FPÖ

Alternativen für Deutschland und Österreich

  • 21.06.2017, 17:58
Ein neuer Sammelband von Stephan Grigat untersucht AfD und FPÖ auf Rechtspopulismus, völkischen Nationalismus, Geschlechterbilder und Antisemitismus.

Ein neuer Sammelband von Stephan Grigat untersucht AfD und FPÖ auf Rechtspopulismus, völkischen Nationalismus, Geschlechterbilder und Antisemitismus.

Blau und erfolgreich sind beide. Doch auch inhaltlich nähern sich die Alternative für Deutschland (AfD) und die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) einander an, wie der Sammelband konstatiert, ohne die Unterschiede in Geschichte und Gegenwart der beiden Parteien und das „Potenzial für zukünftige Konflikte“ zu vernachlässigen. Die FPÖ könnte sich heute, wie Gerhard Scheit schreibt, auch „‚Alternative für Österreich‘“ nennen, weil sie den Deutschnationalismus der ehemaligen „PLO von Österreich“ (Jörg Haider) weitgehend aufgegeben hat. Wie die AfD zieht sie sich unter dem Primat der Innenpolitik immer mehr auf „die Frage der Souveränität des eigenen Landes“ zurück. Im rassistischen „Kampf gegen die Islamisierung Ottakrings“, und eben nicht gegen Islamisierung per se, betreiben deshalb die „lautstark als ‚Kritiker‘ des Islam Auftretenden dessen Verharmlosung am entschiedensten“. Derweil die Linke auf antiisraelischem Kurs bleibt, können sie innenpolitisch Erfolge einfahren, indem sie „Israelsolidarität simulieren“.

Ein weiterer Fokus des Buches ist Geschlecht: Während Juliane Lang zur „Familien- und Geschlechterpolitik der AfD“ leider kaum über den Befund hinauskommt, dass die sich „immer weiter in Richtung völkischer Entwürfe“ entwickelt, arbeitet Karin Stögner die Korrespondenz des mutterschaftsbetonten „Differenzfeminismus nationalistisch-völkischer Prägung“ der FPÖ mit dem Ethnopluralismus heraus und erhellt, wie die „Welterklärung“ Antisemitismus sich vertretungsweise auch in Nationalismus, Sexismus oder Homophobie äußert. Bei aller „Transformation des Antisemitismus“, die Heribert Schiedel analysiert, heißt das aber nicht, dass „das Feindbild ‚Jude‘ durch das Feindbild ‚Moslem‘ ersetzt“ worden wäre. Deshalb sind im Buch mehrfach gut begründete Absagen an den Kampfbegriff „Islamophobie“ zu finden.

Insgesamt löst der Band, mit wenigen Schwachstellen, vor allem politisch ein, was der Herausgeber verspricht: neue Impulse in einer dringend notwendigen Diskussion.

Stephan Grigat (Hg.): AfD & FPÖ. Antisemitismus, völkischer Nationalismus und Geschlechterbilder.
Nomos 2017, 205 Seiten, 28,80 Euro.

Nikolai Schreiter studiert Politikwissenschaft an der Universität Wien.

From Russia with hate

  • 21.06.2017, 17:40
Das kürzlich im Falterverlag erschienene Buch Putins rechte Freunde beleuchtet, wie Russlands Autokrat und Europas Rechtspopulisten sich zusammentun – und auf nichts Geringeres als die Zerschlagung der EU hinarbeiten.

Das kürzlich im Falterverlag erschienene Buch Putins rechte Freunde beleuchtet, wie Russlands Autokrat und Europas Rechtspopulisten sich zusammentun – und auf nichts Geringeres als die Zerschlagung der EU hinarbeiten. Das Ziel: zurück zu einem uneinigen Europa der Nationalstaaten. Eine konspirative Konferenz Rechtsextremer in Wien? Finanzielle Unterstützung für den Front National? Desinformationskampagnen? Nein, das ist nicht der Inhalt eines Groschenromans, das ist die Realität.

Die Autor_innen stützen sich dabei auf geleakte Kommunikation zwischen russischen Funktionären und öffentlich gewordene Vereinbarungen, wie zum Beispiel ein Abkommen zwischen der Putin-Partei „Einiges Russland“ und der FPÖ, aber auch bekanntgewordene Fälle von finanziellen Zuwendungen und Inhalte von Vernetzungstreffen. In Anbetracht der Fülle von kompromittierenden Fakten entpuppen sich Europas „starke Männer“ als gedungene Hampelmänner, die sich aus machtpolitischem Opportunismus zu den willfährigen Helfern eines Autokraten machen lassen und dabei ihre Nationen verkaufen.

Ein weiterer Aspekt, den das Buch untersucht, ist der Propagandafeldzug des Kreml: Mit gezielten Desinformationskampagnen, ausgeführt von den Staatsmedien und -agenturen RT und Sputnik, wird versucht, auf die politischen Meinungsbildungsprozesse in den EU-Staaten Einfluss zu nehmen, „die westlichen Werte von Offenheit und Pluralität als Schwächen umzudeuten“ und „ein Narrativ des Untergangs des Westens“ zu propagieren. Das stilisierte Bild eines starken Russlands fungiert dabei als Fluchtpunkt.

Die Recherche ist sehr gut fundiert, informativ und aufgrund der Aktualität ein Muss für alle politisch interessierten Personen. Einziges Manko: Nur ganz am Rand wird darauf eingegangen, dass sich mitunter auch Vertreter des linken Spektrums im Zuge „antiimperialistischer“ Kritik in die Rolle von Putin-Herolden verrennen. Und dabei – welch Ironie – einem homophoben, sexistischen, nationalistischen Autokraten mit imperialen Ambitionen das Wort reden.

Michel Reimon, Eva Zelechowski: „Putins recht Freunde – Wie Europas Populisten ihre Nationen verkaufen“.
Falterverlag 2017, 128 Seiten, 16,90 Euro (E-Book: 9,90 Euro).

Livio Hoch studiert Rechtswissenschaften an der Universität Wien.

Rechte Klagen

  • 23.02.2017, 20:58
Wie Rechtsextreme die „Lügenpresse“ durch Klagen mundtot machen wollen.

Wie Rechtsextreme die „Lügenpresse“ durch Klagen mundtot machen wollen.

Die Ablehnung von gesellschaftskritischem Engagement Andersdenkender verdeutlicht sich in vielen rechtsextremen Kreisen nicht zuletzt in ihrem Umgang mit (linken und alternativen) Medien. Durch Vorwürfe wie jenem der „Lügenpresse“ wird dabei versucht, sich gegen Kritik zu immunisieren und politische Gegner_innen durch finanziell aufwändige Klagen einzuschüchtern.

„SYSTEMHANDLANGER“. Journalist_innen scheinen es aktuell angesichts des sinkenden gesellschaftlichen Vertrauens in Medien und der steigenden Angriffe nicht leicht zu haben. So zeigte 2016 eine repräsentative Umfrage für den Bayerischen Rundfunk, dass die Mehrzahl der in Deutschland lebenden Menschen die Medien für gelenkt hält. Bedient und verstärkt wurde das Ressentiment der „gleichgeschalteten“, „Meinungsbildung betreibenden“ Berichterstattung unter anderem auf den von antimuslimischem Rassismus geprägten Pegida- Demonstrationen. Im Skandieren von Begriffen wie „Lügen-“ oder auch „Systempresse“ bei derartigen Events verdeutlicht sich, dass von weit rechts Außen bis zur gesellschaftlichen Mitte Medien pauschal als „Handlanger des Systems“ und manipulierende Propaganda imaginiert werden, gegen die sich die vermeintliche Rebellion des Volks zur Wehr setzen müsse. So wird zwar nach Meinungsfreiheit oder -vielfalt gerufen, ohne diese jedoch selbst zu vertreten, da die eigene Perspektive als die einzig wahre inszeniert und der Rest als Lügen verunglimpft wird. Dieser Vorwurf trifft somit vor allem jene, die versuchen, differenziert, kritisch und sachlich zu berichten. Obgleich der Begriff „Lügenpresse“ sogar zum Unwort des Jahres 2014 gewählt wurde, blieb eine weiter reichende Diskussion über die verantwortungsvolle Aufgabe der Medien aus. Dennoch liefern diese Entwicklungen ein anschauliches Beispiel für die tiefe Verankerung rechtsextremer Logiken in der gesellschaftlichen Mitte.

