte, etwas aufgelöst.

RECHTE HEGEMONIE BRECHEN. „Es sind nicht bloß militante Gruppierungen, welche die rechtsextreme Szene ausmachen: In Kroatien gibt es viele lokale Fernsehsender, die von verschiedenen privaten Organisationen betrieben werden und größtenteils rechte Propaganda betreiben: etwa Hetze gegen Linke und Personen, die das Recht auf Abtreibung verteidigen“, so Mira L., Geschichtelehrerin aus Zagreb. Sowohl in Serbien als auch in Kroatien sind es nicht bloß rechtsextreme Gruppierungen, sondern auch die Vormachtstellung der ihnen zugrunde liegenden Ideologien, die Repression gegen Linke ermöglichT. „Wenn es in Kroatien relativ wenig Übergriffe gegen Linke gibt, liegt das vor allem daran, dass es der Linken nicht mehr möglich ist, offensiv und breit öffentlich aufzutreten“, heißt es von Mitgliedern verschiedener antifaschistischer Organisationen. Was also bleibt, ist zunächst die notwendige Offenlegung rechtsextremer Ideologien und die Hoffnung auf linke Organisation und Gegenhegemonie, die sich gegen Geschichtsrevisionismus und Nationalismus stellt. Diese Bewegungen müssen unterstützt werden – das bedeutet „fremden“ Nationalismus auch in Österreich, wo Thompson-Konzerte massenhaft besucht werden und nicht-österreichische Nationalismen selten thematisiert werden, anzusprechen.

Nora Zism hat Politikwissenschaft an der Universität Wien studiert.

Endlich sprechen Gaybies

  • 16.03.2016, 21:49
„Gayby Baby“ ist ein Dokumentarfilm, der vier Kinder auf sehr intime, aber unaufgeregte Art in ihrem Alltag begleitet.

„Gayby Baby“ ist ein Dokumentarfilm, der vier Kinder auf sehr intime, aber unaufgeregte Art in ihrem Alltag begleitet. Gus, Ebony, Graham und Matt haben zwei Dinge gemein: Sie sind zwischen zehn und zwölf Jahre alt und sie leben in einer Regenbogen-Familie. Sie sind „Gaybies“. Inmitten politischer Debatten über Ehe- und Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Paare, kommen in „Gayby Baby“ die Kinder selber zu Wort. progress sprach mit der Produzentin Charlotte Mars.

Gemeinsam mit Maya Newell hast du die Dokumentarreihe „Growing up Gayby“ realisiert. Jetzt habt ihr zusammen den Film „Gayby Baby“ gemacht, wo ihr Kinder begleitet, die mit gleichgeschlechtlichen Eltern aufwachsen. Wie seid ihr zu diesem Thema gekommen?
Vor fünf Jahren wurde die Debatte über die gleichgeschlechtliche Ehe sehr laut und dabei ging es immer mehr um die Frage von Familie und um diese rechts-konservative Sorge, dass homosexuelle Paare, die heiraten, auch Kinder wollen. Dass das ein Problem sein könnte. Dass diese Kinder anders sein könnten. Maya und ich kennen uns schon sehr lange und fanden die Debatte extrem beleidigend. Maya hat selber zwei Mütter. Es war nicht nur ein Angriff, weil die ganze Diskussion so tat, als ob Kinder aus gleichgeschlechtlichen Partnerschaften noch gar nicht existieren, sondern auch, weil sich niemand die Zeit genommen hat mit den Familien, mit den Kindern zu reden. Alle haben über die Kinder, aber niemand mit ihnen gesprochen. Und da es immer lauter und richtig hässlich wurde, wollten wir dem etwas entgegnen, indem wir den Kindern zuhören.

