Filmrezension

Drugs, Violence and Rock ’n’ Roll

  • 10.05.2017, 19:08
Im Film „Gimme Danger“ ergründet Jim Jarmusch mit Iggy Pop die Geschichte von Pop`s erster Band „The Stooges“. Und kommen zum Schluss: sie waren die Grössten.

August 1970, Goose Lake International Pop Festival: Benebelt von einer Substanz, die er „für Kokain hielt“, räkelt sich Iggy Pop, Frontmann der Rock-Band "The Stooges", auf dem Boden einer Holzbühne, während die restlichen Musiker das Stück „1970“ intonieren. Pop rafft sich auf, gestikuliert wild, tanzt und stolpert schliesslich dem Publikum entgegen. Aufgebracht durch die Bühnenabsenz des Stooges-Bassisten Dave Alexander, der zu betrunken ist, um noch spielen zu können und in diesem Moment das Waterloo seiner Musikerkarriere erlebt, versucht der Sänger das Publikum aufzuwiegeln. Die Performance endet – wie so oft in der Geschichte der Stooges – in Chaos und Tumulten.

Es ist dieser Prototyp der Punkattitüde, dem der Filmemacher Jim Jarmusch zusammen mit dem Stooges-Frontmann in seiner Doku „Gimme Danger“ nachspürt. Iggy Pop erzählt in dem knapp zweistündigen Film über seine Kindheit in den 1950er Jahren, seinen musikalischen Werdegang bis zur Gründung der Stooges 1967, deren Geschichte über drei, für das gesamte Rockgenre wegweisenden Alben, das unrühmliche Ende der Band im Bierflaschenhagel eines wütenden Biker-Gang-Publikums in einer Spelunke Detroits 1974 und letztlich das Comeback 2003.r

Der Film bietet einiges an interessanten Hintergrundinfos und vermag es dabei, die kulturhistorische Verwurzlung des Phänomens Stooges in der 1960er-Jahre Gegenkulturbewegung aufzuzeigen – wenngleich die Band nie etwas mit Flower-Power am Hut hatte (Pop: „Ich habe geholfen, die 60er zu vernichten“). Leider ist die Strukturierung des Films mit schnellen Schnitten etwas chaotisch und so ist es ohne Vorwissen bisweilen schwer zu folgen.

Selbstredend ist der Film auch Werbung in eigener Sache: Es nicht verwunderlich, dass im Verlaufe des Films der viel reklamierte Titel „grösste und wirkungsmächtigste Band aller Zeiten“ beansprucht wird. Gleichsam kommt dank Pops charismatischer Persönlichkeit niemals Langweile auf und speziell für alle Fans des Punk- sowie Garage-Rock Genres ist „Gimme Danger“ absolut zu empfehlen.

Livio Hoch studiert Rechtswissenschaften an der Universität Wien, hat aber fast so viel Interessensgebiete wie das ABGB Paragrafen

 

Coming-of-Age ohne Coming-out

  • 26.04.2017, 15:02

Eine Schule im südlichen Niederösterreich, in der Homophobie so gut wie nicht existent ist und lesbische Sexualität offen gelebt werden kann, ist der primäre Handlungsort des Films Siebzehn von Monja Art. Die Regisseurin und Drehbuchautorin wollte explizit keinen „Coming-out“-Film abliefern. Vielmehr ging es ihr darum, einen Film über Sehnsucht jenseits geschlechtsspezifischen Begehrens zu machen.

Damit ist auch bereits die Fragestellung für diese Rezension vorformuliert: Soll die Kulturindustrie eine bessere Welt zeigen oder versuchen, die traurige Realität so gut es geht einzufangen? Siebzehn entscheidet sich für ersteres, wobei zumindest in der visualisierten Gedankenwelt von Hauptfigur Paula (Elisabeth Wabitsch) die Existenz homophober Bedrohungsszenarien aufblitzt. Ohne diese kurze Sequenz, in der sie befürchtet, von den MitschülerInnen wegen eines gleichgeschlechtlichen Kusses gemobbt zu werden, müsste man dem Film wohl tatsächlich die Verharmlosung der herrschenden Verhältnisse vorwerfen. So aber schleicht sich über die Tagtraumsequenzen die Realität in den Film, während die sonstige Spielhandlung eher einem Traum gleichkommt. Ein Traum, der in den schönsten Bildern gezeichnet wird und an Emotionen andockt, die nicht nur Jugendlichen, sondern allen RezipientInnen nachvollziehbar sein dürften: Sehnsucht, Verliebtheit, Enttäuschung, Zurückweisung und Eifersucht treiben die Handlung voran.

Die Erzählstrategie jenseits des „Comingout“-Films, für die sich Monja Art entschieden hat, ist dabei durchaus legitim und lässt hoffen, dass der Film seine Wirkung beim Zielpublikum nicht verfehlt. Siebzehn würde auch als TV-Serie gut funktionieren und nicht nur über Paula sondern auch über die vielen exzellent gezeichneten Nebenfiguren möchte man eigentlich noch viel mehr erfahren.

Siebzehn (Ö 2017) ist ab 28. April im Kino.

Florian Wagner studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien.

Mehr als eine Autopanne.

  • 06.04.2017, 18:14
Kurzfilme sind immer so eine Sache. Sind sie gut, wünscht man sich es dauerte länger, sind sie schlecht, fragt man sich ehrlich wie lange einem 20 Minuten erscheinen können.

Kurzfilme sind immer so eine Sache. Sind sie gut, wünscht man sich es dauerte länger, sind sie schlecht, fragt man sich ehrlich wie lange einem 20 Minuten erscheinen können.

„Die Überstellung“ von Regisseur Michael Grudsky findet dagegen die genau richtige Länge.

Irgendwo im Nirgendwo in der Wüste Negev steht Abu Sharif vor seiner letzten Überstellung bis seine Haftstrafe in zwei Wochen abgebüßt ist. Der junge Befehlshaber Erez versucht streng die Disziplin durchzusetzen, die seine untergebenen Soldaten vermissen lassen und eher kommod mit den Regeln und den Gefangenen umgehen.