BILDRECHTE UND GEGENKLAGEN. Während manche Journalist_innen in vorauseilendem Gehorsam und gemäß des gesellschaftlichen Klimas ohnehin bereits nach rechts geschwenkt sind, versuchen insbesondere linke Medien nach wie vor ungeschönt über rechtsextreme Entwicklungen und Aktivitäten in Österreich aufzuklären. Immer öfter sind sie in dieser Arbeit mit Klagen von rechten/ rechtsextremen Einzelpersonen, Gruppen und Parteien konfrontiert. Egal, ob gegen den Tiroler SPÖ-Chef, der Norbert Hofer (FPÖ) als „Nazi“ bezeichnet hatte, die Betreiberin des Cafés „Fett und Zucker“, die mittels eines Schildes Hofer-Wähler_ innen aufgefordert hatte, ihren Betrieb nicht zu besuchen. Aber auch die Anfechtung der Bundespräsidentschaftswahl zeigt, wie gerne die FPÖ klagt. Aus diesem Grund versuchte die Initiative „Heimat ohne Hass“, die mittels eines Internetblogs rechtsextreme Vorfälle in Österreich dokumentiert, vorletztes Jahr bei einer Pressekonferenz gemeinsam mit anderen darauf aufmerksam zu machen, dass die FPÖ seit geraumer Zeit versuche, antifaschistische Projekte auf diese Weise mundtot zu machen.

„Heimat ohne Hass“ muss sich nämlich mit einer Urheber_innenrechtsklage wegen der Veröffentlichung eines Fotos auseinandersetzen. Im Zuge der polizeilichen Räumung des linken Projekts „Pizzeria Anarchia“ in Wien, hatte der Blog über einen freiheitlichen Personalvertreter berichtet, der vor Ort bewaffnet und mit einem eisernen Kreuz aufgetreten war. Geklagt hatte in diesem Fall die freiheitliche Gewerkschaft AUF. Eine Gegenklage der FPÖ beschäftigte auch das linke Kollektiv „Filmpirat_innen“. Nachdem die FPÖ widerrechtlich Materialien des Filmkollektivs verwendet hatte, schlug die Partei mit einer Gegenklage wegen „falscher Behauptungen“, die „die Meinungsfreiheit der FPÖ behindern“ würden, zurück. Auch gegen das Urteil, das den „Filmpirat_innen“ Recht gab, legte die Partei Berufung ein. Bedrohlich wirken auch Fälle staatlicher Angriffe auf Jounalist_innen und Medien. So wurden beispielsweise 2007 in Berlin mehrere Fotografen vom Landeskriminalamt (LKA) wegen „Fotografieren von Neonazis bei Naziaufmärschen“ überwacht. Ermittelt wurde vom Berliner LKA (Abteilung Linksextremismus) auch gegen das Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum (apabiz), weil sie in einem Dossier über einen Neonaziaufmarsch einen Teil eines indizierten Aufruftexts zur Demo zitiert hatten.

EINSCHÜCHTERUNGSSTRATEGIEN. Wie die beiden Beispiele aus Österreich verdeutlichen, geht es oftmals nicht um politische Inhalte, die vor Gericht zur Diskussion gestellt werden sollen. Rechte bedienen sich dem Mittel der Klage vor allem, um öffentliche Kritik durch mit Rechtsstreiten verbundene Einschüchterungen oder große finanzielle Belastungen zu delegitimieren und zum Schweigen zu bringen. Nicht selten sind die Klagswerte im fünfstelligen Bereich angesiedelt, was bedeutet, dass zumeist das nötige Kleingeld fehlt, um dagegen vorzugehen. Die Anzahl derartiger Klagen und Klagsdrohungen ist zudem weitaus höher als öffentlich bekannt. Dass selbst von betroffenen Medien selten darüber berichtet wird, liegt nicht zuletzt daran, dass Rechtsextreme damit in erster Linie versuchen, linke/kritische Strukturen einzuschüchtern und die Klagsdrohungen selbst meist wenig Gehalt haben. Vielmehr ist es Teil der Einschüchterungsstrategie, unabhängig vom erwarteten Erfolg zeitraubend und belastend viele Ressourcen der Betroffenen zu binden.

Judith Goetz ist Literatur- und Politikwissenschafterin und Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (fipu.at).

„Eine Form von Probierraum“

  • 23.02.2017, 20:32
Seit 1999 findet in Wels jährlich das YOUKI, ein internationales Jugend Medien Festival, statt. Wir haben Laura vom Veranstaltungsteam gefragt, was dort passiert.

Seit 1999 findet in Wels jährlich das YOUKI, ein internationales Jugend Medien Festival, statt. Wir haben Laura vom Veranstaltungsteam gefragt, was dort passiert.

Als das erste Festival im Jahr 1999 stattfand, hieß es noch „Young Kinova“ und so setzt sich bis heute der Name zusammen. Im Herbst 2017 wird es vorraussichtlich die 18. Auflage des Festivals geben. Wieder werden einige Preise vergeben, der höchste ist mit 1.500 Euro dotiert. Wir haben mit Laura vom YOUKI darüber geredet, was die ca. 5.000 Besucher und Besucherinnen in dort erwartet, warum das Festival ausgerechnet in Wels stattfindet und was für sie „freie Medien“ sind.

progress: Kannst du kurz erklären, was das YOUKI ist und an welches Publikum es sich richtet? Das YOUKI ist ein Jugend Medien Festival, aber was ist für euch Jugend?
Laura: YOUKI ist Österreichs größtes internationales Nachwuchs Film- und Medien Festival. Es ist ein Fest aus Film, Workshops, Musik, Lectures und Popkultur. Im Zentrum ist der internationale Wettbewerb. Junge Filmemacher_innen (10–26 Jahre) aus der ganzen Welt schicken ihre Beiträge (max. Filmlänge 20 Minuten). Aus ca. 500 Einreichungen werden ca. 90 Filme gezeigt. Das Festival bildet eine Plattform für den Austausch. Einerseits unter den jungen Filmemacher_innen selbst, andererseits bietet das Festival aber auch immer die Möglichkeit, Profis aus der Filmbranche kennenzulernen (z.B. bei Workshops, Filmgesprächen oder Werkstattgesprächen, u.a.). Hier werden aber nicht nur Filme gezeigt. Hier werden auch Radio, Zeitung und TV gemacht. Das Format Media Meeting gibt es nun seit über zehn Jahren. Hier beschäftigen wir uns auf verschiedenen Ebenen mit einem Themenschwerpunkt. Im letzten Jahr mit dem Phänomen des Abhängens. Es gibt Lectures, Filmvorführungen und Diskussionen.

Das Thema unseres Dossiers ist diesmal „freie / alternative Medien“. Inwiefern passt ihr da hinein? Könnt ihr mit dem Begriff etwas anfangen?
Es gab ja bereits viele Versuche, den Begriff der freien Medien zu definieren. Für mich ist es eine Form von Probierraum. Die Nutzung und Verwertung lässt die Möglichkeit offen, sich selbst darin auszuprobieren. Dabei spielt auf jeden Fall Partizipation eine wichtige Rolle. YOUKI ist ein großer Probierraum. Unsere Labs (Zeitungs-Redaktion, Radio-Redaktion, Festival-TV, Druckwerkstatt u.a.) werden von jungen engagierten „Medienmacher_innen“ geleitet. Es steht jedem_ jeder offen, dabei mitzuwirken.

Lästige Frage vielleicht, aber: Warum Wels? Habt ihr jemals überlegt, mit dem YOUKI umzuziehen?
YOUKI ist in Wels geboren, vor 19 Jahren als Idee von Hans Schoisswohl. Bei einer Teamsitzung wurde tatsächlich mal darüber geredet, was wäre, wenn YOUKI nicht in Wels wäre? Wäre das möglich? Für mich nicht. Das Festival profitiert von den Vorteilen einer Kleinstadt, genauso wie es mit den Nachteilen zu kämpfen hat. Außerdem ist die Infrastruktur des Medien Kultur Haus und des Alten Schlachthof nicht wegzudenken und vor allem ausschlaggebend für das YOUKI-Feeling. Dennoch ist es für uns wichtig, auch unter dem Jahr in anderen Städten sichtbar zu sein.

