Simone Grössing

Der Winter tut den Fischen gut

  • 28.09.2012, 10:45

Maria ist Anfang vierzig und verliert ihren Arbeitsplatz. Daraufhin beginnt sie, zum AMS zu gehen und arbeitet hart daran, einen neuen Job zu finden. Zwischen den AMS-Terminen und dem Warten auf eine Zusage, spielt sich das Leben in all seinen unscheinbaren Facetten rückwärts ab...

Der Winter tut den Fischen gut

Maria ist Anfang vierzig und verliert ihren Arbeitsplatz. Daraufhin beginnt sie, zum AMS zu gehen und arbeitet hart daran, einen neuen Job zu finden. Zwischen den AMS-Terminen und dem Warten auf eine Zusage, spielt sich das Leben in all seinen unscheinbaren Facetten rückwärts ab – seien es nun Geschichten über Otto, eine der Kaulquappen die Maria in ihrer Wohnung züchtet, Erinnerungen an den ersten Kuss mit ihrem verstorbenen Mann Walter im Wiener Prater oder der Einkauf am Fischmarkt im Winter. Wachsam und liebevoll beschreibt Anna Weidenholzer den Alltag in der Arbeitslosigkeit, ohne dabei auch nur ein Detail zu übersehen. Sie erzählt die Geschichte einer wartenden Frau, die auf den ersten Blick in der Langsamkeit und Einsamkeit der  Arbeitslosigkeit gefangen ist, bei näherem Hinsehen jedoch voller  Sehnsüchte und Lebenshunger ist. Ein schönes, ruhiges Buch.

Der Winter tut den Fischen gut.
Residenzverlag 2012

Alleine und überfordert

  • 28.09.2012, 10:16

Die Belastung von Studierenden wächst: Konkurrenzdruck, Versagensängste und Konzentrationsschwierigkeiten gehören um Alltag im Unisystem. 2009 gaben 16 Prozent an, psychische Probleme und Ängste zu haben.

Die Belastung von Studierenden wächst: Konkurrenzdruck, Versagensängste und Konzentrationsschwierigkeiten gehören um Alltag im Unisystem. 2009 gaben 16 Prozent an, psychische Probleme und Ängste zu haben.

Drei Stunden pro Woche spricht Madeleine* mit einer Therapeutin über ihr Leben. In der Endphase ihres Studiums hat sie sich zum zweiten Mal dazu entschieden, in Therapie zu gehen. „Das Diplomarbeitschreiben war keine leichte Zeit – ich hatte großen Stress, fertig zu werden und habe mich oft alleine und überfordert gefühlt. Ich hatte den Eindruck, alle anderen wissen genau, was sie machen und ich komm einfach nicht weiter“, erzählt sie. Erstmals zu einer Therapie entschieden hatte sie sich schon während ihres Umzugs nach Wien zu Beginn ihres Studiums. Primäre Anlaufstelle war damals die Psychologische Studierendenberatung, die Studierenden in schwierigen Situationen Hilfe anbietet.

Therapie – ein Zeitfaktor. Das Beratungsrepertoire der Psychologischen Studierendenberatung in Wien ist breit gefächert; es umfasst Einzelberatungen, Workshops, oder auch Lerngruppen. Denn die Probleme der Studierenden sind vielfältig: Fragen zu Studienwechsel, Lernstrategien, oder auch Prüfungsängste sind häufige Themen in der Beratung. Rund 40 Prozent und damit der Großteil der 15.000 Studierenden, die jährlich eine Beratung in Anspruch nehmen, kommen jedoch wegen psychischer Probleme und Krankheiten. Dazu gehören unter anderem generalisierte Ängste, Depressionen oder auch Zwänge. Die im Studium auftretenden Krisen haben oft mit der individuellen Vorgeschichte der Betroffenen zu tun. „Menschen, die sehr ängstlich sind, haben auch eher mit Prüfungen zu kämpfen“, erklärt Kathrin Wodraschke, stellvertretende Leiterin der Psychologischen Studierendenberatung Wien. Stellt sich bei einem  Erstgespräch heraus, dass eine Therapie hilfreich wäre, versuchen die Berater_innen an eine Therapeut_in zu vermitteln. Die Hemmschwelle, nicht nur eine unverbindliche Beratung in Anspruch zu nehmen, sondern eine Therapie zu beginnen, ist meist jedoch deutlich höher. Schon aus Zeitgründen stellen  regelmäßige Therapiesitzungen für viele eine Schwierigkeit dar. „Die Therapie beeinflusst eben auch das Studium: Ich hatte zwei oder drei Mal in der Woche einen fixen Termin, da können keine Lehrveranstaltungen besucht werden – dann ist Therapie und die kann nicht verschoben werden”, erinnert sich Madeleine.