Der Produzentin Nina Poschinski gelang es, Drehgenehmigungen in einem israelischen Gefängnis und in der Wüste Negev zu bekommen, was sich in der bemerkenswertenCinemateographie widerspiegelt. Im Niemandsland der Wüste taucht eine Festung der Überwachung auf, die abgelöst wird von bombastischen Weitwinkelaufnahmen der Wüste auf der Fahrt in Abu Sharifs letzten Gefängnisaufenthalt Megiddo. Als dann plötzlich der Wagen einen Motorschaden hat, geraten die Soldaten in eine Ausnahmesituation. Abu Sharif ist Automechaniker, darf aber laut Erez weder seine Handschellen ablegen noch den Wagen berühren. Es scheint Erez einziger Halt, in einer aus den Fugen geratenen Situation streng nach Vorschrift vorzugehen. Erst als der Fahrer durch sein Asthma in eine lebensbedrohliche Situation zu kommen droht, lässt Erez es zu, Hilfe von dem Mann anzunehmen, von dem er nur Schaden erwartet. Abu Sharif hilft und schafft so einen kurzen Moment der Kameraderie auf der Weiterfahrt. Es wird über Autos und Zigaretten geredet und gelacht. Der normale tägliche Wahnsinn dringt jedoch über das Radio ein, das einen Terroranschlag in Ashkelon meldet, der Heimatort eines der Soldaten, der panisch seine Freundin anruft. Die Rollen sind wieder klar verteilt und alles was bleibt, ist Schweigen.

[[{"fid":"2423","view_mode":"colorbox","fields":{"format":"colorbox","field_file_image_alt_text[und][0][value]":"Foto: Kader Filmproduktion","field_file_image_title_text[und][0][value]":"Foto: Kader Filmproduktion"},"type":"media","attributes":{"alt":"Foto: Kader Filmproduktion","title":"Foto: Kader Filmproduktion","height":"253","width":"380","class":"media-element file-colorbox"}}]]

Es ist die Unmöglichkeit von Freundschaft und Frieden in einer ausweglosen Situation, die den Nahostkonflikt im kleinen Rahmen der Autofahrt spiegelt. Die Schuldfrage bleibt nicht unbeantwortet: Es ist der Terrorismus der Feinde Israels, die eine Normalität verhindert. Die Fronten sind wieder geklärt, hier ein (ehemaliges) Mitglied einer islamistischen Gruppe, dort Soldaten, die ihren Dienst tun und doch nicht ihre Liebsten zu schützen vermögen, wenn Terrorist*innen attackieren.

Bemerkenswert war auch eine Frage des Moderators im Publikumsgespräch. Der Film sei ja durchaus kritisch gegenüber Israel (der Regisseur merkte hier an, dass er dies nicht so sehe), ob dieser dann überhaupt in Israel zum Beispiel im Rahmen eines Festivals zeigen könne. Hier zeigt sich ein Bild von Israel, dass selbst vor der Kulturszene nicht Halt macht: Israel lasse keine Kritik an seiner Politik zu. Der Regisseur musste den Moderator erst darauf hinweisen, dass es in Israel keine Zensur gibt und durchaus noch viel kritischere Filme in Israel gezeigt werden.

Die Überstellung, DE 2017 | Hebr. mit dt. UT |23 Minuten

Anne Marie Faisst schreibt (nicht) ihre Masterarbeit in Internationale Entwicklung sondern stattdessen Filmkritiken von der #Diagonale17 in Graz.

Zwei mal Jugoslawien

  • 04.04.2017, 20:19
„Beyond Boundaries – Brezmejno“ bewegt sich in einer ovalen Schleife um den slowenischen Sprachraum, während „Unten“ linear zwischen Linz und dem vormals serbischen Teil Kroatiens pendelt.

„Beyond Boundaries – Brezmejno“ bewegt sich in einer ovalen Schleife um den slowenischen Sprachraum, während „Unten“ linear zwischen Linz und dem vormals serbischen Teil Kroatiens pendelt.

Beide Filme verhandeln das politische und individuelle Erbe Jugoslawiens, bedienen sich aber gegensätzlicher dokumentarischer Erzählstrategien. „Beyond Boundaries – Brezmejno“ besucht im Modus der Rundreise jeweils unterschiedliche ProtagonistInnen, die zu Geschichte und gegenwärtigem Leben an unterschiedlichen Orten dies- und jenseits der slowenischen Staatsgrenze Auskunft geben: In Südkärnten wird eine BusfahrerIn porträtiert, die vom Kampf gegen patriarchale Zuschreibungen in ihrem Arbeitsalltag erzählt. Anderswo feiern Tito-Nostaligiker ein Fest in einem mit sozialistischen Devotionalien reich geschmückten Raum. Am Ufer der Mur philosophiert ein Landwirt mit Hochschulstudium über die Bedeutung des Grenzfluss als trennenden und verbindenden Faktor. In der durch die Grenze mit Italien seit Ende des Zweiten Weltkriegs zweigeteilten Stadt Goricia-Nova Goricia wird eine Filmemacherin am Schnitttisch besucht und so auf sehr reflektierte Art fremdes Filmmaterial, klar als solches geframet, in den Film einbezogen.