Seit 2015 wird Wels blau regiert. Die FPÖ stellt bei euch mit Andreas Rabl den Bürgermeister. Was hat sich für euch dadurch verändert?
In den letzten beiden Jahren hat sich für beinahe alle Kulturvereine/-institutionen/-schaffende in Wels einiges verändert. Von der 10-Prozent-Kürzung für alle Förderungen der Stadt Wels war natürlich auch YOUKI betroffen. Zehn Prozent wirken auf den ersten Blick nicht viel – sie gehen aber auch nicht spurlos an einem vorüber. Finanzielle Kürzungen sind das eine – viel stärker spürbar ist jedoch, dass sich das gesamte politische Klima verändert hat. Vor der Machtübernahme der FPÖ hatten wir als Festival den absoluten Rückhalt der Stadt Wels – wir hatten nicht nur das Gefühl, wahrgenommen zu werden, sondern auch das Gefühl, für die Stadt unverzichtbar zu sein. Derzeit haben wir eher das Gefühl „wir müssen uns behaupten“! – Das stellt keine gute Basis für Kulturarbeit dar. Aber wir sind viele in Wels, die in einer ähnlichen Situation sind. Im letzten Jahr hat sich das Netzwerk „pro.viele“ formiert. Denn es sind tatsächlich viele, die von der derzeitigen politischen Situation betroffen sind. In den letzten 12 Jahren bevor er Bürgermeister wurde, war Herr Rabl meines Wissens nie beim Festival. Im vergangenen Jahr haben wir ihn eingeladen. Denn es war uns ein Anliegen, dass er YOUKI kennenlernt – und sieht, was das Festival leistet. Als Jugend Medien Festival sehen wir es als unsere Pflicht, auf aktuelle politische Geschehnisse bzw. Situationen zu reagieren! Sehr viele unserer Filmbeiträge beschäftigen sich (kritisch) mit Politik. Im letzten Jahr waren es gefühlt so viele Einreichungen wie noch nie. Die Jugend ist politisch.

Gibt es „berühmte“ YOUKI-Teilnehmer*innen, die (z.B.) in der Filmbranche gelandet sind?
Die Frage ist natürlich immer, ab wann ist jemand berühmt. Aber ich würde auf jeden Fall sagen, dass es einige Filmemacher_innen gibt, die bei YOUKI erste Festivalerfahrung gesammelt haben. So etwa der Filmemacher Florian Pochlatko, er hat mit seinem Kurzfilm „Running Sushi“ 2006 den Publikumspreis gewonnen. Seine aktuellen Filme reisen durch die Festivallandschaft. U.a. war sein wohl bekanntester Film „Erdbeerland“ (2012, 32 Min) auf der Viennale zu sehen. Auch Kurdwin Ayub hat uns viele Jahre mit ihren Kurzfilmen glücklich gemacht, bei der Diagonale 2016 hatte ihr erster Lang- Film „Paradies, Paradies!“ (Ö 2016) Premiere. So auch Lisa Weber, die im letzten Jahr ihren ersten Langfilm präsentierte, „Sitzfleisch“ (Ö 2014). YOUKI begleitete einige Filmemacher_innen über die Jahre. Es ist immer schön, diese künstlerischen Entwicklungen begleiten zu dürfen.

Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Universität Wien.

„Drogenfreier Volkskörper“

  • 22.06.2016, 14:02

Rechtsextreme Drogenpolitiken, rechtsextremer Drogenkonsum.

Wenngleich FPÖ-Politiker_innen sich tagesaktuell immer wieder zu drogenpolitischen Themen positionieren, bleibt die Thematik im Parteiprogramm der FPÖ jedoch weitgehend ausgespart. Anders verhält es sich bei der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), in deren Parteiprogramm Drogenkriminalität „hohe Priorität“ zugeschrieben wird, die „härter zu ahnden“ wäre. Die Alternative für Deutschland (AfD) wiederum fordert „Süchtigen […] im Wege der kontrollierten Abgabe“ Zugang zu Drogen zu ermöglichen und glaubt, damit Kriminalität und „Schwarzmarkt“ bekämpfen zu können. Als gemeinsamer Nenner dieser durchwegs unterschiedlichen Positionen fungieren im rechtsextremen Parteienspektrum vor allem die Ablehnung liberaler Drogenpolitiken sowie die rassistische Aufladung damit verbundener Diskurse. Dabei werden Feindbilder geschaffen, die den Vertrieb von Drogen ausschließlich bei vermeintlich „Fremden“ orten. Es handle sich, so die Konstruktion, um organisierte „ausländische“ Banden, die versuchen würden, den „Volkskörper“ sprichwörtlich zu vergiften. National Gesinnte hingegen würden und müssten jegliche Form der Verbreitung von Drogen aus selbigem Grund ablehnen. Das „eigene Volk“ müsse „sauber“, „rein“ beziehungsweise „drogenfrei“ gehalten werden. Die tiefe Verankerung des Feinbildes des „ausländischen Drogendealers“ in Gesellschaft, Politik und Medien ermöglicht es Vertreter_innen der extremen Rechten, sich als „Saubermacher_ innen“ und „Beschützer_innen des Volks“, insbesondere der angeblich bedrohten Jugend zu inszenieren. Zudem eignet sich das Drogenthema, als vermeintlich politisch wenig belastetes, um in der sogenannten Mitte der Gesellschaft zu punkten.

WIDERSPRÜCHLICH. Dennoch spiegeln sich die prohibitionistischen Forderungen rechtsextremer Parteien nicht unbedingt im Verhalten ihrer Anhänger_innen wider, da in regelmäßigen Abständen gegen Angehörige rechtsextremer und neonazistischer Szenen nicht nur wegen Konsums von, sondern auch Handel mit Drogen ermittelt wird. So war beispielsweise der 2010 aufgeflogene neonazistische Kulturverein Objekt 21 nahe Attnang- Puchheim in Drogen- und Waffenhandel involviert. Auch in Deutschland lag im Zuge von Ermittlungen immer wieder die Vermutung nahe, dass sich neonazistische Szenen über Drogenhandel finanzieren. Zudem sind Fälle bekannt, in denen Rechtsextreme ihre Taten, wie das Zeigen des Hitlergrußes oder auch Gewalt gegen Menschen, (vor Gericht) mit vorangegangenem Drogenkonsum zu entschuldigen versuchten.

Auch in den Reihen der FPÖ selbst kommt es immer wieder zu „Skandalen“ im Zusammenhang mit Drogenmissbrauch. So standen zum Beispiel letztes Jahr eine Polizeibeamtin und FPÖ-Bezirksfunktionärin sowie ein Mitglied der Polizeigewerkschaft Aktionsgemeinschaft Unabhängiger und Freiheitlicher (AUF) in Innsbruck im Visier von Ermittlungen wegen Verstößen gegen das Suchtmittelgesetz. Widersprüchlichkeiten in rechtsextremen Drogenpolitiken werden auch in Bezug auf die Haltungen rechtsextremer Parteien zu Tabak und Alkohol evident. Abgesehen davon, dass die „Volksdroge“ Alkohol in den meisten rechtsextremen Kreisen ohnehin nicht als Suchtmittel anerkannt wird, inszeniert sich die FPÖ in Abgrenzung zur Regierung als „Raucher_ innenpartei“. Während in Bezug auf andere Suchtmittel selbstbestimmte Konsummöglichkeiten gänzlich abgelehnt werden, tritt die FPÖ in der von ihr ins Leben gerufenen Petition „Nein zum absoluten Rauchverbot“ für „die Wahlfreiheit der Konsumenten und Gastronomen“ ein.

PANZERSCHOKOLADE. Bereits im Zweiten Weltkrieg dürfte die Haltung der Nationalsozialist_innen gegenüber Drogen alles andere als ablehnend gewesen sein. Adolf Hitler selbst soll mit sogenannten Nachtschattendrogen und Strychnin experimentiert, Josef Goebbels Morphium und Hermann Göring Kokain konsumiert haben. In der deutschen Wehrmacht und Luftwaffe wurde vor allem im Blitzkrieg gegen Polen Pervitin, heute bekannt als Crystal Meth, eingesetzt, um einerseits die Konzentrations- und Leistungsfähigkeit der Soldaten zu steigern und andererseits ihre Angstgefühle einzudämmen. Über 200 Millionen „Stuka-Tabletten“, „Hermann-Göring- Pillen“, „Panzerschokolade“ und „Fliegermarzipan“, wie die entsprechenden „Aufputscher“ genannt wurden, sollen zwischen 1939 und 1945 eingesetzt worden sein.