Auch die verschärften Studienbedingungen, etwa durch die Implementierung der Studieneingangs- und Orientierungsphase, an der viele scheitern, spielen oft eine Rolle bei den Beratungen: „Das System wird als belastend erlebt, das ist auch bei uns immer wieder ein Thema", meint Wodraschke. Für Madeleine war die Therapie eine Stütze, die ihr auch durch das System Uni geholfen hat: „Dort wird dann besprochen, was das Studium für eine_n bedeutet, wie man  sich die Zeit einteilt, einfach wie man mit dem ganzen Stress umgeht und woher der Stress überhaupt kommt. Die gesamten Unsicherheiten vor der Diplomarbeit konnte ich dort bereden.“ Gerade in geistes- und sozialwissenschaftlichen Studien werden die fehlenden Berufsbilder immer wieder zum Problem für Studierende, aber auch die verstärkt geforderte Selbstorganisation. Deshalb will die Studierendenberatung vor allem auch den Austausch zwischen Studierenden fördern – in Form von Lern- und Peergruppen, in denen sich  Studierende gegenseitig unterstützen können. „Wenn man sich heute nicht an der Uni vernetzt, ist es schwierig“, so Wodraschke.

Therapie – ein Tabu? Mit ihrer Therapie ist Madeleine immer sehr offen umgegangen. Diskussionen mit Bekannten waren für sie spannend und nie einTabu: „Ich glaube es kommt da ganz auf den Kontext an, aber gerade im Studierendenmillieu muss man das schon einmal gemacht haben. Einmal eine psychische Krise gehört fast zum guten Ton“, scherzt sie. „Den Studienkoleg_innen bindet man das aber dann natürlich nicht auf die Nase.“ Der Umgang mit dem Thema Therapie sei allerdings nicht für alle so einfach und für viele noch immer negativ behaftet, sagt Wodraschke: „Man redet zwar  mittlerweile über Therapie, aber wirklich zu jemandem zu gehen und sich Hilfe zu suchen, ist noch immer ein großer Schritt."

Finanzielle Hürden. Die Therapie ist aber oft nicht nur ein Tabu, sondern für viele Studierende aufgrund der hohen Kosten nur schwer realisierbar. In der Regel kostet eine Psychotherapie zwischen 80 und 120 Euro pro fünzig Minuten – für Studierende eine enorme Summe. Manche Therapeut_innen bieten niedrigere Preise für Studierende, fixe Ermäßigungen gibt es aber nicht. Es existieren zwar Kassenplätze, bei denen die Finanzierung der Therapie ganz übernommen wird. Diese sind aufgrund mangelnder Kapazitäten aber sehr schwer zu bekommen. „Ich hatte das Problem, dass ich eine Liste mit Kassenärzt_innen durchgerufen habe, die hatten aber alle keine Plätze mehr“, erzählt Madeleine. Die Kosten von 50 Euro pro Sitzung musste in ihrem Fall anfangs die Familie übernehmen. Heute hat sie einen ausfinanzierten  Kassenplatz für zwei Stunden pro Woche, den Rest bezahlt sie aus ihrer eigenen Tasche: „Der finanzielle Faktor macht es meiner Meinung nach eindeutig schwerer, sich auf eine Therapie einzulassen – schließlich passt es dann auch einfach nicht mit jeder Therapeut_in.“

Hinzu kommen die aktuellen Kürzungen der Wiener Gebietskrankenkasse, die bis Februar 2013 Neuanträge gestoppt hat. Psychoanalysen sollen zudem zukünftig gar nicht mehr finanziert werden. Der Anspruch auf einen Zuschuss von der Krankenkasse und dessen Höhe hängen also stark davon ab, wo und über wen man versichert ist. Zustände, die die Situation für Hilfesuchende noch zusätzlich erschweren.