[[{"fid":"2420","view_mode":"colorbox","fields":{"format":"colorbox","field_file_image_alt_text[und][0][value]":"Foto: Eni Peseckas","field_file_image_title_text[und][0][value]":"Foto: Eni Peseckas"},"type":"media","attributes":{"alt":"Foto: Eni Peseckas","title":"Foto: Eni Peseckas","height":"253","width":"380","class":"media-element file-colorbox"}}]]

„Unten“ wiederum stellt den Dokumentarfilmer selbst in den Mittelpunkt. Der Film beginnt in einem verwaisten Schulgebäude. Es wäre das von Filmemacher Djordje Čenić gewesen, wären seine Eltern nicht nach Linz gezogen, wo er als GastarbeiterInnenkind – zunächst in sehr ärmlichen Verhältnissen – aufwuchs. Mit den Jahren folgt ein allmählicher, durch harte Arbeit beider Elternteile ermöglichter, sozialer Aufstieg. Schließlich kann die Familie nach mehreren beengten Substandard-Wohnungen, vermittelt durch einen sozialdemokratischen Gemeinderat, eine Gemeindebauwohnung beziehen. In Österreich im sozialistisch-jugoslawischen Kulturverein politisch sozialisiert, bricht sich in den frühen 1990ern beim Regisseur – wie auch bei vielen anderen jungen Männern seiner Generation – eine politische Persönlichkeitsspaltung die Bahn. Oben (=Linz) nach wie vor links, mutiert er unten (=Kroatien) zum serbischen Nationalisten. Mittels biographischer Selbstreflexion zeigt der Film eindrucksvoll, wie schnell aus NachbarInnen, für die Kategorien wie Religion und vermeintliche nationale Zugehörigkeit weitgehend irrelevant waren, FeindInnen werden konnten. Doch der Film zeigt auch – und das ist seine Stärke –, dass alles nicht so kommen hätte müssen.

 

Beyond Boundaries – Brezmenjno, DE/SI/AT 2016.

Unten, AT 2016.

 

Florian Wagner studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien.

Jenseits des elektrischen Stacheldrahtzauns

  • 01.04.2017, 17:12
Ein Spielfilm von dem österreichischen Regisseur Lukas Valenta Rinner mit Geldern des südkoreanischen Jeonju Digital Cinema Projekt über eine argentinische Putzfrau klingt erstmal spannend.

Ein Spielfilm von dem österreichischen Regisseur Lukas Valenta Rinner mit Geldern des südkoreanischen Jeonju Digital Cinema Projekt über eine argentinische Putzfrau klingt erstmal spannend. Das Leben von Hauptfigur Belens (Iride Mockert) dagegen ist trist. So trist, dass es ihr scheinbar selbst die Sprache verschlagen hat. Durch eine Agentur vermittelt, wird sie Teil der vielen unsichtbaren Arbeiter*innen in einer Gated Community in Argentinen. Sie schrubbt, putzt und wäscht in einer riesigen Villa, wo für sie selbst nur Platz in einem kleinen Kämmerchen hinter der Waschküche bleibt. Vom Sohn des Hauses wie ein Gegenstand, und von dessen Mutter wie ein kleines Kind behandelt, beschwert sie sich nicht und verharrt in ihrer gehorsamen Sprachlosigkeit. Belen bleibt isoliert, nie sind im Film Interaktionen mit den anderen unzähligen Care-Arbeiter*innen der Community zu sehen. So wie deren Arbeit sind auch sie im Film bis auf eine Ausnahme unsichtbar gemacht.

Die Kamera nimmt sich Zeit, die Gated Community als Ort der Sterilität zu zeigen, deren künstliche Aufgeräumtheit sich in englischem Rasen, Golf- und Tennisplätzen manifestiert. Doch jenseits des surrenden elektrischen Stacheldrahtzauns tut sich für Belen schon bald eine spannende neue Welt auf, die es jedoch erst nach und nach zu erkunden gilt.

[[{"fid":"2415","view_mode":"colorbox","fields":{"format":"colorbox","field_file_image_alt_text[und][0][value]":"Die Liebhaberin, AT/KR/AR 2016.","field_file_image_title_text[und][0][value]":"Die Liebhaberin, AT/KR/AR 2016."},"type":"media","attributes":{"alt":"Foto: Filmstil aus \"Die Liebhaberin\" (Nabis Filmgroup)","title":"Foto: Filmstil aus \"Die Liebhaberin\" (Nabis Filmgroup)","height":"253","width":"380","style":"width: 380px; height: 253px;","class":"media-element file-colorbox"}}]]

Die Gewalt des Bürgertums blitzt immer wieder auf, etwa wenn Belens Arbeitgeberin von ihrem Sohn angeschrien und gedemütigt wird, weil er mit dem Erfolgsdruck als Nachwuchstennisspieler nicht zurecht kommt. Die anbiederische Freundlichkeit der Hausherrin Belen gegenüber, lässt das hierarchische Machtverhältnis nur noch deutlicher zutage treten. Als die Hausherrin wegen des Krachs jenseits des Elektrozauns nicht schlafen kann, weckt sie ihre Untergebene mitten in der Nacht und bittet sie mit ihr Tee zu trinken und sich Videos ihres Sohnes anzusehen. Belen bleibt nicht viel anderes übrig und muss spätnachts die Hand ihrer Arbeitgeberin halten, bis diese eingeschlafen ist.

Die Neugier treibt Belen schon bald zur Quelle des Lärms jenseits des Zauns, wo sie lauter nackte Menschen vorfindet, die ihre Wochenenden mit Tantraworkshops und Naturverbundenheit füllen. Die erst komplett Verschreckte wagt sich mit jedem Wochenende weiter vor, bis sie schließlich Eingang in die Community findet. Der Kontrast von Nudist*innen-Camp und Gated Community könnte nicht größer sein. Die Nudist*innen scheinen im Garten Eden zu residieren: mit Gebäuden, die halbverfallen wie Schlösser aus der dichten Vegetation hervorlugen, mit weißen Pferden und von Vogelgezwitscher untermalter Geräuschkulisse. Am Anfang vor jeder körperlichen Berührung zurückschreckend, findet Belen zu sich selbst und auch wieder ihre Sprache. Sie singt, reimt und ist vergnügt, immer wieder unterbrochen von der Rückkehr in das kapitalistische Ausbeutungsverhältnis. Sind es erst noch Momentaufnahmen des Nudist*innen-Camps und lange establishing shots der Gated Community, kehrt es sich irgendwann um und die Bilder der sterilen Bürgerlichkeit unterbrechen nur noch kurz wie unangenehme Insektenstiche das Paradies der selbst gewählten Befreiung.