STRAFEN STATT HELFEN. Darüber hinaus lässt sich sagen, dass rechtsextreme Ideologie, anstelle von Prävention und Ursachenbekämpfung oder der Förderung eines selbstbestimmten, verantwortungsvollen Konsumverhaltens, auf Repression, härtere Strafen und Ausbau von Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen setzt. Von vielen rechten und rechtsextremen Parteien sowie ihren Anhänger_innen werden jedoch nicht nur liberale Drogenpolitiken abgelehnt, sondern auch Unterstützungsprogramme für Suchterkrankte. Die Forderung nach „Zwangstherapie für Drogenabhängige“, wie sie von der FPÖ-Nationalratsabgeordneten Dagmar Belakowitsch- Jenewein aufgestellt wurde, ignoriert beispielsweise, dass nicht jeder Konsum mit einer Suchterkrankung gleichzusetzen ist und die Wirksamkeit derartiger Maßnahmen nicht durch Zwang, sondern ausschließlich durch (freiwillige) Bereitschaft der Betroffenen erreicht werden kann.

Auch Waldarbeit oder landwirtschaftliche Tätigkeiten, wie es die FPÖ begleitend zum Entzug vorgeschlagen hat, zielen nicht notwendigerweise auf die Heilung ab. Vielmehr wird deutlich, dass sich hinter der Ablehnung von Suchthilfe auch gängige Muster menschenfeindlicher, sozialdarwinistischer Politiken verbergen, in denen schwächere Mitglieder der Gesellschaft nicht unterstützt, sondern im Gegenteil als Last für die Allgemeinheit erachtet werden. Die AfD fordert in ihrem Parteiprogramm beispielsweise, „nicht therapierbare Alkohol- und Drogenabhängige sowie psychisch kranke Täter […] nicht in psychiatrischen Krankenhäusern, sondern in der Sicherungsverwahrung unterzubringen“. Hinzu kommt außerdem, dass sich rechtsextreme und neonazistische Gewalt auch immer wieder gegen soziale Randgruppen wie Konsument_innen von Drogen und Suchterkrankte richtet.

Judith Goetz ist Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit und studiert Politikwissenschaften im Doktorat an der Uni Wien.

Dreh das Fernsehen ab, Mutter, es zieht!

  • 22.05.2016, 02:31
Die Stichwahl zwischen Alexander van der Bellen und Norbert Hofer polarisiert. Aber ist es wirklich nur eine Wahl zwischen zwei Kandidaten mit unterschiedlichen Positionen?

Die Stichwahl zwischen Alexander van der Bellen und Norbert Hofer polarisiert. Aber ist es wirklich nur eine Wahl zwischen zwei Kandidaten mit unterschiedlichen Positionen?

Sieht man sich die österreichische Berichterstattung über den Wahlkampf im Fernsehen an, muss man auf jeden Fall diesen Eindruck bekommen. Daran änderte auch das bestürzende Wahlergebnis nichts, das den grünen Kandidaten in einem Augenblick vom Favoriten zum Underdog verwandelte.

Meinungsforschung. Nachdem zuletzt bei der Gemeinderatswahl in Wien das Ergebnis der FPÖ im Vorhinein viel zu hoch eingeschätzt wurde, sahen im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl alle Institute den Kandidaten der Grünen in Führung. In beiden Fällen lagen die Meinungsforscher*innen falsch. Die Schwierigkeit, verlässliche Vorhersagen zu treffen, ergibt sich aus der unzuverlässigen Bekenner*innenquote. Nicht nur sind Wähler*innen verschiedener Parteien unterschiedlich gewillt, ihr Wahlvorhaben in Umfragen anzugeben, die Bereitschaft dazu, hängt auch vom gerade vorherrschenden gesellschaftlichen Klima ab. Die spezifischen Dynamiken, die dabei letztlich entscheiden, sind im Vorfeld aber kaum einzuschätzen und selbst im Nachhinein oft schwierig zu verstehen. Tiefergehenden Überlegungen zu Wahlmotiven und dem Wahlverhalten der Stimmberechtigten bewegen sich notgedrungen im Bereich der Spekulation, taugen auch nicht für handfeste Prognosen und spielen deshalb in der modernen Sozialforschung nur eine untergeordnete Rolle.

Skandal: Die FPÖ ist rassistisch. Seltsamerweise werden die Gründe, warum die FPÖ gewählt wird, aber sogar dort, wo sie auf der Hand liegen und offen zugegeben werden, in der Berichterstattung übergangen. Der ORF und sein sich niemals ändernder Expert*innenstab diagnostizieren regelmäßig andere Ursachen für den Erfolg der FPÖ als den Rassismus in der Bevölkerung. Die Menschen wären von der Regierung enttäuscht, weil diese Probleme nicht effektiv lösen würde. Außerdem steige die Arbeitslosigkeit und die Menschen hätten weniger Geld. Besonders beliebt ist die Aussage, niemand würde die Sorgen der Menschen ernstnehmen, welche regelmäßig dazu verwendet wird, Rassismus als Angst zu beschönigen.

Fragt sich nur, wieso die Konsequenz all dieser Gründe sein soll, die FPÖ zu wählen. Soziale Themen sind schließlich Kernkompetenz der SPÖ und wie sehr man sich um die Sorgen der Bevölkerung kümmern wolle, wird keine Partei müde zu betonen. Diese Analysen klingen dann – ungewollt – fast wie eine Wahlempfehlung. Der FPÖ wird implizit zugestanden, wirklich ein glaubwürdiges Konzept zur Lösung von Problemen in petto zu haben. Wer aber das Offensichtliche beim Namen nennt, dass, wer eine rassistische Partei wählt, Rassist*in ist, sieht sich schnell mit dem Vorwurf der Überheblichkeit konfrontiert.

Kein normaler Kandidat. Dass jemand mit einem deutschnationalen Hintergrund, der immer wieder offen die Möglichkeit ins Spiel bringt das Parlament zu entlassen, behandelt wird, wie jeder andere auch, ist ein kleiner Skandal. Der große ist, dass es offenbar als polarisierende aber legitime Position verstanden wird, wenn ein Kandidat der in der Nachfolge der NSDAP stehenden FPÖ unterschwellig mit einem Putsch liebäugelt: „Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist.“

Vielleicht ist alles halb so schlimm und Hofer wäre ein Präsident, der seinen Vorgängern an Bedeutungslosigkeit um nichts nachsteht. Doch wenn das Schlimmste wirklich eintreten sollte und Hofer nach einer beim erstbesten Anlass provozierten Neuwahl einen blauen Kanzler angelobt, kann jedenfalls niemand sagen, man habe nichts gewusst oder damit nicht rechnen können.

Bei diesen Aussichten erscheint das infantile Getue, zu dem die Kandidat*innen bei Hanno Setteles Wahlfahrt angehalten wurden, als ein Stück gute alte Zeit, in der der Präsident vor allem ein zur Satire tauglicher Kauz war. Vielleicht leistet aber gerade diese Art der Berichterstattung jener Harmlosigkeit Vorschub, mit der sich Hofer präsentieren will. Fragt sich, ob die FPÖ gewählt wird, weil sie sich als zahm und ungefährlich gibt oder weil sie zugleich andeutet: Wartet's nur ab. Gegen letzteres wäre kein Kraut gewachsen. Falls ersteres zutrifft, wäre die FPÖ zu demaskieren. Allerdings scheint der ORF wenig bemüht, das zu versuchen.

Simon Sailer studierte Philosophie an der Universität Wien sowie Art & Science an der Universität für angewandte Kunst.

Retter_innen der Kernfamilie

  • 10.03.2016, 17:17

Stärker denn je nehmen Rechtsextreme (staatliche) Gleichstellungspolitiken und sexualpädagogische Maßnahmen ins Visier. Besondere Bedeutung kommt dabei den Debatten rund um vermeintliche „Frühsexualisierung“ zu.

Obgleich die Bedeutung des Schlagworts „Frühsexualisierung“ in rechtskonservativen und rechtsextremen Diskursen zumeist nicht näher ausgeführt wird, scheint sich der Terminus in den letzten Jahren zu einem Kampfbegriff entwickelt zu haben. Er wird dabei vor allem zur Abwehr zeitgemäßer pädagogischer Ansätze der Sexualerziehung im frühen Kindesalter zum Einsatz gebracht, die Kindern ein positives Körpergefühl, Abbau von Schamgefühlen und die Entwicklung einer verantwortungsvollen, selbstbestimmten Sexualität ermöglichen sollen. Die Bestrebungen zielen unter anderem auf die Befähigung ab, (sexualisierte) Gewalt zu erkennen und sich gegen diese zur Wehr zu setzen.