Ja, das Thema selber ist sehr politisch. Der Film ist aber überraschend unpolitisch. War es eine bewusste Entscheidung den Film zu entpolitisieren?
Ja, absolut! Es gab so viel Hass in der Diskussion und wir wollten nicht eine weitere aufgebrachte Stimme sein. Eine Kraft des Kinos sind die Geschichten, die du erzählen kannst. Damit wollten wir uns einbringen. Viele haben sich mit Regenbogen-Familien noch gar nicht auseinandergesetzt. Und in einer Welt voller heteronormativer Bilder, ist es erfrischend, etwas anderes zeigen zu können und zu sagen, dass es diese Familien gibt und zwar schon lange. Die Geschichten im Film sind zwar nicht politisch erzählt, aber der Kontext des Films ist politisch, Maya und ich sind politisch.
Auch der Kontext eurer Screenings ist sehr politisch: Der Film wurde an Schulen in Australien verboten. Wie kam es dazu?
Der Film kam in Australien bereits 2015 in die Kinos, eine Woche vor dem jährlich stattfindenden „Wear It Purple Day“ im August. Das ist ein Tag, an dem sich junge LGBTIQ-Menschen selbst feiern. Statt einem normalen Preview wollten wir den Schulen die Möglichkeit geben, den Film an diesem Tag zu zeigen. Rund dreißig oder vierzig Schulen haben zugesagt. Einen Tag vor den Screenings landeten wir auf dem Cover einer der größten Zeitungen mit der Schlagzeile „Gay class uproar“. Am Beispiel einer Schule ging es in dem Artikel darum, dass alle Eltern aufgebracht seien, weil ihre Kinder dazu gezwungen werden, ein – wie die Zeitung es formulierte – Video über homosexuelle Erziehung, zu sehen. Das war schrecklich! Wir haben vier Jahre an diesem Film gearbeitet, vier Jahre in der LGBTIQ-Community verbracht und dann kommt diese Schlagzeile. Wir waren eine Woche lang durchgehend in der Berichterstattung. Der Premierminister von New South Wales entschied, dass der Film an Schulen in diesem Bundesstaat nicht gezeigt werden darf. Das war auch furchtbar für die Community, da die Botschaft vermittelt wurde, dass diese Familien in den Schulen nicht willkommen sind.

Wie geht es euch und auch den Familien und Kindern aus dem Film jetzt – nach dem ersten Schock?
Das ist fünf Monate her und obwohl ich persönlich und sehr viele andere durch die Reaktion verletzt wurden, ist uns mittlerweile klar, dass eine Konversation, die lange nicht geführt wurde, plötzlich geführt wurde. Es war notwendig. Auch die Familien und Kinder waren sehr großartig. Uns ging es in erster Linie darum zu schauen, wie es den Kindern aus dem Film geht, weil sie diejenigen waren, die am nächsten Tag in die Schule mussten. Aber die Kinder haben als erste gemeint, wir sollen uns keine Sorgen machen, denn es sei das Beste, was passieren konnte.

Die Kinder im Film sind alle zwischen zehn und zwölf Jahre alt. Habt ihr euch bewusst für dieses Alter entschieden?
Nein, zumindest anfangs nicht. Wir haben für den Film Menschen sehr verschiedenen Alters interviewt. Aber als sich die Geschichten, die wir im Film erzählen wollten, herauskristallisierten, wurde uns bewusst, dass das Alter zwischen zehn und zwölf sehr spannend ist. Es ist eine Art „magisches Alter“. Du hast einen Fuß in der Kindheit und den anderen im Erwachsenensein. Deine eigenen Ideen beginnen sich in dem Alter zu formen. Du fängst an, deine Eltern als Personen und nicht nur als deine Eltern wahrzunehmen – was in unserem Kontext sehr spannend ist, da auch immer klarer wurde, dass nicht die ganze Welt denkt, dass meine Familie unbedingt normal ist.

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Meiner Meinung nach kamen die Kinder im Film sehr reif und erwachsen rüber. Kann das mit den täglichen Kämpfen zu tun haben, die man als Gayby in einer heteronormativen Gesellschaft, auszutragen hat?
Ich würde nicht sagen, dass die Kids andauernd am Kämpfen sind. Das sehe ich gar nicht so. Ich glaube aber, dass viele Gaybies sehr gut kommunizieren können, weil sie seit sie sprechen können, andauernd ihre Familie erklären müssen. Daher lernten viele über Familie, aber auch über queere Politiken, zu sprechen. Gleichzeitig sind die Kinder unglaublich belastbar, was eigentlich keine Eigenschaft von Kindern sein sollte. Aber sie treten jeden Tag vor die Haustüre, wissend, dass es die Möglichkeit gibt mit Homophobie konfrontiert zu werden. Auch wenn es gar nicht so sein muss. Aber allein dieses Bewusstsein schafft eine Art Belastbarkeit, ein Bereit-Sein.