[[{"fid":"2418","view_mode":"default","fields":{"format":"default","field_file_image_alt_text[und][0][value]":"Foto: Nabis Filmgroup","field_file_image_title_text[und][0][value]":"Foto: Nabis Filmgroup"},"type":"media","attributes":{"alt":"Foto: Filmstil aus \\\"Die Liebhaberin" (Nabis Filmgroup)","title":"Foto: Filmstil aus \\\"Die Liebhaberin" (Nabis Filmgroup)","class":"media-element file-default"}}]]

Doch ist dem Paradies die Vertreibung eingeschrieben und je paradiesischer es wird, desto mehr wächst die Angst vor dem unausweichlichen Unheil. Schließlich entpuppt sich der Elektrozaun als Schlange, die keine Erkenntnis, sondern nur den Tod bringt. Die Gewalt der bürgerlichen Gesellschaft dringt ein, als einer der Nudist*innen zu Tode gegrillt wird. Doch anstatt für den überladenen Zaun bestraft zu werden, schließt die Exekutive in einer real allzuoft erlebten Umkehr das Camp. Der Traum ist aus.

Doch so viel sei gespoilert: Belen lässt sich nicht mehr in die fremdbestimmte Unmündigkeit zurückführen und kehrt die Spirale der Gewalt in einem fulminanten Finale um.


Anne Marie Faisst schreibt (nicht) ihre Masterarbeit in Internationale Entwicklung sondern stattdessen Filmkritiken von der #Diagonale17 in Graz.


 

Metallica verursacht Redaktionskrise

  • 25.10.2016, 14:34
Ein iranischer Exil-Radiosender in San Francisco, dessen Werbewert durch einen Besuch der Rockband Metallica signifikant gesteigert wird, ist Schauplatz des Films „Radio Dreams“.

Ein iranischer Exil-Radiosender in San Francisco, dessen Werbewert durch einen Besuch der Rockband Metallica signifikant gesteigert wird, ist Schauplatz des Films „Radio Dreams“.

Würden die ProtagonistInnen den Namen der Stadt nicht erwähnen und wären die Straßen nicht so charakteristisch steil, könnte auch jede andere amerikanische Großstadt Ort der Handlung sein. Auf klischeebehaftete Establishing Shots wird verzichtet und gesprochen wird fast ausschließlich Farsi.

Im Zentrum der Handlung steht der zumeist als Mister Royani adressierte Chefredakteur des kleinen Senders. Der Film begleitet ihn durch jenen turbulenten Tag, als Metallica sich ankündigten, um auf Radio Pars mit der afghanischen Rockband „Kabul Dreams“ zu jammen. Die prominenten Gäste, die sehr lange auf sich warten lassen, stellen durch ihren großen Namen und die damit verbundene Attraktivität für WerbekundInnen den Sendebetrieb auf den Kopf.

[[{"fid":"2357","view_mode":"colorbox","fields":{"format":"colorbox","field_file_image_alt_text[und][0][value]":"","field_file_image_title_text[und][0][value]":""},"type":"media","attributes":{"height":"253","width":"380","class":"media-element file-colorbox"}}]]

Nebenbei wird Mister Royani in einer Interview-Sequenz nicht nur als Radiochef, sondern auch als reichlich einsamer Exilliterat gezeichnet. Sein Englisch reicht aus, um die Fragen des Interviewers zu verstehen – nicht jedoch, um sie seinen eigenen Ansprüchen gerecht werdend zu beantworten. Der Übersetzer scheint mit der Komplexität der Antworten überfordert zu sein. Als Mister Royani aus purer Verzweiflung dann doch versucht, auf englisch zu antworten, bringt er nur gestammelte Wortfetzen hervor, die mindestens genauso platt klingen wie die verunglückten Übersetzungsversuche. Die Szene ist zugleich hochkomisch und tieftraurig.

Nachdem Mister Royani an jenem schicksalshaften Tag aus kommerziellen Gründen bereits einen Experten für die Körperenthaarung iranischer Frauen interviewen musste, kündigt sich ein weiterer skurril anmutender Gast an. Die amtierende „Miss Iran USA“ scheint die Gunst der Stunde nutzen zu wollen, um im Schatten von Metallica etwas Fame abzugreifen.

Im Live-Gespräch mit Mister Royani stellt sie sich nicht nur als intelligent und wortgewandt heraus, sondern auch als Poetin, die gerne eines ihrer Gedichte vorgetragen hätte. Gefangen in seiner eigenen Frustration verweigert ihr Mister Royani diesen Wunsch und bricht das Interview ab.

„Radio Dreams“ ist ein Film, der sich nicht recht entscheiden mag, ob er Drama, Komödie oder skurrile Posse sein möchte. Er zeichnet seine ProtagonistInnen als Witzfiguren, schafft es aber dennoch Empathie mit ihnen zu wecken. Genau das macht den Film kurzweilig und sehenswert – auch für Menschen, die mit Metallica nicht viel anfangen können.

Florian Wagner studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Uni Wien.

Liebe ist ein Säurebad

  • 02.09.2016, 19:44
Wir haben uns Suicide Squad angesehen, damit ihr es nicht müsst. Ganz so schlimm wie erwartet war es dann eh nicht.

Wir haben uns Suicide Squad angesehen, damit ihr es nicht müsst. Ganz so schlimm wie erwartet war es dann eh nicht.

Liebe Freund*innen des umstrittenen DC-cinematic universe: nach scheinbar endlosen fünf Monaten seit „Batman v Superman – Dawn of Justice“ kommt „Suicide Squad“ in die Kinos und erlöst uns vom langem Warten auf einige unserer Lieblingscharaktere. Wer Bat- und Superman schon nicht mehr sehen kann, erwartet sich von diesem Film nicht nur lässige Hau-drauf-Action, Sex und Humor, sondern auch ein Wiedersehen mit dem Joker bzw. die Einführung von Harley Quinn, seiner On-Off-Hassliebe.