In kindergerechter Weise werden Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit nur als eine von vielen gleichberechtigten Möglichkeiten geschlechtlicher und sexueller Lebens- und Begehrensformen präsentiert, von „natürlichen“ Vorstellungen von Sexualität wird Abstand genommen. Grund genug für konservative und rechte Kräfte, Sturm zu laufen. Anlass für Diskussionen lieferten in Deutschland ein Methodenbuch zur „Sexualpädagogik der Vielfalt“ sowie Bestrebungen, „Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identitäten“ in Sexualkunde-Unterrichtspläne zu integrieren.

In Österreich wiederum stand vor allem die 2012 vom Verein Selbstlaut herausgegebene sexualpädagogische Broschüre „Ganz schön intim“, die Lehrer_innen Anregungen für die Thematisierung von Liebe und Sexualität im Unterricht liefert und unter anderem Selbstbefriedigung, Patchwork-Familien, gleichgeschlechtliche Beziehungen und Intersexualität selbstverständlich behandelt, im Fokus eines vermeintlichen Skandals. Sowohl von ÖVP, FPÖ, BZÖ als auch (rechts-)katholischen Organisationen wurde die in den Medien als „Sex- Fibel“ (Kurier) oder „Sex-Unterlagen“ (Krone) betitelte Broschüre als „verstörend“ kritisiert, da sie homosexuelle Paare heterosexuellen gleichstellt. Dadurch würde, so die homophobe Argumentation, die „Kernfamilie bedroht“ und „Kindern ein irritierendes Bild von Familie und Sexualität“ (Barbara Rosenkranz) vermittelt.

ALTBEKANNTE MUSTER. In der Diskreditierung derartiger pädagogischer Ansätze bedienen sich Rechtsextreme bekannter Methoden, die von selektiven Darstellungen über die Umdeutung von Diskursen bis hin zur Verbreitung von Unwahrheiten reichen. So ist in einschlägigen Veröffentlichungen und Wortbeiträgen von „ideologischer Stimmungsmache“, „staatlicher Umerziehung“, „Indoktrination“, „Manipulation“ oder der „Trans- und Homosexualisierung“ der Kinder und Schulen zu lesen und zu hören.

Nicht selten inszenieren sich die selbsternannten Retter_innen der „Kernfamilien“ dabei als die eigentlichen Diskriminierten, da „Berufsschwule“ und „Genderbeauftragte“, so die beinahe wahnhaften Vorstellungen, bis in die Klassenzimmer die Erziehung ihrer Kinder bestimmen könnten, während die Rechte der Eltern ausgehebelt würden. Der Diskurs fixiere sich zudem zu stark auf „Diskriminierungen, die in der sexuellen Identität begründet sind“, wohingegen andere Benachteiligungen außer Acht gelassen würden. So wird „Frühsexualisierung“ von der Auflösung der Familie bis hin zum Niedergang des Bildungssystems und des (deutschen) Volkes für so ziemlich alles verantwortlich gemacht. Wenig verwunderlich auch, dass in antifeministischer Manier Vaterlosigkeit als schwerwiegenderes Problem in Stellung gebracht und in weiterer Folge bejammert wird, dass (frauenfeindliche) Väterrechtsorganisationen nicht in gleicher Weise an Schulen dürften wie Sexualpädagog_innen. Umschreibungen wie „unnatürlich“, „pervers“ oder gar „pädophil“ zielen zudem nicht nur darauf ab, Homosexualität damit in Verbindung zu bringen, sondern alles von Heterosexualität Abweichende zu stigmatisieren.

BESORGTE ELTERN. Inszenierte Angst- und Bedrohungsszenarien ermöglichen es der extremen Rechten, ihre Positionen als notwendige, legitime Kritik in öffentlichen und medialen Debatten zu präsentieren. Durch die ohnehin tiefe Verankerung derartiger Denkmuster in der Mitte der Gesellschaft, gelingt es ihnen zudem, ihre antifeministische und homophobe Agenda als mainstreamfähig darzustellen.

Die Hartnäckigkeit, mit der Rechtsextreme hierzulande versuchen, sexualpädagogische Debatten zu beeinflussen, zeigte sich zuletzt auch an Hand einer auf progress-online.at erschienenen Rezension zweier Kinderbücher, „die darauf verzichten, die Mär von Zweigeschlechtlichkeit und Vater- Mutter-Kind-Familien zu zementieren“. Grund genug für manche sowohl auf Facebook wie auch der rechtsextremen, von Martin Graf gegründeten, Internetplattform unzensuriert.at heiß zu laufen und mit biologistischen Argumenten die heterosexuelle Kleinfamilie als einzige zur Reproduktion fähige, „natürliche“ Instanz zu verteidigen.

Der Grund für das unglaubliche Mobilisierungspotential derartiger Diskurse kann vor allem darin gefunden werden, dass durch Sexualerziehung im frühen Kindesalter tatsächlich die Möglichkeit besteht, sexistischen, homo- und transfeindlichen Denkmustern präventiv vorzubeugen. In Aufruhr scheinen Rechtsextreme und ihre Verbündeten jedoch vor allem deswegen zu sein, weil durch derartige Bestrebungen nicht nur dichotome Geschlechtervorstellungen ins Wanken geraten, sondern auch die traditionelle heteronormative, bürgerliche Kleinfamilie. Die Familie wird als „Keimzelle, Rückgrat und Leistungsträger“ der Gesellschaft dagegen in Stellung gebracht, um vermeintlich natürliche Geschlechterordnungen und die damit verbundenen Privilegien aufrechtzuerhalten und abzusichern. Das vermeintliche Wohl der Kinder wird für die eigenen Interessen instrumentalisiert.

Judith Goetz ist Literatur- und Politikwissenschafterin und Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (www.fipu.at).

Unseren Bass den könnt ihr haben

  • 13.01.2016, 21:51

Seit fünf Jahren gibt es nicht nur Demos und Blockaden gegen den Akademikerball der FPÖ (ehemals WKR-Ball), sondern auch einen Gegenball. Wir haben mit dem „Ballkommitee” des WTF?!-Ball über politische Partys, Barrierefreiheit und Mitternachtseinlagen gesprochen.

Seit fünf Jahren gibt es nicht nur Demos und Blockaden gegen den Akademikerball der FPÖ (ehemals WKR-Ball), sondern auch einen Gegenball. Wir haben mit dem „Ballkommitee” des WTF?!-Ball über politische Partys, Barrierefreiheit und Mitternachtseinlagen gesprochen.

progress: Am 15.1. findet der WTF-Ball zum 5. Mal statt. Wie kam es vor fünf Jahren zum ersten WTF-Ball?

WTF-Ballkomitee: Vor 5 Jahren gab es von einigen Personen aus dem Umfeld des backlab-Kollektivs und einigen weiteren die Idee, die Proteste gegen den damaligen WKR-Ball um eine Facette zu erweitern und eine Art Gegenball zu machen, der Protest, Demoaufruf und gleichzeitig Party sein sollte. Natürlich wollten wir uns aber nicht in die Reihe der „normalen” Bälle einordnen, sondern das Konzept eines Balles auch gewissermaßen persiflieren. Außerdem war es uns wichtig, mit dem Ball Zeichen gegen jene Dinge zu setzen, die den WKR-Ball und jetzt den Akademikerball auszeichnen, also entschieden gegen Antisemitismus, Rassismus, Sexismus und Homophobie aufzutreten.
 

Wie ist das Team hinter dem Ball organisiert? Ist es „nur" eine weitere Party vom backlab-Kollektivs oder ist das Organisationsteam größer?
Das „Ballkommitee” hat sich über die Jahre hinweg etwas verändert. Im Kern gibt es immer noch Menschen, die auch bei backlab engagiert sind. Das war aber nicht vorrangig für das Entstehen des Orga-Teams: Es handelte sich vorrangig um das Umfeld der früheren discolab-Party, die sich immer als Event mit politischem Anspruch verstanden hat. Über die Jahre kamen interessierte Freund_innen und Genoss_innen dazu. Das Künstler_innenkollektiv backlab, welches ja ursprünglich auch aus Oberösterreich stammt, veranstaltet heuer zudem erstmals  den WurstvomHund-Ball, der als Gegenball zum Linzer Burschenbundball konzipiert ist und am 6. Februar in Linz stattfindet.