Gemeinsam mit Gaybies wart ihr im australischen Bundestag. Dort hatten die Politiker*innen die Möglichkeit Fragen zu stellen. Welche Fragen sind gekommen?
Wir sind nicht mit den Kindern aus dem Film, sondern mit Erwachsenen hin. Ich kann mich nicht mehr an alle Fragen erinnern, aber wir wollten das Panel so strukturieren, dass wir langsam alle Fragen, die immer wieder kommen, durchgegangen sind. Es gibt einige wenige Fragen, die wiederholen sich: Zum Beispiel, wenn du zwei Mütter hast, kommt die Frage, ob du einen Vater vermisst. Die Leute wollen auch wissen, wie du gezeugt wurdest, ob du adoptiert bist – wie all das funktioniert. Viele fragen, ob du auf Grund deiner homosexuellen Eltern schikaniert wurdest oder wirst. Und natürlich kommt immer wieder die Frage, ob Gaybies homosexuell sind. Das klingt eigentlich sehr dumm. Aber es gibt wirklich viele Menschen, die glauben, dass es so ist.

Du hast mit Maya auch eine Firma mit dem Namen „Marla House“ gestartet zur Unterstützung weiblicher Filmemacherinnen. Ist die Branche nach wie vor männlich dominiert?
„Marla House“ haben wir eigentlich für unsere gemeinsamen Kollaborationen gestartet. „Marla“ bedeutet auf einer Aborigines-Sprache „Mädchen“. Das heißt es ist das „Mädchen Haus“, also unser Haus. Aber ja, ich bin absolut der Meinung, dass die Branche männlich dominiert ist. Das zeigen auch die Statistiken. Aber frage mich bitte nicht, wie man das...

… ändern kann?
Genau! Es gibt sehr viele Menschen, die versuchen diese Frage zu beantworten und daher gibt es auch viele verschiedene Zugänge. Meiner Meinung nach sollen wir sie alle probieren. Dabei geht es nicht nur um Frauen und Männer, sondern um LGBTIQ-Personen, aber auch um „People of Colour“. Wenn wir nur Geschichten von von weißen Männern hören und sehen, wenn nur diese kleine Gruppe repräsentiert wird, erhalten wir offensichtlich nicht das ganze Bild von Gesellschaft. Es ist wichtig, all die problematischen Systeme unserer Gesellschaft aus vielen verschiedenen Perspektiven zu zerlegen.

Valentine Auer lebt als freie Journalistin in Wien.

Retter_innen der Kernfamilie

  • 10.03.2016, 17:17

Stärker denn je nehmen Rechtsextreme (staatliche) Gleichstellungspolitiken und sexualpädagogische Maßnahmen ins Visier. Besondere Bedeutung kommt dabei den Debatten rund um vermeintliche „Frühsexualisierung“ zu.

Obgleich die Bedeutung des Schlagworts „Frühsexualisierung“ in rechtskonservativen und rechtsextremen Diskursen zumeist nicht näher ausgeführt wird, scheint sich der Terminus in den letzten Jahren zu einem Kampfbegriff entwickelt zu haben. Er wird dabei vor allem zur Abwehr zeitgemäßer pädagogischer Ansätze der Sexualerziehung im frühen Kindesalter zum Einsatz gebracht, die Kindern ein positives Körpergefühl, Abbau von Schamgefühlen und die Entwicklung einer verantwortungsvollen, selbstbestimmten Sexualität ermöglichen sollen. Die Bestrebungen zielen unter anderem auf die Befähigung ab, (sexualisierte) Gewalt zu erkennen und sich gegen diese zur Wehr zu setzen.

In kindergerechter Weise werden Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit nur als eine von vielen gleichberechtigten Möglichkeiten geschlechtlicher und sexueller Lebens- und Begehrensformen präsentiert, von „natürlichen“ Vorstellungen von Sexualität wird Abstand genommen. Grund genug für konservative und rechte Kräfte, Sturm zu laufen. Anlass für Diskussionen lieferten in Deutschland ein Methodenbuch zur „Sexualpädagogik der Vielfalt“ sowie Bestrebungen, „Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identitäten“ in Sexualkunde-Unterrichtspläne zu integrieren.