*Name von der Redaktion geändert

Einfach ein geiles Heft

  • 20.09.2012, 02:13

Sonja Eismann (38) ist ChefInnenredakteurin und Mitgründerin des ersten popfeministischen Magazins im deutschsprachigen Raum. Neben ihrer Tätigkeit beim Missy Magazine arbeitet sie als freie Journalistin und Kulturwissenschaftlerin in Deutschland, der Schweiz und Österreich. Ein Portrait.

Sonja Eismann (38) ist ChefInnenredakteurin und Mitgründerin des ersten popfeministischen Magazins im deutschsprachigen Raum. Neben ihrer Tätigkeit beim Missy Magazine arbeitet sie als freie Journalistin und Kulturwissenschaftlerin in Deutschland, der Schweiz und Österreich. Ein Portrait.

Sonja Eismann lacht, wenn Beth Ditto sich bei Wetten, dass..? auf Hansi Hinterseers Schoß wirft. Außerdem mag sie Tiere mit weichem Fell, bevorzugt bei Interviews persönliche Fragen und findet Fanzines toll. Zu letzterem hat sicherlich ihr Studienaufenthalt in Santa Cruz beigetragen. Dort konnte sie nicht nur die heimische „Do it Yourself “-Szene (kurz: DIY*) für sich entdecken, sondern zudem ihr Interesse für feministische Theorie an der Uni festigen. Auf Kellerkonzerten und in Comicläden lernte sie die Punks und Hippies Kaliforniens kennen und schätzen. An der University of California kam Eismann außerdem mit feministischen Theoretikerinnen wie Angela Davis, Wendy Brown oder Teresa de Lauretis in Berührung und besuchte Seminare zu „marxism and literature“. In Wien, wo sie Vergleichende Literaturwissenschaft studierte, beeinflussten die dort gewonnenen Eindrücke dann die eigenen Projekte: Mit einer Freundin kreierte sie etwa ihre erste eigene DinA6-Zeitung namens Annikafisch. Eismann wusste damals noch nicht, dass diese Erfahrungen maßgeblich zur Schaffung des ersten deutschsprachigen popfeministischen Magazins beitragen würden. „Man muss realistisch sein, das ist nicht möglich“, dachte sich Eismann damals noch. Denn im Zuge ihrer Tätigkeit als Musikjournalistin unter anderem bei dem Popmagazin Intro hatte sie die Erfahrung gemacht, dass selbst auflagenstarke Popzeitschriften mit existenzbedrohlichen finanziellen Problemen zu kämpfen haben. 2008 ging dann Eismanns
Traum vom eigenen feministischen Magazin mit größerer Reichweite in Erfüllung. Mit Stephanie Lohaus und Ladyfestbekanntschaft Chris Köver wurde – den schwierigen Umständen zum Trotz – ein Konzept erarbeitet, das mit gereifter Professionalität feministische Inhalte einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen, also Popkultur und Feminismus verbinden sollte. Im Stil amerikanischer Formate wie Bust oder Bitch sollte das deutschsprachige Pendant geschaffen werden. In Zeiten, in denen oft von der Krise des Printmarkts die Rede ist, galt dies natürlich als waghalsiges und zugleich idealistisches Unterfangen – dies schien Eismann & Co jedoch weder abzuschrecken noch von der Umsetzung abzuhalten. Der Plan ging auf. Das Missy Magazine gilt seit seiner Entstehung als überaus erfolgreich: Es gewann 2008 den Hobnox Evolution Contest und mittlerweile werden sogar schon die ersten Bachelorarbeiten über das Magazin verfasst.

