ÖH

„Der Gewöhnungseffekt ist ein Hund“

  • 10.03.2014, 21:51

Die Abschaffung des Wissenschaftsministeriums war zwar ein zufälliges Produkt der Koalitionsverhandlungen, fügt sich aber dennoch in einen Wandlungsprozess der österreichischen Hochschullandschaft ein, der bereits vor mehr als zehn Jahren seinen Anfang genommen hat. Eine Chronologie der Bildungsökonomisierung.

Die Abschaffung des Wissenschaftsministeriums war zwar ein zufälliges Produkt der Koalitionsverhandlungen, fügt sich aber dennoch in einen Wandlungsprozess der österreichischen Hochschullandschaft ein, der bereits vor mehr als zehn Jahren seinen Anfang genommen hat. Eine Chronologie der Bildungsökonomisierung.

Die Bestürzung war groß, als am Abend des 12. Dezember 2013 bekannt wurde, dass das Wissenschaftsministerium die Koalitionsverhandlungen nicht überlebt hat und die Agenden des bisherigen Ministers Karlheinz Töchterle (ÖVP) in das Wirtschaftsministerium unter der Führung von Reinhold Mitterlehner (ÖVP) wandern. Als „schäbig, armselig und dumm“ bezeichnete etwa Spitzen-Forscherin Renée Schroeder dieses Ergebnis gegenüber dem Nachrichtenmagazin profil. RektorInnen, Uni-Personal, ForscherInnen, Studierende und selbst große Teile der ÖVP waren entsetzt über die Entscheidung von Parteiobmann Michael Spindelegger, das Wissenschaftsministerium zugunsten eines neu geschaffenen Familienministeriums aufzulösen. Eine Unterordnung der Wissenschaft unter das „Diktat der Wirtschaft“ war und ist eine der zentralen Befürchtungen der KritikerInnen dieser Entscheidung. Vor einem „Aushungern der Grundlagenforschung“ warnen zahlreiche namhafte WissenschaftlerInnen, RektorInnen-Chef Heinrich Schmidinger forderte Bundespräsident Heinz Fischer auf, die Regierung nicht anzugeloben, die Universitäten wurden kurzzeitig schwarz beflaggt und StudierendenvertreterInnen aller Fraktionen riefen zu Protest- und Trauerkundgebungen auf. Sie warnten auf Transparenten und in Aussendungen vor einer weiteren „Ökonomisierung der Bildung“.

Und dennoch: Nach ein paar Tagen der Empörung war die Aufregung auch schon wieder vorbei. Für Sigi Maurer, ehemalige ÖH-Vorsitzende, inzwischen Wissenschaftssprecherin der Grünen, zeigt das, „wie weit wir schon sind. Das Wissenschaftsministerium arbeitet seit vielen Jahren auf eine stärkere Integration in die Wirtschaft hin. Jetzt sind die Wissenschaftsagenden dort angesiedelt – das macht für viele keinen Unterschied mehr. Ein Stück weit ist so etwas wie informierte Resignation eingetreten“, analysiert Maurer.

Mangelnde Wertschätzung. Offensichtlich war die Eingliederung der Wissenschaftsagenden in das Wirtschaftsministerium aber kein von langer Hand geplanter Schritt, sondern ein zufälliges Produkt der Koalitionsverhandlungen. „Dennoch zeigt diese Entscheidung klar, welches Bild die ÖVP von Wissenschaft hat und welche Wertigkeit sie ihr beimisst“, sagt Maurer. Damit ist sie ausnahmsweise einer Meinung mit Karlheinz Töchterle. „Die Einführung eines neuen Familienministeriums soll ein Zeichen sein, dass der ÖVP dieser Bereich besonders wichtig ist. Im Umkehrschluss sind ihr demnach Wissenschaft und Forschung nicht so wichtig. Das ist für mich angesichts der Bedeutung dieses Bereichs nicht plausibel“, so Karlheinz Töchterle gegenüber progress. Der Ex-Minister teilt die Sorgen der KritikerInnen: „Neben der symbolischen Wirkung sind auch faktische zu befürchten. Wissenschaft und Forschung bekommen schlicht weniger Zuwendung.“ Das vielzitierte „Diktat der Wirtschaft“ befürchtet der ehemalige Minister zwar weniger, ganz auszuschließen sei es aber dennoch nicht, so Töchterle.

Pacman frisst die Bildung. Die Jagd nach ECTS-Punkten erinnert Studierende an das Computerspiel Foto: Martin Juen

Nicht erst seit der Übersiedelung der Wissenschaft ins Wirtschaftsministerium ist eine immer stärkere Verstrickung von Wirtschaft und Bildung in Österreich Thema, denn die Universitäten befinden sich seit Langem in einem Wandlungsprozess, der nicht zuletzt unter europapolitischen Vorzeichen begann. Einerseits durch den Bologna-Prozess, der europäische Mobilität und einheitliche Abschlüsse bringen sollte, andererseits durch die Lissabon-Strategie, mit der Europa bis zum Jahr 2010 zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt“ werden sollte, begann spätestens ab dem Jahr 2000 auch in Österreich ein drastischer, struktureller Umbau der Universitäten. Zentral war dabei das Universitätsgesetz 2002 (UG 02, inzwischen wird es nur mehr UG genannt), mit dem die Universitäten in die seither vielbeschworene „Autonomie“ entlassen wurden. Luise Gubitzer, Ökonomin und Professorin an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) und seit den 80er- Jahren im Wissenschaftsbetrieb tätig, konstatiert, dass rund um das Jahr 2000 ein Prozess in Gang gesetzt wurde, der bis heute andauert und vor allem durch eine „Übernahme des Vokabulars, der Denkweise und der Organisationsform“ aus der gewinnorientierten Wirtschaft geprägt sei. Unter dem Dogma des „New Public Managements“ wurden unternehmensähnliche Strukturen geschaffen und marktwirtschaftliche Bewertungskriterien eingeführt: Evaluierung, Kennzahlen, quantifizierbare Leistungs- und Zielvereinbarungen, Wissensbilanzen und Rankings – all das sollte „outputorientierte“ Arbeit ermöglichen. RektorInnen wurden als UniversitätsmanagerInnen mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet.

Dahinter stecke eine „industrielle Vorstellung“ der Institution Universität, so Gubitzer: Sie werde als Betrieb gesehen, der Waren produziert und stets seinen Output zu steigern hat – mehr Publikationen, mehr AbsolventInnen, etc. „Dabei handelt es sich aber nicht um einen fruchtbaren Forschungswettbewerb, sondern im Grunde um einen Statuswettbewerb. Es ist nicht die Konkurrenz darum, wer den besseren Master anbietet, sondern wer besser dafür wirbt“, kritisiert sie.

Entdemokratisierung. Darüber hinaus brachte das UG 02 große Einschnitte in die demokratischen Strukturen der Universitäten: Die Möglichkeiten der Mitbestimmung von Studierenden und des wissenschaftlichen Personals wurden massiv eingeschränkt. Ihre Stimmen im Senat, dem einzig verbliebenen Uni-Gremium, das gewählt wird, wurden zugunsten des Stimmanteils der ProfessorInnen verringert. Das und die hierarchischen Organisationsstrukturen, die auf allen Ebenen sichtbar wurden, führten damals zu Protesten. Nicht nur Studierende gingen auf die Straße, auch viele progressive Lehrende solidarisierten sich mit den Studierenden, erinnert sich Barbara Blaha, die ein paar Jahre später als ÖH-Vorsitzende eine neue Protestwelle anführen sollte. „Aber es ist auch erstaunlich, wie schnell das wieder vorbei war. Zehn Jahre später kann sich keiner mehr vorstellen, dass Unis anders funktionieren können als heute. Das Gedächtnis der Institutionen ist offenbar sehr kurz“, sagt Blaha.

