Mit Pornobildern zur Ausmusterung

  • 04.01.2013, 11:29

Die Filmemacherin Ulrike Böhnisch setzt sich in ihrem Film „Çürük – The Pink Report“ mit einem in der Türkei verpönten Thema auseinander - der Homosexualität im türkischen Militär. Im progress-Interview spricht sie über ihren neuen Film.

Die Filmemacherin Ulrike Böhnisch (26) setzt sich in ihrem Film „Çürük – The Pink Report“ mit einem in der Türkei verpönten Thema auseinander - der Homosexualität im türkischen Militär. Die Kosmopolitin wurde in Leipzig geboren, hat in Potsdam Medienwissenschaft studiert und in Südamerika gelebt. Von 2008 bis 2009 hat sie ein Austauschjahr in Istanbul verbracht. Momentan lebt sie in Frankreich und studiert Kulturvermittlung. Im progress-Interview spricht Ulrike Böhnisch über ihren neuen Film.

progress: Was war für Dich der Auslöser einen Film über die Situation von Homosexuellen beim türkischen Militär zu drehen?

Ulrike Böhnisch: Da kamen mehrere Sachen zusammen. Ich musste an der Filmschule in Istanbul Projekte entwickeln und habe nach einem Thema gesucht. Über einen Freund habe ich von der Ausmusterung Homosexueller im türkischen Militär erfahren. Der meinte: „Ja weißt du, wenn die sich ausmustern lassen, dann müssen die Pornofotos von sich zeigen.“ Zunächst dachte ich mir, dass das doch total absurd wäre. Doch dann habe ich mich dazu entschlossen in meinem Umfeld nachzufragen. Aber immer wenn ich Fragen stellte, reagierten alle sehr betreten und meinten nur „Pst“ – ganz nach dem Motto: Was fällt dir ein in der Öffentlichkeit das zu thematisieren. Das hat mich dann neugierig gemacht.

Hinzu kam, dass ich in einer gefährlichen Ecke von Istanbul gelebt habe. Dort befindet sich ein Strich mit Transsexuellen, der natürlich auch Freier anlockt. Eines Tages wurden dann zwei Freundinnen von mir fast vergewaltigt. Sie haben zwar versucht zur Polizei zu gehen, doch die Polizisten meinten nur: „Wurdet ihr denn nicht richtig vergewaltigt? Na dann kommt doch mal wieder, wenn ihr richtig vergewaltigt worden seid.“ Und auch von meinem Freundeskreis kam dann die Reaktion, dass die beiden ja selber schuld wären, da sie ohne Mann in der Nacht auf die Straße gegangen wären. Das hat mich natürlich sehr wütend gemacht. Insofern hatte ich mit der schwulen und lesbischen Community sowie mit den KurdInnen ein gemeinsames Feindbild: den türkischen Macho. Das war dann der Auslöser für den Film, der das Männerbild in der Türkei in Frage stellt.

progress: Wie würdest Du klischeehaft den türkischen Mann beschreiben?

Böhnisch: Ich kann zumindest sagen, was er nach den Aussagen meiner Protagonisten nicht ist. Der türkische Mann ist derjenige, der aktiv ist. Darin besteht der Unterschied zwischen Mann oder nicht Mann. Das ist für mich natürlich absurd, da ein Mann, der mit einem anderen Mann Sex hat, natürlich schwul ist. In der Türkei wird dies aber nicht so verstanden. Und das führt dann dazu, dass Vergewaltigungen an Schwulen damit gerechtfertigt werden. Das ergibt letztendlich einen Teufelskreis mit enormen Auswirkungen. Denn durch diese Definition von Mann und nicht Mann wird festgelegt, wer schwul ist, wer vergewaltigt werden kann - bzw. von wem dieser vergewaltigt werden kann - und letztendlich, wie stolz der andere dann auch noch darauf ist. Und da steckt natürlich meine Kritik drin, dass da etwas falsch läuft.

progress: Stimmt es, dass Homosexuelle keinen Militärdienst leisten müssen?