In Österreich wiederum stand vor allem die 2012 vom Verein Selbstlaut herausgegebene sexualpädagogische Broschüre „Ganz schön intim“, die Lehrer_innen Anregungen für die Thematisierung von Liebe und Sexualität im Unterricht liefert und unter anderem Selbstbefriedigung, Patchwork-Familien, gleichgeschlechtliche Beziehungen und Intersexualität selbstverständlich behandelt, im Fokus eines vermeintlichen Skandals. Sowohl von ÖVP, FPÖ, BZÖ als auch (rechts-)katholischen Organisationen wurde die in den Medien als „Sex- Fibel“ (Kurier) oder „Sex-Unterlagen“ (Krone) betitelte Broschüre als „verstörend“ kritisiert, da sie homosexuelle Paare heterosexuellen gleichstellt. Dadurch würde, so die homophobe Argumentation, die „Kernfamilie bedroht“ und „Kindern ein irritierendes Bild von Familie und Sexualität“ (Barbara Rosenkranz) vermittelt.

ALTBEKANNTE MUSTER. In der Diskreditierung derartiger pädagogischer Ansätze bedienen sich Rechtsextreme bekannter Methoden, die von selektiven Darstellungen über die Umdeutung von Diskursen bis hin zur Verbreitung von Unwahrheiten reichen. So ist in einschlägigen Veröffentlichungen und Wortbeiträgen von „ideologischer Stimmungsmache“, „staatlicher Umerziehung“, „Indoktrination“, „Manipulation“ oder der „Trans- und Homosexualisierung“ der Kinder und Schulen zu lesen und zu hören.

Nicht selten inszenieren sich die selbsternannten Retter_innen der „Kernfamilien“ dabei als die eigentlichen Diskriminierten, da „Berufsschwule“ und „Genderbeauftragte“, so die beinahe wahnhaften Vorstellungen, bis in die Klassenzimmer die Erziehung ihrer Kinder bestimmen könnten, während die Rechte der Eltern ausgehebelt würden. Der Diskurs fixiere sich zudem zu stark auf „Diskriminierungen, die in der sexuellen Identität begründet sind“, wohingegen andere Benachteiligungen außer Acht gelassen würden. So wird „Frühsexualisierung“ von der Auflösung der Familie bis hin zum Niedergang des Bildungssystems und des (deutschen) Volkes für so ziemlich alles verantwortlich gemacht. Wenig verwunderlich auch, dass in antifeministischer Manier Vaterlosigkeit als schwerwiegenderes Problem in Stellung gebracht und in weiterer Folge bejammert wird, dass (frauenfeindliche) Väterrechtsorganisationen nicht in gleicher Weise an Schulen dürften wie Sexualpädagog_innen. Umschreibungen wie „unnatürlich“, „pervers“ oder gar „pädophil“ zielen zudem nicht nur darauf ab, Homosexualität damit in Verbindung zu bringen, sondern alles von Heterosexualität Abweichende zu stigmatisieren.

BESORGTE ELTERN. Inszenierte Angst- und Bedrohungsszenarien ermöglichen es der extremen Rechten, ihre Positionen als notwendige, legitime Kritik in öffentlichen und medialen Debatten zu präsentieren. Durch die ohnehin tiefe Verankerung derartiger Denkmuster in der Mitte der Gesellschaft, gelingt es ihnen zudem, ihre antifeministische und homophobe Agenda als mainstreamfähig darzustellen.

Die Hartnäckigkeit, mit der Rechtsextreme hierzulande versuchen, sexualpädagogische Debatten zu beeinflussen, zeigte sich zuletzt auch an Hand einer auf progress-online.at erschienenen Rezension zweier Kinderbücher, „die darauf verzichten, die Mär von Zweigeschlechtlichkeit und Vater- Mutter-Kind-Familien zu zementieren“. Grund genug für manche sowohl auf Facebook wie auch der rechtsextremen, von Martin Graf gegründeten, Internetplattform unzensuriert.at heiß zu laufen und mit biologistischen Argumenten die heterosexuelle Kleinfamilie als einzige zur Reproduktion fähige, „natürliche“ Instanz zu verteidigen.