Kurz zur Story: Eine toughe FBI-lerin hat den kecken Plan, Superbösewichte zusammenzutrommeln und aus ihnen einen unzerstörbaren Militärtrupp zu basteln, der dann auf diverse Himmelfahrtskommandos geschickt wird. Im Hintergrund steht der potentielle Terror von gesetzlosen Flattermännern, aber auch nicht ganz unwichtig sind die Machtspielchen des FBI und die Frage: Kann man diese Typen kontrollieren?

[[{"fid":"2337","view_mode":"colorbox","fields":{"format":"colorbox","field_file_image_alt_text[und][0][value]":"","field_file_image_title_text[und][0][value]":""},"type":"media","attributes":{"height":"253","width":"380","class":"media-element file-colorbox"}}]]

Die Bösewichte sind bei Leuten, die nicht so oft Comics lesen, eventuell nicht bekannt. Da gibt es z.B. Deadshot (Auftragskiller mit Herz, aber ohne Sorgerecht), Diablo (siehe Pyro, Human Torch, Match – hier als die Latin Bad Boy Version), Captain Boomerang (Stichwort: Down Under), Killer Croc (Reptil) und eben Harley Quinn (verrückt). Captain Boomerang und Killer Croc werden höchstens für ein oder zwei Gags gebraucht, sonst spielen sie keine weitere Rolle. Dem Truppenführer Flag wird Katana zur Seite gestellt, eine schwertschwingende Asiatin. Damit hat man alle Klischees auf einem Haufen.

Gegenspielerin der Bösewichte ist Enchantress, eine Mischung aus Göttin und Hexe, geschlüpft aus einer ausgegrabenen Tonfigur. Sie möchte gerne eine Maschine bauen, die alle Menschen tötet. Dies erinnert sehr an den letzten Film von Marvel: „X-Men: Apocalypse“. Die Parallele ist in beiden Filmen, dass Mutanten bzw. paranormale Wesen aus längst vergangener Zeit erwachen und sich darüber echauffieren, dass sie nicht mehr angebetet werden. Ob das große Geister wirklich stören würde?

Um es kurz zu machen: Mit mächtig viel Feuerkraft ballert sich die Suicide Squad bis zur Hexe durch und es gibt einen Showdown. Ende.

Was am Schluss von Suicide Squad übrig bleibt ist ein extrem bemühter, aber insgesamt eher qualmender als feuriger Blockbuster. Zu Gute halten kann man dem Film aber, dass hier zumindest ansatzweise auf grundlegende Diversität geachtet wurde. Es gibt mehr als nur eine „Schlumpfine“, die wohl Harley Quinn wäre. Neben ihr sind noch drei andere Frauencharaktere handlungsmächtig. Aber bleiben wir kurz bei Harley Quinn. Ohne sie wäre der Film absolut gar nichts. Sie bringt jeglichen Humor, jegliche Farbe und (natürlich) auch jeglichen sex appeal ins Suicide Squad-Team. Sie sollte einen oder gleich mehrere Spin-Offs bekommen.

[[{"fid":"2338","view_mode":"colorbox","fields":{"format":"colorbox","field_file_image_alt_text[und][0][value]":"","field_file_image_title_text[und][0][value]":""},"type":"media","attributes":{"height":"253","width":"380","class":"media-element file-colorbox"}}]]

Zum blutleeren Rest muss man leider sagen, dass solcherlei millionenschwere Bemühung nicht immer zum Erfolg führt. Man merkt genau, welche Makel der allgemeinen Superman-Schiene von DC versucht wurden auszubügeln. An der Musikliste kann man ungefähr erkennen, in welche Kerbe man schlagen wollte. Bei den Neuverfilmungen der Star Trek Reihe wird z.B. „Sabotage“ von den Beastie Boys eingesetzt, um popkulturelle Relevanz und einen Wiedererkennungswert zu schaffen. Bei Suicide Squad sind es Megahits wie “Seven Nation Army” (White Stripes) oder „Without Me“ (Eminem) – sie werden im 10-Minuten-Takt eingestreut, so dass genau der gewünschte Knalleffekt nicht mehr spürbar ist.

So fühlt es sich von Anfang bis Ende auch an: überladen, lieblos und chaotisch – wie eine Collage aus dem Kunstunterricht einer Projektwoche im Jahre 1995. Aber trotzdem macht der Film soliden Spaß und ist nicht allzu ärgerlich für alle, die die Comicvorlage nicht kennen.

Katja Krüger-Schöller ist Studentin der Gender Studies an der Universität Wien.

Who you gonna call?

  • 03.08.2016, 21:30
Als Regisseur Paul Feig ankündigte, einen Reboot des beliebten 80er Jahre Kultklassikers Ghostbusters mit vier weiblichen Geisterjägerinnen filmen zu wollen, war die Empörung bei allen Männerbabies im Internet groß.

Als Regisseur Paul Feig ankündigte, einen Reboot des beliebten 80er Jahre Kultklassikers Ghostbusters mit vier weiblichen Geisterjägerinnen filmen zu wollen, war die Empörung bei allen Männerbabies im Internet groß: „bitches can’t catch no ghosts“ war einer von vielen aufgebrachten Kommentaren.

Wir wollen aber nicht allzu viel Zeit darauf verwenden, von der 1984er-Version zu reden. Nur so viel: Trotz 32 vergangener Jahre wurde beim CGI nicht zu sehr übertrieben. Geister suchen die Stadt New York heim, doch stattGrusel steht der Spaß im Vordergrund. Dementsprechend ist die Handlung auch zu vernachlässigen: Wie und warum sich die Geister auf einmal formieren, wie der (etwas blasse) Bösewicht zu seiner Macht kommt und was das Ziel der Geisterinvasion ist, bleibt großteils ungeklärt.