Böhnisch: Der Militärdienst ist für alle Türken obligatorisch und dauert zwischen sechs Monaten und drei Jahren. Um den Militärdienst zu vermeiden, gibt es drei Möglichkeiten: die Ausmusterung - die man auch im Film sieht-, die Totalverweigerung, auf die Gefängnisstrafe steht und es gibt auch die Möglichkeit, dass man sich nach einem zwei- oder dreijährigem Auslandsaufenthalt mit einem Betrag von 10.000 Euro vom Militärdienst freikaufen kann. Die Ausmusterung kann man als schwuler Mann machen, da Homosexualität beim türkischen Militär als Krankheit angesehen wird.

Jene, die sich offiziell als Homosexuelle vom Militärdienst befreien lassen wollen, müssen einen Antrag auf eine psychologische Untersuchung stellen. Dann bekommen sie einen Termin bei einem Psychologen zu einer Gesprächsrunde. Meine Protagonisten erzählten mir, dass sie dort ein Haus zeichnen mussten. Anhand des Hauses hat dann der Psychiater abgewogen, ob die Personen homosexuell sind. In einigen Fällen ist es dann so, dass zusätzliche Untersuchungen durchgeführt werden. Bei diesen Untersuchungen fordert der Psychologe, dass die Männer Fotos bringen müssen. Den Beteiligten ist dann natürlich sofort klar, um was es geht: nämlich um pornografische Bilder. In diesen Bildern muss derjenige zeigen, dass er penetriert wird und quasi der Passive ist. Und außerdem muss auf den Bildern seine Erregung sowie Freude im Gesicht zu sehen sein. Das ist das, was mir von den Betroffenen erzählt wurde. Ich habe auch gehört, dass diese Untersuchungen in der letzten Zeit seltener gemacht wurden. Aber es gibt keine offiziellen Zahlen darüber. Es gibt auch noch eine andere Untersuchung. Bei dieser wird der Anus auf Analverkehr untersucht. Das ist aber absurd, da der Anus ja ein Schließmuskel ist.

progress: Warum wurden drei Protagonisten anonym gefilmt? Hatten sie Angst vor gesellschaftlichen Repressionen?

Böhnisch: An einer Stelle im Film wird ganz klar gesagt, dass die Protagonisten nicht wegen ihrer Homosexualität anonym gefilmt wurden. Denn die Türkei ist das einzige laizistische muslimische Land und nach dem türkischem Gesetz ist Homosexualität keine Straftat. Das Problem besteht jedoch darin, dass es Artikel gibt, die Kritik am Staat und Militär unter Strafe stellen. Das sind die Artikel 301 und 318 (Anm: siehe Links von Amnesty). Mit diesen Artikeln schafft es der türkische Staat jede Kritik im Keim zu ersticken. Und die Artikel sorgen dafür, dass sehr viele KurdInnen, JournalistInnen, KünstlerInnen, FreidenkerInnen usw. im Gefängnis sitzen. Die Artikel sind auch der Grund, weshalb die Protagonisten im Film darauf bestanden hatten anonym gefilmt zu werden. Aber sicher ist es in der Türkei nicht einfach als Homosexueller zu leben. In Istanbul gibt es zwar ein paar Stadtviertel, wo Homosexuelle einfacher leben können. Aber es ist sicher um einiges schwieriger beispielsweise in Ostanatolien schwul, lesbisch, transsexuell oder bisexuell zu sein.

progress: Hattest Du während der Dreharbeiten auch persönliche Probleme mit den türkischen Geschlechterrollen?

Böhnisch: Natürlich habe ich auf der Straße Blicke bekommen und mich in manchen Situationen unwohl gefühlt. Was die Türken aber unglaublich gut hinkriegen, ist damit gewissermaßen auch zu spielen. Was die Dreharbeiten betrifft, so kann ich folgende Episode erzählen: Ein Mann mit einer Kamera ist automatisch in der Türkei ein Kameramann. Dann kommen alle Kinder angerannt und fragen, von welchem Fernsehkanal er denn sei. Eine Frau, die mit einer Kamera auf der Straße steht, ist „nur“ eine Frau mit einer Kamera. Das heißt, wenn man beim Drehen kein Aufsehen erregen will, so ist es eine sehr gute Strategie einfach nur ein Mädchen hinter eine Kamera zu stellen.