Der Grund für das unglaubliche Mobilisierungspotential derartiger Diskurse kann vor allem darin gefunden werden, dass durch Sexualerziehung im frühen Kindesalter tatsächlich die Möglichkeit besteht, sexistischen, homo- und transfeindlichen Denkmustern präventiv vorzubeugen. In Aufruhr scheinen Rechtsextreme und ihre Verbündeten jedoch vor allem deswegen zu sein, weil durch derartige Bestrebungen nicht nur dichotome Geschlechtervorstellungen ins Wanken geraten, sondern auch die traditionelle heteronormative, bürgerliche Kleinfamilie. Die Familie wird als „Keimzelle, Rückgrat und Leistungsträger“ der Gesellschaft dagegen in Stellung gebracht, um vermeintlich natürliche Geschlechterordnungen und die damit verbundenen Privilegien aufrechtzuerhalten und abzusichern. Das vermeintliche Wohl der Kinder wird für die eigenen Interessen instrumentalisiert.

Judith Goetz ist Literatur- und Politikwissenschafterin und Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (www.fipu.at).

„Theater“ um Regenbogenfahnen beendet?

  • 05.07.2014, 08:32

So viele Grazer Bezirksrät_innen wie noch nie stimmten für ein Zeichen gegen Homophobie. Christoph Schattleitner blickt zurück auf die Hintergründe.

So viele Grazer Bezirksrät_innen wie noch nie stimmten für ein Zeichen gegen Homophobie. Christoph Schattleitner blickt zurück auf die Hintergründe.

Am 28. Juni ist Christopher Street Day (CSD), an dem sich weltweit Menschen für die Gleichbehandlung von Schwulen, Lesben, Transgender und Bisexuellen solidarisieren. Das ist oft eine Mischung aus Party und Protest, wie etwa in Wien bei der Regenbogenparade. Ziel ist es, auf Missstände und Diskriminierung von Homosexuellen hinzuweisen. Zwischen Ehe und Eingetragener Partnerschaft gibt es nach wie vor 40 Ungleichbehandlungen, wie Betroffene beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte feststellen ließen. Die Benachteiligungen reichen vom Adoptionsrecht über Pensionsanspruch bis hin zur Frage, wo getraut werden darf.

„Theater“ in Graz

Letzteres wurde in Graz heftig diskutiert. Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) wehrte sich lange gegen eine Verpartnerung von Homosexuellen im Trauungssaal des Rathauses bis der Verfassungsgerichtshof zu einer anderen Erkenntnis kam: Seit September 2013 darf nun auch im Prunksaal verpartnert werden. Mit Regenbogenfahnen soll am Christopher Street Day auf solche Ungleichbehandlungen aufmerksam gemacht werden. Anderenorts ist das bereits Routine. In Wien etwa werden wochenlang die Straßenbahnen mit kleinen Regenbogenfähnchen geschmückt, in Berlin hissen jedes Jahr alle Bezirksrathäuser die bunte Fahne. Gleiches versucht seit 2008 Gerald Kuhn, Grüner Bezirksrat des Stadtbezirks Jakomini, auch in Graz durchzusetzen. Bisher gab es um die Fahnen aber immer ein „Theater“, ärgert er sich. Die Grazer Grünen stellen Jahr für Jahr in den Bezirken, in denen sie vertreten sind, einen Antrag zum Kauf (eine Fahne kostet 14, 50 Euro) und zur Hängung der Flaggen. Das blieb nicht immer ohne Widerstand. Vergangenes Jahr stimmten etwa die Bezirksräte St. Leonhard, Mariatrost und Lend gegen den Antrag. Während die Grünen ein „massives Problem mit Homosexuellen“ (Zitat Kuhn) bei der ÖVP orteten, sorgte der bunte Stoff auch bei der SPÖ für Aufregung: Zwei der drei SPÖ-Räte im Lend wollten keine Homo-Flaggen und kassierten dafür Kritik von der Sozialistischen Jugend: „Wir sollten uns als Sozialdemokraten schämen. Das ist ein peinlicher Ausrutscher“, meinte Sebastian Pay von der SJ Graz. Heuer stimmte der Bezirk Lend einer Beflaggung zu – so wie sieben andere Bezirke. In zehn der 17 Bezirke wurden Anträge gestellt, acht gingen durch – so viele wie noch nie. „Das ist ein voller Erfolg – vor allem, weil einige Bezirke die Fahnen nicht ein, zwei Wochen, sondern den ganzen Juni lang aufhängen“, freut sich Kuhn über die Entwicklung in Richtung mehr Toleranz in der „Menschenrechtsstadt“ Graz.