DiY und Unternehmerinnentum. „Ohne es zu wollen, sind wir Unternehmerinnen geworden. Eigentlich wollten wir einfach nur ein geiles Heft machen“, wundert sich Eismann über den Status Quo. Obwohl sie den DIY-Gedanken „schön und gut“ findet, steht sie dem Trend zum „crafting“ und „Kreativ-Kapitalismus“ durchaus skeptisch gegenüber. Angesichts des Ausbruchs kreativer Hypes wie zum Beispiel der Strickmanie der letzten Jahre, die sich oft in Form von Knit-Ins bemerkbar macht, lässt sich eine Entpolitisierung feststellen, die weniger mit der Popularisierung dieser Tätigkeiten, als mit der Reproduktion von unternehmerischem Denken und Strukturen zu tun hat. Diese dienen oft nur noch dem reinen Selbstzweck. Das hat mit Politik und Feminismus nicht mehr viel zu tun. Oftmals handle es sich dabei um eine Form der Selbstausbeutung, die dann auch noch als genussvoll dargestellt werde, meint Eismann. Sie betrachtet das Verschwimmen der Grenzen von Privatem und Beruflichem im DIY-Lebensstil deshalb als kritikwürdig und problematisch. Aber das Missy Magazine muss sich ganz ohne Förderungen über Wasser halten. Und Eismann ist somit ironischerweise selbst Unternehmerin. Anders scheint ein Magazin in dieser Größenordnung heute nämlich nicht mehr realisierbar zu sein.

Das Private ist politisch. Die feministische Haltung, die das Missy Magazine durchzieht, findet auch in Eismanns privatem Leben ihren Platz. So hat sie sich bewusst einen Partner ausgesucht, mit dem die Arbeitsteilung hinsichtlich Kinderbetreuung gut funktioniert und alles gerecht geteilt wird. „Da bin ich schon relativ entschlossen“, stellt Eismann klar. Einen anderen Partner könne sie sich an ihrer Seite auch gar nicht vorstellen. Trotz „toller Kita“ und optimalem Partner lässt sich Beruf und Familie aber nicht immer ganz ohne Probleme unter einen Hut bringen. Als freie Journalistin ist Eismann viel auf Reisen. Wenn sie dann abends nach Hause kommt und eigentlich noch Arbeit ansteht, könne das schon wahnsinnig anstrengend sein. Eismann bleibt aber dennoch lieber – wie sie sagt – „ihre eigene Herrin“. Auch wenn sie die Schattenseiten ihres Berufs kennt und das Leben im Prekariat keinesfalls glorifizieren will – sie macht ihren Job eben gerne. „Ich kann einfach nichts anderes, sonst würde ich das ja auch machen“, sagt sie schmunzelnd.

Auf Achse. Stillstand scheint Eismann jedenfalls nicht zuzusagen. Endgültig will sie sich auch nicht auf den beruflichen Status festlegen lassen. Dazu hat sie nicht den klassischen Ausbildungsweg beschritten und keine typische Karriere durchlaufen, worüber sie auch froh ist: „Wie man da so getrimmt wird, finde ich furchtbar“, sagt sie und meint damit vor allem die herkömmlichen Journalismusschulen. So blickt sie lieber auf zukünftige mögliche Entwicklungen und steckt Energie und Zeit in zahlreiche neue Projekte: Derzeit leitet sie etwa eine Lehrveranstaltung in Basel und ist in diversen Ausstellungsund Buchprojekten involviert. Zukünftig möchte sie verstärkt im universitären Bereich, vor allem in der Schweiz und in Österreich, arbeiten: „Im Journalismus ist leider echt kein Geld zu holen“, sagt Eismann.

Die Autorin studiert Politikwissenschaften in Wien.

* DIY-Feminismus bedeutet, Feminismus selbst zu machen und nicht auf Profis zu warten, die Veränderungen für eine vollbringen. Oft ist die DIY-Bewegung verknüpft mit Graswurzelbewegungen.

 

Internet macht Musik interessant

  • 13.07.2012, 18:18

Im Rahmen ihres Konzertes in Lissabon hat progress die amerikanische Gitarristin Kaki King getroffen und mit ihr im Kaffeehaus über ihre Musik und die digitale Evolution gesprochen.

Im Rahmen ihres Konzertes in Lissabon hat progress die amerikanische Gitarristin Kaki King getroffen und mit ihr im Kaffeehaus über ihre Musik und die digitale Evolution gesprochen.

progress: Die Dreharbeiten zum Buch „Nachtzug nach Lissabon“ von Pascal Mercier finden hier gerade statt. Es handelt von einem Lehrer, der sein geordnetes Leben hinter sich lässt, um in eine neue Stadt zu reisen. Hast du das Gefühl, dass es als Künstlerin möglich ist, aus dem Alltag auszubrechen und alte Gewohnheiten zu durchbrechen?