Und es gab eine Situation, wo ich am Busbahnhof von Istanbul eine Drehgenehmigung gebraucht hätte. Und ich bin dann zum Chef von diesem Busbahnhof gegangen und hab dann mit meinem Türkisch gesagt: „Ich bin Studentin aus Deutschland. Und in Deutschland ist das so, dass die Soldaten einfach nur in den Zug steigen. Aber in der Türkei da wird gefeiert und gesungen. Die Soldaten bekommen so viel Respekt. Das ist eine so schöne Tradition, die bei uns verloren gegangen ist. Und deshalb würde ich hier gerne filmen.“ Und das haben sie mir abgekauft und mir deshalb erlaubt dort zu drehen.

progress: Der Film darf aber in der Türkei nicht gezeigt werden?

Böhnisch: Zum Schutz unserer Protagonisten haben wir ihnen versprochen den Film in der Türkei nicht zu zeigen. Und das war die Prämisse, an die wir uns gehalten haben. Wir fangen demnächst auch mit Video-on-Demand an. Auch da war für uns klar, dass dieser Film für die Türkei gesperrt werden wird. Ich weiß nicht, was die türkische Zensur zu dem Film sagen würde. Aber wir haben den Film sowohl von einem deutschen als auch einem türkischen Anwalt prüfen lassen. Beide haben uns bestätigt, dass die Erfahrungen zu hundert Prozent persönliche Erfahrungen sind und deshalb nicht unter die Artikel 301 und 318 fallen. Wobei das natürlich immer Auslegungssache des jeweiligen türkischen Richters ist.

progress: Wie war die Reaktion der türkisch-migrantischen Community?

Böhnisch: Meistens höre ich glücklicherweise Lob. Das ist natürlich für eine Filmemacherin schön zu hören. Ich muss aber dazu sagen, dass diejenigen, die den Film sehen sollten nicht diejenigen sind, die Geld für eine Karte ausgeben. Kritik gab es jedoch dahin gehend, dass ich mich als deutsche Frau mit dem Thema auseinandergesetzt habe. Auch während der Filmvorführung beim Sercavan wurde ich kritisiert. Da hörte ich, dass der Film doch sehr polarisierend sei. Und dass ein Film doch von Türken bzw. Inländern und nicht von Ausländern gemacht werden sollte. Ich kann diesen Kommentar akzeptieren. Und natürlich habe ich meine eigene Sichtweise. Ich sehe allerdings nicht, wieso meine Sichtweise besser oder schlechter sein sollte als eine andere.

Mir war aber von Anfang an bewusst, dass der Film für ein ausländisches Publikum gedreht wird und dass er eine Plattform für dieses Thema außerhalb der Türkei bieten soll. Deshalb kam es mir zugute, dass die Protagonisten bereit waren Englisch zu reden. Und daher habe ich auch mit Basics begonnen. Diese wären für TürkInnen mit einem Vorwissen nicht notwendig gewesen. Ich denke aber, dass FilmemacherInnen das Recht haben sollten, selbstständig das Thema, den Ort und den Zeitpunkt ihrer Filme zu bestimmen. Diesbezüglich ist es traurig, dass in der Türkei Gesetze herrschen, die das verbieten.

Der Trailer zum Film:

Weiterführende Links:

http://www.curuk-film.de

http://www.ulrikeboehnisch.com

Sercavan Film-Festival 2012

Ab Jänner wird „Çürük – The Pink Report“ auf Independent Movies on demand verfügbar sein.

Informationen zu Artikel 301 („Herabwürdigung des Türkentums“) und 318 („Distanzierung des Volkes vom Militär“).

 

AutorInnen: Claudia Aurednik