Aber auch die Proteste gegen das Universitätsgesetz waren nicht die ersten, die sich gegen den Einzug von Verwertungslogiken in den Hochschulbereich richteten. Nach den Sparpaketen der 90er-Jahre und der in diesem Kontext beschlossenen Senkung der Familienbeihilfe gingen auch im Jahr 2000 Studierende auf die Straße, um gegen die erstmalige Einführung von Studiengebühren unter der damaligen Bildungsministerin Elisabeth Gehrer (ÖVP) zu protestieren. In den folgenden Jahren sollten die Studiengebühren wieder abgeschafft, eingeführt, doch nicht abgeschafft, autonom eingehoben und wieder rückerstattet werden. Luise Gubitzer sieht Studiengebühren als einen Schritt der Verankerung einer marktwirtschaftlichen Logik im Bildungssystem: Mit ihnen kommt das Element „Preis“ ins Spiel. „Als öffentliches Gut muss Bildung aber allen zugänglich sein und darf keinen Preis haben“, so Gubitzer.  

Liberalisierung und Protest. Zu den Protesten gegen Studiengebühren und gegen das umstrittene UG kam außerdem bald ein weiteres Thema hinzu, das weit über die Grenzen der Universität hinaus ein breites Bündnis von zivilgesellschaftlichen AkteurInnen auf den Plan rief: das GATS-Abkommen – das „General Agreement on Trade in Services“ der Welthandelsorganisation (WTO), das den weltweiten Handel mit Dienstleistungen und dessen Liberalisierung zum Ziel hatte.

Bildung, Gesundheit, Energie- und Wasserversorgung sollten dem freien Markt zugänglich gemacht und staatliche Regulierung in diesen Bereichen eingeschränkt werden. „Bildung ist dann nicht mehr Aufgabe des Wissenschaftsministeriums, sondern des Wirtschaftsministeriums“, warnte im Studienjahr 2002/03 die Fakultätsvertretung für Geistes- und Kulturwissenschaften der Uni Wien – ironischerweise auf einer Informationsseite, die heute noch online ist. Unter dem Motto „Education not Profit“ startete die ÖH eine groß angelegte Kampagne gegen das Handelsabkommen und war damit Teil eines breiten Bündnisses, das unter dem Slogan „Stopp GATS“ zahlreiche Organisationen unter einem Dach vereinte: von den Gewerkschaften bis zu ATTAC, von SchülerInnenorganisationen über die Armutskonferenz bis hin zu Umweltorganisationen. Die WTO wollte die Verhandlungen zum GATS bis zur Doha-Runde 2005 abschließen. Aufgrund von Uneinigkeiten zwischen den Mitgliedsstaaten ist das aber bis heute nicht gelungen.

Nach sechs Jahren schwarz-blauer Regierungspolitik, die unter anderem das UG02 und die Einführung von Studiengebühren gebracht hatten, keimte bei vielen Studierenden ein kleiner Hoffnungsschimmer, als die SPÖ 2006 als Wahlsiegerin aus den Nationalratswahlen hervorging und Alfred Gusenbauer Bundeskanzler wurde. Denkbar groß waren die Wut und die Enttäuschung, als klar wurde, dass auch diese Regierung, entgegen aller Ankündigungen, die Studiengebühren nicht abschaffen würde. Dieser Umstand und die Unzufriedenheit mit dem Gesamtergebnis der Koalitionsverhandlungen veranlassten die damalige ÖH-Vorsitzende Barbara Blaha aus der SPÖ auszutreten. Blaha sieht die damaligen Protesten, durchaus als Erfolg: „Wenn die Studierenden dieses Thema 2007 nicht so skandalisiert hätten und mein Partei-Austritt nicht so ein großes Thema gewesen wäre, wäre Werner Faymann nicht gezwungen, das Thema Studiengebühren als Symbolfrage zu behandeln. Mit dem Ergebnis, dass die Studiengebühren heute für einen Großteil der Studierenden Geschichte sind. Und solange Faymann Kanzler ist, werden sie das auch bleiben.“ Die Studierenden, die 2007 auf der Straße waren, sehen das aber nicht als ihren Erfolg, weil es zur geforderten Abschaffung der Studiengebühren erst Jahre später kam, so Blaha.

Schon im Jahr 2009 sollte es zu neuen Protesten kommen, die unter dem Titel #unibrennt – jedenfalls der medialen Rezeption nach – als die größten Bildungsproteste der vergangenen Jahre in die Geschichte eingehen sollten. „Die Proteste waren, abgesehen von der Besetzung als Protestform, weit nicht so radikal, wie sie nach außen vielleicht gewirkt haben“, erinnert sich Sigi Maurer, die damals ÖH-Vorsitzende war. „Der Fokus vieler Arbeitskreise war die Verbesserung der individuellen Situation an der Universität, mit der Zusatzforderung nach ECTS-Punkten für den Aktivismus im Audimax. Auch daran zeigt sich, wie weit die Durchdringung der Gesellschaft, auch der Studierenden, mit ökonomischen Prinzipien vorangeschritten ist“, stellt Maurer fest und ergänzt: „Das wäre eine Möglichkeit gewesen, darüber nachzudenken, was das Ziel von Lehre und Studium sein sollte – das haben die meisten Universitäten aber verabsäumt.“

Von Österreichs Universitäten bleibt nur noch ein Skelett. So sahen es Demonstrierende im Dezember 2013  Foto: Martin Juen

Neben der individuellen Unzufriedenheit mit dem Studium sei aber auch ein kollektives Unbehagen mit dem Wandel der Hochschullandschaft durch diese Proteste ersichtlich geworden, sagt Barbara Blaha: „Der Funke in der #unibrennt-Bewegung war dieses dumpfe Gefühl, dass die Unis derzeit in die falsche Richtung laufen.“ Das habe sich für die Studierenden an vielen Kleinigkeiten des Studienalltags bemerkbar gemacht: Voraussetzungsketten, verschulte Lehrpläne, eine möglichst effiziente Verwertbarkeit der Lehrinhalte und „Employability“. Nicht umsonst wird mit der Protestbewegung rund um das Audimax der Spruch „Bildung statt Ausbildung“ verbunden. Gefordert wurden unter anderem eine Demokratisierung der Universitäten, der freie Hochschulzugang, die Abschaffung bzw. Nicht-Einführung von Studiengebühren und nicht zuletzt die Ausfinanzierung der österreichischen Universitäten. Ob #unibrennt ein paar Jahre später auch noch funktionieren würde, ist sich Blaha nicht sicher. „Der Gewöhnungseffekt ist ein Hund. Und inzwischen ist der ökonomische Druck – etwa durch die weitere Verringerung der Familienbeihilfe und die Nicht-Anpassung der Studienbeihilfe – so hoch, dass ich von niemandem verlangen kann, links oder rechts zu schauen. Die Menschen rennen durch ihr Studium – weil sie müssen.“

In wessen Auftrag? Längst hat also eine ganze Reihe von Mechanismen dazu geführt, dass marktwirtschaftliche Logiken Einzug in das Hochschulwesen gehalten haben. Laut Luise Gubitzer wird eine Ökonomisierung von Bildung und Bildungsinstitutionen auf mehreren Ebenen sichtbar. Nicht zuletzt hat auch die chronische Unterfinanzierung der Universitäten durch den Staat zunehmend private AkteurInnen auf den Plan gerufen. Dass die erste Ankündigung Mitterlehners war, die Finanzierung von Forschung durch Drittmittel noch stärker ausbauen zu wollen, sieht Gubitzer als Problem: „Das bedeutet, dass der Staat sich zunehmend aus seiner Aufgabe, universitäre Bildung zu finanzieren, zurückzieht und sie immer mehr auf eine Basisfinanzierung reduziert. Den Rest müssen sich die Unis dann anderswo holen. Das halte ich für eine riesige Gefahr.“ Die komplette Ausfinanzierung der öffentlichen Universitäten ist aus Gubitzers Sicht nämlich Aufgabe des österreichischen Staates. Warum? „Weil öffentliche Bildung vielfach positive, multiplikative Effekte hat“, so Gubitzer – etwa das Reflektieren von gesellschaftlichen Prozessen, aus denen sich wiederum Forschungsaufgaben und Lehrgegenstände für die Universität ergeben. „Die öffentliche Uni muss sich immer wieder mit den Aufgaben, die sie gegenüber der Gesellschaft wahrnehmen muss, in Beziehung setzen“, so Gubitzer.