Kaki King: Ja, manchmal kann es das sein. Ich glaube, viele Leute glorifizieren das - und das sollten sie auch. Ich meine, ich führe kein gewöhnliches Leben. Aber ich finde nicht, dass ich so anders oder einzigartig bin. Ich muss trotzdem noch alltägliche Dinge erledigen. Aber vielleicht mache ich das alles auch schon so lange, dass es sich normal anfühlt.

Das weitaus wichtigste Instrument in deiner Musik ist die Gitarre. In „Second Brain“ singst du: „Are we to have another century of the guitar when the best instrument in the world is still the piano...“. Warum hast du dich für die Gitarre entschieden?

Ich finde zwar, dass das Klavier das beste Instrument ist, weil es übersichtlicher und einfacher aufgebaut ist. Das ist auch der Grund, wieso MusikerInnen eher auf dem Klavier komponieren und nicht auf der Gitarre. Jedoch ist es mit dem Klavier schwieriger, auf Reisen zu gehen. Die Gitarre ist viel praktischer.

Auf „Junior“, deinem aktuellen Album, singst du von deinen kommunistischen FreundInnen. Gibt es die wirklich?

Ja klar! Ich war für fünf Minuten Kommunistin.

Wieso nicht länger?

Weil es definitiv eine gescheiterte Ideologie ist.

Hast du irgendwelche Erfahrungen mit kommunistischen Gruppen gemacht?

Irgendwann erreichen wir mal den Punkt, wo wir uns fragen: Hey, das Leben ist so unfair, was würde es fair machen? Lasst uns alle gleich sein! Und dann triffst du diese Freaks auf der Uni, die meinen, sie sind ernsthafte Hardcore-KommunistInnen. Die glauben, die nächste Revolution steht vor der Tür. Einmal nur erwähnte ich in deren Gegenwart, dass ich eine kommunistische Webseite gelesen hatte, und sie sagten gleich: „Komm mit uns, denn du bist eine von uns!“

Und bist du jemals zu einem Treffen gegangen?

Nein, auf keinen Fall. Mein Gott, nein.

Die Diskussion rund um den Schutz von künstlerischem Eigentum ist in den letzten Monaten durch gesetzliche Maßnahmen wie SOPA (Stop Online Piracy Act) in den USA und ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement) in der EU neu entfacht. Wie findest du es, wenn Leute deine Musik frei downloaden und sharen?

Das Internet ist Teil der Evolution geworden, des kollektiven Bewusstseins. Es ist nicht mächtig, weil es eine Person kontrolliert, sondern weil wir alle Teil davon sind. Das zu bekämpfen, ist eine ganz schlechte Idee. Und das bedeutet nicht, wenig Geld zu verdienen. Es gibt Wege, deine Information zu schützen. Aber wenn du sagst, ich werde das nicht tun, weil ich nicht will, dass Leute das hören, wenn du alleine gegen diese Welle ankämpfst, ist das dumm. Das ist einfach ein neuer Weg, Wissen zu teilen. Ich denke nicht, dass man das stoppen sollte. Manchmal kommen Leute zu mir und sagen, dass sie alle meine Alben haben, und sie haben sie nicht gekauft, sondern runtergeladen und nicht dafür bezahlt.

Macht dich das wütend?

Nein, denn sie sind zur Show gekommen. Ich sehne mich nicht nach den Tagen, als man haufenweise Geld gemacht hat und von den Major Labels bezahlt wurde, um auf Tour zu gehen. Das gab es einmal, aber diese Zeit ist vorbei. Internet macht Musik wirklich interessant. Und ich liebe das: Leute können von Musik leben und sie verkaufen und gratis ins Internet stellen und auf Tour gehen. Mein Vater war früher immer dieser besondere Typ mit der coolen Musiksammlung, der zuhause immer Platten aufgelegt hat. Heute können wir alle derjenige mit der Wahnsinns-Musikkollektion auf dem iPod sein.

Gibt es andere Wege, Musik zu „schützen“, als mit Gesetzesentwürfen wie etwa SOPA, PIPA (Protect IP Act) und ACTA?