Übrigens: Die Stadt Graz selbst hat bis dato noch keine Regenbogenfahne gehisst. Vor dem Rathaus hing zwar die letzten Jahre eine Fahne, dies geschah aber immer auf Initiative und Rechnung der Grünen, erklärt Nicole Kuss, Pressesprecherin von Stadträtin Lisa Rücker (Grüne). Heuer verpasste man es die Fahnenmasten zu reservieren.

Leerer Fahnenmast im Volksgarten Graz im Jahr 2013. Foto: Christoph Schattleitner

Christoph Schattleitner studiert „Journalismus und PR“ an der FH Joanneum in Graz und twittert unter dem Namen @schattleitner.

Mit Pornobildern zur Ausmusterung

  • 04.01.2013, 11:29

Die Filmemacherin Ulrike Böhnisch setzt sich in ihrem Film „Çürük – The Pink Report“ mit einem in der Türkei verpönten Thema auseinander - der Homosexualität im türkischen Militär. Im progress-Interview spricht sie über ihren neuen Film.

Die Filmemacherin Ulrike Böhnisch (26) setzt sich in ihrem Film „Çürük – The Pink Report“ mit einem in der Türkei verpönten Thema auseinander - der Homosexualität im türkischen Militär. Die Kosmopolitin wurde in Leipzig geboren, hat in Potsdam Medienwissenschaft studiert und in Südamerika gelebt. Von 2008 bis 2009 hat sie ein Austauschjahr in Istanbul verbracht. Momentan lebt sie in Frankreich und studiert Kulturvermittlung. Im progress-Interview spricht Ulrike Böhnisch über ihren neuen Film.

progress: Was war für Dich der Auslöser einen Film über die Situation von Homosexuellen beim türkischen Militär zu drehen?

Ulrike Böhnisch: Da kamen mehrere Sachen zusammen. Ich musste an der Filmschule in Istanbul Projekte entwickeln und habe nach einem Thema gesucht. Über einen Freund habe ich von der Ausmusterung Homosexueller im türkischen Militär erfahren. Der meinte: „Ja weißt du, wenn die sich ausmustern lassen, dann müssen die Pornofotos von sich zeigen.“ Zunächst dachte ich mir, dass das doch total absurd wäre. Doch dann habe ich mich dazu entschlossen in meinem Umfeld nachzufragen. Aber immer wenn ich Fragen stellte, reagierten alle sehr betreten und meinten nur „Pst“ – ganz nach dem Motto: Was fällt dir ein in der Öffentlichkeit das zu thematisieren. Das hat mich dann neugierig gemacht.

Hinzu kam, dass ich in einer gefährlichen Ecke von Istanbul gelebt habe. Dort befindet sich ein Strich mit Transsexuellen, der natürlich auch Freier anlockt. Eines Tages wurden dann zwei Freundinnen von mir fast vergewaltigt. Sie haben zwar versucht zur Polizei zu gehen, doch die Polizisten meinten nur: „Wurdet ihr denn nicht richtig vergewaltigt? Na dann kommt doch mal wieder, wenn ihr richtig vergewaltigt worden seid.“ Und auch von meinem Freundeskreis kam dann die Reaktion, dass die beiden ja selber schuld wären, da sie ohne Mann in der Nacht auf die Straße gegangen wären. Das hat mich natürlich sehr wütend gemacht. Insofern hatte ich mit der schwulen und lesbischen Community sowie mit den KurdInnen ein gemeinsames Feindbild: den türkischen Macho. Das war dann der Auslöser für den Film, der das Männerbild in der Türkei in Frage stellt.

progress: Wie würdest Du klischeehaft den türkischen Mann beschreiben?