Auch die Rolle von Sponsoring gelte es kritisch zu beobachten. Nirgendwo wird die wachsende Bedeutung von privaten Geldern so gut sichtbar wie bei einem Spaziergang durch den neuen WU-Campus mit seinem OMV Library Center und seinem Red Bull-Hörsaal. Die ständige Präsenz der Firmennamen mache ein kritisches Hinterfragen dieser Unternehmen schwieriger, so Gubitzer. Außerdem sei problematisch, dass es zunehmend zur Selbstverständlichkeit werde, dass sich Universitäten auf diese Weise finanzieren. „Die WU wurde ja mit öffentlichen Mitteln gebaut. Die Frage ist, wofür das Hörsaalsponsoring eigentlich verwendet wird.“ Wenn damit etwa ein Kongress finanziert wird, werde dorthin wohl niemand eingeladen, der dem sponsernden Unternehmen kritisch gegenübersteht, befürchtet Gubitzer.

Keine Studierendendemo ohne Popkultur – gegen die Abschaffung des Wissenschaftsministeriums 2013 demonstierten die Space Invaders mit. Foto: Luiza Puiu

Über die Konsequenzen dieser Entwicklungen gelte es nicht nur innerhalb der Universitäten, sondern auch als Gesellschaft nachzudenken. „Die Unternehmen wissen ganz genau, was sie von der Uni verlangen, während die gesellschaftlichen Gruppen viel zu wenig fordern“, sagt Gubitzer. Statt die Unis zunehmend darauf zu reduzieren, dass sie Studierende ausbilden, müsse sich die Gesellschaft bewusst machen, was sie von einer Universität, die aus Steuermitteln finanziert wird, erwartet. Eine öffentliche Universität habe nämlich komplett andere Aufgaben als ein gewinnorientiertes Unternehmen, so Gubitzer. Statt die Universitäten also dem Wettbewerb um gutes Abschneiden bei Rankings zu überlassen, müsse die Öffentlichkeit fragen, was sie eigentlich von der Forschung hat. „Menschen, die in den Universitäten sind und noch etwas anderes wollen, als Studierende für den Arbeitsmarkt auszubilden, müssen gestärkt werden, um Lehre und Forschung voranzubringen.“ Das und eine Wiederaufwertung der internen Mitbestimmung an den Universitäten wären laut Gubitzer erste dringende Voraussetzungen, um die Unis wieder auf einen anderen Kurs zu bringen.

Theresa Aigner ist freie Journalistin in Wien. Ein ausführliches Interview mit der Ökonomin Luise Gubitzer findest du hier: „Die öffentliche Uni hat der Gesellschaft etwas zurückzugeben“.

Die Enthauptung der Wissenschaft

  • 18.12.2013, 16:55

Die Eingliederung des Wissenschafts- und Forschungsministerium ins Wirtschaftsministerium lässt die Wogen in Österreich hochgehen: Kritiker_innen befürchten die Unterwerfung der Wissenschaft unter wirtschaftliche Interessen. Gabriel Binder hat über die am 17.12.2013 von der Österreichischen HochschülerInnenschaft (ÖH) organisierte Demonstration eine Reportage geschrieben.

Das hätte sich die „neue“ rot-schwarze Bundesregierung wohl einfacher vorgestellt. Die Eingliederung des Wissenschafts- und Forschungsministerium ins Wirtschaftsministerium lässt die Wogen in Österreich hochgehen: Kritiker_innen befürchten die Unterwerfung der Wissenschaft unter wirtschaftliche Interessen. Die Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH) hat daher am 17.12.2013 zu einer Kundgebung unter dem Titel „Demonstration gegen die neue-alte Regierung“ aufgerufen.

Es ist Nachmittag, Viertel nach vier. Nicht nur der Himmel beginnt sich langsam zu verdunkeln, auch die Fahnen vor der Universität Wien scheinen an Farbe verloren zu haben. Denn inmitten der Universitätsfahnen säuselt im leichten Wind eine schwarze Flagge. Eine solche soll „als Zeichen des Protests gegen den Verlust des eigenständigen Wissenschaftsministeriums“ vor allen Universitäten dieses Landes angebracht werden, so beschloss es die Universitätenkonferenz in Graz einstimmig.

Foto: Dieter Diskovic

Nur wenige Meter neben den Fahnen vor dem Universitätsgebäude steht Viktoria Spielfrau, Generalsekretärin der ÖH, die für die Presse neben einem Banner („Space Invaders against Bildungsökonomisierung“) Spalier steht. Ich komme mit ihr ins Gespräch und stelle fest, dass diese Frau weiß, wovon sie spricht, wenn sie auf die Gefahr hinweist, die eine Eingliederung des Wissenschaftsressort in das Wirtschaftsministerium mit sich bringt. Über die Gefahr, einen Trend zu bestärken, der in die Richtung geht, dass besonders die Sozial- und Geisteswissenschaften, die keinen „ökonomischen Mehrwert“ erzeugen, gestrichen werden. Sie erwarte eine gut besuchte Demonstration, denn sogar aus anderen Bundesländern hat sich Unterstützung angekündigt.

Foto: Dieter Diskovic

Die Menschen strömen aus allen Richtungen vor die Universität und den Eingang zum Audimax, doch es bleibt noch ein wenig Zeit, sich mit einem Demonstrationsteilnehmer zu unterhalten, dem die mögliche Ökonomisierung der Wissenschaft ein Dorn im Auge ist. Jakob ist 23 Jahre alt und studiert Politikwissenschaften und Internationale Entwicklung. Er betrachtet die Lage nüchtern und erklärt die Problematik aus seiner Sicht: „Natürlich werden Studienabsolvent_innen irgendwann in der Wirtschaft arbeiten, oder für die Forschung, oder für die Politik. Aber auf der Forschungsebene hat Wirtschaft mit der Wissenschaft gar nichts zu tun. Mal abgesehen davon, dass es problematisch wird, wenn man alles der Wirtschaft unterordnet.“ Ich hake nach und will von ihm wissen, ob er denn nun auch gegen die „neue-alte Regierung“ demonstriere, wurde doch die Kundgebung von der ÖH unter dieses Motto gestellt. „Ich weiß noch nicht genau was im Regierungsprogramm steht. Ich hab von Expert_innen viel Negatives gehört, aber ich will mich davon selbst überzeugen. Heute ist das Wissenschaftsministerium vorrangig.“ Eine klare Ansage. Es scheint wohl mehr im Argen zu liegen, dem es auf die Spur zu gehen gilt.

Foto: Dieter Diskovic

Ich bedanke mich bei ihm und bemerke, dass sich die Teilnehmer_innenzahl in kurzer Zeit verdoppelt hat. Man muss sich nun schon durch die Menschenmenge zwängen und geduldig sein, will  man vorankommen. Ein wenig schwerer hat man es, wenn man sein eigenes Fahrrad mit auf die Demonstration genommen hat. „Man soll auf Demonstrationen kein Fahrrad mitnehmen“, stellt eine junge Dame resignierend seufzend und im Menschenpulk steckend fest. Ein anderer Herr wirkt schon ein wenig ungeduldiger und kämpft sich beißend durch „diese Demonstranten“ und bekrittelt verärgert das „Herumstehen“ der Demonstrant_innen. Wären die beiden zehn Minuten später gekommen, hätte sich ihnen wohl weniger Widerstand in den Weg gestellt.
Foto: Dieter Diskovic

Wissen schafft keine Ministerien ab

In der Zwischenzeit, aufgewärmt durch Iggy Pops „The Passenger“ aus dem Lautsprecherwagen, hat sich  die Demonstration langsam in Bewegung gesetzt und biegt in die Schottengasse ein. Das Ziel: das Wissenschaft- und Forschungsministerium am Minoritenplatz. Wie am Tag zuvor sollen Totenkerzen angezündet und vor den Toren des ehemals eigenständigen Ministeriums abgelegt werden (siehe: Wer hat uns verraten?). Viele Plakate mit Slogans werden mit auf den Weg geschickt, auch ein großes Banner mit der Aufschrift „Wissen schafft keine Ministerien ab“ soll sein Ziel erreichen.