Wie wählt ihr die Künstler_innen aus, die am WTF-Ball auftreten? Was ist euch dabei wichtig?
Wir versuchen einerseits immer einen Mainact zu haben, der_die in das politische Konzept des WTF?!-Balls passt und auch einen gewissen Bekanntheitsgrad mit sich bringt. Wichtig ist auch, dass sich die Kosten der Acts in Grenzen halten und durch solidarische Auftritte der Spendenbetrag größer wird. Wir bemühen uns auch so gut es geht, nicht nur Männer als Mainacts zu haben. Das ist uns in den meisten Jahren geglückt. Auch heuer gibt es in der Fluc Wanne keinen Slot ohne mindestens eine Frau.


Viele Partys sind nicht für alle zugänglich, weil an Barrierefreiheit oder an Awarenessteams nicht gedacht wird. Wie geht ihr mit diesen Themen um?
In den ersten beiden Jahre des WTF?!-Balls mussten wir organisatorisch noch einiges lernen und schafften es noch nicht ausreichend Engagement in Barrierefreiheit und Awareness zu setzen. Seit wir im Fluc sind und auch schon etwas Routine bekommen haben, haben wir uns verstärkt auf diese Themen konzentriert. Das Fluc selbst ist überwiegend barrierefrei. Bezüglich der Awareness haben wir uns dafür entschieden, das Thema auf dem gesamten Ball präsent zu haben. Schon beim Eintritt bekommen alle Besucher_innen einen Flyer und eine kleine „Ballspende”, die sie auf die Thematik aufmerksam machen sollen. Außerdem haben wir über die gesamte Zeit der Veranstaltung an der unteren Kassa eine zusätzliche Person aus dem Orga-Team als Ansprechperson, auf die auch auf dem Flyer verwiesen wird. Die Ansprechperson hat die Aufgabe, im Fall von Übergriffen oder Grenzüberschreitungen gemeinsam mit den Securities vom Fluc einen Rauswurf zu veranlassen, wenn die belästigte Person dies wünscht. Darüber hinaus gibt es an vielen Orten im Fluc Plakate, die noch einmal auf die “no means no”-Policy und die Vorgehensweise hinweisen. Wir freuen uns außerdem sehr, dass das Fluc seit einem Jahr auch abseits des WTF-Balls bemüht ist, eine „no means no”-Policy umzusetzen.


 

Wie sorgt ihr dafür, dass sich am WTF-Ball alle sicher fühlen können?
Die genannten Maßnahmen sind der Beitrag den wir leisten können, um den Ball für alle Besucher_innen so angenehm und sicher wie möglich zu gestalten. Wir sind uns aber bewusst, dass wir es mit unserem Konzept nicht schaffen werden, den Ball als Gesamtes zum einem „Safe-Space” zu machen. Es ist uns wichtig von vornherein eine eindeutige Botschaft auszusenden, dass Übergriffe, Belästigung und Gewalt auf unserem Ball nichts verloren haben. Wir hoffen und vertrauen darauf, dass diese Botschaft auch bei den Besucher_innen ankommt und dass es, falls es doch zu Problemen kommen sollte, diese schnell an uns herangetragen werden, damit wir reagieren können.

 

Der Reinerlös des Balls geht heuer an die Deserteurs- und Flüchtlingsberatung Wien und die QueerBase. Warum?
Diese beiden Organisationen unterstützen jene Menschen, die unter der Hetze der Besucher_innen des Akademikerballs am meisten zu leiden haben. Wir kennen und schätzen die Arbeit beider Organisationen und es ist uns ein Anliegen, sie mit dem Reinerlös des Balls zu unterstützen. Wir spenden generell vorwiegend an Organisationen, die kritsche und/oder emanzipatorische Unterstützung für Geflüchtete und Flüchtende anbieten. Die meisten davon sind auf private Spenden angewiesen.

 

Von der Party zur Politik: Seit letztem Jahr gibt es neben dem Akademikerball der FPÖ auch den „Wiener Ball der Wissenschaften". Letzterer ist eine Reaktion auf den Akademikerball. Seht ihr darin einen weiteren Gegenball?
Der “Wiener Ball der Wissenschaften” ist eher nicht als Gegenball einzuschätzen. Viel mehr ist er eine Reaktion, in der es darum geht sich den Ball als bürgerliches Konzept nicht wegnehmen zu lassen und auch das Wort „Akademiker” im Kontext eines Balles nicht der FPÖ zu überlassen. Gleichzeitig ist es vorstellbar, dass es Besucher_innen gibt, die sich auf beiden Bällen wohl fühlen. Immerhin reproduziert der Wissenschaftsball auch klassische Geschlechterrollen und ein gewisses Elitendenken. Für den WTF?!-Ball können wir ausschließen, dass sich FPÖler_innen und Burschenschafter wohlfühlen.Dafür sollen sich bei uns alle wohl fühlen, die sich nicht in irgendwelche Rollen oder Konzepte zwängen lassen.

 

Der Akademikerball wird, so heißt es zumindest, in der rechten Szene weniger wichtig. Das Bündnis NOWKR hat sich – unter anderem deswegen – 2015 aufgelöst. Könnt ihr euch vorstellen, dass sich der Fokus des WTF-Balls verschiebt?
Sollten sich die Proteste gegen den Akademikerball gänzlich auflösen, würde der WTF?!-Ball in seiner derzeitigen Form nicht mehr funktionieren. Der WTF?!-Ball soll eben nicht nur eine Party sein, sondern auch Protest und Mobilisierung zu Protesten, weswegen wir auch immer den Organisationen, die zu Demonstrationen und Blockaden gegen den Akademikerball aufrufen, anbieten, mit einem Infostand am Ball vertreten zu sein. Unserer Einschätzung nach ist es nach wie vor notwendig, gegen diesen Ball zu protestieren und so lange es größere organisierte Proteste gibt, macht auch der WTF?-Ball Sinn.

 

Wie viel kann eine Party wie der WTF-Ball in der Szene, der Gesellschaft verändern und bewirken? Was sind eure Erfahrungen aus den letzten fünf Jahren?
Indem wir immer wieder Mainacts und sonstige Künstler_innen haben, die auch abseits des politischen Kontextes Menschen anziehen, denken wir, dass wir es sehr gut schaffen, mit dem WTF?!-Ball auch Menschen zu mobilisieren, die ansonsten keinen direkten Zugang zu den Protesten gegen den Akademikerball haben. Natürlich ist es für uns schwer nachvollziehbar, wie viele Menschen wir tatsächlich mobilisieren, aber eine gewisse Medienöffentlichkeit und die Verbreitung über Social Media tragen gewiss einen Teil zur Wirksamkeit bei. Auch die Wahl unserer Locations und Acts soll vor allem Menschen abseits der Politszene und junge Leute ansprechen, sich als Teil einer Gegenöffentlichkeit zu verstehen und ein niederschwelliger Einstieg ist nun einmal das gemeinsame Feiern.

 

Für alle, die noch nie auf einem Ball waren: WTF ist eine Mitternachtseinlage und warum lässt ihr da eine Partei auftreten?
Unsere Mitternachtseinlage ist Teil der Persiflage von herkömmlichen Bällen und immer irgendeine künstlerische Darbietung, die auf normalen Bällen wohl für Kopfschütteln sorgen würde. Am WTF?!-Ball funktioniert sie jedoch gut und passt auch in unser Konzept. Wir verbinden die Mitternachtseinlage immer mit einem expliziten Aufruf, sich an den Protesten zu beteiligen. Der Cut zwischen den Acts gibt uns die Möglichkeit dazu. Obwohl wir uns als WTF?!-Ball als politische Veranstaltung verstehen, haben wir uns von Parteipolitik bisher distanziert. Dass sich das heuer ändert, liegt wohl an der performativen Kompetenz der Perversen Partei Österreichs (PPÖ).

Links:
Webseite
Facebookevent
Gewinnspiel der ÖH-Bundesvertretung für Eintrittskarten zum Ball.
 

Das Interview führte Joël Adami.

„Ich habe ein Leben geführt, das ich nicht bereue“

  • 01.06.2015, 13:18

Maria Cäsar, 1920 im slowenischen Prevalje geboren, kam in der Nachkriegszeit nach Judenburg. Als die Repression zunahm, wurde die Antifaschistin im politischen Untergrund aktiv. In ihrem Haus in St. Peter bei Graz sprach sie mit progress über Widerstand, Haft und die FPÖ.