Im Zentrum des Geschehens stehen Abby und Erin – beide sind Wissenschaftlerinnen, die das Paranormale untersuchen. Nach anfänglichen beruflichen (!) Differenzen schließen sie sich mit Abbys Kollegin Holtzmann und der U-Bahn-Aufseherin Patty zusammen und bekämpfen, nun ja, Geister eben. Dass der einzigen Woman of Color im Team – Patty – nur der Part der street-smarten Powerfrau zugeteilt wird, ist mehr als ärgerlich, und die Punchline aus dem Trailer (sie setzt zum Stage Diving an und wird nicht vom Publikum aufgefangen) „I don’t know if this is a race thing or a women thing but I’m mad as hell“ macht das Ganze nicht unbedingt besser. Leslie Jones ist am Startwochenende des Films in den USA sofort Opfer von sexistischer und rassistischer Social Media Hetze auf Twitter geworden – einfach weil sie eine schwarze Frau ist, die im Remake des Lieblingsfilms vieler Männer mitspielt. Das ist Gleichberechtigung im Jahre 2016.

[[{"fid":"2330","view_mode":"colorbox","fields":{"format":"colorbox","field_file_image_alt_text[und][0][value]":"","field_file_image_title_text[und][0][value]":""},"type":"media","attributes":{"height":"253","width":"380","class":"media-element file-colorbox"}}]]

Die Selbstironie der Charaktere ist jedoch zentraler Ausgangspunkt des Humors in Ghostbusters: Ihre Arbeit nehmen alle Vier sehr ernst, sich selbst aber nicht unbedingt. Und nicht selten werden Klischees über Frauen dadurch aufs Korn genommen, aber eben nicht so platt oder übertrieben wie sonst in billigen Komödien über die witzige Absurdität der Geschlechterrollen, wo Frauen Bier trinken und Männer Sekt, höhö. Die vier Frauen können über sich selbst lachen, über andere, stehen für sich und ihre Arbeit ein und retten halt am Ende New York. Ein erfrischendes Detail ist, dass die Zuseher*innen nichts über ihr Privatleben erfahren, sondern ihnen lediglich im öffentlichen Raum begegnen: in Erins Büro an der Universität, in Abbys Labor, ihrem gemeinsamen Ghostbustershauptquartier und im Kampf auf offener Straße. Es gibt keine Liebes- oder Familiengeschichte drumherum.

Ein verstörender Aspekt von Nebendarsteller Chris Hemsworth als Rezeptionist Kevin ist der Running Gag, dass er enorm inkompetent ist, aber unheimlich gut aussieht. Als „Eye Candy“ bedient er das Telefon der Ghostbusters und zeigt damit erstens die sexistischen Stereotypen von Sekretärinnenrollen auf, und wird letztlich am Ende sogar zur „Damsel in Distress“ – also zur schwachen Figur, die gerettet werden muss – also die selbe Rolle, die Janine Melnitz (Annie Potts) im Original übernahm. Für einen ordentlich feministischen Film ist das Reproduzieren dieser Rollen nicht ausreichend, aber faszinierenderweise kommt Ghostbusters ohne sämtliche Holzhammermoral bezüglich Gleichberechtigung aus. Es wird überhaupt nur sehr wenig darauf Bezug genommen, dass hier Frauen am Werk sind. Vermutlich auch deswegen wurde jegliche inhaltliche Verbindung mit dem „Original“ von 1984 weggelassen. Alle `84-Ghostbuster (außer dem verstorbenen Harold Ramis) und Sigourney Weaver durften aber durch Cameo-Auftritte auf der Leinwand erscheinen.

Jetzt stellt sich eventuell doch noch die Frage, ob so eine Neuauflage notwendig ist oder nicht. Andererseits stellt sich bei Blockbustern auch sonst nicht die Frage nach der Notwendigkeit, sondern eher nach Qualität und Unterhaltungsfaktor. Und so viel möchte ich verraten: so viel gelacht habe ich im Kino das letzte Mal bei „Guardians of the Galaxy“, also vor zwei ganzen Jahren.

Katja Krüger-Schöller ist Studentin der Gender Studies in Wien.

Die ultimative Sinnsuche

  • 25.03.2016, 16:35
Wir haben uns "Batman v Superman' angesehen und machen uns auf die beschwerliche Sinnsuche.

Der absurde Kampf zweier Comic-Franchises erreicht in den nächsten Jahren seinen Höhepunkt. Marvel und DC fetzen sich von einem Megablockbuster zum nächsten und nehmen schon lange keine Rücksicht auf die Story mehr.

Mit „Batman v Superman – Dawn of Justice“ wollte DC das Universum um Batman und die Justice League neu erzählen und musste dazu erst Superman (2013 mit Man of Steel) rebooten. Und tatsächlich ist die Erinnerung an Christopher Nolans „Dark Knight“-Trilogie beim ersten Anblick von Ben Affleck als Bruce Wayne / Batman vollkommen vergessen. Die Vision von Regisseur Zack Snyder war es, ein düsteres und apokalyptisches Metropolis im Stile von Gotham zu zeigen. Blöderweise hat genau das vor nicht einmal einem Jahrzehnt Nolan schon getan. Snyder ließ dann auch noch jeglichen Humor weg und Dawn of Justice war geboren. Unter welcher Prämisse man Batman gegen Superman kämpfen lässt, ist erstens egal und zweitens selbst mit größter Mühe aus dem Plot nicht ganz zu erfahren. Der Ursprung der Rivalität findet sich beim besorgten Bürger Bruce Wayne, der die Übermacht eines Superman gefährlich findet und deswegen Kryptonitwaffen baut. Dieselbe Idee hat Lex Luthor auch. Am Schluss rettet Wonder Woman den Tag.