Böhnisch: Ich kann zumindest sagen, was er nach den Aussagen meiner Protagonisten nicht ist. Der türkische Mann ist derjenige, der aktiv ist. Darin besteht der Unterschied zwischen Mann oder nicht Mann. Das ist für mich natürlich absurd, da ein Mann, der mit einem anderen Mann Sex hat, natürlich schwul ist. In der Türkei wird dies aber nicht so verstanden. Und das führt dann dazu, dass Vergewaltigungen an Schwulen damit gerechtfertigt werden. Das ergibt letztendlich einen Teufelskreis mit enormen Auswirkungen. Denn durch diese Definition von Mann und nicht Mann wird festgelegt, wer schwul ist, wer vergewaltigt werden kann - bzw. von wem dieser vergewaltigt werden kann - und letztendlich, wie stolz der andere dann auch noch darauf ist. Und da steckt natürlich meine Kritik drin, dass da etwas falsch läuft.

progress: Stimmt es, dass Homosexuelle keinen Militärdienst leisten müssen?

Böhnisch: Der Militärdienst ist für alle Türken obligatorisch und dauert zwischen sechs Monaten und drei Jahren. Um den Militärdienst zu vermeiden, gibt es drei Möglichkeiten: die Ausmusterung - die man auch im Film sieht-, die Totalverweigerung, auf die Gefängnisstrafe steht und es gibt auch die Möglichkeit, dass man sich nach einem zwei- oder dreijährigem Auslandsaufenthalt mit einem Betrag von 10.000 Euro vom Militärdienst freikaufen kann. Die Ausmusterung kann man als schwuler Mann machen, da Homosexualität beim türkischen Militär als Krankheit angesehen wird.

Jene, die sich offiziell als Homosexuelle vom Militärdienst befreien lassen wollen, müssen einen Antrag auf eine psychologische Untersuchung stellen. Dann bekommen sie einen Termin bei einem Psychologen zu einer Gesprächsrunde. Meine Protagonisten erzählten mir, dass sie dort ein Haus zeichnen mussten. Anhand des Hauses hat dann der Psychiater abgewogen, ob die Personen homosexuell sind. In einigen Fällen ist es dann so, dass zusätzliche Untersuchungen durchgeführt werden. Bei diesen Untersuchungen fordert der Psychologe, dass die Männer Fotos bringen müssen. Den Beteiligten ist dann natürlich sofort klar, um was es geht: nämlich um pornografische Bilder. In diesen Bildern muss derjenige zeigen, dass er penetriert wird und quasi der Passive ist. Und außerdem muss auf den Bildern seine Erregung sowie Freude im Gesicht zu sehen sein. Das ist das, was mir von den Betroffenen erzählt wurde. Ich habe auch gehört, dass diese Untersuchungen in der letzten Zeit seltener gemacht wurden. Aber es gibt keine offiziellen Zahlen darüber. Es gibt auch noch eine andere Untersuchung. Bei dieser wird der Anus auf Analverkehr untersucht. Das ist aber absurd, da der Anus ja ein Schließmuskel ist.

progress: Warum wurden drei Protagonisten anonym gefilmt? Hatten sie Angst vor gesellschaftlichen Repressionen?

Böhnisch: An einer Stelle im Film wird ganz klar gesagt, dass die Protagonisten nicht wegen ihrer Homosexualität anonym gefilmt wurden. Denn die Türkei ist das einzige laizistische muslimische Land und nach dem türkischem Gesetz ist Homosexualität keine Straftat. Das Problem besteht jedoch darin, dass es Artikel gibt, die Kritik am Staat und Militär unter Strafe stellen. Das sind die Artikel 301 und 318 (Anm: siehe Links von Amnesty). Mit diesen Artikeln schafft es der türkische Staat jede Kritik im Keim zu ersticken. Und die Artikel sorgen dafür, dass sehr viele KurdInnen, JournalistInnen, KünstlerInnen, FreidenkerInnen usw. im Gefängnis sitzen. Die Artikel sind auch der Grund, weshalb die Protagonisten im Film darauf bestanden hatten anonym gefilmt zu werden. Aber sicher ist es in der Türkei nicht einfach als Homosexueller zu leben. In Istanbul gibt es zwar ein paar Stadtviertel, wo Homosexuelle einfacher leben können. Aber es ist sicher um einiges schwieriger beispielsweise in Ostanatolien schwul, lesbisch, transsexuell oder bisexuell zu sein.

progress: Hattest Du während der Dreharbeiten auch persönliche Probleme mit den türkischen Geschlechterrollen?