Maria Cäsar, 1920 im slowenischen Prevalje geboren, kam in der Nachkriegszeit nach Judenburg. Als die Repression zunahm, wurde die Antifaschistin im politischen Untergrund aktiv. In ihrem Haus in St. Peter bei Graz sprach sie mit progress über Widerstand, Haft und die FPÖ.

„Es hat einige Menschen gegeben, die Widerstand geleistet haben und dazu habe auch ich gehört“, erzählt die Zeitzeugin Maria Cäsar auf ihrem Balkon mitten im grünen St. Peter bei Graz. Am Weg durch ihr kleines Haus schaltet sie an diesem sonnigen Tag alle Lichter ein. „Erst in den 70er Jahren wurde aufgearbeitet, dass Österreicher_innen nicht Opfer des Nationalsozialismus, sondern auch Täter_innen waren.” Die 94-Jährige wirkt konzentriert, wenn sie über Politik diskutiert. Die Antifaschistin hat die Befreiung vom NS-Regime – den „Feiertag über den Faschismus“ wie sie ihn bezeichnet – miterlebt: „Wir waren froh, dass diese schreckliche Zeit endlich vorbei war, aber wie es weitergehen soll, wussten wir nicht.” Der Wiederaufbau sei nicht einfach gewesen. Hitler habe den ÖsterreicherInnen einen „blühenden Alpengarten“ versprochen. Geblieben sei „ein Trümmerfeld“, so Cäsar.

POLITISCHER UNTERGRUND. Maria Cäsar wurde am 13. September 1920 im slowenischen Prevalje in eine sozialistische Arbeiter_innenfamilie geboren. Nach dem Ersten Weltkrieg zog die Familie in das steirische Murtal nach Judenburg. Dort schloss sich der Vater dem republikanischen Schutzbund und Maria den Roten Falken an, weil sie „über die damalige Situation Bescheid gewusst haben“, erklärt die Kommunistin mit einer gewissen Selbstverständlichkeit. „Ich war ein aufgewecktes Kind. Mein Vater hat manchmal gesagt, dass an mir ein Bub verloren gegangen sei“, lächelt Maria Cäsar. Die Zwischenkriegszeit war von hoher Arbeitslosigkeit, Armut und Perspektivenlosigkeit geprägt. Die Menschen waren empfänglich für Propaganda. Repression spürte Maria Cäsar das erste Mal im Jahr 1933, als Parteien und Verbände verboten wurden. „Ich war damals jung, aufgeschlossen und kritisch. Ich hatte Fragen, die nicht beantwortet wurden.“ So erläutert die Widerstandskämpferin ihre Motivation für einen aussichtslos wirkenden Kampf. Die damals 14-Jährige wurde im Februar 1934 durch den Kommunistischen Jugendverband im politischen Untergrund aktiv und verteilte Flugblätter.

Gemeinsam mit 41 weiteren jungen AktivistInnen wurde Maria Cäsar von der Gestapo 1939 – ein Jahr nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland –  verhaftet. „Damals warst du entweder für oder gegen Hitler. Wenn du gegen Hitler warst, warst du ein Feind“, so die Antifaschistin. „Vorbereitung zum Hochverrat“ lautete die Anschuldigung. Die junge Frau verbrachte über ein Jahr im Landesgericht Graz in Untersuchungshaft. „Das Wichtigste, wenn du verhört wirst? Nicht zu reden“, weiß Maria Cäsar. Die Gestapo bot an, dass sie gegen die Preisgabe von Namen nach Hause gehen könne. Die junge Frau aber schwieg und kam dafür in den Kerker: „Dort habe ich am eigenen Leib gespürt, was der Nationalsozialismus wirklich bedeutet.“

FLUCHT NACH SLOWENIEN. Während ihrer Zeit als politisch Gefangene lernte Maria Cäsar ihren ersten Mann kennen. Die beiden heirateten nach ihrer Freilassung und Maria Cäsar gebar einen Sohn. 1943 fiel ihr Ehemann an der Front. Cäsar stellte in Folge Kontakt zu jugoslawischen Partisanen und Widerstandsgruppen in Judenburg her. Ein Jahr später wurden Mitglieder der Widerstandsgruppe verhaftet. Die junge Mutter fürchtete, dass die Gestapo auch nach ihr sucht und tauchte ohne ihr Kind bei slowenischen Verwandten unter: „Das war kein leichter Entschluss für mich, denn mein Sohn war gerade erst drei Jahre alt.“ Betroffen fügt sie hinzu: „Es war die einzige Entscheidung, um zu überleben.“ Ihre Mutter bekräftigte Maria darin, unterzutauchen. „Nachdem Hitler einmarschiert ist, ist ein Zug nach Dachau gefahren“, erzählt Cäsar leise. Dem Konzentrationslager sei sie damals nur entkommen, weil die Lager in Österreich noch nicht weit genug ausgebaut waren. Neben Mauthausen entstanden später zahlreiche Außenlager. „Die Tatsache, dass es solche Lager gibt, hat meinen Geist und meine Widerstandsfähigkeit so gestärkt, dass ich nie für den Nationalsozialismus gewesen bin. Jeder Mensch hat ein Recht auf Leben.“

Die Gefahr des Faschismus sei nach wie vor gegeben. „Viele Junge sagen, es gehört ein starker Mann her. Doch was wir wirklich brauchen, ist eine starke Demokratie“, mahnt Maria Cäsar. Dass die FPÖ wächst, sei kein Zufall, sondern liege an der prekären wirtschaftlichen Situation und dem Scheitern der Migrationspolitik. Das Sprichwort „wehret den Anfängen“ ist laut der Antifaschistin aktueller denn je.

EIN LEBEN LANG GEGEN FASCHISMUS. Nachdem Maria Cäsar 1950 als alleinerziehende Mutter nach Graz gezogen war, wurde sie bei der Kommunistischen Partei aktiv. Dort lernte sie ihren zweiten Mann kennen. Sie arbeitete bei der Roten Hilfe mit, war im KZ-Verband und in der Frauenbewegung aktiv. „Das zeichnet mein Leben aus“, so Cäsar. Die Zeitzeugin hat jungen Menschen jahrelang im Rahmen von Vorträgen ihre Geschichte erzählt, denn „die Zukunft muss man selbst gestalten und die Jugend ist die Voraussetzung für eine bessere Welt.“ Cäsar selbst hat sich verpflichtet, ihr Leben lang gegen den Faschismus aufzutreten: „Die Menschen, die damals ihr Leben gelassen haben, sind nicht umsonst gefallen“, zeigt sich die Antifaschistin überzeugt. Ein Freund, den Cäsar im Landesgericht Graz kennengelernt hatte, wurde hingerichtet. Hätte dieser ihren Namen preisgegeben, wäre Maria Cäsar 1944 im Konzentrationslager gelandet: „Mein Leben habe ich diesem Menschen zu verdanken und das halte ich hoch.“ Für ihr Engagement und ihren Einsatz wurde die Kommunistin mehrfach geehrt, das letzte Mal 2014 mit dem großen Ehrenzeichen des Landes Steiermark.

ZERFALL UND ZUKUNFT. Die politischen Entwicklungen des 20. jahrhunderts sieht Maria Cäsar pragmatisch. „Es gibt nun mal Enttäuschungen, aber das Rad der Gesellschaft dreht sich weiter, es bleibt nicht stehen.“ Die 94-Jährige glaubt nach wie vor fest daran, dass eine linke Bewegung für eine bessere Welt notwendig sei, denn im Kapitalismus könne es keine Gerechtigkeit geben, nur das Streben nach Profit. „Es gibt Arme und Reiche in der Gesellschaft“, so Cäsar. Umverteilung sei die Voraussetzung für ein Leben in der Zukunft. „Ich stehe zu dem, zu dem ich immer gestanden bin: zu einer gerechten und friedlichen Welt. Ich habe ein Leben geführt, das ich nicht bereue.“

 

Sara Noémie Plassnig studiert Journalismus und Public Relations an der FH JOANNEUM in Graz.

Mozart, Schnitzel, Haider

  • 11.05.2015, 08:00

Nach seinem Tod wurde Jörg Haider zum Mythos, an dem sich Österreich noch heute abarbeitet. Für ihren Film „Fang den Haider“ begab sich die belgische Filmemacherin Nathalie Borgers auf Spurensuche.