Wenn der Film eine Sache gekonnt zeigt, dann die Ignoranz und Hilflosigkeit der Menschen angesichts eines Superman (sprich: Gott, Übermensch). Eine Ignoranz so grenzenlos, dass sie Superman im Endeffekt tötet. Eine Hilflosigkeit, die so egozentriert ist, dass nicht einmal Lex Luthors Bombenterror davon ablenken kann.


Wenn dieser Film eine Funktion haben sollte (und ich bemühe mich hier wirklich, einen kohärenten Faden in einem bombastischen Clusterfuck an Materialschlachtenfilm mit großen Plotholes zu finden), dann ist es die traurige Wahrheit aufzuzeigen, dass die Welt Superman nicht gebrauchen kann. Die Welt (= die USA) möchte Superman vor ein Gericht stellen und ihn anklagen, weil er Person XY aus einem brennenden Haus und nicht Person YZ aus einem anderen brennenden Haus gerettet hat. Das Gericht ist die weltliche Justice. Nebenher knallt Batman mit seinem Maschinengewehr alle nieder, die ihm im Weg stehen. Ihn klagt niemand an. Er ist ein Mensch. Lex Luthor sprengt den Gerichtssaal. Auch hier sehen wir keine Konsequenz, Menschen wie er und Bruce Wayne werden im Gegensatz zu einem Superman übersehen.

Am Ende kommt Wonder Woman zu den zwei bis drei Streithanseln dazu und wird tatsächlich mit den Worten „Is she with you?“ – „No, I thought she was with you.“ eingeführt. Das ist sehr ärgerlich. Insgesamt spricht sie nicht mehr als 100 Worte im ganzen Film und noch dazu in einem nicht näher einordendbarem Akzent, der „Exotik“ schreit. Dennoch begrüße ich ihre Ankunft: Sie zerlegt das Monster am Ende ordentlich, steht Bat- und Superman also in Kraft und Ausdauer in nichts nach und ist die einzige der drei Superheld*innen, die nicht auf der Nudelsuppe daher geschwommen ist, sondern schon seit mindestens den Weltkriegen aktiv die Erde bewohnt und beschützt, wie uns Archivmaterial zeigt.

Nebenher stellt Lois Lane eine inhaltliche Belastung für den Film dar. Sie macht nichts richtig, ist gefühlt alle fünf Minuten die Damsel in Distress und rettet nur einmal den Tag, in dem sie erwähnt, dass sowohl Bruce Waynes als auch Clark Kents Mutter Martha heißt.

Diese Szene ist so unverständlich geschrieben wie auch der Rest der Auseinandersetzung zwischen Superman und Batman (und eventuell diese Rezension). Dem Film gelingt jedoch durch seine verworrene Story und die unnachvollziehbaren Allianzen bzw. Rivalitäten eine moderne Metapher auf die Weltpolitik: staatliche Ohnmacht gegenüber einzelnen Terrorist*innen und großen Konzernen mit rücksichtslosen Manager*innen an der Spitze. Das ist die (unabsichtliche?) Stärke dieses Filmes.

Katja Krüger ist Einzelpersonenunternehmerin und studiert Gender Studies an der Uni Wien.

„Wie das riecht. So riecht Gerechtigkeit“

  • 13.03.2016, 15:56
Die neunjährige Hanna wächst Ende der 60er in der oberösterreichischen Stadt Wels auf. Auch 20 Jahre nach dem Krieg ist die Nazi-Ideologie spürbar. Die jüdische Herkunft Hannas Familie soll daher laut ihrer Mutter verborgen werden. Niemand will die „schlafenden Hunde“ der Vergangenheit wecken. Eine Rezension.

Die neunjährige Hanna wächst Ende der 60er in der oberösterreichischen Stadt Wels auf. Auch 20 Jahre nach dem Krieg ist die Nazi-Ideologie spürbar. Die jüdische Herkunft Hannas Familie soll daher laut ihrer Mutter verborgen werden. Niemand will die „schlafenden Hunde“ der Vergangenheit wecken. Eine Rezension.

„Schau mich nicht an. Schau mich nicht so an. Am liebsten wäre ich unsichtbar.“ Wie ein Mantra spricht Hannas Mutter diese Sätze vor dem Spiegel stehend. Auch wenn die Worte in erster Linie an ihren Mann gerichtet sind, meint sie wohl gleichzeitig auch ihr Spiegelbild, richtet die Worte an sich selbst. Hannas Mutter ist einer der titelgebenden „schlafenden Hunden“. Sie will nicht geweckt werden. Sie will nicht, dass irgendjemand ihre Vergangenheit weckt. Die Vergangenheit. Ihre jüdische Herkunft. Sie sollen unsichtbar bleiben, im Tiefschlaf verharren. So ihre Überlebensstrategie.

Die Verfilmung des 2010 veröffentlichten Romans von Elisabeth Escher lag für Andreas Gruber auf der Hand: Er ist selbst in Wels aufgewachsen, die Autorin eine Schulfreundin. Zudem solle „Hannas Schlafende Hunde“ an den 20 Jahre zuvor veröffentlichen Film „Hasenjagd“ anknüpfen, der die Ereignisse der sogenannten „Mühlviertler Hasenjagd“ von 1945 auf die Leinwand brachte. Er ist Grubers erster und gelungener Versuch den Nationalsozialismus filmisch aufzuarbeiten.

Nazi-Ideologie in Oberösterreich, die Zweite also: 1967 in der Stadt Wels, 22 Jahre nach dem offiziellen Kriegsende. Offiziell, denn: Die nationalsozialistische Ideologie und so auch der Antisemitismus sind nach wie vor in den Köpfen der Menschen verankert. In den Gesichtern der Figuren, in den Blicken und inszenierten Dialogen, mit denen Grubers Charaktere versuchen zu kommunizieren, zeichnen sich tiefsitzende Kriegs-Traumata ab. Nach wie vor. Nicht nur an der älteren, sondern auch an der jüngeren Generation zehrt die Vergangenheit.