Foto: Dieter Diskovic

Wie eine Walze rollt die Demonstration lautstark durch die Häuserschluchten der Schottengasse und Herrengasse in Richtung Michaelerplatz. Die Wände werfen den Lärm gebündelt in die kalte Nacht und garantieren, dass bestimmt jede_r Bewohner_in in den zu der Kundgebung angrenzenden Wohnungen dem Anliegen der Protestierenden Aufmerksamkeit schenken muss. Und sollte man trotzdem auf taube Ohren stoßen, schafft ein Megafon Abhilfe: „Wir sind hier und wir sind laut, weil ihr uns die Bildung klaut.“ Vor dem Café Central wird die Demonstration mit Staunen aufgenommen, ab und an wird ein Handyfoto geschossen, überall hört man Pfeifen und Parolen, trifft aber manchmal in verschriftlichter Form auch auf diskussionswürdige Vorschläge. So wird angeraten, doch Albus Dumbledore, den charismatischen und gebildeten Zauberer aus Harry Potter, zum neuen Wissenschaftsminister zu krönen. Ob im Gegenzug Reinhold Mitterlehner das Zaubern lernen muss, bleibt jedoch offen.

Foto: Dieter Diskovic

Wo sind die Securities?
Doch es bedarf keiner Magie, um auf „besondere“ Momente einer Kundgebung zu stoßen. Ein offenes Auge und der bereits wartende Demonstrationszug von der Technischen Universität Wien (TU) genügen vollkommen, um beiden Kundgebungszügen ein Pfeifkonzert zu entlocken. Wenige Minuten später ist der Michaelerplatz gesteckt voll und aus dem Café Griensteidl, das anno dazumal literarischen Größen wie Karl Kraus und Arthur Schnitzler ein gern besuchter Ort war, ist ein Entkommen beinahe unmöglich geworden. Bis auf die Stiegen haben sich die Demonstrant_innen zurückgezogen, immer noch hält der Zustrom an Menschen an und zwingt viele, auf unliebsames Gelände auszuweichen. Ich versuche mich auf die andere Seite des Michaelerplatzes zu schlagen, um mir einen besseren Überblick verschaffen zu können, werde aber neugierig, als ich bemerke, wie ein älterer, englischsprechender Herr sich bei einer Kundgebungsteilnehmerin nach dem Grund der Demonstration schlaumacht. Bereitwillig gibt die Frau dem höflichen Herrn Auskunft, bis dieser nachfragt, wo denn die Securities seien. „Es gibt keinen Grund für Securities, weil es auch keine Gewalt gibt“, antwortet sie ihm. Und tatsächlich zeichnet sich die Demonstration als friedlich aus, die Polizei hatte noch keinen Grund gefunden einzugreifen.

Foto: Dieter Diskovic

Frittenbudes Totenkerzen

Wir warten lange und kurz vor dem Aufbruch zum Minoritenplatz hört man Jubel und ein Trillerpfeifkonzert aufbranden. Ich kann nur vermuten, dass nun auch der Demonstrationszug der Universität für Bodenkultur (BOKU) aus dem 18. Bezirk angekommen ist. Wissen kann ich es in diesem Moment nicht, zu viele Menschen verhindern nun, einen guten Überblick über die Massen behalten zu können. Laut späteren Schätzungen sollen sich bis zu 7.000 Menschen an den Protesten in Wien beteiligt haben – österreichweit (Salzburg, Graz, Innsbruck, Klagenfurt) in Summe sogar bis zu 10.000.

Foto: Dieter Diskovic

Nach etwa 20 Minuten zieht die Demonstration weiter: der Weg vom Michaelerplatz zur Abschlusskundgebung in Richtung Minoritenplatz wird gemächlich angegangen, die Schauflergasse erweist sich als geduldig und lässt nur einen begrenzten Zustrom an Menschen gewähren. Ein paar wenige Reihen vor mir ragt auf einen Pappkarton gemalt ein weiß-blaues Zeichen eines bekannten Automobilherstellers aus München auf, ergänzt mit dem Kürzel des Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung. Das neue Ministerium unter den Fittichen eines Sponsors, in der neu gebauten Wirtschaftsuniversität beim Prater kein Zukunftsgeplänkel mehr: dort tragen bereits Hörsäle die Namen von finanzkräftigen Marken.

Foto: Dieter Diskovic

Die Abschlussreden am Minoritenplatz vor dem (ehemaligen?) Ministerium für Wissenschaft und Forschung ist nicht für alle Menschen zu hören, denn zu groß und weit gestreut ist die Demonstration bereits. Der natürliche Lärmpegel wird mit Rufen, Pfeifen und Trommeln angereichert. Es gelingt mir trotzdem, ein paar Worte von Janine Wulz, der ehemaligen stellvertretenden Vorsitzenden der ÖH, aufzuschnappen, die sich vor einem Transportkraftwagen positioniert hat. Wulz sieht in den Politiker_innen einen Mitgrund am Demokratieabbau in Österreich. Alle weiteren Worte frisst das lautstark knatternde Aggregat neben ihr.

Foto: Dieter Diskovic

Ich schiebe mich langsam aus dem Nahbereich der Demonstration und mache eine Runde um die Minoritenkirche, vorbei am Bundesministerium für Inneres und zurück vor das Wissenschaftsministerium. Ein paar wenige Totenkerzen leuchten in ihren roten Behältnissen zu den Klängen von Frittenbude, während viele Menschen den Platz bereits wieder verlassen. Vereinzelt ragen noch schwarze Fahnen aus der Demonstration in die Höhe. Die Regierung wird weiterhin gezwungen sein, den Sozialstaat zu beschneiden und sich somit am Abbau des Sozialstaates und der Ökonomisierung der Gesellschaft beteiligen. Vielleicht wird die schwarze Fahne in Zukunft zum Protestsymbol einer neuen Bewegung, die sich endgültig aus der Umklammerung jener wird lösen wollen, die längst kein Gehör mehr für die Ängste und Sorgen der Menschen haben.

Foto: Dieter Diskovic

Gabriel Binder (geb. 1987) lebt in Wien und ist Angestellter und freier Schriftsteller und mitunter bei der Aktionsgruppe Screaming Birds tätig.

Die ÖH – Beleuchtet von fünf Seiten

  • 12.05.2013, 22:52

Die ÖH – Beleuchtet von fünf Seiten

Was?

Die Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH) vertritt alle Studierenden Österreichs, die eine staatliche Hochschule besuchen. Das sind über 310.000 Studierende an Fachhochschulen, Pädagogischen Hochschulen und Universitäten. Die ÖH ist auf verschiedenen Ebenen aktiv: Einerseits vertritt sie die Interessen der Studierenden des jeweiligen Faches in der Studien(gangs)vertretung, in der Universitätsvertretung gegenüber dem Rektorat und in der Bundesvertretung gegenüber dem Wissenschaftsministerium. Das Gremium der Bundesvertretung (BV) setzt sich derzeit aus 96 MandatarInnen zusammen. Diese Anzahl ändert sich von Wahl zu Wahl und hängt von der Studierendenanzahl und von der Anzahl der zugelassenen Listenverbände, auf deren Grundlage sich die Mandatsstärke berechnet, ab. Die MandatarInnen der BV wählen die ReferentInnen der ÖH und entscheiden über das Budget sowie die politische Ausrichtung und Themensetzung der ÖH.

Wie?

In Österreich verwaltet sich die Studierendenvertretung selbst. Basis dafür sind eine demokratische Organisation und eine gesicherte finanzielle Lage durch die ÖH-Mitgliedschaft aller Studierenden. Letztere haben durch ihre Mitgliedschaft Anspruch auf viele Serviceleistungen – wie zum Beispiel die ÖH-Versicherung.

Wer?

Das Vorsitzteam der aktuellen Exekutivperiode bilden Martin Schott (Vorsitzender), Angelika Gruber (Stellvertretende Vorsitzende), Janine Wulz (Zweite stellvertretende Vorsitzende) und Christoph Huber (Generalsekretär). Die ÖH hat viele Aufgabenbereiche: Die Arbeitsbereiche, sogenannte Referate, sind Organisationseinheiten, die sich mit verschiedenen Themenbereichen auseinandersetzen. Dazu zählen unter anderem das Referat für Bildungspolitik, das Referat für Internationale Angelegenheiten, das Referat für ausländische Studierende, das Referat für Menschenrechte und Gesellschaftspolitik, das feministische Referat sowie das Öffentlichkeitsreferat, zu dem auch das progress gehört. Innerhalb der ÖH-Bundesvertretung wird die Arbeit am Inter-Referatstreffen koordiniert und diskutiert.