Dieser Gesetzesentwurf (Anm. der Red.: SOPA) ist wirklich verrückt. Es gibt keinen Weg, das zu überwachen, aber das ist ja das Schöne daran. Außer du bist die Regierung und blockierst die Website. Aber wenn Musik eingeschränkt wird, wird am nächsten Tag die Meinungsfreiheit eingeschränkt. Das ist eine krasse Entwicklung. Ich möchte nicht Teil einer solchen Welt sein.

Was sind deine Pläne für die nächste Zeit?

Ich arbeite an einem Album. Irgendwas mit Sologitarren. Wird aber noch dauern. Ich habe mir im letzten Jahr ein bisschen freigenommen, und jetzt fang ich wieder mit der Arbeit an. We'll see!

Zur Person

Die amerikanische Musikerin Kaki King (geb. 1979) wurde durch ihre experimentelle Spieltechnik auf der Gitarre bekannt. King hat bereits mit Musikgrößen wie Dave Grohl, Tegan and Sara und Timbaland zusammengearbeitet und für Sean Penns preisgekrönten Film „Into the Wild“ den Soundtrack komponiert. 2006 schaffte sie es als einzige Frau in die Liste „The New Guitar Gods“ des Rolling Stones. Seit 2003 hat sie sieben Alben veröffentlicht, darunter ihr jüngstes Werk „Junior“, das auf Rounder Records erschienen ist.

Aufhören, uns die Schuld zu geben

  • 13.07.2012, 18:18

Die israelische Soziologin Eva Illouz appelliert in ihrem letzten Werk „Warum Liebe wehtut“ daran, uns selbst weniger zur Verantwortung zu ziehen, wenn es mit unseren Beziehungen nicht klappt.

Die israelische Soziologin Eva Illouz appelliert in ihrem letzten Werk „Warum Liebe wehtut“ daran, uns selbst weniger zur Verantwortung zu ziehen, wenn es mit unseren Beziehungen nicht klappt.

Laut Illouz sollen wir unser Versagen in Liebesbeziehungen in einem gesellschaftlichen Kontext betrachten. Damit wäre uns nicht nur viel Druck genommen, sondern auch der Gang zum/r Therapeuten/in bliebe uns erspart. Ein PROGRESS-Interview über Kapitalismus, männliche Dominanz und Leidenschaft.

PROGRESS: In Ihrem Buch schreiben Sie, dass die Soziologie bezüglich Beziehungsproblematiken den Platz der Psychologie einnehmen sollte. Wir sollten anfangen, gescheiterte Beziehungen im gesamtgesellschaftlichen Kontext zu betrachten und gleichzeitig aufhören, die Fehler beim Scheitern in Liebesangelegenheiten bei uns selbst zu suchen. Ist das als eine Kritik der sogenannten Therapy Culture zu verstehen?

Eva Illouz: Ja, es ist gänzlich als eine Kritik der Therapiekultur zu verstehen. Diese lässt uns kollektiv so viel an der Verbesserung unserer Selbst arbeiten, um gesellschaftliche Prozesse zu korrigieren. Die Psychologie ist zur privilegierten Allianz des Neoliberalismus geworden: Sie lässt uns dieses nagende Gefühl mitschleppen, dass etwas mit uns falsch wäre. Das soll dann mit unserer Familiengeschichte zu tun haben, oder mit unrealistischen Erwartungen, oder damit, dass wir es nicht geschafft haben, uns den richtigen Typen zu angeln. Ich will sagen: „Genug!“ Bezie- hungen sind schwierig, aber nicht, weil wir individuell mangelhaft sind, sondern wegen der sozialen Organisation des Kapitalismus, die es uns einfach schwer macht, unsere PartnerInnenwahl und unsere romantischen Gefühle zu organisieren.

Ist „Warum Liebe wehtut“ so gesehen ein Selbsthilfebuch?

Ja und nein. Nein, weil ich ja die „Selbsthilfekultur“ vehement kritisiere, wie ich schon dargestellt habe. Außerdem will ich ja niemandem vorschreiben, wie man leben soll. Ich besitze weder die Weisheit dazu, noch ein besonderes Wissen über die Liebe. Aber es ist insofern ein Selbsthilfebuch, dass es dabei helfen kann, sich weniger unfähig in Beziehungen zu fühlen.