Nach seinem Tod wurde Jörg Haider zum Mythos, an dem sich Österreich noch heute abarbeitet. Für ihren Film „Fang den Haider“ begab sich die belgische Filmemacherin Nathalie Borgers auf Spurensuche. 

progress: Sie sind gebürtige Belgierin und kamen um 2000 nach Österreich. Zu diesem Zeitpunkt konnten Sie den Wahlerfolg der FPÖ unter Jörg Haider und die anschließende ÖVP-FPÖ-Koalition miterleben. Welchen Eindruck hatten Sie von Österreich?
Nathalie Borgers: Bevor ich nach Österreich gekommen war, hatte ich fünf Jahre in Amerika gelebt. Der Wechsel vom liberalen San Francisco zum konservativen Wien war für mich wie ein Schlag auf den Kopf. Ich habe mich damals erkundigt und erfahren, dass Österreich seine politische Vergangenheit nie aufgearbeitet hat. Und dann kommt so ein charismatischer Politiker wie Jörg Haider daher. Da hat man schon ein bisschen Angst.

Wie kommt es, dass einem verstorbenen Landeshauptmann eines kleinen Bundeslandes weit über die Landesgrenzen hinaus eine derartige Popularität zuteil wird?
Jörg Haider war seit der Mozartkugel die einzige Neuigkeit aus Österreich. Österreich ist ein Land, das sich über seine Vergangenheit verkauft. Und natürlich ist er wegen seiner unfassbaren Aussagen über das Dritte Reich international bekannt geworden.

13 Jahre nach Ihrem Österreichaufenthalt kehrten Sie zurück, um eine Doku aus einer Außenperspektive zu machen. Sie erwähnen, dass Sie Haider nie persönlich begegnen wollten. Warum?
Ein Porträt von Jörg Haider wäre schon im Jahr 2000 möglich gewesen, weil er gerade an die Macht gekommen war. Ich weiß nicht, ob ich mich damals wirklich distanzieren hätte können. Jörg Haider war eine energiegeladene, verführerische Persönlichkeit, der ich mich nicht annähern hätte wollen.

Mit wenigen Ausnahmen sind es vor allem Familienmitglieder, WegbegleiterInnen und VerehrerInnen, die im Film zu Wort kommen. War es schwer, auch kritische Stimmen zu finden?
Das war eine bewusste Entscheidung. Kritische Menschen, mit denen ich reden hätte können, hätte ich genug gefunden. Es gab aber natürlich auch Menschen, die das nicht wollten. Das waren aber keine KritikerInnen, sondern Opfer. Also Menschen, die von Jörg Haider in Zeitungen verleumdet worden waren und deren Ruf ruiniert wurde. Diese Menschen haben sich geweigert, mit mir zu sprechen. 

Jörg Haiders Eltern waren überzeugte Nazis – der Vater Mitglied in der NSDAP, die Mutter Führerin im Bund Deutscher Mädl. Welchen Einfluss hatte die Gesinnung seiner Eltern auf seine Persönlichkeit und seinen politischen Werdegang?
Seine Eltern fühlten sich nach dem Krieg ungerecht behandelt, weil sie das Entnazifizierungsprogramm durchmachen mussten. Und ich glaube, dass sie ihm dieses Gefühl von Ungerechtigkeit mitgegeben haben. Diesbezüglich hat er seine Eltern immer verteidigt und sich für die Bekämpfung der vermeintlichen Ungerechtigkeit eingesetzt.

Politisches erfährt man von den ProtagonistInnen wenig, Persönliches viel. Ich weiß jetzt, dass Haider seinen Apfelstrudel ohne Rosinen bevorzugte. Was konnten Sie über den Politiker Jörg Haider in Erfahrung bringen?
Sein Plan war: weniger Staat, mehr Platz für ihn selbst. Natürlich bräuchte der Staat dringend Reformen, aber Gewerkschaften und Kammern abzuschaffen, wie Haiders FPÖ das wollte, ist nicht der richtige Weg. Denn wer Stück für Stück den Staat abschaffen möchte, schafft auch die Demokratie ab. 

Ihre Recherchearbeit führte Sie auch in die Festzelte der Freiheitlichen. Auf einem Ulrichsberg-Treffen haben Sie sich ein wenig gefürchtet. Warum?
Ich habe sehr schnell bemerkt, dass auf solchen Treffen keine Menschen willkommen sind, die nicht dieselben Gedanken teilen. Das sind Menschen, die an etwas glauben, das ich für gefährlich halte. Dort herrschte eine feindliche Stimmung, die mich in Furcht versetzte.

Stefan Petzner nennen Sie den „Pressesprecher, der mit mir nicht spricht“. Aus welchen Gründen wollte er an einem Film über seinen selbst ernannten „Lebensmenschen“ nicht mitwirken?
Stefan Petzner ist nicht sehr medienscheu, darum war ich sehr überrascht, dass er mit mir nicht sprechen wollte. Ich glaube, er konnte mich und mein Filmprojekt einfach nicht richtig einordnen.

Sie haben auch das mittlerweile geschlossene Asylheim auf der Kärntner Saualm besucht – eine von jeglicher Infrastruktur abgeschottete „Sonderanstalt“ für AsylwerberInnen, die als „zu gefährlich für die Gesellschaft“ eingestuft wurden. Wie war es vor Ort?
Der Ort selbst ist wunderschön. Aber was nutzt einem eine schöne Landschaft, wenn man komplett abgekapselt ist? Die Hausbetreiberin hat mich durch das Heim geführt. Bei vielen ihrer Aussagen hatte ich Gänsehaut. Zum Beispiel meinte sie, dass man problematische Menschen entfernen müsse. Als Betreiberin dieses Hauses hat sie für die Unterbringung der AsylantInnen Geld bekommen und agierte möglichst kostensparend, indem sie nur verdorbenes Essen und kalte Duschen anbot.

In Ihrem Film haben Sie sich darauf konzentriert, das Leben von Jörg Haider nachzuzeichnen. Es heißt, zum Leben gehört auch immer der Tod. Die genauen Umstände seines Todes haben Sie aber nicht thematisiert. War das eine bewusste Entscheidung?
Wenn Sie mit dieser Frage auf die Verschwörungstheorien anspielen, muss ich sagen, dass das für mich nicht so interessant ist. Es betrifft nur einen kleinen Teil der Menschen, die wirklich an diese Verschwörungstheorien glauben. Ich glaube, er war einfach alkoholisiert und deswegen ist er mit seinem Auto ausgerutscht.

Am rechten Rand ausgerutscht, wie Sie in Ihrem Film kommentieren.
Genau.

Obwohl Jörg Haider das Bundesland Kärnten mit der Hypo Alpe Adria und den damit verbundenen Haftungen in zweistelliger Milliardenhöhe in den Ruin getrieben hat, wird er noch heute wie ein Heiliger verehrt. Der Unfallort in Lambichl ist Trauer- und Pilgerstätte.
Sehr vielen Menschen ist das alles einfach nicht bewusst. Die KärntnerInnen haben von ihm in einer Aktion einmal 100 Euro bekommen und nicht bemerkt, wie diese 100 Euro graduell wieder in Form von Steuern und Abgaben von ihrem Konto weggegangen sind. Sie müssten sich wirklich fragen, warum sie auf solche Sachen hereinfallen, aber das tun sie nicht.

Mit Jörg Haider stand Europa am Anfang eines Rechtspopulismus, der mittlerweile in vielen eu- ropäischen Ländern salonfähig geworden ist. Warum verfallen Menschen solchen PolitikerInnen?
Immer, wenn in der Gesellschaft große Unzufriedenheit mit dem aktuellen politischen System herrscht, kommt ein neuer Typ, der den Menschen erzählt, dass er alles retten wird. Und daran wollen die Menschen glauben. Ich denke, das ist ein sich wiederholender Zyklus.

Der Titel Ihres Filmes lautet „Fang den Haider“. Ist es Ihnen gelungen, Jörg Haider einzufangen?
Der Titel spielt darauf an, dass es gar nicht so einfach ist, ein Chamäleon wie Jörg Haider wirklich zu fangen. Ich denke, mir ist es gelungen, etwas vom System, aber nicht den Typ Jörg Haider einzufangen.

„Fang den Haider“
Regie: Nathalie Borgers
90 Minuten
ab 29. Mai im Kino

 

Sandra Schieder studiert Journalismus und Public Relations an der FH JOANNEUM in Graz. 

 

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