[[{"fid":"2233","view_mode":"colorbox","fields":{"format":"colorbox","field_file_image_alt_text[und][0][value]":"","field_file_image_title_text[und][0][value]":"Foto: Kerstin Stelter / enigma film"},"type":"media","attributes":{"title":"Foto: Kerstin Stelter / enigma film","height":"253","width":"380","class":"media-element file-colorbox"}}]]

Im Mittelpunkt des Geschehens steht die neunjährige Hanna (Nike Seitz). Sie singt gern. Egal ob „Kein schöner Land“ auf einem „Totengedenken des Kameradenverbunds“ am 8.Mai oder „Schweigen möchte ich gern“ während des Gottesdienstes. Als katholisch erzogenes Mädchen wächst sie bei ihrer Mutter, ihrem Vater und ihrer Großmutter auf. Letztere ist Hannas wichtigste Bezugsperson: Für die Oma (Hannelore Elsner) dichtet sie gemeinsam mit ihrem Bruder ein Lied. Mit der Oma lässt sie Löwenzahn-Stängel im Wasser einkringeln. Von der Oma erfährt sie, dass sie Jüdin ist: „Natürlich, bist du Jüdin.“ Was das heißt? „Jeder soll sein, was er ist. Punkt.“ Mit der Oma blickt sie aus dem Fenster, während im Hof ein verbrannter Körper abtransportiert wird: „Wie das riecht. So riecht Gerechtigkeit“. Der abtransportierte Körper gehört dem Hauswart. Nicht lang her verwehrte er der Großmutter als Jüdin den Zutritt zum schützenden Keller. Nun ist er es dem der Keller zum Verhängnis wurde

Sehen kann Hannas Großmutter schon lange nicht mehr. Sie ist blind. Die Folge eines Bombenangriffs: „Ich dachte, ich verliere meinen Verstand, … aber ich habe nur mein Augenlicht verloren.“ Der Geruchssinn funktioniert dafür allzu gut.

Dem gegenüber steht Hannas Mutter (Franziska Weisz). „Wir fallen nicht auf!“ ist ein weiteres Mantra, das die Mutter nicht müde wird zu wiederholen, insbesondere gegenüber ihren Kindern. Sie tut alles, „um nicht aufzufliegen“. Nicht auffliegen heißt dabei: Die jüdische Herkunft penibelst vor der Stadtbevölkerung, vor ihren Kindern, aber auch vor sich selber zu verheimlichen, einfach zu vergessen. So gibt es auch keine Kinderbilder mehr von der Mutter, denn „jedes Foto hätte uns verraten“. Hannas Mutter verharrt dabei nicht nur in einer Totenstarre, sondern sieht sich nur allzu gern in der Opferrolle, ein Vorwurf der von Hannas Großmutter kommt, vor allem weil Hannas Mutter die Opferrolle auch von anderen verlangt: „Das ist genau das, was dir am Katholisch-Sein so gut gefällt: Da kannst du schön leiden und die anderen sollen es gefälligst auch.“

[[{"fid":"2234","view_mode":"colorbox","fields":{"format":"colorbox","field_file_image_alt_text[und][0][value]":"","field_file_image_title_text[und][0][value]":"Foto: Kerstin Stelter / enigma film"},"type":"media","attributes":{"title":"Foto: Kerstin Stelter / enigma film","height":"253","width":"380","class":"media-element file-colorbox"}}]]
Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich Hanna. Trotz der Bemühungen ihrer Mutter wird ihr nach und nach klar, dass sie auf irgendeine Weise anders ist: Ihre Klassenlehrerin fragt neugierig und abschätzig nach der Herkunft ihrer Oma. Dass sie aus Wels ist, sei unwahrscheinlich, denn „sie spricht nicht wie eine Hiesige.“ Ein Klassenkamerad beschimpft sie und deutet dabei auf ein Anderssein von Hanna hin. Ein Nachbar belästigt sie im betrunkenen Zustand sexuell und schimpft sie „Judengfrast“. Hanna will wissen, was all das zu bedeuten hat. Sie weckt die schlafenden Hunde, macht die Vergangenheit sichtbar. So emanzipiert sie nicht nur sich selbst, sondern holt auch ihre Mutter aus der Erstarrung und aus ihrer Opferrolle.

Andreas Gruber erzählt von drei Frauen-Generationen, die alle auf ihre Art einen Weg suchen, um mit dem Stigma, mit dem Hass, mit dem Antisemitismus umzugehen: Ob mit dem Versuch der Selbstauslöschung oder dem Versuch, dem Hass stolz entgegen zu blicken – auch ohne Augenlicht oder durch das ständige Nachfragen, durch kindliche Neugier. Hanna, ihre Mutter und ihre Großmutter sind in ihren alltäglichen Kämpfen umgeben von „antisemitischer Normalität“, wie es Gruber selbst beschreibt: „Ich möchte eine nicht immer gleich erkennbare Scheinwelt von Normalität erschaffen, in der selbst die ungeheuerlichsten braunen Rülpser zur Normalität gehören. Man könnte in Anlehnung an Hannah Arendt von der Trivialität und Selbstverständlichkeit des Bösen sprechen. Durch eine besonders lapidare, unbetonte Inszenierung soll eine Monstrosität der Figuren verhindert werden – weil es ihnen eine unverdiente Größe geben würde.“ Auch wenn Gruber seiner abgebildeten Welt keine Monstrosität zuschreiben will und nicht auf Gewaltorgien zurückgreifen muss, um das Grauen der Nazi-Ideologie sichtbar zu machen, zeichnet er eine Welt, geprägt von Ungeheuerlichkeiten, von Hass und Misstrauen, das nur schwer zu überwinden ist. Hannelore Elsner bringt die Schrecken der Zeit im Publikumsgespräch auf den Punkt: „Diese Zeit stößt mich ab: ihre Verlogenheit, ihre Bigotterie, ihre Sprachlosigkeit.“

Valentine Auer arbeitet als freie Journalistin in Wien.

Seiten