Böhnisch: Natürlich habe ich auf der Straße Blicke bekommen und mich in manchen Situationen unwohl gefühlt. Was die Türken aber unglaublich gut hinkriegen, ist damit gewissermaßen auch zu spielen. Was die Dreharbeiten betrifft, so kann ich folgende Episode erzählen: Ein Mann mit einer Kamera ist automatisch in der Türkei ein Kameramann. Dann kommen alle Kinder angerannt und fragen, von welchem Fernsehkanal er denn sei. Eine Frau, die mit einer Kamera auf der Straße steht, ist „nur“ eine Frau mit einer Kamera. Das heißt, wenn man beim Drehen kein Aufsehen erregen will, so ist es eine sehr gute Strategie einfach nur ein Mädchen hinter eine Kamera zu stellen.

Und es gab eine Situation, wo ich am Busbahnhof von Istanbul eine Drehgenehmigung gebraucht hätte. Und ich bin dann zum Chef von diesem Busbahnhof gegangen und hab dann mit meinem Türkisch gesagt: „Ich bin Studentin aus Deutschland. Und in Deutschland ist das so, dass die Soldaten einfach nur in den Zug steigen. Aber in der Türkei da wird gefeiert und gesungen. Die Soldaten bekommen so viel Respekt. Das ist eine so schöne Tradition, die bei uns verloren gegangen ist. Und deshalb würde ich hier gerne filmen.“ Und das haben sie mir abgekauft und mir deshalb erlaubt dort zu drehen.

progress: Der Film darf aber in der Türkei nicht gezeigt werden?

Böhnisch: Zum Schutz unserer Protagonisten haben wir ihnen versprochen den Film in der Türkei nicht zu zeigen. Und das war die Prämisse, an die wir uns gehalten haben. Wir fangen demnächst auch mit Video-on-Demand an. Auch da war für uns klar, dass dieser Film für die Türkei gesperrt werden wird. Ich weiß nicht, was die türkische Zensur zu dem Film sagen würde. Aber wir haben den Film sowohl von einem deutschen als auch einem türkischen Anwalt prüfen lassen. Beide haben uns bestätigt, dass die Erfahrungen zu hundert Prozent persönliche Erfahrungen sind und deshalb nicht unter die Artikel 301 und 318 fallen. Wobei das natürlich immer Auslegungssache des jeweiligen türkischen Richters ist.

progress: Wie war die Reaktion der türkisch-migrantischen Community?

Böhnisch: Meistens höre ich glücklicherweise Lob. Das ist natürlich für eine Filmemacherin schön zu hören. Ich muss aber dazu sagen, dass diejenigen, die den Film sehen sollten nicht diejenigen sind, die Geld für eine Karte ausgeben. Kritik gab es jedoch dahin gehend, dass ich mich als deutsche Frau mit dem Thema auseinandergesetzt habe. Auch während der Filmvorführung beim Sercavan wurde ich kritisiert. Da hörte ich, dass der Film doch sehr polarisierend sei. Und dass ein Film doch von Türken bzw. Inländern und nicht von Ausländern gemacht werden sollte. Ich kann diesen Kommentar akzeptieren. Und natürlich habe ich meine eigene Sichtweise. Ich sehe allerdings nicht, wieso meine Sichtweise besser oder schlechter sein sollte als eine andere.

Mir war aber von Anfang an bewusst, dass der Film für ein ausländisches Publikum gedreht wird und dass er eine Plattform für dieses Thema außerhalb der Türkei bieten soll. Deshalb kam es mir zugute, dass die Protagonisten bereit waren Englisch zu reden. Und daher habe ich auch mit Basics begonnen. Diese wären für TürkInnen mit einem Vorwissen nicht notwendig gewesen. Ich denke aber, dass FilmemacherInnen das Recht haben sollten, selbstständig das Thema, den Ort und den Zeitpunkt ihrer Filme zu bestimmen. Diesbezüglich ist es traurig, dass in der Türkei Gesetze herrschen, die das verbieten.

Der Trailer zum Film:

Weiterführende Links:

http://www.curuk-film.de

http://www.ulrikeboehnisch.com

Sercavan Film-Festival 2012

Ab Jänner wird „Çürük – The Pink Report“ auf Independent Movies on demand verfügbar sein.

Informationen zu Artikel 301 („Herabwürdigung des Türkentums“) und 318 („Distanzierung des Volkes vom Militär“).