Aktuelle Projekte – Eine kleine Auswahl

Neben dem Alltagsgeschäft der ÖH wurde im Laufe der letzten beiden Jahre eine Vielzahl größerer Projekte realisiert – hier eine kleine Auswahl: Durch die Einrichtung eines Sonderprojekttopfes bekommen alle Studierenden die Möglichkeit, ihre eigenen Projekte durch finanzielle Unterstützung zu realisieren. Der sogenannte Sozialfonds bietet etwa finanzielle Unterstützung für Studierende in Notlagen. Die ÖH trat – beispielsweise im Zuge der Kampagne lasstunsstudieren.at – für einen offenen Hochschul zugang ein, der Studierenden die freie Studien- und Berufswahl ermöglichen soll. Mit dem Projekt Forum Hochschule hat die ÖH einen umfassenden Hochschulplan entwickelt, der alle Problemlagen der österreichischen Hochschulpolitik anspricht und konkrete Lösungen dafür anbietet. Im Zuge des Projekts Hochschulen im Nationalsozialismus wurden Teile der NS-Vergangenheit österreichischer Hochschulen aufgearbeitet und aufgezeigt. ProjektteilnehmerInnen sind Studierende, Lehrende und sonstige Angehörige der Hochschulen.

Die Geschichte der ÖH

Demokratische Strukturen, Mitbestimmung, die Abschaffung der Studiengebühren und die Einführung eines Stipendiensystems – all das wurde von den Studierenden über Jahrhunderte erkämpft. Erst verschiedenste Protestbewegungen und gesetzliche Änderungen haben die ÖH zu dem gemacht, was sie jetzt ist – eine demokratisch organisierte Vertretung für alle Studierenden.

1365 Gründung der Universität Wien.

1896/1910 Erste Versuche der Gründung einerallgemeinen Studentenvertretung.

1918 Gründung von Burschenschaften, katholischen Organisationen und dem Bündsis Deutschbürgerliche Studentenschaft. Frauen, Juden und Jüdinnen sowie Linksorientierte wurden jedoch diskriminiert und ausgeschlossen.

1931 waren bei den Wahlen von 10.939 Studierenden der Universität Wien 2654 vom Wahlrecht ausgeschlossen.

1945 Erstmalige Schaffung einer demokratischen Interessensvertretung: die Österreichische HochschülerInnenschaft.

19. November 1946 – Die ersten ÖH-Wahlen

1950 Die gesetzliche Verankerung der ÖH

1952 Die Österreichische HochschülerInnenschaft organisiert einen Sitzstreik gegen die Erhöhung der Studiengebühren.

1963 wird das erste Studienbeihilfen-Gesetz eingeführt. Das bedeutet, dass die Studierenden einen Rechtsanspruch auf finanzielle Unterstützung bei sozialer Bedürftigkeit haben.

1966 Das Allgemeine Hochschulstudiengesetz (AHStG) wird eingeführt. Es regelt das Studien- und Prüfungswesen an den wissenschaftlichen Hochschulen.

1972 Studiengebühren werden abgeschafft.

1973 Das ÖH-Gesetz wird demokratischer, die ÖH wird auf Studienrichtungsebene ausgeweitet.

1975 wird durch das Universitätsorganisationsgesetz (UOG 75) studentische Mitbestimmung auf allen universitären Ebenen möglich.

1984 wird die ÖH hinsichtlich der Umweltschutzbewegung gegen Wasserkraftwerke in der Hainburger Au aktiv.

1987 Studierendendemonstrationen mit ca. 40.000 TeilnehmerInnen finden u.a. gegen Kürzungen der Familienbeihilfe statt.

1993 bringt das Universitätsorganisationsgesetz Einschränkungen der Mitbestimmung der StudentInnen.

1995 Agnes Berlakovich wird die erste weibliche ÖH-Vorsitzende.

1998 Das ÖH-Gesetz wird geändert, Studierende der Pädagogischen Akademien werden Mitglieder der ÖH.

2000 Studiengebühren werden unter der schwarzblauen Regierung wieder eingeführt. Als Folge gehen 50.000 Menschen in Wien auf die Straße und demonstrieren. 2002 25.000 Menschen protestieren allein in Wien gegen die Einschränkung der Mitbestimmungsrechte der StudentInnen.

2004 wird von der ÖVP und der FPÖ das HochschülerInnenschaftsgesetz geändert. Die Direktwahl der Bundesvertretung wird abgeschafft und ein indirektes Wahlsystem für die Bundesvertretung eingeführt.

2007 Die Fachhochschulen werden Teil der ÖH.

2009 Das Audimax der Universität Wien wird von Studierenden besetzt. In den darauffolgenden Monaten breitet sich der Protest europaweit aus. Die meisten Teile der ÖH unterstützen die Bildungsproteste aktiv.   

 

Zwischen den Fronten

  • 24.02.2013, 10:07

Christina und Simon gehen in die Maturaklasse. Beide haben sich vorgenommen, nach der Matura ein Studium zu beginnen. Die Entscheidung, welches Studium sie wählen wollen, fällt schwerer als gedacht.

Christina und Simon gehen in die Maturaklasse. Beide haben sich vorgenommen, nach der Matura ein Studium zu beginnen. Die Entscheidung, welches Studium sie wählen wollen, fällt schwerer als gedacht.

Die Studienwahl ist für viele angehende Studierende eine Herausforderung. Was will ich studieren, wo will ich studieren und welche Besonderheiten, wie Studiengebühren, Fristen oder Zulassungsprüfungen, muss ich beachten? Genaue Informationen sind Voraussetzung für die individuell richtige Studienwahlentscheidung.

Internet geht immer. Wenn das Angebot groß ist, fällt die Wahl des Studiums nicht leicht. Das Onlinestudienverzeichnis studienplattform.at zeigt bei der Eingabe „Bachelorstudien“ 826 Treffer an. Hinzu kommen 325 Lehramts- und 86 Diplomstudien. Speziell für die ersten Studieninformationen können Onlineplattformen hilfreich sein. Der 18jährige Simon und die 19jährige Christina nützen sie als erste Anlaufstelle. Aktuelle und zuverlässige Informationen über alle Studiengänge, Studienstandorte und mögliche Zugangsbeschränkungen bieten die ÖH-Seite studien­plattform.at und studienwahl.at vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (bmwf), wobei man als Maturant_in bei letzterer leicht über Begriffe wie „ECTS“, „Master“ und „ÖH-Beitrag“ stolpert.

Begriffe wie „Kompetenzerwerb“, „Prozess- und Qualitätsmanagement“ oder „fachspezifische Methoden“ dominieren die Angaben bezüglich Studieninhalt und werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten. Das ÖH-Projekt studienplattform.at will dem entgegensteuern. „Es war die Absicht, Fremdworte einfach zu erklären und damit den Zugang zu dieser beängstigenden und verwirrenden neuen Welt zu erleichtern“, sagt Karin Kuchler, Koordinatorin der studienplattform.at. Eine weitere Verfeinerung ist, dass es eine Suchfunktion für Interessen gibt.

Diese soll den MaturantInnen möglichst viele verschiedene Studienrichtungen anbieten, um auch aufzuzeigen, dass es viel differenziertere Studiengänge, abseits der Mainstreamstudien wie Rechtswissenschaften, Humanmedizin und BWL gibt. Wer sich jedoch nicht sicher ist, dem und der empfiehlt Kuchler eine persönliche Beratung. Beratung im Gespräch. Für eine persönliche Beratung stehen MaturantInnen zwei Projekte zur Verfügung: Der Studienchecker und die Maturan­tInnenberatung. Der Studienchecker ist ein Projekt des Wissenschaftsministeriums (BMWF) und des Ministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur, in Kooperation mit der ÖH und der Psychologischen Studen­tenberatung. Es stellt ein Bündel an Maßnahmen für alle SchülerInnen in ganz Österreich dar, um sie im Entscheidungsprozess zu begleiten. Das Projekt reicht von einem Interessensfragebogen,  Kleingruppenberatung mit PsychologInnen der Psychologischen Studen­tenberatung bis zu der MaturantInnenberatung direkt an den Schulen. „Studienchecker soll dazu beitragen die Drop Out Quoten an den Universitäten zu reduzieren. Oft brechen Studienanfänger ihr Studium ab, weil sie sich das vorher nicht genau überlegt haben“, sagt Marion Kern vom BMWF. Neben dem Studien­checker und studienwahl.at bietet das BMWF wenig Zusätzliches an. Den wohl authentischsten Einblick in den Studienalltag bietet das von der ÖH organisierte und vom BMWF finanzierte Projekt Studieren Probie­ren. Hier haben StudienbeginnerInnen die Möglichkeit, Studierende einer Studienrichtung zu Lehrveranstaltungen zu begleiten und ihnen konkrete Fragen zu dem jeweiligen Studiengang zu stellen.