Sie schreiben, es bedürfe wieder eines ethischen Rahmens, in dem wir unsere Beziehungen aufbauen und gestalten können. Sollten wir nicht zuallererst damit aufhören, in starren, binären Geschlechterkategorien zu denken, bevor wir uns mit Verhaltensregeln befassen?

Klar, Stereotype zu verändern, ist nichts anderes als ein zutiefst moralischer Imperativ.

Würden Sie Ihr Werk als feministisch bezeichnen?

Ach, wer würde sich heute nicht als FeministIn bezeichnen? Sogar Hausfrauen sind heute nicht mehr der Meinung, dass sie nicht befugt wären, wählen zu gehen, oder ein eigenes Konto zu besitzen, oder die Scheidung einzureichen. Mein Werk ist jedenfalls in einem moralischen Verständnis als feministisch zu bezeichnen, da es die Ursachen von Problemen zwischen Frauen und Männern in den Überresten einer patriarchalen Machtstruktur verortet, jedoch ohne der zentralen Rolle, die Familien früher noch im Patriarchat besaßen. In der Vergangenheit waren Männer aufgrund ihres sozialen und ökonomischen Status genauso abhängig von ihren Familien wie Frauen. Vielleicht waren sie sogar abhängiger als Frauen, in einer bestimmten Art und Weise. Heute aber brauchen Männer keine Familien mehr für ihren sozio-ökonomischen Status. Frauen hingegen sind viel abhängiger von der Familie: Sie wollen Mütter werden und brauchen einen Versorger während ihrer Mutterschaft. Das ist wohl einer der wichtigsten Gründe für die bestehende Asymmetrie zwischen Frauen und Männern und zugleich die Wurzel von dem, was ich als „emotionale Dominanz“ von Männern über Frauen bezeichne.

In „Warum Liebe wehtut“ meinen sie, dass charakteristisch für moderne Liebesbeziehungen eine zwischenmenschliche Beliebigkeit ausgelöst durch eine massive Ausweitung des Marktes an potenziellen PartnerInnen wäre. Gleichzeitig scheinen sich aber vor allem junge Menschen nach Stabilität und Sicherheit zu sehnen und sich für traditionelle Familienmodelle zu entscheiden. Werden unsere Beziehungen wieder konservativer?

Ich denke, es handelt sich eher um eine Pluralität von Modellen, die miteinander in Konkurrenz stehen und sich teils auch überschneiden. Die Sehnsucht nach konservativen Familienmodellen geht mit einer emanzipierten Sexualität und auch mit der gesteigerten Toleranz für einen sexuellen Pluralismus einher. Zugleich aber hat das auch mit einem höheren Grad an Unsicherheit und Ungewissheit zu tun. Wir bewegen uns so gesehen nicht zurück zu alten und gut bekannten Formen. Vielmehr handelt es sich dabei um alte Formen mit neuen Ressourcen.

In Interviews präsentieren Sie sich selbst als Fan der Leidenschaft. Was genau verstehen Sie unter diesem Begriff und kann Leidenschaft dazu dienen, herrschaftliche Ordnungen innerhalb von Beziehungen zu unterwandern?

Leidenschaft ist die Bereitschaft, die eigene Souveränität für jemanden anderen aufzugeben. Es ist eine Form der Emotionalität, die weniger reflexiv und weniger beschäftigt mit dem eigenen Wohlergehen ist. Das stellt ja in aktuellen Modellen offensichtlich die Norm dar: Gleichheit und Gegenseitigkeit werden ständig aufgerechnet und evaluiert. Ich denke, Gleichheit sollte niemals als ein regulierendes Ideal von Beziehungen in Vergessenheit geraten, aber wenn wir diese Gleichheit erreichen, sollten wir wieder Spaß an Leidenschaft haben und weniger ängstlich dabei sein.

ZUR PERSON: Eva Illouz wurde 1961 in Marokko geboren. Sie lebte und studierte in Paris und in Pennsylvania. Illouz lehrt derzeit Soziologie und Anthropologie an der Hebräischen Universität Jerusalem. Ihr Forschungsschwerpunkt ist das Verhältnis von Massenmedien, Kapitalismus und Emotionen. Damit beschäftigt sie sich auch in ihren zahlreichen Publikationen der vergangenen Jahre. „Warum Liebe wehtut“ ist ihr aktuelles Werk und erschien 2011 im Suhrkamp Verlag.

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