Die MaturantInnenberatung der ÖH bietet außerdem anonyme und kostenfreie Beratung an. Die Mitarbeitenden sind selbst StudentInnen und können mit Erfahrungsberichten direkt auf individuelle Fragen eingehen. Entweder werden Fragen im Rahmen des Studiencheckers, der von Schulen organisiert und angeboten wird, oder auch unabhängig davon in Form  von E-Mail, Telefon- oder persönlichen Gesprächen beantwortet. Mitarbeitende der MaturantInnenberatung haben laut eigenen Angaben in den Jahren 2011 und 2012 knapp 15.000  StudienanfängerInnen in allen Bundesländern, außer in Kärnten, beraten. In einer Presseaussendung von ÖH und BMWF am 3. Jänner diesen Jahres bestätigten diese einen Zuschuss von 40.000 Euro, was das Gesamtbudget der Maturant­Innenberatung auf rund 294.000 Euro pro Jahr erhöht. Damit wird künftig auch den kärntnerischen MaturantInnen eine Beratung an den Schulen ermöglicht. 311 Schulen, das entspricht etwa der Hälfte aller Schulen, haben 2011 am Projekt Studi­enchecker teilgenommen, bis 2014 soll es an allen Schulen Österreichs umgesetzt werden.

Die Qual der Wahl. Die Frage, ob Christina und Simon auch persönliche Beratung in Anspruch nehmen, verneinen beide. Beratungsangebote wie die MaturantInnenberatung, Studieren Probieren und Studienchecker kennen sie nicht. Wie gelangen sie dennoch zu Informationen? „Für mich sind besonders die persönlichen Gespräche mit Studierenden aufschlussreich“, so Christina, die derzeit die Maturaklasse eines Gymnasiums im oberösterreichischen Kirchdorf absolviert. Christina und Simon sind beide der Meinung, dass  Schulen und Hochschulen zu wenig Informationsangebot für MaturantInnen zur Verfügung stellen. „Es ist wichtig, wie viel Eigen­engagement man investiert“, meint Simon, der die Abschlussklasse eines Linzer Sportgymnasiums besucht. Kern weist darauf hin: „Jene, die Eigeninitiative zeigen, sich organisieren können und einen Plan haben, was sie tun wollen,  eignen sich für ein Studium.“ Punkt. Zwischen dem Schulbegriff von Selbstständigkeit und dem der Hochschulen herrscht jedoch eine große Diskrepanz, die von BMWF und den Universitäten weitgehend ignoriert wird. Die Kompetenz wird von der Schule auf die Uni geschoben und umgekehrt – übrig bleiben ratlose Maturan­tInnen. „Wenn man eine Klasse fragt, schätzen sich fast alle SchülerInnen als selbstständig ein. Bei den meisten StudienanfängerInnen aber hinterlässt die Organisation des Studienalltags und die Vorbereitung darauf große Unsicherheit“, schildert Theresa Kases vom Projekt Studieren Probieren. Die Vorbereitung auf ein Studium stellt sich also als ein Probelauf für das  eigentliche Studium heraus.

Die Bürokratisierung und Zugangsbeschränkungen stellen Neulinge vor eine Voraussetzungskette, die sich mit der STEOP fortsetzt. Fristen, Aufnahme- und Eignungsprüfungen setzten MaturantInnen unter großen psychischen Druck, bestätigt Magdalena Hangel, Referentin der MaturantInnenberatung. Auch Christina fühlt sich in der Vorbereitung auf ihr Studium oft allein gelassen. Trotz allem möchte sie Philosophie studieren. „Aber das kann sich noch ändern, ich bin mir noch nicht sicher.“

Linktipps:

ÖH:

www.oeh.ac.at/studienberatung
www.studierenprobieren.at
www.studienplattform.at

Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung:
www.studienwahl.at
www.Studienchecker.at
www.studentenberatung.at

Messen, Informationsveranstaltung: http://bestinfo.at

Kollegialität als Konflikt

  • 24.02.2013, 09:59

Was passiert, wenn zwischen StudentInnen und Lehrenden eine Konfliktsituation entsteht?

Was passiert, wenn zwischen StudentInnen und Lehrenden eine Konfliktsituation entsteht?

Die Studentin möchte gerne anonym bleiben. Zuviel wurde bereits gestritten. Wir nennen sie daher Stefanie. Sie kommt gerade von der Mittagsschicht in einem italienischen Restaurant und wirkt gehetzt. Ihr Job nimmt nicht auf Prüfungszeiten Rücksicht. Stefanie studiert in einem sogenannten Massenstudiengang. Die STEOP bestimmt ihren Alltag. Durch diese neue Studieneingangsphase, so die 19Jährige, habe sich die Natur der Hürden im Studium verändert. Leider fehlt den DozentInnen oft das Verständnis für den Zeitdruck, unter dem viele StudentInnen stehen. Vor einigen Wochen mussten Präsentationen gestaltet werden, parallel zur obligatorischen Klausur. Vorab gab es schon Unstimmigkeiten zwischen der Veranstaltungsleitung und den Studierenden. Die Lehrende schien mit dem überfüllten Kurs überfordert zu sein, erzählt Stefanie. Ihre Projekt­arbeit musste sie dann dreimal aufs Neue einreichen.

Ein Prozess, der sich über sechs Wochen hinzog, bis in den Beginn der Prüfungszeit hinein. Jedes Mal, wenn sie angemerkte Verbesserungswünsche umsetzte, wurden andere Mängel als Ablehnungsgrund genannt. Schließlich holte sie sich Hilfe bei einer befreundeten Kommilitonin. Diese überarbeitete das Projekt im eigenen Stil. Letztlich erhielt die Studentin die Note Genügend – mit einem sarkastisch formulierten Begleitbrief, der ihr ein Scheitern im Studium prognostizierte.

Frust und Protest. Stefanies Erlebnis ist beispielhaft für ein universitäres Klima, das es sowohl Studierenden, als auch DozentInnen immer schwieriger macht, dem Lehrauftrag zufriedenstellend nachzukommen. Vom zunehmenden Zeitdruck bei gestiegener Produktivitäts- erwartung sind sowohl StudentInnen wie auch Lehrende betroffen. So verliehen jüngst 300 BWL-ProfessorInnen aus dem deutschsprachigen Raum ihrer Frustration über ein Ranking der Wirtschaftszeitung Handelsblatt in einem Protestbrief Ausdruck. Auch  SoziologInnen üben Kritik am Hochschulranking des Centrum für Hochschulentwick­lung, an dem sich jährlich tausende StudienanfängerInnen orientieren, dem aber gravierende methodische Mängel unterstellt werden. Das Hochschulsystem wandelt sich und seine Qualität wird zunehmend am relativen wissenschaftlichen Output gemessen, jedoch nicht an der Güte der Ergebnisse. Ausbildung statt Bildung. Determinierender Faktor auf Seiten der Studierenden dürfte in jüngster Zeit vor allem die seit 2011 obligatorische neue Studieneingangsphase STEOP sein. 80 Prozent der Befragten in der Umfrage „STEOP-Watch“ berichten von unverhältnismäßigem Druck in diesem Studienabschnitt. Ein Druck, der das Potential hat, das Klima zwischen Lehrkräften und StudentInnen zu verschärfen.

Wenn sich dieses Konfliktpotential in die Hörsäle und Seminarräume hinein verlagert, wird das von den allermeisten StudentInnen hingenommen. Relevanz gewinnen die Probleme meist erst, wenn sie eine breite Masse betreffen, also beispielsweise unfaire Bewertungen den ganzen Kurs betreffen. In diesen seltenen Fällen schreitet für gewöhnlich die Fakultätsleitung ein. Private Internetplattformen wie meinprof.de bieten darüber hinaus die Möglichkeit, Lehrkräfte zu bewerten, sind aber nicht repräsentativ. Im Einzelfall überlagern meist Emotionen die sachliche Entscheidungsfähigkeit – oft auf beiden Seiten. Eine lange Auseinandersetzungskette kann die Folge sein, wie im einführenden Beispiel.

Das Universitätsgesetz lässt den StudentInnen diesbezüglich leider nur wenig Spielraum, weil die Bewertung ausschließlich in der Kompetenz der Lehrenden liegt. Jedoch sollte ein sachliches Gespräch in jedem Fall als Lösung einer Konfliktsituation versucht werden. Scheitert dies, stehen den Betroffenen theoretisch die Instanzenwege bis zur Fakultätsleitung offen. Sexuelle Übergriffe. Der Übergang zwischen unfairer Bewertung und rechtlicher Grauzone ist fließend, wenn es um die Lehrkräfte der Universität geht. Ein häufiges Problem sind sexuelle Übergriffe auf Studentinnen. Die von der EU geförderte Studie Gender-Based Violence, Stalking and Fear of Crime konstatiert, dass in über sieben Prozent der Fälle sexueller Übergriffe ein Angestellter einer Universität der mutmaßliche Täter sei. Den Handlungsspielraum der Betroffenen schränken emotionale Faktoren sowie Hürden von Seiten der Universität ein.

Während die Betroffene oft aus Scham keine Beschwerde abgibt, wird der mutmaßliche Täter von Seiten der Universität oft gedeckt, um einen Ansehensverlust der Fakultät zu verhindern. Die Studentinnen, so die AutorInnen der Studie, entwickelten in Folge oft Vermeidungsstrategien und klammerten bestimmte Vorlesungen oder Seminare aus. Mit Folgen für die eigene Studienleistung. 

Offenes Fehlverhalten von Seiten der Universitätskräfte sollte jedoch nicht ohne weiteres akzeptiert werden. Für Studenten und Studentinnen, die von Übergriffen durch Lehrkräfte betroffen oder in Konflikte verwickelt sind, bieten sich neben dem Instanzenweg auch Beratungsstellen an. Die ÖH bietet sowohl an deiner Universität wie auch bundesweit in verschiedenen Referaten Hilfe bei jeglichen Fragen an.

Hier gehts zum Beratungsangebot der ÖH!

 

Selbstverwaltet mitgestalten

  • 13.07.2012, 18:18

Seit 1945 gibt es in Österreich eine Institution, die die Interessen aller Studierenden vertritt – die Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH). Heute setzt sie sich für die Rechte der Studierenden und für gute Studienbedingungen für alle ein.

Seit 1945 gibt es in Österreich eine Institution, die die Interessen aller Studierenden vertritt – die Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH). Heute setzt sie sich für die Rechte der Studierenden und für gute Studienbedingungen für alle ein.

Starke Vertretung. Fast alle Studierenden (ausgenommen Studierende an privaten Hochschulen) in Österreich sind Mitglied der ÖH. Der Mitgliedsbeitrag wird zu Semesterbeginn eingehoben – er ermöglicht die Unabhängigkeit der ÖH von Regierung, Wirtschaft und politischen Parteien. Die ÖH ist eine Körperschaft Öffentlichen Rechts, was bedeutet, dass die ÖH selbstverwaltend über ihre Agenden entscheidet, welche per Gesetz die Förderung ihrer Mitglieder und die Vertretung der Interessen selbiger sind.
Demokratie ist ein weiterer Grundsatz, dem die ÖH als selbstverwaltete Institution verpflichtet ist – das heißt, dass alle 2 Jahre sämtliche Studierenden ihre VertreterInnen selbst wählen, und das auf verschiedensten Ebenen.

ÖH ist nirgends gleich. So vielfältig wie die Studierenden an den verschiedenen Hochschulen und Studienrichtungen, so unterschiedlich ist auch die Arbeit der lokalen ÖH-Strukturen. Der erste Kontakt mit der ÖH ist für Studierende meist die Studienvertretung – diese kümmert sich zum Beispiel um Beratung im konkreten Studienplan oder arbeitet bei der Erstellung neuer Lehrpläne mit. Je nach Universität können auch Vertretungsebenen eingerichtet werden, die alle Studienrichtungen eines Fachbereichs zusammenfassen (früher „Fakultätsvertretungen“). Es gibt an jeder Universität eine übergreifende Vertretungsebene. Die Universitätsvertretung verhandelt mit Rektorat und Uni-Rat und organisiert je nach Universität auch Beratung und Veranstaltungen für Studierende.
An Pädagogischen Hochschulen und Fachhochschulen werden die lokalen Vertretungen von ihren jeweiligen StudiengangssprecherInnen oder –vertretungen, und im Fall der Fachhochschulen auch von JahrgangssprecherInnen konstituiert. Aus ihrer Mitte werden eine Vorsitzende bzw. ein Vorsitzender und StellvertreterInnen gewählt.
Die ÖH Bundesvertretung wird seit 2005 nur noch indirekt gewählt – das Studierendenparlament wird nach Maßgabe der lokalen Wahlergebnisse beschickt. Dieser Wahlmodus wurde 2004 von Elisabeth Gehrer in einer Nacht- und Nebelaktion eingeführt. Er hätte eine regierungskritische ÖH mundtot machen sollen. Kurzfristig gelang dies nicht, doch mit Zeitverzögerung zeigt sich nun, was dieses mittlerweile nicht mehr so neue Wahlrecht heißt: Die Mehrheitsfindung in der ÖH Bundesvertretung wird nahezu unmöglich, die Schlagkraft dieser Institution leidet unter dem undemokratischen System, das die Stimmen der Studierenden je nach Universität unterschiedlich gewichtet.

Service und Politik. Nichts desto trotz wird in der ÖH Bundesvertretung emsig gearbeitet – 10 Referate, die für unterschiedliche Bereiche zuständig sind, teilen sich die Agenden auf. Zum Beispiel unterstützt das Sozialreferat Studierende im Kampf durch den Beihilfendschungel, das Referat für Fachhochschul-Angelegenheiten setzt sich unter anderem für studienrechtliche Mindeststandards an Fachhochschulen ein.
Gemeinsam ist allen Referaten ein Interesse: die österreichische Bildungslandschaft mitzugestalten. Nach dem Motto „Service, das hilft. Politik, die wirkt“ ist die Beratung von Studierenden nur eine Seite der Medaille. Die ÖH bezieht zu Gesetzesentwürfen Stellung, lobbyiert bei verschiedenen gesellschaftlichen PlayerInnen (Ministerien, Gewerkschaften, Hochschul-Vertretungen, etc) für die Interessen von Studierenden und wird auch nicht müde, die wichtigsten Anliegen der Studierenden gebetsmühlenartig zu wiederholen. Studiengebühren oder Zugangsbeschränkungen wären gesellschaftlicher Konsens, würde die ÖH nicht immer wieder dagegen eintreten.

Keine eierlegende Wollmilchsau. Viele Probleme der Studierenden lassen sich leider durch gute Vertretungsarbeit alleine kaum lösen. Einerseits ächzen die Hochschulen durch die Bank unter dem rigiden Sparkurs, der seit Jahren die Studienbedingungen verschlechtert. Andererseits werden die Studien immer verschulter und der finanzielle Druck auf die Studierenden steigt – ehrenamtliche Tätigkeiten und damit die aktive Mitgestaltung in der ÖH wird zum Luxus, den sich die Mehrheit der Studierenden, die ihre lehrveranstaltungsfreie Zeit im Nebenjob verbringt, nicht mehr leisten kann. 
Die Rationalisierung der bildungspolitischen Auseinandersetzung und damit auch der Hochschulstruktur lässt wenig Raum für eine Körperschaft öffentlichen Rechts. Es liegt an den Studierenden, sich aktiv einzubringen und das Spielfeld wieder zu erweitern.

 

Umkämpft, bedroht, umstritten

  • 13.07.2012, 18:18

Die Österreichische HochschülerInnenschaft polarisiert – seit es sie gibt. Ab 1945 gab es immer wieder Versuche, sie zu zähmen oder gar zu entmachten. Zuletzt versuchte sich die schwarz-blaue Regierung daran – was ihr nur teilweiße gelang.

Die Österreichische HochschülerInnenschaft polarisiert – seit es sie gibt. Ab 1945 gab es immer wieder Versuche, sie zu zähmen oder gar zu entmachten. Zuletzt versuchte sich die schwarz-blaue Regierung daran – was ihr nur teilweiße gelang.

Begonnen hat die Hochschülerschaft als FÖST (Freie Österreichische Studentenschaft), initiiert von Studenten wie Hans Tuppy, dem fürderhin  herausragenden Wissenschafter und kurzzeitigen Wissenschaftsminister. Sie pflanzten 1945  auf das Dach der Wiener Universität die österreichische Flagge, toleriert von der sowjetischen Besatzungsmacht. Diese erste, unabhängige Vertretung wurde jedoch bald eingeholt von der politischen Wirklichkeit: Die Hochschülerschaft entstand – mit jenen Fraktionen, die an der Leine der politischen Parteien hingen. Wahlblock (ÖVP), VSSTÖ (SPÖ), BUS (VDU) und KP.
Konstruiert war diese Studentenvertretung wie eine Kammer. Zum Beispiel wie die Arbeiterkammer – im Miniformat. Was hieß: Service und noch einmal Service. Das war zu wenig für die Ausübung eines politischen Mandats, aber viel in einer Zeit, als Arbeiter oder Bauern es sich einfach nicht leisten konnten, ihre Kinder studieren zu lassen.
Weshalb wir an der Uni Graz nicht nur eine studentische Krankenversicherung hatten oder wie alle ÖH einen Skriptenverlag. Die größten Referate waren jene für Soziales und Arbeit. Sie organisierten kostenlose „Mittagstische“ in Gasthäusern und kleinere laufende Arbeitskontrakte neben den beliebten Ferialjobs in Schweden oder bei der deutschen Post. Zunehmend gelang es, auch in England Jobs zu akquirieren (z.B. in den Hopfenplantagen von Guinness) oder in Frankreichs Weingegenden.

Erste große Demos fanden statt. Der Beginn der 60er Jahre war auch für die ÖH der Start eines Umbruchs. Rock und Beat, John F. Kennedy, Dissidenten im Osten, neue österreichische Kunst und Literatur. Das hat motiviert. Und wer wollte, konnte nicht nur mittun, sondern Neues denken und wagen. Erste große Demos fanden statt – wie zum Beispiel die Lahmlegung der Grazer Innenstadt 1961 wegen der miesen Budgets für die Universitäten.
Erstmals entstanden politische Studentenzeitschriften, der Aufstand in Berkeley 1963 war der Auftakt für die (linke) Forderung, dass die ÖH ein politisches Gesamtmandat habe und nicht nur ein zahnloses Begutachtungsrecht wie eine matte Kammer. Von der Politik wurde all das entrüstet zurückgewiesen, politisch engagierte Studenten sahen sich dadurch gestärkt: Sie recherchierten die Nazi-Vergangenheit von Politikern und Professoren (siehe der Fall Borodajkewicz), sie machten die Praxis öffentlich, dass Wissenschafter, die unter „Links-Verdacht“ standen, keine Lehrstühle bekamen, sie prangerten den Filz in der Großen Koalition an.
Nicht so sehr die Hochschülerschaft selbst, sondern neue studentische Gruppen spielten plötzlich in der politischen Debatte eine Rolle. Sich „einzumischen“, diesen mehr als zehn Jahre später von den Alternativen und Grünen plakatierte Slogan, ist damals entstanden.
Speziell in Graz wurde die parteipolitische Fraktionierung in der ÖH durch die Gründung der „Aktion“ aufgebrochen. Auf Anhieb eroberte sie an der Uni Graz eine Mehrheit der Mandate. Ihre Forderungen: Mitbestimmung nach dem Prinzip „one man one vote“ (das bedeutete eine offene Rektorswahl), Veröffentlichung von Publikationslisten der Professoren und Bekanntgabe des Alters der Vorlesungen, Aufhebung der Geschlechtertrennung in den Studentenheimen, Errichtung von Kindergärten, Studentenradios. Kostenlose Benützung der städtischen Busse und Straßenbahnen.
Diese Forderungen und vor allem dieses Klima schwappten nach Linz und nach Wien, wo 1965 auch ein großes Uni-Symposion stattfand, das in den europäischen Medien besprochen wurde. Große Philosophen wie Ernst Bloch sprachen im Audimax, das auf einmal entstaubt wirkte. Die breitere Öffentlichkeit nahm plötzlich (aber widerwillig) wahr, dass Studenten nicht nur zu studieren, sondern auch zu politisieren hatten.

Der Aufstieg Kreisky spielte eine Rolle. Das Jahr 1968 war in Österreich vergleichsweise ruhig – wenn auch nicht unbedeutend. Einige Schlüsselereignisse: 1. Die Mai-Demonstrationen in Wien verunsicherten die traditionellen Parteikader und spielten beim Aufstieg Bruno Kreiskys sicher eine Rolle. 2. Die von Peter Kowalski und Silvio Lehmann angeführte Protestveranstaltung im Audimax war ein spektakulärer Rahmen für die Lancierung von Reformkonzepten. 3. Beim Studententag von Obertrum wurde die vor allem von Graz ausgehende Reform der ÖH (Einführung von Institutsvertretern) beschlossen. 4. Zusammen mit Reformvorschlägen aus dem links-bürgerlichen Lager (z.B. Stephan Schulmeister) und studentischen Vorstößen aus der Reformkommission des ÖVP-Ministers Piffl-Percevic wurden Schritt für Schritt jene Wege beschritten, die schließlich zur Uni-Reform unter Herta Firnberg (SPÖ) führten. In diesen Monaten hatten die Hochschülerschaft und neue Gruppierungen den größten Einfluss auf Politik und Gesellschaftsreform. Das kam nie mehr wieder.
Vorbei war es auch mit einer ÖH als Spiegelbild der Bundespolitik. Der bürgerliche Wahlblock verwandelte sich in die ÖSU (später: Aktionsgemeinschaft). Die jungen Funktionäre hatten nicht mehr akzeptiert, von „alten“ CVern und KVern, gelenkt zu werden. Und somit direkt an die ÖVP-Politik gebunden zu sein. Der VSSTÖ emanzipierte sich ebenfalls immer mehr – und endgültig, als erstmals eine Frau Bundeschefin der Hochschülerschaft wurde. Der RFS, Ende der 60er Jahre mit einem Programm, das den liberalen Studenten Deutschlands ähnelte, fiel in den 70er Jahren erneut zurück in die alten burschenschaftlichen Traditionen. Die Fachschaftslisten, die Trotzkisten und Maoisten, später die Scherz-Listen, ergaben schließlich einen bunten Fächer. Der Nachteil: Ständige Kämpfe um die Macht in einer dem Kammer-System nachgebildeten Vertretung. Der Vorteil: Häufiger Wechsel der Personen, keine Funktionärskasten mehr.

Der Schock: Die Entmachtung der Hochschülerschaft als Mitentscheider durch die schwarz-blaue Regierung am Anfang des neuen Jahrhunderts. Die Ursachen lagen nicht nur bei der Überzeugung einiger ÖVP-Minister, die (zweifellos verbürokratisierte) Mitbestimmung abzuschaffen, sondern auch bei einer zahnlosen ÖH.
Vermutlich ist das alte Vertretungsmodell ohnehin nicht mehr effizient. Die Studentenvertretung benötigt neue Instrumente der Willensbildung. Sachabstimmungen beispielsweise, deren Ausgang mit qualifizierten Mehrheiten für ÖH, Rektorat und Uni-Rat verbindlich sind. Oder ein Rederecht für ÖH-VertreterInnen in relevanten Ausschüssen des Parlaments.

 

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